VwGH 2010/11/0126

VwGH2010/11/012621.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Mag. D S in W, vertreten durch Dr. Alexander Hofmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 3/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 17. Mai 2010, Zl. UVS-FSG/18/1086/2010-4, betreffend Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §64 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §64 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 21. Jänner 2010 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert, sich "binnen zwei (2) Wochen nach Zustellung dieses Schreibens" einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichterfüllung dieser Aufforderung die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers entzogen werden müsse. Ein Ausspruch gemäß § 64 Abs. 2 AVG ist in diesem Bescheid nicht enthalten. In der Begründung führte die Erstbehörde aus, sie habe begründete Bedenken, dass der Beschwerdeführer die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B nicht mehr besitze. Sie verwies auf einen im Akt befindlichen Bericht der Polizeiinspektion Gloggnitz, mit dem bekannt gegeben worden sei, dass der Beschwerdeführer am 23. Oktober 2009 versucht habe, auf eine näher genannte Person mit einer Eisenstange einzuschlagen. Bei der anschließenden Befragung habe der Beschwerdeführer einen desorientierten Eindruck gemacht und sich nicht beruhigen lassen. Er habe angegeben, beruhigende Medikamente einnehmen zu müssen. Weiters habe er erklärt, dass er seine Medikamente nicht eingenommen habe und sehr verwirrt sei. Daraus ergebe sich nach Ansicht der Erstbehörde der Verdacht, dass beim Beschwerdeführer die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht mehr gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und brachte unter Bezugnahme auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor, der Auftrag zur amtsärztlichen Untersuchung setze voraus, dass begründete Bedenken hinsichtlich des Vorliegens der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben seien. Derartige Bedenken habe die Behörde nachvollziehbar darzulegen. Im gegenständlichen Fall fehlten solche Bedenken, weil der genannte Vorfall vom 23. Oktober 2009 in keinem Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges gestanden sei. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer eingeräumt habe, beruhigende Medikamente einzunehmen, sei für die gegenständliche Aufforderung nicht ausreichend, weil es keine Hinweise gebe, dass der Beschwerdeführer dauerhaft Medikamente einnehmen müsse. Dem genannten Bericht lasse sich nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer angegeben hätte, wegen der unterbliebenen Einnahme von Medikamenten verwirrt zu sein. Vielmehr seien ihm "anlassbezogen" Medikamente verabreicht worden. Die genannten Bedenken der Behörde ließen sich daher auch nicht mit der Einnahme von Medikamenten begründen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte den Bescheid vom 21. Jänner 2010. In der Begründung gab sie das Verfahrensgeschehen wieder und verwies auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid. Wenn man bedenke, so die belangte Behörde weiter, dass der Beschwerdeführer im Zuge des gegenständlichen Vorfalls unstrittig einen Blutalkoholgehalt von 1,3 Promille aufgewiesen habe und dieser von seinem Hausarzt in eine geschlossene Abteilung des Landeskrankenhauses B. eingewiesen worden sei, so könne hier wohl nicht von einem gesetzwidrigen und ungebührlichen Eingriff in die Privatsphäre des Beschwerdeführers gesprochen werden. Vielmehr stelle die gegenständliche Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung eine dringend gebotene Notwendigkeit dar, um feststellen zu können, ob der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen aus medizinischer und aus verkehrspsychologischer Sicht geeignet sei. Es werde daher der Verkehrsbehörde auch dringend die Durchführung einer verkehrspsychologischen Untersuchung empfohlen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 4 FSG ist bei Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 FSG einzuholen (und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen). Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung ist (u.a.) dann, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Aufforderungsbescheid zur amtsärztlichen Untersuchung keine Folge leistet, die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. jüngst das Erkenntnis vom 22. Juni 2010, Zl. 2010/11/0076 und das dort zitierte Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2003/11/0302, mwN) ist ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Fall einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) bei der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt, und ein aktuelles amtsärztliches Gutachten ohne eine neuerliche Untersuchung des Betreffenden oder ohne neue Befunde nicht erstellt werden kann. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Derartige Bedenken sind in einem Aufforderungsbescheid nachvollziehbar darzulegen.

Erlässt die Führerscheinbehörde erster Instanz einen Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG, in dem sie anordnet, der Betreffende habe sich der amtsärztlichen Untersuchung innerhalb einer bestimmten Frist - ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides - zu unterziehen, und ist auch die Berufungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung der Auffassung, dass die amtsärztliche Untersuchung notwendig ist, so hat die Berufungsbehörde, sofern der Berufung aufschiebende Wirkung zukam, eine eigene (neuerliche) Frist festzusetzen und darf sich nicht damit begnügen, die im erstinstanzlichen Bescheid festgesetzte Frist zu bestätigen (vgl. das Erkenntnis vom 16. April 2009, Zl. 2009/11/0020, sowie das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2010/11/0076).

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon deshalb als rechtswidrig, weil die belangte Behörde die im erstinstanzlichen Bescheid festgesetzte Frist ("binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens") nicht richtiggestellt hat.

Für das fortzusetzende Verfahren sei darauf hingewiesen, dass der angefochtene Bescheid auch aus folgenden Gründen rechtswidrig ist:

Der Beschwerdeführer wendet gegen den angefochtenen Bescheid u. a. ein, dieser gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer von seinem Hausarzt in eine geschlossene Abteilung des Landeskrankenhauses "eingewiesen" worden sei. Damit werde aktenwidrig angenommen, der Beschwerdeführer sei gegen seinen Willen in den geschlossenen Bereich einer Nervenheilanstalt eingewiesen worden, was unzutreffend sei. Vielmehr sei der Beschwerdeführer mit seiner Zustimmung und weil er "mittelgradig betrunken" gewesen sei und sich in einer "labilen psychischen Ausnahmesituation" befunden habe, ins Krankenhaus gebracht worden. Der genannte Grad der Alkoholisierung bilde jedenfalls noch keinen ausreichenden Grund, die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen in Zweifel zu ziehen. Insbesondere stünden die festgestellten Umstände (Alkoholisierung und Spitalsbehandlung) in keinem Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges. Der Vorfall vom 23. Oktober 2009 habe sich abseits des motorisierten Straßenverkehrs zugetragen und sei durch private Motive verursacht gewesen.

Dieses Beschwerdevorbringen ist insoweit zutreffend, als, wie der Verwaltungsgerichtshof im bereits wiederholt zitierten Erkenntnis Zl. 2010/11/0076 ausgesprochen hat, der bloße Umstand, dass ein Führerscheinbesitzer Alkohol (wenngleich in hohen Mengen) konsumiert hat, ohne dass gleichzeitig Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit gegeben sind und ohne dass der konkrete Alkoholkonsum in einem Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges gestanden ist, noch keine Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG begründet.

Auch aus der vom Beschwerdeführer unstrittig begangenen Körperverletzung kann - ungeachtet ihrer Verwerflichkeit - noch nicht abgeleitet werden, es bestünden Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG. Wie der Beschwerdeführer nämlich in Übereinstimmung mit der Aktenlage einwendet, stand das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers in keinem Zusammenhang mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl. zum erforderlichen kraftfahrrechtlichen Konnex der Straftat das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, Zl. 2004/11/0217).

Wenn die belangte Behörde meint, Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG ließen sich daraus ableiten, dass der Beschwerdeführer im Zuge des Vorfalls vom 23. Oktober 2009 von seinem Hausarzt in eine geschlossene Abteilung des Landeskrankenhauses Baden "eingewiesen" wurde, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass zwar auch im aktenkundigen Polizeibericht vom 23. Oktober 2009 von der Einweisung des Beschwerdeführers durch den Hausarzt die Rede ist. Dem Beschwerdeführer wurde zu diesem Umstand aber, soweit aus dem Akt ersichtlich, das Parteiengehör nicht eingeräumt. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels zeigt der Beschwerdeführer mit dem zitierten Beschwerdevorbringen auf, in dem er einwendet, er sei nicht auf Grund einer ärztlichen Einweisung, sondern vielmehr mit eigener Zustimmung ins Landeskrankenhaus gebracht worden. Im Übrigen vermag nicht jede ärztliche Einweisung in ein Krankenhaus Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu begründen, sodass es konkreter Feststellungen über die Ursache und die näheren Umstände einer allfälligen Einweisung bedürfte.

Damit verbleibt von den Argumenten der Behörde lediglich die im Erstbescheid getroffene Feststellung, der Beschwerdeführer habe sich im Zuge des Vorfalls vom 23. Oktober 2009 nicht beruhigen lassen, sei sehr verwirrt gewesen und habe angegeben, Medikamente einnehmen zu müssen, die er aber nicht eingenommen habe. Soweit die Behörde damit zum Ausdruck bringen wollte, Bedenken gemäß § 24 Abs. 4 FSG seien deshalb gerechtfertigt, weil der Beschwerdeführer bestimmte Medikamente benötige, deren unterlassene Einnahme zu Verwirrtheitszuständen beim Beschwerdeführer geführt habe, so übergeht die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer in der Berufung ausdrücklich bestritten hat, er müsse dauerhaft Medikamente einnehmen. In der Berufung wird auch in Abrede gestellt, dass der Beschwerdeführer wegen der unterbliebenen Einnahme von Medikamenten verwirrt gewesen sei. Ohne weitere Auseinandersetzung mit diesem Berufungsvorbringen durfte die belangte Behörde daher nicht (unter Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid) davon ausgehen, Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG seien durch die Medikamenteneinnahme des Beschwerdeführers oder durch das Unterbleiben einer solchen Einnahme gerechtfertigt.

Der angefochtene Bescheid erweist sich nach dem Gesagten als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht, innerhalb des gestellten Begehrens, auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. September 2010

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