VwGH 2010/07/0129

VwGH2010/07/012926.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde

1. der Selbstverwaltung der Stadtgemeinde S in S und 2. der V (Komitatsverwaltung V) in A, beide vertreten durch Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3/1, gegen den Bescheid des Umweltsenates vom 11. Juni 2010, Zl. US 1A/2009/6- 142, betreffend Umweltverträglichkeitsprüfung (weitere Partei:

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft; mitbeteiligte Parteien: 1. R GmbH und 2. B GmbH, beide in H, beide vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
UVPG 2000 §19 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
UVPG 2000 §19 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 19. Oktober 2007 beantragte die erstmitbeteiligte Partei bei der Burgenländischen Landesregierung die Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur thermischen Verwertung nicht gefährlicher Abfälle im Wirtschaftspark H gemäß dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (im Folgenden: UVP-G 2000). In weiterer Folge trat die zweitmitbeteiligte Partei dem Verfahren bei.

Die Behörde erster Instanz machte mit Edikt vom 26.1./28.1.2008 den Antrag kund, wobei die Auflage der Unterlagen zur öffentlichen Einsicht im Zeitraum 30.1.2008 bis 13.3.2008 angekündigt wurde. Die Kundmachung umfasste u.a. auch den Hinweis auf die Notwendigkeit schriftlicher Einwendungen zur Wahrung der Parteistellung.

Die Erstbeschwerdeführerin nahm zu dem Genehmigungsantrag unter anderem mit Schriftsatz vom 29. Februar 2008 ablehnend Stellung. Sie bemängelte unter Vorlage verschiedener Privatgutachten (zu Luftbelastung und Umweltauswirkung), dass die Umweltverträglichkeitserklärung der erstmitbeteiligten Partei nicht auf die Erstbeschwerdeführerin eingehe; es werde um die Zuerkennung der Parteistellung gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 ersucht.

Mit Schreiben vom 13. März 2008 erhob die Erstbeschwerdeführerin Einwendungen gegen das Vorhaben.

Sie erklärte, sie sei Eigentümerin verschiedener Einrichtungen - Schulen, Betreuungszentrum, Kindergarten -, welche sich in unmittelbare Nähe der geplanten Anlage befänden, sodass sie hinsichtlich des Schutzes der Benützer dieser Einrichtungen Parteistellung gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 genieße.

Darüber hinaus erstattete die Erstbeschwerdeführerin unter Angabe einer näheren Begründung inhaltliche "Einwendungen" zur Immissionsbelastung durch Luftschadstoffe und Lärm sowie eine "Stellungnahme" zu möglichen Alternativprojekten wie etwa zur möglichen Gefährdung von Umwelt, Tourismus und Landwirtschaft.

Ebenfalls mit Schreiben vom 13. März 2008 erhob die Zweitbeschwerdeführerin Einwendungen, wobei ebenfalls die Parteistellung gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000, nämlich hinsichtlich des Schutzes der Benützer eines im Eigentum der Zweitbeschwerdeführerin stehenden Rehabilitationszentrums, beansprucht und die gleichen inhaltlichen "Einwendungen" bzw. "Stellungnahme" wie im Schreiben der Erstbeschwerdeführerin vorgebracht wurden.

Mit Schreiben vom 15. September 2008 gab die Zweitbeschwerdeführerin bekannt, dass sie (auch) durch die Erstbeschwerdeführerin vertreten werde.

Mit Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 5. Februar 2009 wurde der erstmitbeteiligten Partei die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur thermischen Verwertung nicht gefährlicher Abfälle unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt.

Spruchpunkt IV. des Bescheides lautet auszugsweise:

"Der Genehmigungsantrag, die nach den Verwaltungsvorschriften für die Genehmigung des Vorhabens erforderlichen Unterlagen und die Umweltverträglichkeitserklärung lagen (…) zur öffentlichen Einsicht auf.

In diesem Zeitraum haben mehrere Personen bzw Institutionen bei der Burgenländischen Landesregierung Einwendungen erhoben.

Über diese Einwendungen wird wie folgt abgesprochen:

  1. 1. (…)
  2. 2. Die Einwendungen der Selbstverwaltung der Hauptstadt Budapest, der (Zweitbeschwerdeführerin) und der (Erstbeschwerdeführerin), werden als unzulässig zurückgewiesen.

    3. Die verbleibenden Einwendungen werden, soweit ihnen nicht durch die in Spruchpunkt III enthaltenen Nebenbestimmungen Rechnung getragen wird, als unbegründet abgewiesen und gelten als miterledigt im Sinne der Subsidiaritätsbestimmung des § 59 Abs. 1

    2. Satz AVG.

    4. (…)

    (…)"

    In der Begründung wurde zur Parteistellung unter anderem ausgeführt (Hervorhebungen im Original):

    "2. Parteistellungsberechtigte Ungarn

    Das UVP-G definiert in seinem § 19 Abs 1 sieben Kategorien von Parteistellungsberechtigten. Von der Behörde war daher zu prüfen, in welchem Umfang diese Parteistellung auch den entsprechenden (Rechts-)Personen in Ungarn zusteht.

    Dazu im Einzelnen:

    2.1 Nachbarn/Nachbarinnen (§ 19 Abs 1 Z 1 UVP-G)

    Das Gesetz sieht vor, dass Nachbarn/Nachbarinnen aus dem Ausland dieselbe Parteistellung genießen wie Nachbarn/Nachbarinnen in Österreich, sofern sie sich nicht bloß vorübergehend in der Nähe des Vorhabens aufhalten oder sie dinglich berechtigt sind.

    Maßgeblich ist nicht die Staatsangehörigkeit der Person, sondern das Land, das Anknüpfungspunkt für die Betroffenheit ist (Vgl Ennöckl/N. Raschauer, UVP-G, Rz 5 zu § 19 UVP-G).

    2.2 Parteien nach den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften, soweit sie nicht bereits nach Z 1 erfasst sind (§ 19 Abs 1 Z 2 UVP-G)

    In § 19 Abs 1 Z 2 UVP-G 2000 sind "ausländische" Parteien nach den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften nicht ausdrücklich erwähnt. Eindeutig ist freilich der Bezug auf die "anzuwendenden Verwaltungsvorschriften", sodass nach diesen zu beurteilen ist, ob es "ausländische" Parteien iSd § 19 Abs 1 Z 2 UVP-G 2000 gibt.

    Im Anwendungsbereich des WRG führte der Verwaltungsgerichtshof - zugrunde lag ein wasserrechtliches Bewilligungsverfahren betreffend die geothermische und balneologische Nutzung von Thermalwasser im Thermenzentrum G samt Errichtung und Betrieb der hiefür dienenden Anlagen - in seinem Erkenntnis vom 2.7.1998, 97/07/0152, Folgendes aus:

    'Weder § 102 WRG noch eine sonstige Bestimmung dieses Gesetzes enthält eine von der Regel des Art 49 Abs 1 B-VG abweichende Regelung. Vielmehr indiziert schon allein die Umschreibung jener Rechte, an deren Berührung die Rechtsfolge der Parteistellung anknüpft, das Gegenteil. Bei den Rechten im Sinne des § 12 Abs 2 WRG handelt es sich nicht um allgemeine Rechte wie etwa das Recht auf Gesundheit, sondern um spezifisch auf die österreichische Rechtsordnung zugeschnittene Rechte, deren Übertragung auf ausländische Sachverhalte fraglich, wenn nicht gar unmöglich ist. Auch der Umstand, dass der einfache Gesetzgeber in § 75 Abs 3 GewO 1994, in § 29 Abs 5 Z 6 AWG 1990, in § 19 Abs 1 UVP-G 1993 und in anderen Gesetzen die Erstreckung der Parteistellung auf ausländische Nachbarn ausdrücklich erwähnt, während dergleichen im WRG fehlt, spricht gegen eine Parteistellung von Personen, die sich auch im Ausland gelegene Wasserbenützungen stützen. Es gilt daher die Regel der Art 49 Abs 1 B-VG, wonach die verfassten Sachverhalte mit rechtlicher Relevanz nur innerhalb des Bundesgebietes verwirklicht werden können (Hinweis B 29.1.1991, 90/07/0174).'

    Somit ergibt sich die Parteistellung ausländischer Berechtigter nach den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften. Enthalten diese keine Sonderregelung für ausländische Berechtigte, bleibt es im Sinne des zitierten Judikats des VwGH bei der Parteistellung nur der inländischen Rechtsinhaber.

    Zusammengefasst kann gesagt werden, dass keines der anzuwendenden Materiengesetze - über die Bestimmung des § 19 Abs 1 Z 1 UVP-G hinaus - Bestimmungen über die Einbindung ausländischer Rechtsinhaber kennt, sodass eine Parteistellung nach § 19 Abs 1 Z 2 UVP-G für Inhaber gleichartiger Rechte in Ungarn nicht in Betracht kommt.

    …….."

    In dem mit "Erwägungen zu den Einwendungen" überschriebenen Teil II der Begründung finden sich Ausführungen, in denen die Beschwerdeführerinnen teils auch namentlich erwähnt werden, so beispielsweise die Erstbeschwerdeführerin auf den Seiten 214, 237, 289, 325, 342, 384, 450f. und 489ff., und die Zweitbeschwerdeführerin auf den Seiten 232, 281 und 309. Weiters wurde auch, so etwa auf den Seiten 418 und 420, auf die "Einwendungen ungarischer Gebietskörperschaften" hingewiesen, welche "Inhaber von bestimmten Einrichtungen" in S seien, nämlich jenen, die in den Einwendungen vom 13. März 2008 angeführt wurden. Diesen Einwendungen wurden fachliche Ausführungen entgegengehalten.

    Mit Schreiben vom 25. Februar 2009 erhoben die Beschwerdeführerinnen Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid und führten darin im Wesentlichen aus, es sei unklar, warum die Behörde ihre Einwendungen zurückgewiesen habe, da den Beschwerdeführerinnen Parteistellung zukomme. Sie könnten nicht inhaltlich berufen, hätten aber Parteistellung hinsichtlich der Frage der Zuerkennung ihrer Parteistellung.

    Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11. Juni 2010 änderte die belangte Behörde Spruchpunkt IV.2 des erstinstanzlichen Bescheides dahin ab, dass er zu lauten habe:

    "Die Einwendungen der Selbstverwaltung der Hauptstadt Budapest, der (Zweitbeschwerdeführerin) und der (Erstbeschwerdeführerin) werden als unzulässig zurückgewiesen, soweit sie sich nicht auf die Geltendmachung subjektiv öffentlicher Rechte im Sinne des § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 beziehen."

    Begründend führte die belangte Behörde dazu zunächst aus, dass die erstinstanzliche Behörde zwar in Spruchpunkt IV.2 ausdrücklich eine Zurückweisung ausgesprochen habe, sich andererseits aber auch mit Einwendungen der Beschwerdeführerinnen in der Sache auseinandergesetzt habe. So werde in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides an zahlreichen Stellen auf deren Vorbringen eingegangen.

    Die Beschwerdeführerinnen kämen als Parteien im Sinne des § 19 Ab. 1 Z 1 UVP-G 2000 in Betracht, etwa als Grundeigentümerinnen, Inhaberinnen von Schulen und dergleichen. Eine privilegierte Parteistellung, welche ihnen die Geltendmachung von Umweltschutzvorschriften im Allgemeinen ohne Bezug auf konkrete subjektiv-öffentliche Rechte erlaube, stehe ihnen im Gegensatz zu österreichischen Gemeinden aber nicht zu.

    Gegenständlich sei der gesamte Spruch bei der Auslegung des Bescheides heranzuziehen, und nicht nur ein "prima facie exklusiv zutreffender Teil desselben". Das bedeute, dass nicht nur der die Zurückweisung von Einwendungen behandelnde Punkt IV.2, sondern auch der abweisende Punkt IV.3 zu betrachten sei und den "äußersten Wortsinn" des Bescheides mitbestimme.

    Eine Zurückweisung sei als bloßes Vergreifen im Ausdruck und damit als Abweisung zu werten, wenn sich die Behörde inhaltlich mit dem Vorbringen der Partei auseinandergesetzt habe, da hier eine Sachentscheidung nicht verweigert worden sei. Aus diesen Erwägungen schloss die Behörde:

    "Im Sinne dieser Grundsätze und bei Betrachtung des Spruches des angefochtenen Bescheides im Zusammenhang mit dessen Begründung, insbesondere der rechtlichen Erwägungen in Bezug auf die Parteistellung ungarischer Nachbarn sowie der sachlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der (Erstbeschwerdeführerin) und der (Zweitbeschwerdeführerin) kommt der Umweltsenat zum Ergebnis, dass der angefochtene Bescheid so zu verstehen ist, dass hinsichtlich dieser Berufungswerberinnen, soweit sie subjektiv öffentliche Rechte geltend machen, eine Entscheidung in der Sache erfolgt ist und nur jenes Vorbringen zurückgewiesen wurde, welches darüber hinausgehend auf objektiv rechtliche Umweltschutzbestimmungen Bezug nimmt. Das Vorbringen dieser beiden Berufungswerberinnen in dieser Angelegenheit erweist sich somit als unbegründet, sodass der darauf gestützten Berufung der Erfolg versagt bleiben muss. Zur Klarstellung wurde der Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend präzisiert, dass sich die Zurückweisung ihrer Einwendungen nicht auf die Geltendmachung subjektiv öffentlicher Rechte im Sinne des § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 bezieht."

    Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

    Die belangte Behörde legte die Akten des Verfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

    Die mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenfalls eine (gemeinsame) Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerinnen bemängeln die von der belangten Behörde vorgenommene Umdeutung in teilweise Ab- und Zurückweisung der Einwendungen. Ein bloßes Vergreifen im Ausdruck könne nicht vorliegen, wenn die Behörde erstens bewusst zwischen Zurück- und Abweisung unterscheide und zweitens keine unzulässigen Einwendungen erhoben worden seien, die zurückzuweisen gewesen wären, zumal die in der Berufung nicht als Einwendung bezeichnete "Stellungnahme" nur als eine solche zu verstehen gewesen sei. Es bleibe mangels entsprechender Bescheidbegründung, welche Einwendungen als unzulässig betrachtet worden seien, unklar, wo "der Schnitt" zwischen bloß formaler und materieller Behandlung gezogen worden sei. Auch die Auslegung am Wortsinn sei offenbar gescheitert, wenn die belangte Behörde selbst diesen Spruchpunkt habe ergänzen müssen.

Die erstinstanzliche Behörde gehe auch in der Begründung hinsichtlich ungarischer Nachbarn nicht auf Inhaber von Einrichtungen ein. Auch sei, hätte die Behörde den Beschwerdeführerinnen Parteistellung hinsichtlich § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 eingeräumt, unklar, warum eine Prüfung gemäß § 19 Abs. 1 Z 2 leg. cit. überhaupt nötig gewesen wäre.

Ebenso sei die inhaltliche Behandlung an einer beliebigen Stelle in den Bescheiden im Sinne einer "bloßen Berücksichtigung" nicht geeignet, um eine Parteistellung (bzw. deren Zuerkennung) daraus ableiten zu können, zumal es sich hier um ein Massenverfahren handle. In einem solchen Verfahren müsse ein deutlich strengerer Maßstab an die "Erkennbarkeit der inhaltlichen Mitbehandlung" gestellt werden als in einem Zweiparteienverfahren. Dies sei in einem UVP-Verfahren, in dem oftmals Sachverständigengutachten auf gleicher Ebene durch kostspielige Privatgutachten entgegengetreten werden müsse, besonders wichtig, da es im Hinblick auf das Risiko der Zurückweisung der Berufung bei zweifelhafter Parteistellung unzumutbar sei, ein Gutachten einzuholen.

2. § 19 Abs. 1 UVP-G 2000 lautet auszugsweise samt Überschrift:

"Partei- und Beteiligtenstellung sowie Rechtsmittelbefugnis

§ 19. (1) Parteistellung haben

1. Nachbarn/Nachbarinnen: Als Nachbarn/Nachbarinnen gelten Personen, die durch die Errichtung, den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt oder deren dingliche Rechte im In- oder Ausland gefährdet werden könnten, sowie die Inhaber/Inhaberinnen von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen; als Nachbarn/Nachbarinnen gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe des Vorhabens aufhalten und nicht dinglich berechtigt sind; hinsichtlich Nachbarn/Nachbarinnen im Ausland gilt für Staaten, die nicht Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, der Grundsatz der Gegenseitigkeit;

2. die nach den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Parteien, soweit ihnen nicht bereits nach Z 1 Parteistellung zukommt;

3. (…)"

Die belangte Behörde bestreitet nicht, dass die Beschwerdeführerinnen als Inhaberinnen von Anlagen in der Nähe der gegenständlichen Anlage grundsätzlich als Nachbarn im Sinne des § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 in Betracht kommen und dass sie Einwendungen erhoben haben, mit denen (auch) eine Verletzung subjektiver Rechte geltend gemacht wird.

3. Die Erstbehörde hat die Einwendungen zurückgewiesen. Eine Umdeutung der Zurückweisung im Bescheidspruch in eine teilweise Zurückweisung und eine teilweise Abweisung ist aus folgenden Gründen nicht möglich:

Der auf Zurückweisung lautende Spruch eines Bescheides ist einer Umdeutung nur in Fällen zugänglich, in welchen der gesamte Bescheidinhalt eindeutig erkennen lässt, dass die Behörde eine Sachentscheidung beabsichtigte und daher die Zurückweisung zweifelsfrei ein den wahren behördlichen Willen verfälschendes Vergreifen im Ausdruck darstellt (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 14. Juli 2005, 2003/06/0015; vom 17. Mai 2004, 2002/06/0203 u. v.a.).

Somit ist im vorliegenden Fall der erstinstanzliche Bescheid einer Prüfung zu unterziehen, ob dessen Spruch hinsichtlich der Zurückweisung der Einwendungen der Beschwerdeführerinnen einer Umdeutung dahin zugänglich ist, dass eine teilweise Zurückweisung und teilweise Abweisung dem sich klar aus dem gesamten Bescheidinhalt ergebenden Behördenwillen entspricht. Dies ist eindeutig zu verneinen.

Der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides unterscheidet ausdrücklich zwischen Einwendungen, die zurückgewiesen und solchen, die abgewiesen wurden.

Im Spruchpunkt IV/2 wurden "die Einwendungen" der Beschwerdeführerinnen, neben jenen der Selbstverwaltung der Hauptstadt Budapest, zurückgewiesen. Somit wurden unterschiedslos alle Einwendungen als unzulässig zurückgewiesen. Es gibt daher keine "verbleibenden Einwendungen" der Beschwerdeführerinnen mehr, die von Spruchpunkt IV/3 ("Die verbleibenden Einwendungen …werden als unbegründet abgewiesen") erfasst sein könnten.

Schon die Differenzierung zwischen Zurückweisung und Abweisung und die eindeutige Zuordnung aller Einwendungen der Beschwerdeführerinnen im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides spricht gegen die von der belangten Behörde angenommene Möglichkeit einer Umdeutung.

Aber auch die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides lässt eine Beurteilung dahin nicht zu, dass eindeutig ein Vergreifen im Ausdruck vorliegt. Das beginnt schon damit, dass die Erstbehörde in ihren Ausführungen zu den "Parteistellungsberechtigten Ungarn" zu erkennen gibt, dass ein Teil der ungarischen Verfahrensteilnehmer keine Parteistellung hat, ohne dass konkretisiert wird, ob die Beschwerdeführer nun zu jenen ungarischen Verfahrensteilnehmern gehören, denen Parteistellung zukommt oder zu jenen, bei denen dies nicht zutrifft. Für die Beschwerdeführerinnen musste daher der Eindruck entstehen, die Zurückweisung ihrer Einwendungen sei deshalb erfolgt, weil die Behörde davon ausgehe, dass ihnen keine Parteistellung zukomme. Dass sie als Nachbarn im Sinne des § 19 Abs. 1 Z 1 leg. cit. Parteistellung hätten, wird im erstinstanzlichen Bescheid nicht ausdrücklich gesagt.

Dass sich in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides auch Ausführungen finden, die als Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen gedeutet werden können, ändert an der Unzulässigkeit einer Umdeutung des auf Zurückweisung lautenden Spruches nicht nur nichts, sondern verstärkt die Unklarheit darüber, inwieweit die Erstbehörde von der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen ausgeht, noch. Die Erstbehörde geht nämlich auch auf Argumente der Beschwerdeführerinnen ein, die keine subjektiven Rechte im Sinne des § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 berühren, so etwa in Bezug auf den Tourismus (S. 281 des erstinstanzlichen Bescheides). Das ist zwar nicht unzulässig, verstärkt aber in der Konstellation des Beschwerdefalles die Unklarheit der erstbehördlichen Entscheidung und spricht ebenfalls gegen die Argumentation der belangten Behörde, die Einwendungen der Beschwerdeführerinnen seien teils abgewiesen, teils zurückgewiesen worden. Mit der undifferenzierten Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen wird vollends unklar, welches Vorbringen als zulässig und welches als unzulässig angesehen worden sein könnte. Eine solche Vorgangsweise kann auch bedeuten, dass die Behörde zwar das Vorbringen in seiner Gesamtheit als unzulässig angesehen, sich aber trotzdem damit auseinandergesetzt hat, eine Vorgangsweise, die bei behördlichen Entscheidungen häufig zu beobachten ist.

Die Begründung lässt daher keineswegs mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennen, dass die Zurückweisung der Einwendungen der Beschwerdeführerinnen ein Vergreifen im Ausdruck darstellt. Für eine Umdeutung des eindeutigen Spruches bleibt kein Raum.

Hiezu kommt, dass den Beschwerdeführerinnen, wie sie selbst zutreffend ausführen, nicht zugemutet werden kann, das Risiko einer auf inhaltliche Aspekte eingehenden Berufung mit dem damit verbundenen Aufwand - etwa für Sachverständigengutachten - auf sich zu nehmen, wenn der Bescheid im Spruch eine Zurückweisung ausspricht und aus der Begründung nicht eindeutig zu entnehmen ist, dass es sich dabei nur um ein Vergreifen im Ausdruck handelt.

Eine Umdeutung des erstinstanzlichen Bescheides von einer Zurückweisung in eine teilweise Ab- und eine teilweise Zurückweisung war daher nicht möglich. Die Zurückweisung (aller) Einwendungen der Beschwerdeführerinnen durch die Erstbehörde war rechtswidrig. Da die belangte Behörde statt einer Behebung des erstinstanzlichen Bescheides diesen in unzulässiger Weise abgeändert hat, hat sie ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 26. April 2012

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