VwGH 2006/21/0360

VwGH2006/21/036028.6.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des C, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 11. Juli 2006, Zl. Senat-FR-06-0061, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §19 Abs1;
AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §34b;
AsylG 1997;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
AsylG 2005 §75 Abs1;
AsylG 2005;
AsylGNov 2003;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §124 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 1997 §19 Abs1;
AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §34b;
AsylG 1997;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
AsylG 2005 §75 Abs1;
AsylG 2005;
AsylGNov 2003;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §124 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 21. Juni 2006 ordnete der Magistrat der Stadt Krems an der Donau gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) zur Sicherung der Abschiebung an. Die erstinstanzliche Behörde begründete dies im Wesentlichen mit einem Hinweis auf eine rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 20. Juni 2006. Weiters sei gemäß "Schreiben des Bundesasylamtes,

Außenstelle Linz, vom 16.6.2006 ... gegen den Fremden die

Ausweisung erlassen" worden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Schubhaftbeschwerde wies der Beschwerdeführer u.a. darauf hin, dass er im November 2004 eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe; das Asylverfahren sei anhängig.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2006 wies die belangte Behörde die Schubhaftbeschwerde ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Nach Wiedergabe der Bestimmung des § 76 Abs. 1 und 2 FPG führte die belangte Behörde aus, dass mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Juni 2006 der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. die Ausweisung verfügt worden sei. Wenngleich die Ausweisung nach dem Asylgesetz 1997 verfügt worden sei und somit keinen Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG darstelle, "so stellt diese aber jedenfalls eine Ausweisung (iSd) § 76 Abs. 1 FPG dar, da auf Grund der verfügten Ausweisung jedenfalls die Anordnung der Schubhaft erforderlich ist, um die Abschiebung zu sichern". Weiters sei die Schubhaft nicht bloß auf die Tatsache der Ausweisung, sondern auch auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung gestützt worden. Die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft sei "insbesondere" auch gemäß § 76 Abs. 1 FPG erforderlich, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt "ihrer" Durchsetzbarkeit zu sichern. Die Anwendung gelinderer Mittel komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer im Inland weder beruflich noch sozial verankert sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die §§ 1, 76 und 124 FPG lauten auszugsweise:

"Anwendungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetiteln.

(2) Auf Asylwerber (§ 2 Z 14 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100) sind die §§ 41 bis 43, 53, 58, 68, 69, 72 und 76 Abs. 1 nicht anzuwenden. Ein vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eingeleitetes Aufenthaltsverbotsverfahren ist nach Stellung eines solchen Antrages als Verfahren zur Erlassung eines Rückkehrverbotes weiterzuführen. Es ist nur über das Rückkehrverbot abzusprechen. Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, sind darüber hinaus die §§ 39, 60 und 76 nicht anzuwenden. Die Durchsetzung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Asylwerber ist erst zulässig, wenn die Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 durchgesetzt werden kann. Ein Rückkehrverbot kann gegen einen Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, erlassen werden.

Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist

oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

....

Verweisungen

§ 124. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Verweise auf andere Rechtsnormen beziehen sich auf die Rechtsnorm zum Zeitpunkt der Kundmachung des Verweises nach diesem Bundesgesetz.

(2) Soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verwiesen wird, treten an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Die Beschwerde weist - wie schon die Schubhaftbeschwerde - darauf hin, dass das Asylverfahren gegen den Beschwerdeführer offen sei; seit Juni 2006 sei eine Berufung beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig.

Dessen ungeachtet traf die belangte Behörde keine Feststellungen, ob das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist oder ob diesem weiterhin die Stellung eines Asylwerbers zukommt. Indem sie die Ansicht vertrat, dass die Schubhaft jedenfalls auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt werden könne, verkannte sie die Rechtslage.

Gemäß der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen (Asyl-)Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) zu Ende zu führen. Das AsylG sah idF der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, die Zulässigkeit einer Schubhaft (nur) unter den Voraussetzungen seines § 34b vor. Hingegen fanden gemäß § 21 Abs. 1 AsylG auf Fremde, die faktischen Abschiebeschutz iSd § 19 Abs. 1 leg. cit genießen oder denen als Asylwerber eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt wurde, u.a. die Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 (FrG) über die Schubhaft keine Anwendung. In diesen asylrechtlichen "Altfällen" kommt die Verweisungsnorm des § 124 Abs. 2 FPG zum Tragen, derzufolge an die Stelle der von der Anwendung auf Asylwerber ausgenommenen Bestimmungen des FrG diejenigen des FPG treten. Somit sind die Bestimmungen des FPG über die Schubhaft auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 zu Ende zu führen sind, - von der im Folgenden genannten Ausnahme abgesehen - grundsätzlich nicht anwendbar.

Mit diesem Ergebnis im Einklang stehen die in § 76 Abs. 2 FPG normierten Voraussetzungen für die Verhängung von Schubhaft gegen Asylwerber, die inhaltlich mehrfach ausdrücklich auf das AsylG 2005 verweisen und schon vom Begriff "Asylwerber" her (§ 1 Abs. 2 FPG) nur solche nach dem AsylG 2005 ansprechen.

Während somit gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 die Bestimmung des § 34b AsylG auf "Altfälle" nach der AsylG-Novelle 2003 weiter anwendbar ist (so auch Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, § 76 FPG Anm. 7), enthält das FPG keine Norm, die seine Bestimmung über die Schubhaft (§ 76) auch auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem AsylG zu Ende zu führen sind, für anwendbar erklärt (vgl. schon das hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, Zl. 2006/21/0039). Anders gelagert sind die von der Ausnahmeregel des § 75 Abs. 1 vierter Satz iVm § 27 AsylG 2005 umfassten Fälle, in denen das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 nach § 76 Abs. 2 FPG unter der in solchen Fällen maßgeblichen weiteren Voraussetzung des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG mit Schubhaft gesichert werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0382). Im Übrigen hätte die auf § 27 AsylG 2005 bezogene Übergangsbestimmung wenig Sinn, wenn § 76 Abs. 2 FPG ohnehin auch in "Altverfahren" zur Anwendung käme.

Dazu kommt, dass § 76 Abs. 1 FPG grundsätzlich nicht auf Asylwerber angewendet werden kann (Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, FPG Anm. 8), was sich - wie dargelegt - bei Asylwerbern nach dem AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 aus § 21 Abs. 1 leg. cit. und bei solchen nach dem AsylG 2005 aus § 1 Abs. 2 FPG ergibt.

Ein Rückgriff auf § 76 Abs. 1 FPG käme nur in jenen Fällen in Betracht, in denen das Asylverfahren nach den Bestimmungen des AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003 zu Ende zu führen ist (vgl. § 21 Abs. 1 AsylG in der Stammfassung iVm § 124 Abs. 2 FPG). Nur in diesem Sinn könnte der dort abschließend vertretenen Ansicht von Vogl/Taucher/Bruckner/Marth/Doskozil, Fremdenrecht, § 76 Z 3, gefolgt werden, wonach die Anwendung der Normen des § 34b AsylG und des § 76 FPG "nebeneinander" (im Sinn von: eine von beiden Bestimmungen je nach dem Zeitpunkt der Asylantragstellung) auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem AsylG zu Ende geführt werden, "vertretbar" erscheine.

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Einbeziehung des von den genannten Autoren vertretenen Arguments, dass im Fremdenrechtspaket 2005 eine Trennung der asylrechtlichen Bestimmungen von den fremdenrechtlichen über die Schubhaft vorgenommen wurde. Maßgeblich ist nämlich nicht die gesetzestechnische Ausgestaltung der neuen Asyl- und Fremdengesetze, sondern der Inhalt der Übergangsbestimmungen betreffend die vorhandene Gesetzeslage. Völlig systemwidrig wäre im Übrigen die von den genannten Autoren offensichtlich nicht ausgeschlossene Anwendung des § 76 Abs. 1 FPG, somit also eine Zulässigkeit der Schubhaft ohne weitere Einschränkungen auf alle Asylwerber in "Altfällen" im Gegensatz zu Asylwerbern nach dem AsylG 2005.

Nach dem Gesagten trifft auch die in ZUV 2006/1, 24 (UVS-Slg. 2006/9) im Ergebnis vertretene Ansicht, auf Asylwerber nach dem AsylG sei nun überhaupt keine Schubhaftbestimmung anwendbar, nicht zu. Einzuräumen ist zwar, dass § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf den ersten Blick nur eine Anordnung bezüglich der Gestaltung von Asylverfahren vornimmt. Nichts spricht jedoch dafür, die ausdrücklich für weiterhin anwendbar erklärten Bestimmungen des AsylG in solche mit asylrechtlichem und solche mit fremdenpolizeilichem Inhalt zu trennen und übergangsrechtlich verschieden zu behandeln.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid, weil die in erster Instanz zu Unrecht auf § 76 Abs. 2 FPG gestützte Schubhaft auch nicht auf § 76 Abs. 1 FPG gegründet werden kann, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Juni 2007

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