VwGH 2009/22/0138

VwGH2009/22/013823.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Robert Lattermann, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Stiftgasse 21/20, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 26. Februar 2009, Zl. 152.907/2-III/4/08, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
NAG 2005 §24;
NAG 2005 §46 Abs3;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
NAG 2005 §24;
NAG 2005 §46 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II. (Abweisung des Erstantrages) und im Spruchpunkt III. (Abweisung des Verlängerungsantrags) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen, somit im Spruchpunkt I. (Wiederaufnahme des Verfahrens) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit erstinstanzlichem Bescheid vom 21. Oktober 2008 nahm der Landeshauptmann von Wien gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 70 Abs. 1 AVG das Verfahren wieder auf, auf dessen Grundlage am 28. Jänner 2008 gemäß § 46 Abs. 3 NAG eine Erstniederlassungsbewilligung erteilt wurde (Spruchpunkt 1.).

Mit Spruchpunkt 2. wies er den Antrag vom 26. April 2007 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung unter Hinweis auf die Gefährdung öffentlicher Interessen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Mit Spruchpunkt 3. wurde letztlich der als Verlängerungsantrag am 25. September 2008 eingebrachte Antrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels wegen unzulässiger Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der gegen den erstinstanzlichen Bescheid gerichteten Berufung keine Folge.

Zur Begründung führte sie aus, dass die Beschwerdeführerin, eine indische Staatsangehörige, am 26. April 2007 im Weg der österreichischen Botschaft in New Delhi einen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zwecks Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehemann gestellt habe. Diesem Antrag sei insoweit entsprochen worden, als der Beschwerdeführerin eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" mit Gültigkeit vom 20. Dezember 2007 bis 30. November 2008 erteilt worden sei.

Am 25. September 2008 habe die Beschwerdeführerin persönlich einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels eingebracht.

Aus dem Verwaltungsakt gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin - in Ergänzung zum unter dem erforderlichen ASVG-Richtsatz liegenden Einkommen des Ehemannes - am 13. November 2007 eine Einkommensbestätigung vom 12. November 2007, ausgestellt von EW, vorgelegt habe. Auf Grund dieser zusätzlich vorgelegten Einkommensbestätigung habe die Erstinstanz festgestellt, dass die Voraussetzung ausreichender Unterhaltsmittel erfüllt sei. Der Aufenthaltstitel sei am 28. Jänner 2008 ausgefolgt worden.

Kriminalpolizeiliche Ermittlungen hätten ergeben, dass EW als Inhaber des gleichnamigen "Zeitschriftenhandels" im April 2006 verstorben und mit seinem Tod "die Firma geschlossen" worden sei.

Gemäß § 69 Abs. 1 und Abs. 3 AVG könne ein Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn der Bescheid durch Fälschung, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden sei. Für die belangte Behörde stehe fest, dass die nach dem Tod des Firmeninhabers ausgestellte Einkommensbestätigung als falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu werten sei. Somit sei zu Recht das Verfahren in den Stand vor der Erlassung der Erstniederlassungsbewilligung "am 21.05.2007" zurückversetzt worden (Spruchpunkt I.).

Die Abweisung der Berufung unter Spruchpunkt II. begründete die belangte Behörde damit, dass durch "Ihre falschen Angaben über ausreichende Unterhaltsmittel" eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im hohen Maß gegeben sei. Damit widerstreite der Aufenthalt der Beschwerdeführerin dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG und sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels.

In der weiteren Bescheidbegründung nahm die belangte Behörde eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu Lasten der Beschwerdeführerin vor.

Zum Spruchpunkt III. führte sie im Wesentlichen aus, die Abweisung des Erstantrages habe zur Folge, dass der am 25. September 2008 gestellte Antrag als Erstantrag zu werten und mangels rechtskonformer Antragstellung gemäß § 21 NAG abzuweisen gewesen sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 28. April 2009, B 458/09-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ihr Ehemann kein Einkommen vom Unternehmen des EW erzielt hat und somit die "Einkommensbestätigung" falsch ist.

Zunächst irrt die Beschwerdeführerin, wenn sie meint, ihr sei der Erstaufenthaltstitel schon vor dem 28. Jänner 2008 erteilt worden und es sei somit schon vorher das Verfahren abgeschlossen worden. Erst mit Ausfolgung des Aufenthaltstitels in Kartenform wurde - worauf die belangte Behörde in der Gegenschrift zutreffend hinweist - das Verfahren abgeschlossen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2011, 2009/22/0239). Somit nahm die belangte Behörde zutreffend diesen Zeitpunkt als denjenigen an, zu dem das Verfahren zurückversetzt werde. Weiters negiert die Beschwerde mit ihrem Hinweis auf § 69 Abs. 1 Z 2 AVG den von der belangten Behörde ausdrücklich herangezogenen Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG. Dass die Vorlage einer falschen Urkunde geeignet ist, einen Wiederaufnahmegrund (nicht nur für das Erstverfahren, sondern auch für das Verlängerungsverfahren) darzustellen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 19. Jänner 2012, 2010/22/0031, bekräftigt.

Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugestehen, dass die erstinstanzliche Behörde sich mit der vorgelegten Bestätigung nicht hätte zufrieden geben und Ermittlungen hätte durchführen können, ob das in der Bestätigung angegebene Einkommen tatsächlich erzielt wurde. Dies ändert aber nichts an dem zu Recht herangezogenen Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG. Entgegen der Beschwerdemeinung wird in diesem Schreiben aber nicht nur bestätigt, dass Zeitungen und Zeitschriften "eingekauft" worden seien, sondern dass daraus ein Gewinn in bestimmter Höhe in einem bestimmten Zeitraum erzielt worden sei.

Soweit sich die Beschwerde somit gegen die Bestätigung der Wiederaufnahme des Verfahrens durch die belangte Behörde wendet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Berechtigt ist die Beschwerde jedoch, soweit sie die Abweisung des Erstantrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung und die Abweisung des Verlängerungsantrages bekämpft. Es trifft zwar die Beschwerdemeinung nicht zu, dass diese Entscheidungen nicht gleichzeitig hätten ergehen dürfen.

Mit Erfolg verweist aber die Beschwerdeführerin auf den Inhalt der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid. In dieser hat sie ausdrücklich vorgebracht, dass sie selbst der erstinstanzlichen Behörde keine Urkunde vorgelegt habe und dass es sich bei der inkriminierten Einkommensbestätigung um eine Urkunde handle, die von ihrem Ehemann ohne Wissen und Willen der Beschwerdeführerin und ohne Rücksprache besorgt worden sei. Es trifft zwar zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Es ist der belangten Behörde daher auch darin beizupflichten, dass die Vorlage falscher Urkunden durch einen Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt. Bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde" in § 11 Abs. 4 Z 1 NAG ist aber eine das Gesamtverhalten eines Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (vgl. auch dazu etwa das zitierte Erkenntnis 2009/22/0239). Bei Zutreffen des Vorbringens, dass der Beschwerdeführerin die Unrichtigkeit der Einkommensbestätigung nicht bekannt gewesen sei, könnte nicht davon ausgegangen werden, sie habe ein Verhalten gesetzt, das die Gefährdungsprognose rechtfertigen würde.

Wegen der Aufhebung der Abweisung des Erstantrags kann auch die Abweisung des Verlängerungsantrags vom 25. September 2008 nicht Bestand haben. Die nur für Erstanträge normierte Voraussetzung der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG ist dann nämlich (wenn keine rechtskräftige Abweisung eines Erstantrages vorliegt) nicht anzuwenden.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid in seinen Spruchpunkten II. und III. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 23. Februar 2012

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