VwGH 2009/18/0048

VwGH2009/18/00484.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des M S, geboren am 7. November 1979, vertreten durch Mag. Katharina Kurz, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 5-7/Tür 6+7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. November 2008, Zl. E1/339.282/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2 litc;
62008CJ0127 Metock VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2 litc;
62008CJ0127 Metock VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 17. November 2008 wurde der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise im April 2005 in Österreich aufhalte. Er sei ledig, für niemanden sorgepflichtig und zudem ohne Beschäftigung. Behauptet werde jedoch ein intensives Familienleben mit seinem Vater - gegen den ebenfalls ein Ausweisungsverfahren anhängig sei - und der österreichischen Stiefmutter des Beschwerdeführers. Am 14. April 2005 habe sich der Beschwerdeführer erstmals mit Hauptwohnsitz in W angemeldet; im Zeitraum vom 3. April 2007 bis 23. April 2008 sei er im Bundesgebiet nicht gemeldet gewesen.

Am 19. Juli 2005 sei der Beschwerdeführer im Gemeindegebiet von K. angehalten und "wegen Übertretung des Fremdengesetzes beamtshandelt worden". In der Folge sei er von der Bezirkshauptmannschaft K. wegen Übertretung des § 31 Abs. 1 iVm § 107 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz 1997 rechtskräftig bestraft worden. Von der Bundesrepublik Deutschland sei der Beschwerdeführer im Schengener Informationssystem mit einem Einreise-/Aufenthaltsverbot ausgeschrieben worden; die Ausschreibung trete mit 1. Oktober 2009 außer Kraft.

Am 30. August 2005 habe der Beschwerdeführer einen Erstantrag als "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreicher" eingebracht. Im Akt befinde sich auch eine "Unterhalterklärung" seiner Stiefmutter, wonach sie sich für den Unterhalt ihrer beiden Stiefsöhne verpflichte. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 (gemeint: 30. September 2006) sei der Erstantrag abgewiesen worden. Die dagegen erhobene Berufung sei mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 abgewiesen worden.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 24. Juni 2008 sei dem Beschwerdeführer die beabsichtigte Erlassung einer Ausweisung mitgeteilt worden. Der Beschwerdeführer habe dazu im Verfahren keine Stellungnahme abgegeben. Mit Bescheid vom 25. Juli 2008 sei der Beschwerdeführer von der Erstbehörde ausgewiesen worden.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid habe der Beschwerdeführer, nunmehr rechtsfreundlich vertreten, ausgeführt, dass er sich ohne entsprechende fremdenrechtliche Bewilligung im Bundesgebiet aufhalte. Grund seines Aufenthaltes sei das Familienleben mit seinem Vater und seiner österreichischen Stiefmutter. Es bestehe zwar kein gemeinsamer Wohnsitz, jedoch finde das Familienleben durch beinahe tägliche gegenseitige Besuche in einem intensiven Ausmaß statt. Aufgrund des langjährigen Zusammenlebens bestehe ein massives Interesse gemäß Art. 8 EMRK, welches bei einer ordnungsgemäßen Interessenabwägung zu einem Überwiegen der privaten gegenüber den öffentlichen Interessen hätte führen müssen. Die Unterscheidung zwischen erwachsenen Stiefkindern von EWR-Bürgern und österreichischen Staatsbürgern sei bisher von der Erstbehörde nach dem Kriterium des Vorliegens eines Freizügigkeitssachverhaltes als sachlich gerechtfertigt begründet worden. Diese Überlegungen könnten allerdings aufgrund der jüngst ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 25. Juli 2008, C-127/08 , nicht aufrechterhalten werden. Überdies sei auch die Argumentation nicht aufrecht zu erhalten, dass die Ungleichbehandlung von Angehörigen von Österreichern und sonstigen EWR-Bürgern nicht gleichheitswidrig sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sei, weil seine Stiefmutter eine nicht freizügigkeitsberechtigte österreichische Staatsbürgerin sei. Der Beschwerdeführer sei überdies auch kein "Familienangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG, weil er zwar Stiefkind, jedoch nicht mehr (unverheiratetes) minderjähriges Kind sei. Die Bestimmungen der §§ 87 iVm 86 Abs. 2 FPG seien daher auf den Beschwerdeführer nicht anzuwenden.

Unter Wiedergabe des § 53 Abs. 1 FPG führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer im April 2005 unerlaubt nach Österreich gelangt sei. Der Inlandsantrag des Beschwerdeführers sei in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer halte sich aktuell wiederum ohne Aufenthaltsberechtigung im Inland auf. Angesichts dieser Umstände könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung - auch in Hinblick auf das Fehlen des Niederlassungsrechtes - gegeben seien.

Angesichts der festgestellten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers sei im Rahmen der Prüfung gemäß § 66 Abs. 1 FPG von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen Interessen würden jedoch dadurch gemindert, dass ein erheblicher Zeitraum des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet unrechtmäßig gewesen sei und nach wie vor sei. Der Beschwerdeführer habe selbst vorgebracht, dass zwar ein intensives Familienleben durch beinahe tägliche Besuche vorliege, jedoch kein gemeinsamer Wohnsitz gegeben sei. Faktum sei, dass der Beschwerdeführer als volljähriger und eigenberechtigter Sohn an einer von Vater und Stiefmutter verschiedenen Adresse wohne, wodurch dieses Verhältnis, welches durchaus innig und intensiv sein möge, eine gewisse Relativierung erfahre.

Diesen relativierten und überdies nicht besonders ausgeprägten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet stünden erhebliche öffentliche Interessen gegenüber. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Diese Regelungen seien vom Beschwerdeführer angesichts der Tatsache, dass er illegal eingereist sei, sich bereits lange Zeit unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und längst ausreisen hätte müssen, in äußerst gravierender Weise missachtet worden. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher von solchem Gewicht, dass die allenfalls vorhandenen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Eine entsprechende Interessenabwägung habe daher kein Überwiegen der persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes ergeben. Daher könne kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und somit zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG sei.

Im Übrigen seien keine besonderen Umstände ersichtlich, welche die belangte Behörde zu einer Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen des ihr gemäß § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens veranlassen hätten müssen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Beschwerdeführer im April 2005 illegal nach Österreich eingereist ist, dass sein am 30. August 2005 gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. Oktober 2007 abgewiesen wurde und sich der Beschwerdeführer somit ohne Aufenthaltsberechtigung im Inland aufhält. In Hinblick darauf begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.1. Mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, C- 127/08 (Metock u.a.), bringt die Beschwerde im Wesentlichen vor, dass die "nun getroffene Auslegung" der Richtlinie 2004/38/EG zu einer nicht gerechtfertigten, "umgekehrten Diskriminierung" führe, weil "Angehörige des Aufnahmemitgliedstaates" - hier: die österreichische Stiefmutter -, die niemals von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, "aus dem Gemeinschaftsrecht für ihre Familienangehörigen", welche die Staatsangehörigkeit eines Drittlandes besäßen, "nicht die gleichen Rechte auf Einreise und Aufenthalt ableiten könnten". Die Argumentation, dass die Ungleichbehandlung von Angehörigen von Österreichern und sonstigen EWR-Bürgern nicht gleichheitswidrig sei, sei nicht aufrecht zu erhalten.

2.2. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

Gemäß Art. 2 Z. 2 lit. c der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sind "Familienangehörige" u.a. die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides 29 Jahre alt. Dass ihm von seiner österreichischen Stiefmutter tatsächlich Unterhalt gewährt werde, hat der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde behauptet. Aus einer im Verwaltungsakt erliegenden "Unterhaltserklärung" (AS 23) seiner österreichischen Stiefmutter ist lediglich zu entnehmen, dass sie sich verpflichte, für den Unterhalt ihrer Stiefsöhne aufzukommen, nicht jedoch, dass sie dem Beschwerdeführer tatsächlich Unterhalt gewähre.

Da der Beschwerdeführer somit gar nicht Familienangehöriger im Sinn des Art. 2 Z. 2 lit. c der Richtlinie 2004/38/EG ist, ist der vorliegende Fall auch von den dem hg. Beschluss vom 2. Oktober 2008, A 2008/0041 (2008/18/0507), zugrunde liegenden gleichheitsrechtlichen Bedenken nicht berührt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 2009, Zl. 2008/22/0190, und vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0769).

3.1. Die Beschwerde wendet sich schließlich gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 1 FPG vorgenommenen Interessenabwägung und bringt dazu im Wesentlichen vor, dass der Grund des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Inland das Familienleben mit seinem Vater und seiner österreichischen Stiefmutter sei. Ein gemeinsamer Wohnsitz bestehe nicht, jedoch ein sehr verbundenes, inniges Familienleben, sodass die belangte Behörde bei ordnungsgemäßer Interessenabwägung zu einem Überwiegen der privaten gegenüber den öffentlichen Interessen hätte kommen müssen.

3.2. Auch mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die belangte Behörde hat bei ihrer Beurteilung gemäß § 66 Abs. 1 FPG den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland seit April 2005 und die familiäre Bindung zu seinem in Österreich lebenden Vater und seiner österreichischen Stiefmutter berücksichtigt. Unter Zugrundelegung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich hat die belangte Behörde zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers angenommen. Diesen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass er sich über einen längeren Zeitraum unrechtmäßig in Österreich aufgehalten und diesen unrechtmäßigen Aufenthalt auch nach der Abweisung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels fortgesetzt hat, was eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0651, mwN). In Anbetracht dieser Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung dringend geboten und somit unter dem Gesichtspunkt des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, keinem Einwand.

4. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 4. Juni 2009

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