VwGH 2009/08/0039

VwGH2009/08/003924.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerden der R GmbH in S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen die Bescheide des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 10. November 2008, Zlen. UVS-5/13089/5-2008 (protokolliert zu 2009/08/0039) und UVS-5/13082/7-2008 (protokolliert zu 2009/08/0040), jeweils betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Strafverfahren wegen Übertretung des ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VStG §9 Abs7;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §13;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VStG §9 Abs7;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §13;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 57,40 (insgesamt daher EUR 114,80) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt S vom 15. Juli 2008 wurde über den handelsrechtlichen Geschäftsführer der beschwerdeführenden Partei gem. § 111 ASVG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 730,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage) verhängt, weil er als das nach § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der beschwerdeführenden Partei als Dienstgeber für diese zu verantworten habe, dass der serbisch-montenegrische Staatsangehörige AS in der Zeit vom 23. Jänner bis 24. Jänner 2008 beschäftigt worden sei, ohne die Beschäftigung vor Arbeitsantritt gem. § 33 ASVG beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet zu haben.

Mit weiterem Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt S vom 15. Juli 2008 wurde über den handelsrechtlichen Geschäftsführer der beschwerdeführenden Partei ferner gem. § 111 ASVG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 730,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage) verhängt, weil er als das gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der beschwerdeführenden Partei als Dienstgeber für diese zu verantworten habe, dass die Arbeitnehmerin AR vom 7. Jänner 2008 bis zum 13. Februar 2008 beschäftigt worden sei, ohne die Beschäftigte vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet zu haben.

In den Sprüchen dieser Straferkenntnisse finden sich keine Hinweise auf eine Haftung der beschwerdeführenden Partei gemäß § 9 Abs. 7 VStG. Beide Straferkenntnisse wurden - entsprechend den Zustellverfügungen - (auch) der beschwerdeführenden Partei zugestellt. In den Zustellverfügungen dieser Straferkenntnisse ist hinsichtlich der Zustellung an die beschwerdeführende Partei der Zusatz "unter Hinweis auf die Haftungsbestimmungen des § 9 Abs. 7 Verwaltungsstrafgesetz 1991" vermerkt.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die gegen diese Bescheide von der beschwerdeführenden Partei erhobenen Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG, § 51 VStG und § 8 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Die belangte Behörde rechnete die erhobenen Rechtsmittel - mit näherer Begründung und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unstrittig - der beschwerdeführenden Partei zu und führte unter Hinweis auf die Bestimmung des § 9 Abs. 7 VStG und das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. November 2000, Zl. 99/09/0002, aus, der Haftungspflichtige nach § 9 Abs. 7 VStG sei im Verwaltungsstrafverfahren als Partei beizuziehen und könne in diesem Verfahren alle Parteirechte einschließlich des Berufungsrechtes ausüben, weil nur die volle Einbindung des Haftungspflichtigen als Partei in das Verfahren, in dem die Grundlage und der Umfang der Haftung ermittelt und festgesetzt werde, eine rechtlich einwandfreie Lösung darstelle. Das Fehlen einer "ausdrücklichen" Regelung der Parteistellung des Haftungspflichtigen im VStG vermöge infolge der allgemeinen Regeln des gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 8 AVG zu keinem anderen Ergebnis zu führen.

Dennoch seien die Berufungen "ungeachtet der unstrittigen Parteistellung" der beschwerdeführenden Partei unzulässig, weil diese im erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahren weder als Partei beigezogen noch im angefochtenen Straferkenntnis deren Haftung für die über den Beschuldigten ausgesprochenen Geldstrafen samt Verfahrenskosten in den Spruch aufgenommen worden sei; ein Hinweis auf die Haftungsbestimmungen des § 9 Abs. 7 VStG in der Zustellverfügung alleine sei - da nicht rechtskraftfähig - nicht ausreichend. Ohne einen solchen Ausspruch könnten die Straferkenntnisse auch nach einer allfälligen Zustellung an den Haftungspflichtigen nicht Grundlage der Haftung nach § 9 Abs. 7 VStG sein. Da nach den Grundsätzen des § 51 VStG die Berufungsbehörde bei ihrer Entscheidung auf diejenige Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der Unterbehörde bilde, beschränkt sei, könne der Ausspruch über eine derartige Haftung im Berufungserkenntnis nicht mehr nachgeholt werden. Dies bedeute, dass die beschwerdeführende Gesellschaft im vorliegenden Fall von der Möglichkeit der haftungsmäßigen Inanspruchnahme für die über ihren verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen verhängten Geldstrafen endgültig befreit sei und daher durch die angefochtenen Straferkenntnisse nicht beschwert sein könne. Da ein Berufungsrecht nur jenen Parteien eines Verfahrens zustehe, deren Rechtsansprüche oder rechtliche Interessen durch den Bescheid beeinträchtigt werden könnten, die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides für die Berufungswerberin jedoch nur mehr abstrakt-theoretische Bedeutung habe, fehle es ihr insoweit an der erforderlichen Berufungslegitimation, weshalb die Berufungen als unzulässig zurückzuweisen gewesen seien.

Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden mit den Begehren, die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor, verzichtete auf die Erstattung von Gegenschriften und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges nach Verbindung der Beschwerden zur gemeinsamen Entscheidung - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 9 Abs. 7 VStG (in der Fassung BGBl. I Nr. 3/2008) haften juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften sowie die in Abs. 3 genannten natürlichen Personen für die über die zur Vertretung nach außen Berufenen oder über einen verantwortlichen Beauftragten verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.

2. Vorauszuschicken ist, dass Gegenstand der Entscheidung der belangten Behörde ausschließlich die Frage der Parteistellung der beschwerdeführenden Partei im Sinne der zitierten Gesetzesbestimmung aufgrund ihrer Haftung gem. § 9 Abs. 7 VStG war und nicht die gegen ihr Organ gerichteten (und offenbar in Rechtskraft erwachsenen) Strafbescheide. Insoweit sich daher Beschwerdepunkt und Beschwerdeausführungen (auch) auf die gegen ihr Organ erlassenen Straferkenntnisse und deren Folgen beziehen, gehen sie an der Sache vorbei.

3. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. November 2000, Zl. 99/09/0002, VwSlg. 15527/A, von seiner älteren Rechtsprechung zur gesetzlichen Solidarhaftung nach § 9 Abs. 7 VStG abgegangen, wonach die Haftung der betreffenden juristischen Person für die gegen ihren gesetzlichen Vertreter verhängte Strafe erst nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens durch einen eigenen Bescheid ausgesprochen werden dürfe und der Haftungspflichtige im Verwaltungsstrafverfahren keine Parteistellung habe. Er schloss sich der Auffassung von Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts7, Rz 780, an, wonach eine auch dem Art. 6 EMRK gerecht werdende Lösung nur in der Bejahung der Parteistellung des Haftungspflichtigen im Verwaltungsstrafverfahren gegen das Organ gefunden werden könne. Es sei daher zu fordern, dass der Haftungspflichtige im Sinne der § 24 VStG und § 8 AVG bereits dem Verwaltungsstrafverfahren als Partei beizuziehen ist und in diesem Verfahren auch alle Parteirechte einschließlich des Berufungsrechtes ausüben kann. Nur so sei es dem Haftungspflichtigen in einer rechtsstaatlich einwandfreien Weise möglich, einen Strafbescheid, der ihn im Wege der Haftung dem Grunde und der Höhe nach zu Geldzahlungen verpflichtet, zu bekämpfen und damit seine Haftung gegebenenfalls auszuschließen oder zu vermindern. Die bisherige Rechtsprechung, die eine etwaige Bekämpfungsmöglichkeit des Haftungspflichtigen ausschloss, widerstreite dem Art. 6 EMRK. Wer den Beweis und die Zurechnung einer für die Entscheidung über seine Ansprüche und Verpflichtungen wesentlichen Handlung verfahrensrechtlich nicht in Frage stellen könne, weil eine Bindung an eine andere Entscheidung aus einem Verfahren vorliege, zu welchem er aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen keinen Zugang gehabt habe, dessen rechtlicher Anspruch auf Gehör sei nicht erfüllt. Gegen die Lösung der älteren Judikatur und Lehre spreche insbesondere, dass sie es dem Haftungspflichtigen nicht ermögliche, gegen den Strafbescheid andere Gründe geltend zu machen als jene, "die die Haftung als solche ausschließen würden". Dem Haftungspflichtigen wäre es mangels rechtzeitiger Anhörung somit nicht möglich, den Nachweis zu führen, dass sein Organ (oder sein verantwortlicher Beauftragter) nicht oder nicht in einem bestimmten Ausmaß bestraft werden dürfe. Eine rechtlich einwandfreie Lösung der Problematik biete nur die volle Einbindung des Haftungspflichtigen als Partei in jenes Verfahren, in welchem die Grundlage und der Umfang seiner Haftung ermittelt und festgesetzt werde. Der Erlassung eines eigenen Haftungsbescheides in einem besonderen Verfahren bedürfe es nicht. Vergleichbare Lösungen fänden sich etwa im Mediengesetz (§ 35 und § 41 Abs. 6) und im Finanzstrafgesetz (§§ 28, 76, 122, 138, 215, 238). Das Vorgehen der belangten Behörde, einen Haftungsbescheid gegen die beschwerdeführende Gesellschaft zu erlassen, obwohl diese im Verwaltungsstrafverfahren gegen ihren Geschäftsführer nicht als Partei zugezogen und nicht bereits in dem das Strafverfahren abschließenden Bescheid über die Haftung der Gesellschaft abgesprochen worden sei, habe daher nicht dem Gesetz entsprochen.

4. Strittig ist, ob die Haftung der juristischen Person im Straferkenntnis - im Spruch - auszusprechen ist (vgl. Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5, 429; vgl. auch Schmied/Schmid, ZFR 4/2010, 158 ff; Dünser, ZUV 2010/3, 105 ff).

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 7. August 2001, Zl. 98/02/0235, - wenn auch bloß obiter ("Im Übrigen wird für das fortgesetzte Verfahren ...") - ausgesprochen, es sei bereits in dem das Strafverfahren abschließenden Bescheid über die Haftung der nach § 9 Abs. 7 VStG herangezogenen Person abzusprechen.

Mit Erkenntnis vom 14. April 2010, Zl. 2009/08/0149, wurde hingegen entschieden, die Haftung der juristischen Person ergebe sich unmittelbar kraft Gesetzes aus § 9 Abs. 7 VStG; es sei nicht bloß ein gesonderter Bescheid über die Haftung entbehrlich, sondern auch ein normativer Abspruch im Strafbescheid. Die vertretene juristische Person, welcher die Tat zuzurechnen sei, wegen deren Begehung der gesetzliche Vertreter in Anspruch genommen werde, sei (ohnehin) neben der Bezeichnung des Bestraften im Spruch des Bescheides zu nennen; der Strafbescheid sei sodann kraft § 9 Abs. 7 VStG in Bezug auf die verhängten Geldstrafen, sonstigen in Geld bemessenen Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten unmittelbar gegen jene juristische Person vollstreckbar, als deren Vertreter der Beschuldigte nach dem Spruch dieses Bescheides bestraft worden sei. Es sei daher weder erforderlich, die Haftung der juristischen Person in den Strafbescheid aufzunehmen, noch sei ein solcher Abspruch - auch wenn er erstmals im Berufungsbescheid erfolge - rechtswidrig, weil er die nach § 9 Abs. 7 VStG ohnehin gegebene Rechtslage nicht zu verändern vermöge. Die juristische Person sei daher im Berufungsverfahren ungeachtet dessen beizuziehen, dass der erstinstanzliche Bescheid keinen Abspruch über die Haftung nach § 9 Abs. 7 VStG enthalte.

Mit Erkenntnis vom 23. April 2010 entschied der Verwaltungsgerichtshof (Zl. 2010/02/0074), die Rechtsansicht der dort beschwerdeführenden Partei, sie habe im Verwaltungsstrafverfahren Parteistellung und hätte daher dem Verfahren beigezogen werden müssen, träfe dann zu, wenn in dem das Strafverfahren abschließenden Bescheid auch über ihre Haftung nach § 9 Abs. 7 VStG abgesprochen worden wäre. Es liege aber ein rechtskräftiger Strafbescheid gegen den Geschäftsführer der dort beschwerdeführenden Partei vor, welcher der Beschwerdeführerin nicht zugestellt worden sei; sie sei auch im Verwaltungsstrafverfahren nicht zur Haftung gemäß § 9 Abs. 7 VStG herangezogen worden. Da die Erlassung eines Haftungsbescheides nach Abschluss des Verwaltungsstrafverfahrens unzulässig sei, sei es nicht rechtswidrig gewesen, die Beschwerdeführerin dem Verfahren nicht beizuziehen.

Mit Erkenntnis vom 1. Juli 2010 (Zlen. 2008/09/0377 und 0380; jenen Verfahren liegen Beschwerden der auch hier beschwerdeführenden Gesellschaft wegen Bestrafung ihres Geschäftsführers nach dem AuslBG zu Grunde) wurde ausgesprochen, dass die haftungspflichtige Gesellschaft in dem gegen ihr Organ geführten Strafverfahren Parteistellung mit allen dazu gehörigen Rechten genieße. Das bedeute aber weiters, dass ihr gegenüber auch im Spruch des das Strafverfahren gegen das Organ abschließenden Erkenntnisses ein Haftungsausspruch zu erfolgen habe; die Erlassung eines nachträglichen Haftungsbescheides komme nicht mehr in Betracht. Erst durch den im Spruch des gegen das Organ ergehenden Straferkenntnisses enthaltenen normativen Abspruch über die Haftung der vertretenen Gesellschaft werde diese in einer der Exekution zugänglichen Weise zur Zahlung der gegen ihr Organ verhängten Geldstrafe samt Anhang verpflichtet. Liege kein Haftungsausspruch vor, bestehe auch keine Zahlungspflicht der vertretenen Gesellschaft. Ein derartiger Ausspruch könne auch nicht durch Aufnahme eines bloßen Hinweises auf § 9 Abs. 7 VStG in der Zustellverfügung oder gar nur durch die auch an die Gesellschaft erfolgte Zustellung der Strafbescheide ersetzt werden. Mangels Ausspruches einer die Gesellschaft treffenden (exekutierbaren) Haftung für die über ihr Organ verhängten Geldstrafen sei diese nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt und damit auch nicht zur Erhebung einer Berufung legitimiert (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 5. November 2010, 2010/04/0012).

6. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 7. Dezember 2007, VfSlg. 18.311, eine Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde sei nur legitimiert, wer durch den Bescheid in irgendeinem subjektiven Recht verletzt sein könne. Der angefochtene Bescheid richte sich nur gegen den handelsrechtlichen Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft. Die beschwerdeführende Gesellschaft sei daher nicht Adressatin des bekämpften Bescheides, sodass sie der Bescheid in keinem subjektiven Recht verletzen könne (vgl. auch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1999, VfSlg. 15.564, mit dem ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe mit der Begründung abgewiesen wurde, es liege kein gegen die juristische Person wirksamer Haftungsbescheid iSd § 9 Abs. 7 VStG vor, wenn sich das Straferkenntnis nur gegen das Organ einer juristischen Person richte; die einschreitende Gesellschaft könne somit durch einen allein an ihren Geschäftsführer gerichteten Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt sein).

7. Der erkennende Senat des Verwaltungsgerichtshofs hält seine Rechtsmeinung, es bedürfe keines Ausspruches der Haftung im Straferkenntnis (Erkenntnis vom 14. April 2010, Zl. 2009/08/0149), nicht mehr aufrecht.

Im Erkenntnis des verstärkten Senates war zwar ausgesprochen worden, dass es eines eigenen Haftungsbescheides in einem besonderen Verfahren nicht bedürfe; daraus kann aber nach nunmehriger Auffassung des Senats nicht abgeleitet werden, dass ein Haftungsausspruch überhaupt entbehrlich ist. So wurde in jenem Erkenntnis auch bemängelt, dass nicht bereits in dem das Strafverfahren abschließenden Bescheid über die Haftung der beschwerdeführenden Gesellschaft abgesprochen worden sei. Die Entscheidung des verstärkten Senates wurde wesentlich auf die dort zitierte Lehrmeinung gestützt (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 780); an der zitierten Stelle wird aber auch die Meinung vertreten, dass die Haftung im Straferkenntnis auszusprechen sei. Verwiesen wurde weiters auf vergleichbare Lösungen im Mediengesetz und im Finanzstrafgesetz. Nach § 35 Abs. 1 Mediengesetz (idF BGBl. Nr. 20/1993) war die Haftung des Medieninhabers zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten im Strafurteil auszusprechen. Gemäß § 41 Abs. 7 Mediengesetz (idF BGBl. Nr. 91/1993) bilden die Entscheidungen über die Einziehung, die Urteilsveröffentlichung und die Haftung Teile des Ausspruches über die Strafe. Gemäß § 138 Abs. 2 FinStrG (idF BGBl. Nr. 681/1994) hat der Spruch des Straferkenntnisses die allfällige Feststellung, dass eine Haftungspflicht für die verhängte Geldstrafe und den auferlegten Wertersatz gemäß § 28 FinStrG gegeben ist, und die Nennung der Haftungsbeteiligten zu enthalten.

Das Erkenntnis vom 14. April 2010 wurde unter anderem auf die Erkenntnisse vom 21. Oktober 1994 (Zl. 94/11/0261) und vom 28. Juli 1999 (Zl. 97/09/0335) gestützt. Diese Erkenntnisse waren auch im Erkenntnis des verstärkten Senates angeführt worden: Das Erkenntnis vom 21. Oktober 1994, in welchem ausgesprochen worden sei, zur Konkretisierung der Haftung nach § 9 Abs. 7 VStG im Einzelfall bedürfe es keines gesonderten bescheidmäßigen Abspruches, sie trete vielmehr als gesetzliche Folge einer auf § 9 VStG gestützten Bestrafung ein, sei nach Auffassung des verstärkten Senats vereinzelt geblieben. Das Erkenntnis vom 28. Juli 1999, "welches ... der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben soll(e)", habe zur Haftung nur klargestellt, dass ihr Eintritt in jedem Fall einen rechtskräftigen Strafausspruch voraussetze.

Ausgehend von diesen Darlegungen im Erkenntnis des verstärkten Senates, kann aus diesem nicht abgeleitet werden, dass ein Haftungsausspruch im Straferkenntnis für eine Haftung der juristischen Person gemäß § 9 Abs. 7 VStG entbehrlich sei. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist vielmehr davon auszugehen, dass dann, wenn - wie hier - das Straferkenntnis keinen Haftungsausspruch (im Spruch des Straferkenntnisses) enthält, die juristische Person in ihren Rechten nicht verletzt sein kann. Enthält das erstinstanzliche Straferkenntnis keinen Haftungsausspruch, und kann daher für den Fall der Rechtskraft auch nicht gegen die beschwerdeführende Partei vollstreckt werden, so ist diese auch nicht zur Erhebung einer Berufung legitimiert.

Auch die Aufnahme eines Hinweises auf § 9 Abs. 7 VStG in die Zustellverfügung oder die Zustellung der Strafbescheide an die Gesellschaft kann eine normative Feststellung der Haftung nach § 9 Abs. 7 VStG nicht ersetzen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 1. Juli 2010, Zlen. 2008/09/0377 und 0380).

8. Da im hier vorliegenden Fall die erstinstanzlichen Straferkenntnisse keinen Haftungsausspruch enthielten, waren die Berufungen der beschwerdeführenden Partei unzulässig und wurden zutreffend mit den angefochtenen Bescheiden zurückgewiesen.

Die Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildete erkennende Senat geht mit dieser Entscheidung von seinem eigenen Vorjudikat ab, schließt sich aber mit seiner nunmehrigen Rechtsauffassung der von anderen Senaten des Verwaltungsgerichtshofes bereits vertretenen Interpretation des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 21. November 2000, Zl. 99/09/0002, Slg. Nr. 15.527/A, an. Es ist Sinn und Zweck des § 13 VwGG das Entstehen von Rechtsprechungsdivergenzen zu verhindern oder zumindest zu erschweren oder bereits entstandene Rechtsprechungsdivergenzen zu beseitigen. Geht ein Senat wie hier nur von seinem eigenen Vorjudikat ab, um damit die Einheitlichkeit mit der übrigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wieder herzustellen, dann wird damit eine Rechtsprechungsdivergenz im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG beseitigt; wenn von der mit diesem Erkenntnis aufgegebenen Rechtsprechung - wie hier - kein anderer Senat als der erkennende betroffen ist, bedarf es nach Sinn und Zweck des § 13 VwGG dazu keiner Verstärkung des Senates im Sinne dieser Gesetzesstelle.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. November 2010

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