VwGH 2009/08/0014

VwGH2009/08/001418.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, in der Beschwerdesache der Mag. L in Wien, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 20. Oktober 2008, Zl. 2008-0566-9-001874, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Übergangsgeld, den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag vom 19. Jänner 2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Verbesserung der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Mit hg. Verfügung vom 11. Dezember 2008, Zl. 2008/08/0253-2, der Beschwerdevertreterin zugestellt am 16. Dezember 2008, wurde der Auftrag zur Behebung näher genannter Mängel der Beschwerde binnen einer Frist von drei Wochen, vom Tage der Zustellung des Auftrages an gerechnet, erteilt. Diese Frist endete mit 7. Jänner 2009.

Der vorliegende am 20. Jänner 2009 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag (mit dem auch die versäumte Prozesshandlung nachgeholt wird) ist damit begründet, dass die Frist auf Grund eines Versehens minderen Grades der Kanzleiangestellten P. versäumt worden sei. P. sei seit 17. Jänner 1994 für die Beschwerdevertreterin tätig. Sie habe umfassend sämtliche Aufgaben, die in einer Rechtsanwaltskanzlei anfielen, durchzuführen. P. schreibe nach Diktat, nehme Telefonate entgegen, empfange die Mandanten, nehme die Post entgegen und bearbeite diese, indem sie die Poststücke öffne, mit dem Eingangsstempel versehe, dem jeweiligen Akt zuordne und sämtliche Fristen auf dem Schriftstück vormerke und in den Terminkalender eintrage. P. sei als zuverlässige und umsichtige Sekretärin sehr geschätzt. Die Fristvormerke von P. würden von der Beschwerdevertreterin bei täglicher Vorlage der Post überprüft. In der Folge werde der Akt bis zur Bearbeitung abgelegt. Bei der neuerlichen Vorlage des Aktes zur Bearbeitung am 14. Jänner 2009 habe die Beschwerdevertreterin feststellen müssen, dass auf Grund der falschen Eintragung des Termines im Terminkalender die Frist bereits abgelaufen gewesen sei. Die Eintragung der Frist im Kanzleikalender für 14. Jänner 2009 (und nicht entsprechend dem tatsächlichen Fristenlauf für 7. Jänner 2009) sei auf einen minderen Grad des Versehens einer ansonsten absolut zuverlässigen Sekretärin der Rechtsanwaltskanzlei zurückzuführen.

Dem Wiedereinsetzungsantrag ist eine "Eidesstättige Erklärung" der Beschwerdevertreterin vom 19. Jänner 2009 angeschlossen, aus der hervorgeht, dass die Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2008 am 16. Dezember 2008 in der Kanzlei zugestellt worden sei. Das Poststück sei von P. geöffnet und mit dem Eingangsstempel versehen worden. Gleichzeitig habe P. den Fristvormerk 7. Jänner 2009 auf dem Schriftstück angebracht und das Poststück der Beschwerdevertreterin mit dem Akt vorgelegt. Die Überprüfung des Fristvormerkes auf dem Poststück habe ergeben, dass die Frist richtig vermerkt worden sei. Gleichzeitig mit dem Fristvormerk trage P. die Frist als "Rotfrist" in den zentral im Sekretariat aufliegenden Terminkalender ein. Es sei unbemerkt geblieben, dass der Termin vom 7. Jänner 2009 nicht für diesen Tag, sondern für 14. Jänner 2009 in den Terminkalender der Kanzlei falsch eingetragen worden sei. Erst aus Anlass der Vorlage des Aktes zwecks Bearbeitung am 14. Jänner 2009 habe die Beschwerdevertreterin feststellen müssen, dass die Frist falsch eingetragen und somit versäumt worden sei.

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten ist dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Hiebei ist zu beachten, dass der Rechtsanwalt die Aufgaben, die ihm gegenüber seinen Klienten erwachsen, auch insoweit erfüllen muss, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muss gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumung in Betracht. Insbesondere muss der Anwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt danach auch dann gegen eine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. den hg. Beschluss vom 27. Jänner 1997, Zl. 96/10/0253, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof geht ferner in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Rechtsanwalt lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen kann. Hingegen ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist stets der Anwalt selbst verantwortlich. Er selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm hiebei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochenen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden an der Versäumung (vgl. auch dazu den zitierten Beschluss vom 27. Jänner 1997, mwN). Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang gleichfalls wiederholt ausgesprochen hat, darf der Rechtsanwalt die Festsetzung von Fristen nicht völlig einer Kanzleikraft überlassen und sich nur auf stichprobenartige Kontrollen beschränken (vgl. den hg. Beschluss vom 21. Oktober 1992, Zlen. 92/02/0247 bis 0249). Kommt der Rechtsanwalt im erwähnten Zusammenhang seiner Aufsichts- und Kontrollpflicht nicht nach, so handelt es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens (vgl. den hg. Beschluss vom 4. Juli 2008, Zl. 2008/02/0164, mwN).

Im vorliegenden Fall hat zwar die Beschwerdevertreterin den Terminvormerk der Sekretärin überprüft und die diesbezügliche Frist auch nachgerechnet. Es wird aber in keiner Weise dargelegt, welches Kontrollsystem hinsichtlich der für die tatsächliche Fristwahrnehmung maßgebenden Eintrag in den Kanzleikalender bestanden hat. Nun ist es zwar so, dass einem Rechtsanwalt eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten (wie Kuvertierung und Postaufgabe) auch tatsächlich ausführt, nicht zuzumuten ist, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich aber bei der Übertragung einer Fristvormerkung in den für die Wahrnehmung der Frist ausschlaggebenden Kanzleikalender nicht. Dass zusätzlich zur Übertragung eine Kontrolle des Fristablaufes anhand der Terminvormerkung vorgenommen worden sei oder dass die Übertragung selbst kontrolliert werde, wird nicht behauptet. Damit verlagert sich die Information an den Rechtsanwalt über den bevorstehenden Ablauf der Frist aber vom Fristvormerk auf den Kanzleikalender, dessen Fristvormerk ohne Gegenkontrolle durch den Rechtsanwalt, allein der Kanzleikraft übertragen ist.

Das dargestellte System der unkontrollierten Übertragung von Fristen in den Kanzleikalender eröffnet daher eine zusätzliche Fehlerquelle an jener Stelle des Systems, der die entscheidende Warnfunktion vor Fristablauf zukommt, und der mit entsprechenden organisatorischen Maßnahmen, vor allem einer Gegenkontrolle durch die Beschwerdevertreterin, zu begegnen gewesen wäre. Solche Vorkehrungen wurden aber offenbar nicht getroffen, sodass der dargestellte Ablauf einer Kontrolle der Terminwahrnehmung die Erstattung fristgebundener Schriftsätze vor Ablauf der Frist nicht gewährleistet hat (vgl. den hg. Beschluss vom 23. Februar 2006, Zl. 2006/07/0028). Es liegt daher ein den Grad minderen Versehens überschreitendes Organisationsverschulden der Beschwerdevertreterin vor, das der Beschwerdeführerin zuzurechnen ist.

Dem Antrag war daher nicht stattzugeben.

Wien, am 18. Februar 2009

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