VwGH 2009/21/0074

VwGH2009/21/007429.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Mag. Stefan Lang, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Taubenmarkt 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 25. Februar 2009, Zl. St 234/08, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
NAGDV 2005 §11 Abs1 AbschnC litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
NAGDV 2005 §11 Abs1 AbschnC litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der am 18. Juni 1980 geborene Beschwerdeführer, ein kroatischer Staatsangehöriger, heiratete im August 2000 eine österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick auf diese Ehe wurden ihm mit Gültigkeit ab 21. Mai 2001 Niederlassungsbewilligungen erteilt, zuletzt erhielt er am 23. März 2004 einen Niederlassungsnachweis.

Die Ehe des Beschwerdeführers wurde im Jahr 2004 geschieden. In der Folge ging er mit einer in Linz wohnhaften serbischen Staatsangehörigen eine Lebensgemeinschaft ein, der zwei Kinder (geboren am 5. April 2005 und am 6. Jänner 2008) entstammen.

Mit Bescheid vom 24. September 2008 erließ die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 iVm § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot. Dabei nahm sie Bezug auf drei rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers, und zwar

1.) vom 22. August 2007 wegen des Vergehens des teils versuchten, teils vollendeten schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 15 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten;

2.) vom 9. November 2007 wegen des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Zusatzstrafe von zwei Monaten und

3.) vom 1. September 2008 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (unbedingter Strafteil drei Monate).

Den den Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalt beschrieb die Bundespolizeidirektion Linz wie folgt:

"ad 1): Sie haben am 28.02.2007 in Linz Verfügungsberechtigte der P. KG durch Vortäuschung von Zahlungsfähigkeit und -willigkeit sowie der fälschlichen Behauptung, einen Betrag von insgesamt EUR 3.300,- bereits überwiesen zu haben, zur Übergabe eines PKW im Wert von EUR 41.103,60 am 14.03.2007 zu verleiten versucht und zur Übergabe eines Leihwagens verleitet;

ad 2): Sie haben am 15.02.2007 in Linz Verfügungsberechtigte der P. KG durch Vortäuschung von Zahlungsfähigkeit und -willigkeit sowie der fälschlichen Behauptung, einen Betrag von insgesamt EUR 2.500,-- bereits überwiesen zu haben, zur Übergabe eines VW Sharan im Wert von EUR 30.360,- verleitet, wodurch der P. KG ein Schaden in Höhe von EUR 4.387,20 (Kilometergeld und Umsatzsteuer) entstand;

ad 3): Sie haben am 15.10.2007 M. durch Übermittlung von zwei Kaufvereinbarungen vom 15.10.2007 per Fax und die falsche (konkludente) Behauptung, einen VW Golf und einen VW Transporter nach Kaufvertragsabschluss und Kaufpreiszahlung an ihn auszuhändigen, zur Überweisung eines Betrages von EUR 10.300,-

verleitet;

am 22.10.2007 haben Sie durch die falsche (konkludente) Behauptung, ein weiteres Fahrzeug nach Kaufvertragsabschluss und Kaufpreiszahlung an M. auszuhändigen, diesen zur Überweisung eines Betrages von EUR 6.500,- verleitet."

Der Beschwerdeführer erhob gegen die Verhängung des Aufenthaltsverbotes Berufung.

Mit Bescheid vom 25. Februar 2009 gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) dieser Berufung keine Folge. Nach auszugsweiser Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung des Beschwerdeführers sowie nach Darstellung der herangezogenen Rechtsgrundlagen (§§ 60, 63 und 66 FPG) begründete sie das unter der Überschrift "C) Rechtliche Beurteilung " wie folgt:

"Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Zi. 1 FPG ist schon insofern erfüllt, als Sie (zumindest) zwei rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen aufweisen. Gegenteiliges wird auch von Ihnen nicht behauptet.

Auch ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, da Sie, wie aus dem erstinstanzlichen Bescheid zu entnehmen ist, in gravierender Form Eigentums- bzw. Vermögensdelikte begangen haben.

Hinsichtlich Ihrer persönlichen und familiären Situation war zu beachten, dass Ihnen zweifelsohne eine der Dauer Ihres Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen ist. Insbesondere war zu beachten, dass Sie sich seit 2001 in Österreich aufhalten und hier mit Ihrer Lebensgefährtin und zwei Kindern leben. Auch gehen Sie einer Beschäftigung nach. Es wird Ihnen daher zweifelsohne eine der Dauer Ihres Aufenthalts entsprechende Integration zuzubilligen sein. Die Integration im sozialen Bereich ist, wie die gerichtlichen Verurteilungen verdeutlichen, jedoch noch nicht gelungen.

Da - unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen - im Hinblick auf die für Ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer zu wiegen scheinen, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf Ihre Lebenssituation, ist das Aufenthaltsverbot auch zulässig im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG.

Bereits die Erstbehörde hat darauf hingewiesen, dass im Geschäftsverkehr ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen Geschäftspartnern in allen Fällen unabdingbar ist. Missbrauch in diesem Bereich ist daher sehr schwer zu gewichten.

Aus oben angeführten Gründen war auch von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen, da eine Abstandnahme diesbezüglich die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte, insbesondere da das Ihnen vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (Eigentums- bzw. Vermögensdelikte) im Verhältnis zu der von Ihnen geltend gemachten Integration (Aufenthalt in Österreich seit 2001 und Lebensgemeinschaft mit Lebensgefährtin und zwei Kindern) überwiegt.

Die Dauer des von der Erstbehörde verhängten Aufenthaltsverbotes ist nicht als rechtswidrig zu erkennen, zumal nach Ablauf dieser Zeit erwartet werden kann, dass Sie sich wiederum an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Zwar stehen, was von der belangten Behörde freilich nicht ausdrücklich berücksichtigt wurde, die ersten beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zueinander im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB. Auf die dritte strafgerichtliche Verurteilung trifft das aber - anders als der Beschwerdeführer meint - nicht zu, weil die damit abgeurteilten Taten vom Oktober 2007 nicht bereits Gegenstand der ersten Verurteilung vom August 2007 hätten sein können (vgl. zur Voraussetzung für eine Anwendung des § 31 StGB, dass eine gemeinsame Aburteilung aller strafbaren Handlungen nach der Zeit ihrer Begehung zumindest theoretisch möglich gewesen wäre, etwa Ratz in WK2 § 31 Rz 5). Davon ausgehend hat der Beschwerdeführer, der die schon im erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen dem Grunde nach nicht bestreitet, den von der belangten Behörde herangezogenen Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) sowohl in Gestalt seiner

2. Alternative (Verurteilung zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe) als auch in Gestalt seiner 4. Alternative (mehr als einmal rechtskräftige Verurteilung wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen) erfüllt. Damit allein kann die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn freilich noch nicht gerechtfertigt werden. Vielmehr bedarf es darüber hinaus einer aus der Persönlichkeit des Beschwerdeführers abgeleiteten Gefährlichkeitsprognose. Ausführungen in diese Richtung sind dem bekämpften Bescheid aber nur rudimentär - mittelbar im Rahmen der Überlegungen zu § 66 FPG und zur Ermessensübung - zu entnehmen. In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde aber jedenfalls außer Acht gelassen, dass dem Beschwerdeführer bereits im März 2004 - vor Begehung der ersten strafbaren Handlungen und noch im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 - ein Niederlassungsnachweis erteilt worden war, der gemäß § 11 Abs. 1 Abschnitt C lit. b NAG-DV nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" gilt. Aus diesem Grund wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer im Grunde des § 56 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn sein weiterer Aufenthalt eine (gegenwärtige, hinreichend) schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Insoweit wird ein höheres Maß an Gefährdung verlangt als in dem von der belangten Behörde ihrer Beurteilung zugrunde gelegten § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen"; vgl. zum Verhältnis der Gefährdungsprognosen nach dem FPG grundsätzlich das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603).

Als schwere Gefahr im Sinn des § 56 Abs. 1 FPG hat gemäß § 56 Abs. 2 FPG (in der hier noch maßgeblichen Stammfassung) insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt, Eingehen oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB (Z 1) oder wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihm begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten (Z 2) rechtskräftig verurteilt worden ist.

In Anbetracht der Verurteilung vom 1. September 2008, die wegen eines Verbrechens erfolgte, liegt gegenständlich zwar ein Fall des § 56 Abs. 2 Z 1 FPG vor. Das ändert aber nichts daran, dass die belangte Behörde - wenn überhaupt - eine Gefährdungsprognose nur am Maßstab des § 60 Abs. 1 FPG anstellte und dass es fallbezogen zur Beurteilung des Vorliegens des hier anzuwendenden Gefährdungsmaßstabes nach § 56 Abs. 1 FPG einer näheren Auseinandersetzung mit dem strafrechtlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers - die belangte Behörde verwies insofern nur auf die eingangs zitierten Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde - bedurft hätte (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2007/21/0105).

Darüber hinaus ist der belangten Behörde aber auch anzulasten, dass ihre Beurteilung, ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer sei im Grunde des § 66 FPG zulässig, nur sehr kursorisch ausgefallen ist. Insbesondere hat sie sich im Rahmen der gebotenen Abwägung nicht mit dem aufenthaltsrechtlichen Status der Lebensgefährtin und der Kinder des Beschwerdeführers und mit den Auswirkungen des gegenständlichen Aufenthaltsverbots auf deren Lebensverhältnisse beschäftigt. Der bekämpfte Bescheid war aber schon wegen der zuvor aufgezeigten Verkennung der Rechtslage gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die geltend gemachte Umsatzsteuer bereits in den Pauschalbeträgen nach dieser Verordnung enthalten ist.

Wien, am 29. Februar 2012

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