Normen
AVG §66 Abs4;
AVG §67d Abs3;
B-VG Art131 Abs1 Z2;
EMRK Art6 Abs1;
EMRK Art6;
EMRK Art7 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs2;
PMG 1997 §34 Abs4 idF 2007/I/055;
VStG §1 Abs2;
VStG §1;
VStG §24;
VStG §51e Abs2 Z1;
VStG §51e Abs3;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
AVG §67d Abs3;
B-VG Art131 Abs1 Z2;
EMRK Art6 Abs1;
EMRK Art6;
EMRK Art7 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs2;
PMG 1997 §34 Abs4 idF 2007/I/055;
VStG §1 Abs2;
VStG §1;
VStG §24;
VStG §51e Abs2 Z1;
VStG §51e Abs3;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (in der Folge: BH) vom 17. Juni 2008 wurde über die erstmitbeteiligte Partei wegen einer Übertretung von § 3 Abs. 4 sowie § 12 Abs. 10 iVm § 34 Abs. 1 Z. 1 lit. a Pflanzenschutzmittelgesetz 1997 (in der Folge: PMG) eine Geldstrafe in Höhe von EUR 2.000, -- verhängt. Begründend führte die BH aus, dass es die erstmitbeteiligte Partei in ihrer Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer der zweitmitbeteiligten Partei und somit Verantwortlicher nach § 9 Abs. 1 VStG zu vertreten habe, dass am 6. Juni 2006 - wie durch ein Organ der beschwerdeführenden Partei festgestellt - 205 x 5 Liter des ungarischen Präparates Focus Ultra, welches mit der Kennzeichnung des gleichnamigen deutschen Präparates, BRD-Zulassungsnummer 3964-00, überklebt worden sei, im großen Pflanzenschutzmittellager am Standort der zweitmitbeteiligten Partei ohne Anmeldung des gewerbsmäßigen Inverkehrbringens in erster Vertriebsstufe beim Beschwerdeführer zum Verkauf vorrätig gehalten und somit entgegen § 3 Abs. 4 PMG in Verkehr gebracht worden sei.
Gegen dieses Straferkenntnis erhoben beide mitbeteiligten Parteien (in der Folge: mP) Berufung an die belangte Behörde, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragten.
Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass sich bereits durch Einsichtnahme in den Akt der BH der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären habe lassen. Da die Verfahrensparteien "einen dementsprechenden Antrag" nicht gestellt hätten, habe im Übrigen auch gemäß § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden können. Da der objektive Tatbestand nicht erfüllt sei, sei das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG einzustellen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Die mP erstatteten eine Stellungnahme, mit welcher sie die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde, in eventu die Ablehnung ihrer Behandlung bzw. deren Abweisung begehrten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die mP bringen in ihrer Stellungnahme vor, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil § 34 Abs. 4 PMG in der im gegenständlichen Fall anwendbaren Fassung keine Parteistellung der beschwerdeführenden Partei vorsehe. Die Auffassung, die Neufassung der genannten Bestimmung sei anwendbar (und vermittle daher eine Parteistellung bzw. Beschwerdebefugnis) verstoße gegen das Rückwirkungsverbot gemäß § 1 VStG und Art. 7 EMRK sowie gegen Art. 6 EMRK. Die beschwerdeführende Partei würde dadurch in einem Verfahren, in dem sie bereits Kontrollorgan, Anzeiger und Amtssachverständiger wäre, zusätzlich zur Partei. Dies widerspreche den Erfordernissen eines fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 EMRK, das vom Grundsatz der Unschuldsvermutung getragen sei.
In diesem Zusammenhang genügt es gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, Zl. 2008/07/0027, zu verweisen. Demzufolge findet das von der Parteistellung nach § 34 Abs. 4 PMG, BGBl. I Nr. 60/1997 idF der Novelle BGBl. I Nr. 55/2007, umfasste Berufungs- und Beschwerderecht auf Grund des Wortlautes dieser Bestimmung mangels einer Übergangsbestimmung auf alle Strafverfahren Anwendung, die am 1. August 2007 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren. Der Tatzeitpunkt (6. Juni 2006) spielt dabei keine Rolle. Aus § 1 VStG bzw. Art. 7 Abs. 1 EMRK (Rückwirkungsverbot bzw. Günstigkeitsprinzip) kann der Beschuldigte nichts für seinen Standpunkt gewinnen, weil sich diese Bestimmungen nur auf die (im materiellen Recht geregelte) Strafbarkeit bzw. die Strafe beziehen, nicht aber auf verfahrensrechtliche Bestimmungen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 1993, Zl. 92/09/0031, sowie vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0054, mwN).
Die Beschwerde ist somit zulässig.
Im Übrigen ist - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 97/03/0202, ausgesprochen hat - eine Einschränkung, dass eine Amtsbeschwerdebefugnis nicht zu Lasten eines im Verwaltungsstrafverfahren "rechtskräftig freigesprochenen" Beschuldigten gehen dürfe, nicht gegeben.
2. § 51e des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52 (VStG), in der anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 65/2002, lautet auszugsweise:
"§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung entfällt, wenn
1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;
2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn
1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder
- 2. sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
- 3. im angefochtenen Bescheid eine EUR 500,-- nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder
4. sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Den etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.
(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
…"
3. Die belangte Behörde nimmt in ihrem angefochtenen Bescheid aktenwidrig an, dass die "Verfahrensparteien" keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hätten. Dabei übersieht sie, dass ein solcher von den mP in ihrer Berufung gestellt wurde. Dieser Antrag auf Durchführung einer Verhandlung hätte gemäß § 51e Abs. 3 letzter Satz VStG nur mit Zustimmung der beschwerdeführenden Partei zurückgezogen werden können. Eine solche liegt nicht vor. Dabei ist zu beachten, dass sich aus dem letzten Satz des Abs. 3 dieser Bestimmung ergibt, dass die beschwerdeführende Partei nicht gehalten war, einen eigenen Verhandlungsantrag zu stellen (vgl. dazu das zum inhaltsgleichen § 67d Abs. 3 letzter Satz AVG ergangene hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2010/10/0167, mwN).
Die belangte Behörde konnte auch nicht ungeachtet dieses Antrages von einer Verhandlung gemäß § 51e Abs. 4 VStG absehen. Diese Bestimmung setzt nämlich u.a. voraus, dass der unabhängige Verwaltungssenat einen "verfahrensrechtlichen Bescheid" zu erlassen hat. Der angefochtene Bescheid ist aber kein verfahrensrechtlicher Bescheid. Mit diesem wird das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt. Ein solcher unterscheidet sich von einem bloß verfahrensrechtlichen Bescheid dadurch, dass damit über die Strafbarkeit des Beschuldigten bzw. die Zulässigkeit seiner Verfolgung abschließend abgesprochen und das Verwaltungsstrafverfahren beendet wird. Weil mit einem Bescheid über die Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nicht bloß über eine im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens oder danach auftretende verfahrensrechtliche Frage abgesprochen wird, sondern die Zulässigkeit der verwaltungsbehördlichen Strafverfolgung bzw. die Berechtigung des verwaltungsstrafrechtlichen Vorwurfes im negativen Sinne entschieden wird, kann dieser als ein Straferkenntnis angesehen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2009, Zl. 2007/09/0245).
4. Aber auch die Berufung der belangten Behörde auf § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG vermag nicht zu überzeugen. Die belangte Behörde sah den "objektiven Tatbestand" als nicht erfüllt an und ging daher davon aus, dass gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG die "zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen" worden sei.
Im Zusammenhang mit § 51e Abs. 2 Z 1 VStG bleibt festzuhalten, dass dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, dass er dem unabhängigen Verwaltungssenat verboten hätte, dort eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wo schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Hier kommt nur die Ausnahme von der Verhandlungspflicht in Frage (vgl. dazu VfGH vom 13. Dezember 2004, VfSlg 17.413).
Im vorliegenden Fall konnte die belangte Behörde von einer solchen Ausnahme von der Verhandlungspflicht nicht ausgehen.
Wie sich aus dem Vorgesagten ergibt, war die beschwerdeführende Partei nicht gehalten, einen eigenen Verhandlungsantrag vor der belangten Behörde zu stellen. Diese hätte im Rahmen der mündlichen Verhandlung der beschwerdeführenden Partei durch Befragung ihres Organes, das die Amtshandlung vorgenommen hatte, ermöglichen müssen, Anhaltspunkte vorzubringen, die - wie die Amtsbeschwerde ausführt - für ein "Vorrätighalten zum Verkauf" und für den "Tatbestand des Inverkehrbringens" sprechen würden.
Jedenfalls konnte die belangte Behörde in vorliegender Verfahrenskonstellation nicht davon ausgehen, dass auf Grund der Aktenlage "der objektive Tatbestand nicht erfüllt" sei.
5. Ungeachtet der Tatsache, dass die beschwerdeführende Partei kein Träger subjektiver Rechte ist und sich nicht auf Art. 6 Abs. 1 MRK berufen kann, ist auch im vorliegenden Beschwerdefall von einem "absoluten" Verfahrensmangel auszugehen, der gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt (vgl. dazu für Träger subjektiver Rechte, bei denen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 MRK ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt, die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2009, Zl. 2007/09/0367, und vom 27. Jänner 2011, Zl. 2010/09/0215). Das VStG selbst differenziert nämlich in dieser Frage nicht zwischen Trägern subjektiver Rechte und Amtsparteien. In diesem Zusammenhang bleiben Versuche der belangten Behörde, in ihrer Gegenschrift zu belegen, dass der Verfahrensmangel unwesentlich sei, daher unbeachtlich (vgl. dazu Bumberger,
Der Verwaltungsgerichtshof und die "europäischen Gerichtshöfe" EGMR und EuGH, in der Festschrift Klecatsky, 2010, 117).
Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 26. Jänner 2012
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