VwGH 2007/18/0564

VwGH2007/18/056412.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des M K in W, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Mekis, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Juni 2007, Zl. SD 1653/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80;
AVG §48 Z1;
EheG §55a;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z6;
FrPolG 2005 §63;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
EMRK Art8;
ARB1/80;
AVG §48 Z1;
EheG §55a;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z6;
FrPolG 2005 §63;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren.

Der Beschwerdeführer habe am 24. September 2003 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und anschließend einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck der Familiengemeinschaft mit seiner österreichischen Ehefrau bei der österreichischen Botschaft in A eingebracht. Zunächst sei ihm ein Aufenthaltstitel bis 20. Dezember 2004 erteilt worden.

Einem Bericht (des Bezirkspolizeikommissariats Wien Landstraße der Bundespolizeidirektion Wien) vom 16. Jänner 2004 zufolge sei die angebliche Ehewohnung laut Auskunft des zuständigen Hausverwalters leer gestanden, weshalb ein Verfahren zur amtlichen Abmeldung eingeleitet worden sei.

Im Zuge einer Vernehmung vor der Bundespolizeidirektion Wien habe die Ehefrau des Beschwerdeführers am 8. Februar 2004 zugegeben, mit dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe eingegangen zu sein und habe detailliert die Anbahnung und Abwicklung der Eheschließung durch T S. und H I. gegen ein Honorar von EUR 6.000,-- sowie ihre Beweggründe dafür beschrieben.

In seinen Stellungnahmen vom 19. Mai 2004 und vom 27. Oktober 2005 habe der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten und eheliche Probleme mit der Drogensucht seiner Ehefrau begründet. Er sei jedoch bereit, mit seiner Ehefrau bei der Behörde vorzusprechen und eine Aussage zu machen. Dazu ersuche er um eine Vorladung.

Am 13. Dezember 2005 habe die Ehefrau des Beschwerdeführers - nach anfänglichem Leugnen - in einer niederschriftlichen Vernehmung ihre Aussagen vom 8. Februar 2004 bestätigt. Sie habe mit dem Beschwerdeführer nie zusammengelebt, sondern lebe mit ihrem Lebensgefährtin T W. zusammen. Ihr anfängliches Leugnen habe sie damit erklärt, dass sie vom Beschwerdeführer, dessen Onkel und H I. unter Druck gesetzt worden sei. Diese wüssten, wo sie und ihr Lebensgefährte wohnten und hätten sich dessen "Autonummer" notiert.

In der niederschriftlichen Vernehmung vom 23. Jänner 2006 habe der Beschwerdeführer unumwunden zugegeben, dass er mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Scheinehe eingegangen sei. In der T habe er Probleme und keinen Job gehabt, zwei Ansuchen auf Erteilung eines Visums seien bereits "abgelehnt" worden. Sein Vater habe dann mit jemandem aus seinem Dorf, der schon länger in Österreich lebe, Kontakt aufgenommen, der "mit einem Ehevermittler alles weitere organisiert" habe; habe sein Vater EUR 6.500,-- nach W überwiesen. Der Beschwerdeführer wisse auch nicht, wo seine Ehefrau in W wohne, er habe lediglich telefonischen Kontakt mit ihr. Er habe die Ehe nur zum Schein geschlossen, damit er fremdenrechtliche Vorteile erhalten könne. Das Gespräch sei durch einen Dolmetscher übersetzt worden.

In der Berufung sei das Vorliegen einer Aufenthaltsehe jedoch wieder bestritten worden.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, angesichts der Erhebungsergebnisse und der Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau stehe fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Die Berufungsausführungen seien angesichts der Aussage des Beschwerdeführers vom 23. Jänner 2006 nicht nachvollziehbar. Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sei erfüllt. Auch die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes seien im Grunde des § 87 iVm § 86 FPG - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 leg. cit. - gegeben.

Anschließend führte die belangte Behörde aus, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG auch zulässig sei.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes für die Dauer von zehn Jahren stehe mit § 63 FPG im Einklang. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführer könne - selbst unter Bedachtnahme auf dessen private Situation - ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

1. Die Beschwerde rügt die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die belangte Behörde, weil diese die Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers - trotz deren Drogenabhängigkeit, was letztlich zur einvernehmlichen Auflösung der Ehe gemäß § 55a Ehegesetz geführt habe - dennoch "kritiklos" ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt habe. Die belangte Behörde wäre auch dazu verhalten gewesen, T S. und H I. zu laden und zum Sachverhalt zu befragen. Daraus hätte sich ergeben, dass eine gültige Ehe geschlossen und ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt worden wäre. Die belangte Behörde sei ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung und Gewährung des Parteiengehörs nicht in dem gesetzlich erforderlichen Ausmaß nachgekommen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers hat in ihren Aussagen am 8. Februar 2004 und am 13. Dezember 2005 detailliert und nachvollziehbar die Anbahnung und Abwicklung der Aufenthaltsehe beschrieben sowie ihre Beweggründe dargelegt. Bei ihrer Vernehmung im Dezember 2005 hat sie auch nachvollziehbar begründet, dass sie anfangs nicht die Wahrheit gesagt habe, weil sie vom Beschwerdeführer, dessen Onkel und H I. unter Druck gesetzt worden sei. Dass die Ehefrau des Beschwerdeführers gemäß § 48 Z. 1 AVG nicht hätte vernommen werden dürfen, behauptete der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde. Solches ist auch den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels wird somit nicht aufgezeigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2007/18/0840).

Wenn die Beschwerde versucht, das in der niederschriftlichen Vernehmung vom 23. Jänner 2006 vom Beschwerdeführer selbst eingestandene Eingehen einer Aufenthaltsehe dadurch zu entkräften, dass die als Dolmetsch beigezogene Person weder gerichtlich noch von der Erstbehörde beeidet worden sei, reicht alleine dieses Vorbringen nicht aus, um die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen.

Abgesehen davon, dass die Vernehmung von T S. und H I. in der Berufung gar nicht beantragt wurde, legt die Beschwerde demgegenüber nicht substanziiert dar, welche konkreten Angaben die Zeugen zur Frage des Vorliegens eines gemeinsamen Familienlebens zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau hätten machen können; somit wurde die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels auch in diesem Zusammenhang nicht dargetan.

Im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion besteht auch kein Recht auf eine Berufungsverhandlung und kein Recht darauf, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 2010, Zl. 2007/18/0736, mwN). Der Beschwerdeführer hatte jedoch ausreichend Gelegenheit, sich in seiner Berufung Parteiengehör zu verschaffen.

In Anbetracht der Ermittlungsergebnisse begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe eingegangen sei, also mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf diese Ehe berufen habe, keinen Bedenken.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Voraussetzungen des hier infolge § 87 FPG maßgeblichen § 86 Abs. 1 FPG gegeben, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

3. Im Zusammenhang mit der von der belangten Behörde von fünf auf zehn Jahre verlängerten Gültigkeitsdauer des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes bestreitet der Beschwerdeführer, dass dies gerechtfertigt sei. Er habe sich seit Eingehen der Ehe im September 2003 wohlverhalten. Da die zehnjährige Aufenthaltsdauer erst mit Eintritt der Durchsetzbarkeit des angefochtenen Bescheides zu laufen beginne, wäre das verhängte Aufenthaltsverbot bis nahezu 14 Jahre nach Eheschließung wirksam. Ein derart langer Beobachtungszeitraum vor dem Wegfall der maßgeblichen Gefahr sei nicht erforderlich.

Die belangte Behörde hat unter Hinweis auf das erhebliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers schlüssig begründet, weshalb sie gemäß § 63 FPG eine zehnjährige Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes für erforderlich erachtet. Die Beschwerde zeigt in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer bis zuletzt das Eingehen einer Aufenthaltsehe bestritten hat, keine Umstände auf, auf Grund derer eine kürzere Dauer des Aufenthaltsverbotes zu verhängen gewesen wäre. Im Übrigen irrt die Beschwerde, wenn sie die Ansicht vertritt, im Geltungsbereich des FPG sei nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für den Fall des Eingehens einer Aufenthaltsehe immer ein Beobachtungszeitraum für den Wegfall der maßgeblichen Gefahr von etwa fünf Jahren ausreichend. Dabei übersieht sie nämlich, dass die zum Fremdengesetz 1997 - FrG ergangene hg. Judikatur, wonach eine allein aus dem besagten Rechtsmissbrauch durch Eingehen einer Scheinehe resultierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung als weggefallen zu betrachten war, wenn der Sachverhalt bereits mehr als fünf Jahre zurücklag, für den Anwendungsbereich des FPG nicht übernommen wurde, weil dies in einen Wertungswiderspruch zu § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG geraten würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, Zl. 2007/18/0441, mwN).

4. Schließlich zeigt das Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm komme die Rechtsstellung im Sinn des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 1. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zu, weshalb der Unabhängige Verwaltungssenat Wien über die Berufung zu entscheiden gehabt hätte, schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil einem Fremden selbst in dem Fall, dass er den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten hat, die Begünstigung nach ARB nicht zu Gute kommt, wenn er - wie hier - diesen Zugang rechtsmissbräuchlich im Wege einer Scheinehe erlangt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2010, Zl. 2007/18/0161, mwN). Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG hat die Sicherheitsdirektion somit zutreffend ihre Zuständigkeit wahrgenommen.

5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 12. April 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte