VwGH 2008/21/0515

VwGH2008/21/051530.8.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 2008, Zl. BMI- 1011543/0004-II/3/2008, betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §21 Abs5 Z6;
FrPolG 2005 §24 Abs1 Z1;
AuslBG;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §21 Abs5 Z6;
FrPolG 2005 §24 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, stellte am 5. September 2006 bei der Österreichischen Botschaft in Moskau den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" zur Ausübung der selbständigen Prostitution in einem näher bezeichneten Barbetrieb in Salzburg (C-GmbH) und legte entsprechende Unterlagen vor.

Mit Schreiben vom 30. Jänner 2007 teilte die genannte Botschaft der Beschwerdeführerin mit, seitens der Behörde würden keine weiteren Dokumente mehr benötigt. Dem Antrag könne jedoch nicht stattgegeben werden, weil Grund zu der Annahme bestehe, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde (§ 21 Abs. 5 Z 4 FPG) und dass sie mangels fester familiärer, sozialer oder wirtschaftlicher Bindungen an ihren derzeitigen Wohnsitz das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums nicht unaufgefordert verlassen werde (§ 21 Abs. 1 Z 2 FPG).

Dazu erstattete die Beschwerdeführerin am 13. Februar 2007 durch ihren Rechtsvertreter eine Stellungnahme, in der sie diesen Annahmen entgegentrat. Zum ersterwähnten Versagungsgrund brachte die Beschwerdeführerin insbesondere vor, sie sei "vollkommen" unbescholten, für das Gewerbe der selbständigen Prostitution ordnungsgemäß angemeldet und ab Visumserteilung bei der gewerblichen Sozialversicherungsanstalt pflichtversichert. Sie habe sämtliche behördliche Auflagen eingehalten und die entsprechenden Bewilligungen eingeholt. Die Behörde könne nicht "pauschal ohne jegliche Begründung" davon ausgehen, dass ihr Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Für eine solche Annahme bestünden keine Anhaltspunkte.

Mit Erledigung vom 3. Mai 2007 wies die Österreichische Botschaft Moskau den Antrag der Beschwerdeführerin ab. Eine Prüfung habe ergeben, dass der Antrag aufgrund des § 21 Abs. 5 Z 4 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG abgelehnt werden müsse, weil der Aufenthalt der Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die gegen diese Erledigung an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerde wurde mit Beschluss vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0216, zurückgewiesen, weil es sich bei dieser nicht unterfertigten Erledigung aus näher angeführten Gründen um keinen Bescheid gehandelt hat.

Mit dem sodann im Devolutionsweg ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 30. Juni 2008 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 5. September 2006 auf Erteilung eines "Visums D/C" gemäß § 11 Abs. 5 iVm § 21 Abs. 5 Z 6 FPG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass für die Beurteilung des vorliegenden Falles die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltende Fassung der hier relevanten Bestimmungen des FPG, somit noch ihre Stammfassung, maßgeblich ist.

Die Beschwerdeführerin zielte mit ihrem Antrag auf die Erteilung eines Visums zur vorübergehenden Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich als Prostituierte. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 4 Z 16 FPG ist "eine bloß vorübergehende selbständige Erwerbstätigkeit" eine solche, die innerhalb von zwölf Monaten nicht länger als sechs Monate ausgeübt wird, bei der ein Wohnsitz im Drittstaat aufrecht erhalten wird, der weiterhin den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet, und bei der es sich um keinen Fall der Pflichtversicherung des § 2 GSVG handelt.

Gemäß § 20 Abs. 3 FPG werden Visa für die Einreise zu einem sechs Monate nicht übersteigenden Aufenthalt ausgestellt. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist - außer im Rahmen von Geschäftsreisen - nur in den Fällen des § 24 FPG, der Sonderbestimmungen zur Erteilung von Visa zu Erwerbszwecken enthält, zulässig. Nach § 24 Abs. 1 Z 1 FPG ist die Aufnahme einer bloß vorübergehenden selbständigen Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 4 Z 16 FPG) im Bundesgebiet nur nach Erteilung eines Aufenthalts-Reisevisums (§ 20 Abs. 1 Z 5 FPG; "Visum D+C") möglich, das dem Fremden mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten "unter Berücksichtigung" des § 21 Abs. 1 FPG zu erteilen ist.

Der zuletzt erwähnte § 21 FPG enthält unter anderem die (allgemeinen) Voraussetzungen für die Erteilung von Visa. Diese Bestimmung lautet samt Überschrift (auszugsweise):

"Erteilung von Visa

§ 21. (1) Visa dürfen einem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn

3. öffentliche Interessen der Erteilung des Visums nicht entgegenstehen, es sei denn, die Interessen des Fremden an der Erteilung des Visums wiegen schwerer, als die öffentlichen Interessen, das Visum nicht zu erteilen

...

(5) Öffentliche Interessen stehen der Erteilung eines Visums insbesondere dann entgegen, wenn

...

6. Grund zur Annahme besteht, der Fremde werde außer im Rahmen von Geschäftsreisen oder in den Fällen des § 24 eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet beabsichtigen;

..."

Der von der belangten Behörde herangezogene Versagungsgrund des § 21 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 5 Z 6 FPG ist (u.a.) dann verwirklicht, wenn der Fremde nicht eine nach § 24 Abs. 1 Z 1 FPG zulässige vorübergehende selbständige, sondern eine (etwa mangels Vorliegens einer nach dem AuslBG erforderlichen Bewilligung) unerlaubte unselbständige Erwerbstätigkeit beabsichtigt (vgl. den schon genannten Beschluss Zl. 2007/21/0216).

Die belangte Behörde hat bei der Begründung dieser Annahme im angefochtenen Bescheid zunächst auf die im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. November 2007, Zl. 2007/09/0231, dargelegten Kriterien zur Abgrenzung einer arbeitnehmerähnlichen von einer selbständigen Tätigkeit Bezug genommen. Entscheidend sei demnach für die Frage der Arbeitnehmerähnlichkeit die wirtschaftliche Unselbständigkeit, derentwegen eine Person, die im Auftrag und für Rechnung einer anderen Person Arbeit leiste, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, sich in einer einem Arbeitnehmer ähnlichen wirtschaftlichen Abhängigkeit befindet. Der "Arbeitnehmerähnliche" sei jedenfalls nicht notwendigerweise persönlich vom Empfänger der Arbeitsleistung abhängig. Seine wirtschaftliche Unselbständigkeit, derentwegen er als arbeitnehmerähnlich zu qualifizieren sei, müsse eher darin erblickt werden, dass er unter ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen wie ein Arbeitnehmer tätig und daher insofern vom Empfänger der Arbeitsleistung wirtschaftlich abhängig sei. Abzustellen sei daher auf die Gesamtheit der wirtschaftlichen und organisatorischen Verknüpfungen - von der Beistellung der Wohnmöglichkeit bis zur angestrebten, durch die Tätigkeit als Prostituierte erreichten Steigerung der Attraktivität der "betriebenen Anlage".

Im Fall der Beschwerdeführerin sei durch die C-GmbH mittels einer Arbeits- und Einkommensbestätigung ein monatliches Einkommen der Beschwerdeführerin in der Höhe von ca. EUR 2.100,-- bestätigt worden. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführerin "von diesem Etablissement" eine unentgeltliche Wohnmöglichkeit "in einer Firmenunterkunft" zugesichert worden. Dieser Umstand lasse - so folgerte die belangte Behörde - den Schluss zu, dass die Beschwerdeführerin in wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit zu ihrem zukünftigen Arbeitgeber stehe. Es sei daher berechtigterweise von einem Dienstverhältnis oder von einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, somit von einer Beschäftigung iSd § 2 Abs. 2 AuslBG, auszugehen. Daran könnten auch die Angaben der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 24. Juni 2008 hinsichtlich der angeblichen selbständigen Erwerbstätigkeit und die vorgelegte Teilversicherungsbestätigung der Sozialversicherungsanstalt nichts ändern.

Die belangte Behörde komme daher zu dem Ergebnis, dass für den angestrebten Reisezweck einer unselbständigen Erwerbstätigkeit eine entsprechende arbeitsrechtliche Bewilligung erforderlich wäre, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Die Beschwerde wendet sich der Sache nach nur gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Sie kritisiert, die belangte Behörde habe sich lediglich auf eine unpassende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, der ein anderer Sachverhalt zu Grund gelegen sei, sowie auf die Wohnmöglichkeit der Beschwerdeführerin und die Einkommensbestätigung gestützt, ohne dass daraus die richtigen Schlüsse gezogen worden wären. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Stellungnahme vom 24. Juni 2008 ausführlich dargelegt, dass sie das wirtschaftliche Risiko selbst trage, nicht zeit- und weisungsgebunden und auch nicht arbeitsplatzgebunden sei. Sie sei persönlich, organisatorisch, zeitlich und wirtschaftlich niemandem unterstellt, sondern völlig unabhängig. Die C-GmbH schreibe ihr nichts vor; die Beschwerdeführerin sei auch nicht an eine etwaige Getränkekonsumation oder ähnliches gebunden. Die Wohnmöglichkeit sei ihr nur vorübergehend angeboten worden, eine Wohnmöglichkeit für längere Dauer, die eine Art Lohn darstellen würde, sei gegenständlich nicht gegeben. Sie habe nur der Überbrückung dienen sollen, bis sich die Beschwerdeführerin nach ihrer Einreise selbst eine eigene Wohnung suchen könne. Die Prostituierten könnten lediglich für ein paar Wochen oder ein bis zwei Monate anfangs dort nächtigen. Auf diese für eine selbständige Erwerbstätigkeit sprechenden Argumente sei die belangte Behörde nicht eingegangen.

Das trifft insofern nicht zu, als die belangte Behörde das Vorbringen in der Stellungnahme vom 24. Juni 2008 in ihre Beurteilung ausdrücklich einbezogen und es - wegen der aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bestätigungen gezogenen beweiswürdigenden Schlüsse - erkennbar für nicht stichhältig angesehen hat. Entgegen der Meinung in der Beschwerde ist die Beweiswürdigung der Behörde vom Verwaltungsgerichtshof aufgrund seiner insoweit eingeschränkten Kontrollbefugnis aber nicht auf ihre konkrete Richtigkeit zu überprüfen, sondern nur auf ihre Schlüssigkeit (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2008/09/0259, Punkt III. 4.).

Die Annahme der belangten Behörde, die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bestätigungen indizierten ihre wirtschaftliche Unselbständigkeit und es sei daher von einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis (iSd § 2 Abs. 1 Z 2 AuslBG) auszugehen, kann aber nicht als unschlüssig erkannt werden. Der von der C-GmbH ausgestellten und firmenmäßig gefertigten Bestätigung vom 9. Juni 2006 lässt sich nämlich entnehmen, dass sie der Beschwerdeführerin an der Adresse ihres Club-Betriebes eine Wohnung als "Firmenunterkunft" unter Bereitstellung von Einrichtungsgegenständen kostenlos "vermietet". Eine zeitliche Einschränkung - wie sie nun in der Beschwerde erstmals behauptet wird - ist der Bestätigung nicht zu entnehmen. Das musste aber von der belangten Behörde auch nicht unterstellt werden, sollte diese Bestätigung doch offenbar dem Nachweis für das Bestehen einer Unterkunftsmöglichkeit während der gesamten Aufenthaltsdauer in Österreich (von längstens sechs Monaten) dienen. Die weitere von der belangten Behörde ins Treffen geführte und ebenfalls dem Visumsantrag angeschlossene Urkunde weist im Kopf die C-GmbH aus, ist ausdrücklich als "Arbeits- und Einkommensbestätigung" bezeichnet, von der C-GmbH firmenmäßig gefertigt und lautet dahin, dass "wir bestätigen", die Beschwerdeführerin werde "in unserem Betrieb" ab Erteilung eines Aufenthaltstitels als selbständige Prostituierte tätig sein und habe "monatlich ca. EUR 2.100,-- netto Einnahmen zu erwarten". Nun kann der belangten Behörde aber nicht entgegen getreten werden, wenn sie angesichts dieser Formulierungen davon ausging, die Beschwerdeführerin werde im Betrieb der C-GmbH unter ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen wie ein Arbeitnehmer tätig sein und dort "Nettoeinnahmen" erzielen. Demgegenüber kann aus dem in der Stellungnahme vom 24. Juni 2008 in den Vordergrund gestellten Beweismittel, nämlich der Bestätigung der Gewerblichen Sozialversicherungsanstalt vom 9. Juni 2006, kein zwingender Rückschluss auf die tatsächlichen Verhältnisse gezogen werden, ergibt sich doch daraus nur, dass die Beschwerdeführerin ab Visumserteilung in der Krankenversicherung nach dem GSVG pflichtversichert sei.

Der Beschwerde ist es somit nicht gelungen, eine Unschlüssigkeit in Bezug auf die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin strebe in Wahrheit eine unselbständige Erwerbstätigkeit an, für die eine Bewilligung nach dem AuslBG erforderlich wäre, darzutun. Besondere Gesichtspunkte, die zugunsten der Beschwerdeführerin bei der Interessenabwägung nach § 21 Abs. 1 Z 3 FPG zu berücksichtigen gewesen wären, zeigt die Beschwerde nicht auf. Davon ausgehend erweist sich die Versagung des von der Beschwerdeführerin beantragten Visums nicht als rechtswidrig.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. August 2011

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