VwGH 2010/18/0357

VwGH2010/18/035725.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des ED, geboren 1974, vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Juli 2010, Zl. E1/262.015/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5 Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. Juli 2010 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 10. Jänner 2003 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am 20. Jänner 2003 einen Asylantrag gestellt, der im Instanzenzug vom Asylgerichtshof am 14. April 2010 rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Der Beschwerdeführer habe während seines Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt. Er sei unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist, habe zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel verfügt und sei nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens im Bundesgebiet verblieben. Er halte sich sohin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen. In einem solchen Fall könnten Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 66 FPG entgegenstehe.

Der Beschwerdeführer verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu zwei Brüdern, von denen einer bereits österreichischer Staatsbürger sei. Daher sei davon auszugehen, dass mit der vorliegenden Maßnahme ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden sei. Dessen ungeachtet sei die gegen den Beschwerdeführer gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - dringend geboten.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers sei auf seinen ca. siebeneinhalbjährigen inländischen Aufenthalt Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei aber zu berücksichtigen, dass einer daraus ableitbaren Integration auf Grund der Tatsache, dass sich sein Asylantrag nachträglich als unberechtigt herausgestellt habe, ein nur vermindertes Gewicht zukomme. Darüber hinaus befinde sich der Beschwerdeführer seit 15. April 2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet. Auch eine berufliche Integration sei nicht erkennbar. Zwar scheine der Beschwerdeführer im Firmenbuch als Kommanditist einer Personengesellschaft auf, gleichzeitig sei er jedoch bei dieser Gesellschaft seit 8. April 2010 als unselbstständiger Arbeiter (unrechtmäßig) beschäftigt. Vor diesem Hintergrund falle auch nicht sonderlich ins Gewicht, dass er bereits "ansprechend" deutsch spreche. Er wohne mit einem seiner Brüder nicht im gemeinsamen Haushalt. Darüber hinaus verfüge er in seiner Heimat über familiäre Bindungen zu drei Schwestern; es sei davon auszugehen, dass er auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes in der Türkei über perfekte Kenntnisse der türkischen Sprache verfüge. Dass seine Schwestern im Familienverband mit deren Ehemännern lebten, könne den Wert seiner familiären Bindungen insofern nicht schmälern, als nicht erwartet werde, dass er in der Türkei im gemeinsamen Haushalt mit einer seiner Schwestern leben werde. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland nach wie vor über soziale Kontakte verfüge und in der Lage sein werde, bestehende Kontakte wieder aufzufrischen bzw. neue zu knüpfen.

Es stehe fest, dass vom Beschwerdeführer die Bestimmungen des seit 1. Jänner 2006 in Geltung stehenden Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) angesichts der Tatsache, dass er sich seit der rechtskräftigen Abweisung seiner Berufung gegen die erstinstanzliche Asylentscheidung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, in gravierender Weise missachtet worden seien. Dabei könne auch ein Versuch, seinen Aufenthalt durch einen (Inlands-)Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu legalisieren, nicht positiv gewertet werden, weil Aufenthaltstitel gemäß § 21 Abs. 1 NAG nur mehr vom Ausland aus erwirkt werden könnten. Dieses Hinwegsetzen über eine maßgebliche fremdenrechtliche Norm bewirke eine Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens. Dem genannten öffentlichen Interesse liefe es grob zuwider, wenn ein Fremder bloß auf Grund von Tatsachen, die von ihm geschaffen worden seien (Nichtausreise trotz des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens), den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet erzwingen könnte.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, allenfalls infolge "mangelhafter Verfahrensführung" aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde, wonach das den Beschwerdeführer betreffende Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet worden sei und er über keinen Aufenthaltstitel verfüge, begegnet deren Auffassung, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid im Grunde des § 66 FPG und bringt vor, der Beschwerdeführer sei beruflich integriert, er sei Kommanditist im Familienbetrieb, wo sein Bruder (ein österreichischer Staatsbürger) und seine Schwägerin die Hauptverantwortlichen seien. Sein Beitrag an der Bewältigung des Arbeitsaufkommens und zur Wertschöpfung aus dem Familienbetrieb sei wesentlich und unverzichtbar. Er sei selbsterhaltungsfähig und krankenversichert. Während des sehr lange andauernden Asylverfahrens habe er über eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung nach dem Asylgesetz verfügt und sei nicht nur "geduldet worden". Implizit werde von der belangten Behörde davon ausgegangen, dass die asylrechtlichen Aufenthaltszeiten keine Relevanz hätten. Die Entfremdung des Beschwerdeführers von seiner ursprünglichen Heimat sei überhaupt nicht berücksichtigt worden. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers verstoße gegen keine öffentlichen Interessen; von ihm gehe keine Gefährdung aus, die außerordentlich sei und über das Maß hinausgehe, das seine Existenz als solche darstelle.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die belangte Behörde hat bei der gemäß § 66 FPG durchzuführenden Interessenabwägung im Hinblick auf den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Jänner 2003 und seine privaten Bindungen zu seinen Brüdern, mit denen er nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, sowie seine "ansprechenden" Deutschkenntnisse zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privatleben im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Die aus dieser Aufenthaltsdauer resultierenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers sind allerdings an Gewicht insoweit zu relativieren, als er bisher lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz auf Grund seines Asylantrages, der sich als unberechtigt herausgestellt hat, verfügt hat und sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Entgegen der Beschwerdeansicht ist die belangte Behörde keineswegs davon ausgegangen, "dass die asylrechtlichen Aufenthaltszeiten keine Relevanz hätten", sondern hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diesen Zeiten ein nur vermindertes Gewicht zukommt. Da der Beschwerdeführer nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages über keinen Aufenthaltstitel verfügte, der ihn zur Ausübung einer unselbstständigen Beschäftigung berechtigt hätte, kommt auch - worauf die belangte Behörde zutreffend hinweist - seiner ab 8. April 2010 ausgeübten Beschäftigung als Arbeiter für die vorliegende Beurteilung keine wesentliche Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2007/18/0261). Mangels eines zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels kann der Beschwerdeführer - entgegen der Beschwerdeansicht - weder als beruflich integriert noch auf Grund dieses Einkommens als selbsterhaltungsfähig angesehen werden.

Den genannten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass er sich trotz rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages - unrechtmäßig - weiterhin im Bundesgebiet aufhält, was eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, darstellt. Der Beschwerdeführer tritt auch den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach er über perfekte Kenntnisse der türkischen Sprache sowie über soziale Kontakte in seinem Heimatland - beispielsweise zu seinen drei Schwestern - verfüge, nicht entgegen. Auch wenn er mit seinen Schwestern nicht im gemeinsamen Haushalt leben würde, kann - ohne nähere Konkretisierung dieses Vorbringens - von einer Entfremdung des Beschwerdeführers von seiner ursprünglichen Heimat nicht gesprochen werden.

Die angeführten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers stellen keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es ihm unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens in sein Heimatland zurückzukehren. An dieser Beurteilung vermag auch das in der Beschwerde zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007, B 328/07, nichts zu ändern, weil der diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Sachverhalt (dort hatte die Behörde die Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin nicht festgestellt, keine weiteren Überlegungen zur sonderpädagogischen Schulbildung ihres minderjährigen Sohnes angestellt und das Familienleben mit den beiden volljährigen Kindern sowie der Schwester der Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt) mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar ist.

Bei Abwägung des angeführten großen öffentlichen Interesses und der gegenläufigen, wie oben dargestellt, relativierten Interessen des Beschwerdeführers begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, keinen Bedenken. Dabei kann - entgegen der Beschwerdeansicht - keine Rede davon sein, dass die belangte Behörde, die in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf diese gegenläufigen Interessen eingegangen ist, keine faire Interessenabwägung vorgenommen oder diese Abwägung "vor allem tendenziös zu Ungunsten des Betroffenen" vorgenommen habe.

3. Soweit die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers de facto keine Beachtung geschenkt, das Parteienvorbringen ignoriert und den konkret vorgebrachten Sachverhalt außer Acht gelassen, legt sie nicht dar, welches konkrete Vorbringen oder welchen Sachverhalt die belangte Behörde hätte berücksichtigen müssen und zu welchem anderen Bescheid sie auf Grund dessen hätte kommen können; es wurde daher nicht dargelegt, welche Relevanz dem behaupteten Verfahrensmangel hätte zukommen können. Dasselbe gilt für die Rüge wegen des Unterbleibens einer mündlichen Berufungsverhandlung; auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung besteht im Übrigen im fremdenrechtlichen Verwaltungsverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 2009, Zl. 2009/18/0273, mwN).

4. Schließlich bestand für die belangte Behörde auch keine Veranlassung, von dem ihr gemäß § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch weder aus der Beschwerde noch dem angefochtenen Bescheid besondere Umstände ersichtlich, die eine derartige Ermessensübung geboten hätten.

5. Soweit die Beschwerde darauf verweist, der Beschwerdeführer habe bereits vor Erlassung des erstinstanzlichen Ausweisungsbescheides (vom 29. Juni 2010, zugestellt am 1. Juli 2010) am 25. Juni 2010 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht, ist dem zu erwidern, dass ein solcher Antrag an der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG nichts zu ändern vermag (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 2009, Zl. 2009/18/0324, mwN); nur für den Fall, dass ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingeleitet - nicht abgeschlossen - wurde, ist mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, sofern die in § 44 Abs. 5 Z. 2 NAG festgelegten Voraussetzungen vorliegen.

6. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 25. November 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte