VwGH 2007/18/0696

VwGH2007/18/069615.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des M E in W, geboren am 25. April 1983, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Juli 2007, Zl. SD 612/06, betreffend Rückkehrverbot, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §12;
AsylG 2005 §13;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs4;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwRallg;
AsylG 2005 §12;
AsylG 2005 §13;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs4;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. Juli 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 15. Dezember 2000 illegal in das Bundesgebiet gelangt und habe einen Asylantrag gestellt, der erstinstanzlich als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden sei. Das diesbezügliche Berufungsverfahren sei anhängig.

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 22. August 2002 sei er nach § 27 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon fünf Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Er habe am 22. Juli 2002 eine große Menge Suchtgift, und zwar 435g Heroin und 330,5g Kokain, mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde. Darüber hinaus habe er von Juni 2002 bis Mitte Juli 2002 in mehrfachen Angriffen Cannabisharz und Kokain zum Eigenkonsum erworben und besessen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Juli 2004 sei er nach § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG rechtskräftig zu einer Zusatz(-freiheits)strafe von 18 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt worden. Er sei als Transporteur in Suchtgiftgeschäfte eingebunden gewesen und habe am 26. Mai 2002 400g Kokain und am 10. Juni 2002 200g Kokain, welches aus den Niederlanden gekommen sei, an einen Suchtgifthändler in Österreich überbracht. Für diese Transportleistungen habe er jeweils 300,-- Euro erhalten. Er habe dabei in der Absicht gehandelt, sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Sachverhalt sei erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erlassung des Rückkehrverbotes seien - vorbehaltlich des § 66 FPG - im Grund des § 62 Abs. 1 FPG gegeben. Die Zulässigkeit des Rückkehrverbotes sei auch nach § 86 Abs. 1 FPG zu prüfen. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit tatsächlich, gegenwärtig und erheblich und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Angesichts der Schwere seiner Tathandlungen lasse auch sein Wohlverhalten im seither vergangenen Zeitraum eine andere Bewertung nicht zu.

Der Beschwerdeführer sei seit 3. Mai 2004 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und für zwei Kinder aus dieser Ehe sorgepflichtig. Sonstige familiäre Bindungen zum Bundesgebiet bestünden nicht. Es sei von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier:

zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, und zum Schutz der Gesundheit Dritter - dringend geboten sei. Das Rückkehrverbot sei iSd § 66 Abs. 1 FPG zulässig.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 FPG sei auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Diese wiege nicht schwer, weil er lediglich auf Grund des gestellten Asylantrages zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt gewesen sei. Die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente sei durch sein schwerwiegendes strafbares Verhalten an Gewicht gemindert. Seine familiären Bindungen seien nicht zu unterschätzen, würden jedoch in ihrem Gewicht dadurch relativiert, dass er zum Zeitpunkt seiner Eheschließung nicht rechtmäßig niedergelassen gewesen sei und nicht unbedingt mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels habe rechnen dürfen.

Den insgesamt zwar gewichtigen, jedoch keinesfalls besonders ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers stehe das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Die Auswirkungen des Rückkehrverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fernbleibe. Das Rückkehrverbot sei auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig. Dabei sei auch darauf Bedacht genommen worden, dass er - wenn auch eingeschränkt - den Kontakt zu seiner Ehefrau vom Ausland aus aufrecht erhalten könne. Diese Beschränkung werde er im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu tragen haben.

Mangels sonstiger besonders zu seinen Gunsten sprechender Umstände habe die Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Rückkehrverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Das Rückkehrverbot sei mit zehn Jahren zu befristen, weil im Hinblick auf das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers einerseits und seiner Lebenssituation andererseits vor Ablauf dieser Frist nicht erwartet werden könne, dass die für die Erlassung des Rückkehrverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf dem Boden der insoweit unstrittigen Feststellungen handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen Asylwerber, der mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist. Daher erweist sich die (unbekämpfte) Auffassung der belangten Behörde, dass sie im Beschwerdefall die für Asylwerber maßgebliche Regelung des § 62 FPG iVm den für den Beschwerdeführer als Ehemann einer Österreicherin relevanten Regelungen der §§ 87 und 86 leg. cit. anzuwenden hatte, als zutreffend (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. September 2006, Zl. 2006/18/0186).

2. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid genannten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen und das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten. Er hat - wie die Verurteilungen vom 22. August 2002 und vom 7. Juli 2004 zeigen - wiederholt Suchtgifte besessen, transportiert und erworben. Dabei ging er in der Absicht vor, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (Gewerbsmäßigkeit gemäß § 70 StGB). Der Beschwerdeführer hat durch dieses Fehlverhalten gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität, bei der es sich um eine besonders gefährliche Art der Kriminalität handelt, verstoßen. Angesichts des gravierenden, gegen das SMG gerichteten Fehlverhaltens stellt der weitere inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerde eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft (hier: an der Verhinderung der besonders gefährlichen Suchtgiftkriminalität) berührt. Daher begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.

Wenn die belangte Behörde das Rückkehrverbot auch auf § 62 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG gestützt hat, so bewirkt dies für sich keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers, weil bei der Beurteilung der Frage, ob im Grund des § 87 FPG gegen einen Familienangehörigen ein Rückkehrverbot zu erlassen ist, auf den Katalog des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 2006/18/0186).

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 62 Abs. 3 iVm § 66 FPG hat die belangte Behörde zu Gunsten des Beschwerdeführers die Dauer seines inländischen Aufenthalts und das Familienleben mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern berücksichtigt. Zu Recht hat sie auf die aus den Straftaten, die die mangelnde Verbundenheit des Beschwerdeführers mit den in Österreich geschützten Werten zeigen, resultierende Minderung der Integration in ihrer sozialen Komponente hingewiesen. Ebenso zutreffend hat die belangte Behörde die Beziehung zur Ehefrau und zu den beiden Kindern als relativiert angesehen, weil der Beschwerdeführer seine familiären Bindungen zu einem Zeitpunkt begründet hat, zu dem er nicht mit einem Recht, sich in Österreich aufzuhalten, rechnen konnte.

Den insgesamt dennoch beachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die oben dargestellte, aus dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Unter gehöriger Abwägung dieser Interessenlage kann die Ansicht der belangten Behörde, dass das Rückkehrverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), nicht als rechtswidrig erkannt werden.

4. Zum Beschwerdevorbringen, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil die belangte Behörde das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot als Rückkehrverbot bestätigt habe, ist auszuführen, dass es sich bei einem Rückkehrverbot und einem Aufenthaltsverbot insofern um die selbe Sache des Verwaltungsverfahrens handelt, als ein Rückkehrverbot gegen Asylwerber in Verbindung mit einer Ausweisung nichts anderes als die korrespondierenden Maßnahmen zu einem Aufenthaltsverbot gegen Nicht-Asylwerber darstellen. Nach dem zweiten Satz des § 62 FPG führt die Erlassung eines Rückkehrverbotes zum Verlust jeglichen Aufenthaltsrechts. Den davon betroffenen Asylwerber verbleibt - wie der Verweis auf § 13 letzter Satz AsylG 2005 klarstellt - lediglich der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005. Mit einem Rückkehrverbot gegen einen Fremden wird daher nicht ausgesprochen, dass dieser aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird. Nach dem Verlust der Stellung des Fremden als Asylwerber ist die fremdenpolizeiliche Ausweisung vielmehr noch erforderlich, um das Rückkehrverbot rechtskräftig durchzusetzen, wonach es gemäß § 62 Abs. 4 FPG als Aufenthaltsverbot gilt. Mit dem Rückkehrverbot steht - sofern zwischenzeitig keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist - bindend fest, dass der Fremde dadurch, dass ihm jegliches Aufenthaltsrecht in Österreich abgesprochen wird, nicht in seinen durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2008/18/0524). Gegen die Bestätigung eines erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes, dem eine Ausweisung innewohnt, als Rückkehrverbot, dem eine Ausweisung folgt, bestehen sohin auch in Anbetracht dessen, dass in beiden Fällen eine Prüfung iSd § 66 FPG und damit des Art. 8 EMRK zum maßgeblichen Zeitpunkt vorzunehmen ist, keine Bedenken (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2008, Zl. 2008/18/0749, dem eine Bestätigung eines erstinstanzlichen Rückkehrverbots als Aufenthaltsverbot zu Grunde lag).

5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. Dezember 2009

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