Normen
ARB1/80 Art6 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
FrG 1997 §14 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
ARB1/80 Art6 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
FrG 1997 §14 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau, einer mit unbefristetem Aufenthaltstitel in Österreich aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 21. November 2005 im Besitz eines Visums C, gültig von 19. November 2005 bis 29. Dezember 2005, in das Bundesgebiet eingereist und habe am 12. Dezember 2005 durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter den gegenständlichen Antrag zwecks Familienzusammenführung mit seiner türkischen Ehegattin gestellt. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten. Der Beschwerdeführer sei seit 23. November 2005 durchgehend in Österreich gemeldet. Da er sich seit Ablauf seines Visums C am 29. Dezember 2005 unrechtmäßig im Inland aufhalte, stehe schon § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung seines Antrags entgegen. Vor diesem Hintergrund sei auf den von der erstinstanzlichen Behörde herangezogenen Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht mehr einzugehen; ein weiteres Eingehen auf seine persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei damit auch entbehrlich. Für eine amtswegige Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 72 NAG bestehe keine Veranlassung: in seinem Fall könne nämlich - insbesondere angesichts seines unrechtmäßigen Aufenthalts seit dem Ablauf des Visums - kein solcher Aspekt festgestellt werden; der bloße Umstand seiner Ehe mit einer in Österreich rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen und das gemeinsame Kind stellten keinen besonderen berücksichtigungswürdigen Grund im Sinne des § 72 NAG dar. Im Übrigen werde festgehalten, dass "kein Anwendungsfall des ARB Nr. 1/80 vorliegt, da im Sinne der stRspr. des VwGH Rechte aus diesem Abkommen in Folge eines ordnungsgemäß erteilten Aufenthaltstitels sind und nicht umgekehrt".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, den gegenständlichen Antrag, den die belangte Behörde zu Recht als Erstantrag gewertet hat, im Inland gestellt und dessen Erledigung entgegen § 21 Abs. 1 NAG nach Ablauf des Visums im Inland abgewartet zu haben. Insofern käme die Abweisung des Antrags aus dem Grunde des § 21 Abs. 1 NAG grundsätzlich in Betracht. Auch die assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln (vgl. dazu näher z.B. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2011, Zl. 2008/22/0180) stünden dem nicht entgegen, zumal im Hinblick auf den hier vorliegenden Sachverhalt und die in Betracht kommende ältere Rechtslage (vgl. § 6 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz bzw. § 14 Abs. 2 Fremdengesetz 1997) keine Verschlechterung der Rechtsposition des Beschwerdeführers im Sinn des Assoziationsrechts eingetreten ist.
Das Recht, die Entscheidung im Inland abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland einschließlich des Abwartens über die Entscheidung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. September 2010, Zl. 2008/22/0807). Dabei kommt der Bindung zu einem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zu (vgl. dazu - einen Ausweisungsfall betreffend - das hg. Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2010/21/0119, mwH).
Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde ausgehend von einer falschen Rechtsansicht eine fallbezogene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK unterlassen und sich daher nicht ausreichend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner familiären Situation auseinandergesetzt und in diesem Zusammenhang keine geeigneten Feststellungen zu den konkreten Umständen des Falles getroffen. Vor allem wäre zu prüfen gewesen, ob der unbefristet in Österreich aufhältigen und am Arbeitsmarkt jahrelang integrierten Ehegattin des Beschwerdeführers, der offenbar eine Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 zukommt, die Ausreise mit dem gemeinsamen gerade einjährigen Kind zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft zumutbar ist, und umgekehrt, ob eine Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehefrau und seinem Kind zumutbar ist. Es kann - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung dieser Umstände zur Bejahung humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG gelangt wäre, sodass die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2007/21/0356).
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 23. Mai 2012
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