VwGH 2008/21/0248

VwGH2008/21/024822.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. September 2007, Zl. 315.745/2- III/4/2007, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §47 Abs3 Z3;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §47 Abs3 Z3;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1984 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina. Er reiste am 18. März 2006 mit einem Visum C, gültig bis zum 13. April 2006, nach Österreich ein und stellte hier noch vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" nach § 47 Abs. 3 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Als Zusammenführende machte er seine Mutter, eine österreichische Staatsbürgerin, namhaft, die ihm bereits während seines Aufenthaltes in Bosnien-Herzegowina Unterhalt geleistet habe.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 26. September 2007 wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den genannten Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der gegenständliche Antrag als Erstantrag zu werten sei. Im Hinblick darauf stehe die genannte Bestimmung der Bewilligung des Antrages entgegen, weil der Beschwerdeführer nicht zur Inlandsantragstellung berechtigt sei und sich seit 14. April 2006 nicht rechtmäßig im Inland aufhalte.

Humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG könnten - so die belangte Behörde weiter - nicht erkannt werden, weil keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts behauptet worden sei und auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass Leben oder Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wären. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung dieser Bestimmung auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. März 2008, B 1950/07-7, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass er noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handle, begegnet somit keinen Bedenken. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise im Ausland einzubringen und ist deren Erledigung dort abzuwarten. Diese Erfolgsvoraussetzung hat der Beschwerdeführer unstrittig nicht erfüllt, es liegt auch keiner der lt. § 21 Abs. 2 NAG zur Inlandsantragstellung berechtigenden Ausnahmefälle vor.

Das Recht, den Antrag im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber im Inland abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland - einschließlich des Abwartens der Entscheidung über den Antrag im Inland - zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2008/21/0519).

Vor diesem Hintergrund zeigt die Beschwerde zu Recht auf, dass die Auffassung der belangten Behörde, ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei entbehrlich, nicht zutreffend ist. Durch diese verfehlte Auffassung wird der Beschwerdeführer jedoch letztlich nicht in Rechten verletzt. Zunächst ist nämlich nicht zu sehen, was ihn daran gehindert hätte, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor seiner Einreise nach Österreich - und nicht ca. zwei Wochen danach - zu stellen und damit dem Gebot der "Auslandsantragstellung" Rechnung zu tragen. Mit dem Hinweis auf die "derzeit geltende Vollzugspraxis im Aufenthaltsrecht" vermag er jedenfalls keinen seine Vorgangsweise rechtfertigenden Grund aufzuzeigen. Alle geltend gemachten Bindungen (insbesondere das Familienleben mit Mutter und Bruder) sind dann aber unter Missachtung dieses Gebots und im erkennbaren Wissen um die Rechtswidrigkeit des inländischen Aufenthalts im Wesentlichen nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des erteilten Visums (13. April 2006) begründet worden. Sie sind in Anbetracht der Volljährigkeit des Beschwerdeführers und seines insgesamt noch nicht sehr langen inländischen Aufenthalts schließlich nicht so ausgeprägt, dass akzeptiert werden müsste, dass unter Missachtung der Regelungen des NAG vollendete Tatsachen ("fait accompli") geschaffen werden. Im Ergebnis kann daher nicht davon die Rede sein, dass eine Abwägung nach Art. 8 EMRK ergeben hätte können, es sei die Inlandsantragstellung nach § 74 NAG zuzulassen. Von daher unterscheidet sich der vorliegende Fall - ungeachtet zum Teil identer Bescheidformulierungen - von jenem, der dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/21/0238, zugrunde liegt. Vielmehr handelt es sich um eine ähnliche Konstellation, wie sie im hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2008/21/0227, zu beurteilen war.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer ergänzend geltend, die belangte Behörde hätte von Amts wegen ermitteln müssen, ob seine zusammenführende Mutter von der ihr gemeinschaftsrechtlich zustehenden Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe. Dass dies der Fall sei, wird aber nicht einmal in der Beschwerde behauptet. Von daher legt der Beschwerdeführer schon die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dar, abgesehen davon, dass sein Antrag von vornherein und unmissverständlich auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 3 Z 3 NAG - und nicht auf den in der Beschwerde in diesem Zusammenhang angesprochenen § 57 NAG - gerichtet war. Auch unter diesem Aspekt haftet dem bekämpften Bescheid daher keine Rechtswidrigkeit an, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. März 2011

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