VwGH 2009/11/0004

VwGH2009/11/000430.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der A T in O, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 8. Oktober 2008, Zl. 41.550/1277- 9/07, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

HVG §2;
ImpfSchG §1;
ImpfSchG §3 Abs3 idF 2005/I/048;
VwRallg;
HVG §2;
ImpfSchG §1;
ImpfSchG §3 Abs3 idF 2005/I/048;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 11. Oktober 2006 stellte die Beschwerdeführerin einen (neuerlichen) Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz. Am 15. November 1997, zwei Tage nach Verabreichung der Polioschluckimpfung mit dem Impfstoff Polio Sabin (oral), habe die am 14. Mai 1997 geborene Beschwerdeführerin einen (ersten) zerebralen Krampfanfall erlitten. In den folgenden Jahren seien zahlreiche weitere Anfälle gefolgt. Die Beschwerdeführerin leide deshalb an Entwicklungsstörungen sowohl körperlicher als auch geistiger Natur.

In dem mit dem hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, Zl. 2003/11/00043, abgeschlossenen Verfahren war der Antrag der Beschwerdeführerin auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz abgewiesen und die dagegen erhobene Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mangels Vorliegens des nach der damaligen Rechtslage erforderlichen Kausalitätsnachweises als unbegründet abgewiesen worden. Dies im Wesentlichen deshalb, weil die Krampfanfälle der Beschwerdeführerin bereits vor der damals unstrittigen Inkubationszeit von drei Tagen begonnen hatten und die behaupteten Impfschäden auch im vorgelegten Privatgutachten nicht eindeutig auf die Polioschluckimpfung zurückgeführt worden waren.

Nach der Novellierung des Impfschadengesetzes mit BGBl. I Nr. 48/2005 stellte die Beschwerdeführerin "wegen geänderter Gesetzeslage" den gegenständlichen Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz. Ihrer nach Akteneinsicht abgegebenen Stellungnahme vom 13. März 2007 schloss die Beschwerdeführerin ein Privatgutachten des Arztes Dr. L. an, welcher den Gutachten aus dem ersten Verfahren entgegen trat und darauf verwies, dass einige Autoren über die Nachweisbarkeit von Polioimpfviren bereits noch "am 2. Impftag, ja sogar schon nach 12 bis 24 Stunden" berichtet hätten. Deshalb sei die Behauptung, "Reaktionen auf die OPV könne es erst ab dem 3. Tag nach der Impfung geben", unrichtig. Weiters verwies die Beschwerdeführerin auf Ehrengut, Erfahrungen eines Gutachters über Impfschäden in der Bundesrepublik Deutschland von 1955 bis 2004, und legte u.a. folgende Auszüge daraus vor:

"4.4.2 Attenuierte Poliomyelitisvakzine (Schluckimpfung nach Sabin: OPV)

Fall 4: M. 30.05.92*

1. OPV/DPT/HIB 27.08.92: 10-12 Stunden p.v. traten generalisierte Krampfanfälle mit Dauer von 20 Min. auf. EEG:

unauffällig. In der Folge häufig generalisierte Krampfanfälle, die 30 Min. anhielten und mit oder ohne Fieber einher gingen. Antikonvulsive Therapie erfolglos. Im Alter von 5 Jahren braucht das Kind immer noch Windeln.

Fall 11: W 21.12.89*

Nach normaler Geburt und Entwicklung erhielt der Säugling am 19.04.90 die 1. OPV/DT-Impfung. In der Nacht vom 19./20.04.90 (ca. 15 Std. p.v.) erlitt das Kind bei Fieber um 39 Grad C einen etwa fünfzig Minuten anhaltenden Krampfanfall. Bei der sofortigen Aufnahme in eine Kinderklinik wurden umfangreiche serologische und virologische Untersuchungen eingeleitet. Blutbild und Liquorbefund waren o.B. … Es folgten weitere Krampfanfälle am 17.07.90 und in den folgenden Monaten. … Bei dem früher unauffälligen Säugling wurde ein Entwicklungsrückstand diagnostiziert. Der bei der Geburt noch normale Kopfumfang ließ nach der DT/OPV-Umfang im Wachstum nach. … Ein Impfschaden wurde vom LSG Schleswig Holstein (Az.: L2 Vi 4/95) anerkannt.

6.3.1.2 Inkubationszeit einer postvakzinalen Enzephalopathie nach OPV …

Im Fall der Klägerin (Fall 11) gab es einige Gutachter, die wegen der in den Anhaltspunkten geforderten Inkubationszeit von 3 Tagen von vornherein einen Polio-Impfschaden in Abrede stellten. …

Auszüge aus dem Gerichtsurteil

‚…unterstützt die Ansicht von Prof. Ehrengut, dass auch ein normaler Liquorbefund ohne Bedeutung für die Verneinung einer Enzephalopathie oder Enzephalitis ist. … ist davon auszugehen, dass in sehr seltenen Fällen durch die hier vorgenommene Impfung ein Anfallsleiden verursacht wird. Andere Ursachen haben die Sachverständigen auch aus der Krankenakte nicht entnehmen können. Die in den Anhaltspunkten genannte Inkubationszeit von mindestens 3 Tagen ist wissenschaftlich dagegen nicht zu halten. Auch eine Inkubationszeit von lediglich 15 bis 19 Stunden ist möglich und im Falle der Klägerin anzunehmen.'"

Das Bundessozialamt, Landesstelle Kärnten, wies den Antrag der Beschwerdeführerin ab und folgte in der Begründung im Wesentlichen den eingeholten fachärztlichen Gutachten. Demnach sei die aufgetretene Symptomatik als Impfkomplikation nicht bekannt und im Ergebnis spräche mehr gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden der Beschwerdeführerin. Auch die im Rahmen des Parteienverkehrs vorgebrachten Einwendungen wären nicht "in der Lage" gewesen, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen.

Im Berufungsverfahren holte die belangte Behörde ein Gutachten von Prof. Dr. M. vom 5. Februar 2008 ein. Dieses lautet auszugsweise wie folgt (Hervorhebungen im Original):

"A Als sachdienliche Unterlagen zur Erstellung des Gutachtens wurden mir vorgelegt:

(Bezug nehmend auf die vorgelegten Auszüge aus Ehrengut:)… Die zahlreich zitierten Fälle kann ich bei nur minimalen Detailunterlagen nicht einzeln gutachterlich bewerten. Die Fallberichte mit kontroversen Diskussionen beheben aber die Zweifel an der Auslösung von Krampfanfällen ohne Fieber durch die Polio-Schluckimpfung allein nicht, zumal auch ein Vergleich mit der Hintergrundmorbidität der damaligen Zeit fehlt. … B Hausbesuch und Untersuchungsbefund

C Literaturzitate:

Update: Vaccine Side Effects, Adverse Reactions, Contraindications and Pecautions … September 6, 1996… : In seltenen Fällen war die Verabreichung von OPV bei gesunden Impflingen und deren Kontaktperson mit paralytischer Poliomyelitis vergesellschaftet. … Die Möglichkeit von Anfallsleiden wird nicht angeführt.

Impfreaktionen. Bewertung und Differentialdiagnose … 1993, Seite 108: 15.2.1.2.2 Krampfanfälle: Die Polio-Impfung führt nur äußerst selten zu Fieberschüben, so dass sie ursächlich für einen Fieberkrampf kaum in Frage kommt. … Die Möglichkeit der Auslösung von Anfallsleiden wird nicht angeführt.

RED BOOK 27. Auflage, 2006: OPV kann VAPP verursachen. … Die Möglichkeit von Anfallsleiden wird nicht angeführt.

Vaccines. Plotkin, Querenstein, 4. Auflage, 2004 Saunders. Adverse Events Seite 676 - 681: VAPP, Simian, Virus 40, Guillain-Barre-Syndrome. Die Möglichkeit von Anfallsleiden wird nicht angeführt.

Krampfanfälle bzw. Anfallsleiden gehören nicht zum

Krankheitsspektrum des Turner-Syndroms ... und auch nicht zum

Triplo-X = 47,XXX-Syndrom … Es ist daher auch anzunehmen, dass ein Mosaik 45,X0 und 47,XXX nicht zu Anfallsleiden prädisponiert.

Die Auslösung von Krampfanfällen durch die Poliomyelitis-Schluckimpfung ist sehr unwahrscheinlich, weil sogar bei Erkrankung durch Poliowildvirus nur bei der extrem seltenen Verlaufsform als Polioenzephalitis (Gehirnentzündung) neben den sonstigen Symptomen wie Bewusstseinstrübung und Fieber Krampfanfälle auftreten können … Anfallsleiden als Langzeitfolge sind dementsprechend nicht beschrieben, aber auch nicht undenkbar. Allerdings ist für solche Fälle die übliche Inkubationszeit von 9-12 Tagen (extrem 5-35 Tage) zu berücksichtigen …, was im vorliegenden Fall eine Polio-Impfvirus-Enzephalitis zwei Tage nach der Impfung durch die bei der Schluckimpfung in den Körper eingebrachten abgeschwächten, aber vermehrungsfähigen Impfviren als Ursache für Krampfanfälle äußerst unwahrscheinlich macht. D Bewertung

D1 Gesundheitszustand (der Beschwerdeführerin):

Typische auffällige körperliche Merkmale - abgesehen vom starken Minderwuchs - der angeborenen Chromosomenanomalie 45,X0 fehlen - möglicherweise wegen der Mosaik-Konstellation mit 47,XXX.

Besonders auffallend ist der extreme Minderwuchs mit Gedeihstörung: Die Körpergröße von 115cm entspricht dem Altersmittelwert für 1,5 Jahre, das Körpergewicht von 17kg einem Mittelwert für 4,5 Jahre (liegt für die Länge gerade in der 3. Perzentile).

Der Kopfumfang entspricht mit 47cm dem Altersmittelwert für 1,5 Jahre (=Mikrozephalie und Mikroenzephalie = kleiner Kopf und kleines Gehirn).

Dementsprechend liegt eine schwere geistige Entwicklungsstörung vor, welche derzeit dem Niveau eines zirka dreijährigen Kindes entspricht.

D2 ursächliche Zusammenhänge:

Die entscheidende Frage des Gutachtens bezieht sich auf eine mögliche Kausalität der angeschuldigten Impfung für das Auftreten des Anfallsleidens und der bleibenden Halbseitenlähmung durch einen Arterienverschluss.

Aus allen neueren Literaturunterlagen ist zu ersehen, dass die Polio-Schluckimpfung zwar Ursache für schlaffe Lähmungen, aber nicht für Anfallsleiden sein kann (vgl. Literaturzitate C). … Krampfanfälle nach Impfungen mit abgeschwächten, vermehrungsfähigen Viren (Lebendimpfstoffe) treten im Rahmen sogenannter abgeschwächter Erkrankungen erst nach einer Inkubationszeit von mehreren (meist 5 oder mehr) Tagen auf. (Die Beschwerdeführerin) hat … eine Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit vermehrungsfähigen Viren erhalten, wobei der zeitliche Zusammenhang und die Art der Erkrankung am 2. Tag nach der Impfung gegen die Verursachung des Anfallsleidens durch die Impfung sprechen. Das Vorliegen einer Gehirnentzündung wurde durch die Befunde der Gehirnflüssigkeit des EEG und der Computertomographie im November 1997 ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall … ist das Anfallsleiden höchstwahrscheinlich nicht durch die Schluckimpfung verursacht worden.

Die Ursache des Anfallsleidens … konnte … bisher nicht geklärt, d.h. auch nicht eindeutig der vorgegebenen Risikoschwangerschaft zugeordnet werden."

Die Beschwerdeführerin bemängelte an diesem Gutachten mit Stellungnahme vom 9. April 2008 unter anderem, dass es sich nicht mit den von Ehrengut und den in der Bundesrepublik Deutschland verwendeten "Anhaltspunkte(n) für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" beschriebenen Anfallsleiden beschäftigt habe. Dazu wurde ein Auszug aus besagten "Anhaltspunkten" vorgelegt:

"2. Poliomyelitis-Schutzimpfung

a) mit Lebendimpfstoff: …

Impfschäden: … Die sehr selten beobachtete Meningoenzephalitis und/oder die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem

3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden."

In seiner Stellungnahme vom 18. Juni 2008 führte der Gutachter Dr. M. diesbezüglich aus, dass "die Ansichten von Prof. Wolfgang Ehrengut (…) wissenschaftlich vielfach überholt" seien. Die Suche nach einer Meningoenzephalitis sei offensichtlich unterblieben, weil keine dafür sprechenden klinischen Symptome bestanden haben. Die Vermutung, dass eine nicht erkannte oder nicht sichtbare Enzephalitis am zweiten Tag nach der Schluckimpfung als direkte Schadensfolge der Impfung aufzufassen sei, halte er "für wissenschaftlich nicht begründbar". Die Beschwerdeführerin legte daraufhin unter anderem einen Ausschnitt eines Literaturverzeichnisses vor, dem eine Liste von 77 einschlägigen Publikationen Ehrenguts zwischen 1954 und 2003 zu entnehmen ist.

Schließlich wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ab. Begründend führte sie nach teilweiser Wiedergabe des Gutachtens von Prof. Dr. M. aus, dass dieses schlüssig sowie nachvollziehbar sei und auch keine Widersprüche aufweise. Es werde darin dargelegt, dass trotz der unbekannten Ursache des Anfallsleidens der Beschwerdeführerin die Polioschluckimpfung als mögliche Ursache für den Leidenszustand den geforderten Grad der Wahrscheinlichkeit nicht aufweise. Zwar könnten Impfungen solcher Art schlaffe Lähmungen auslösen, Folgen in Form eines Anfallsleidens seien jedoch nicht anzunehmen, zumal auch der zeitliche Zusammenhang von nur zwei Tagen im Hinblick auf die Inkubationszeit von meist fünf oder mehr Tagen nicht gegeben sei. Da der notwendige Grad an Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges zwischen der bestehenden Gesundheitsschädigung und der angeschuldigten Impfung nicht objektivierbar sei, liege ein Impfschaden nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit der Frage der Verursachung eines Schadens durch eine Impfung im Sinne des Impfschadengesetzes hat sich der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die auch im vorliegenden Fall anzuwendende Novelle BGBl. I Nr. 48/2005 in seinem Erkenntnis vom 17. November 2009, Zl. 2007/11/0005, auseinandergesetzt. Durch die genannte Novelle wurde § 3 Abs. 3 Impfschadengesetz dahin geändert, dass bei der Beurteilung eines Entschädigungsanspruches nach dem Impfschadengesetz § 2 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG) sinngemäß anzuwenden ist. Gemäß § 2 Abs. 1 HVG kommt es darauf an, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung "zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis ... ursächlich zurückzuführen ist"; Abs. 2 - leg. cit. normiert, dass die Glaubhaftmachung eines ursächlichen Zusammenhanges für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung genügt, wenn die obwaltenden Verhältnisse die Führung des Nachweises der Ursächlichkeit ausschließen.

Daraus folgt, dass nach der hier anzuwendenden Rechtslage der Anspruch auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz nicht nur bei einem "Kausalitätsnachweis", sondern schon im Falle der "Kausalitätswahrscheinlichkeit" besteht. Davon ausgehend ist jedenfalls dann, wenn auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens anzunehmen ist, dass die drei maßgeblichen Kriterien - entsprechende Inkubationszeit, entsprechende Symptomatik, keine andere wahrscheinlichere Ursache - erfüllt sind, von der Wahrscheinlichkeit der Kausalität einer Impfung für die betreffende Gesundheitsschädigung im Sinne der §§ 1 und 3 Abs. 3 des Impfschadengesetzes iVm § 2 HVG auszugehen (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 2007/11/0005, sowie das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2011, Zl. 2007/11/0020). Anhand der genannten Kriterien ist zu überprüfen, ob die belangte Behörde ohne Rechtswidrigkeit zu dem Ergebnis gelangte, es sei im vorliegenden Fall nicht einmal die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität der gegenständlichen Impfung für die Leiden der Beschwerdeführerin anzunehmen.

2. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht.

2.1. Nach der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Literatur von Ehrengut (dessen jahrzehntelange Praxis und Publikationstätigkeit auf dem Gebiet der Impfschäden offenbar mit dem ebenfalls vorgelegten Literaturverzeichnis dokumentiert werden soll) sei in seltenen Fällen eine postvakzinale Enzephalopathie weniger als drei Tage nach einer Polioschluckimpfung aufgetreten, in zumindest zwei Fällen seien nach einer Polio-Schluckimpfung bei Säuglingen innerhalb von ca. 10 bis 15 Stunden Krampfanfälle beobachtet worden, wobei einerseits ein unauffälliges EEG vorgelegen sei, andererseits in weiterer Folge nach unauffälligem Liquorbefund "bei dem vorher unauffälligen Säugling später Entwicklungsrückstand diagnostiziert" sowie ein nach der Impfung nachgelassenes Kopfwachstum festgestellt worden sei. Auch in den von der Beschwerdeführerin vorgelegten weiteren Unterlagen ist die Rede davon, dass es - wenn auch "selten" - nach der Polioschluckimpfung zu "Meningoenzephalitis und/oder hirnorganischen Anfallsleiden" kommen kann.

Mit diesem Vorbringen setzte sich das zum vorliegenden (Berufungs-)Antrag eingeholte Gutachten inhaltlich nicht auseinander. Daher bietet das Gutachten keine ausreichende Grundlage für die Annahme, es fehle an der für die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens sprechenden Inkubationszeit und Symptomatik. Auch hinsichtlich des dritten nach der Judikatur bedeutsamen Kriteriums (keine andere wahrscheinlichere Ursache) schließt das Gutachten die Grundkrankheiten der Beschwerdeführerin als Ursache dezidiert aus und hält fest, dass die Ursache des Anfallsleidens "bisher nicht geklärt" werden konnte, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt die maßgebliche Kausalitätswahrscheinlichkeit nicht zu verneinen ist.

2.2. Vor diesem Hintergrund war aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Literatur, die auf die Möglichkeit einer Übereinstimmung von Inkubationszeit und Symptomatik der Beschwerdeführerin mit Impfschäden nach Polioschluckimpfung hindeutet, entgegen der Ansicht der belangten Behörde erforderlich. Ihre Aussage, die Kausalität der Erkrankung sei, "unter Berücksichtigung der eingesehenen ärztlichen Beweismittel sowie der gültigen medizinischen Lehrmeinung, nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit begründbar", erweist sich daher als nicht schlüssig begründet.

3. Da dem angefochtenen Bescheid somit wesentliche Verfahrensmängel anhaften, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff. VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 30. September 2011

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