VwGH 2006/21/0081

VwGH2006/21/008122.6.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der K, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 8. März 2006, Zl. Senat-FR-06-1037, betreffend Anordnung der Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 15. Februar 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen die Anhaltung der Beschwerdeführerin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, in Schubhaft nach Entlassung aus der Strafhaft gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, an, um ihre Abschiebung nach Nigeria zu sichern.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Schubhaftbeschwerde nicht Folge. Zur Begründung führte sie aus, dass die Beschwerdeführerin am 29. November 2001 illegal eingereist sei und am selben Tag einen Asylantrag gestellt habe. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. April 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG abgewiesen worden. Die dagegen eingebrachte Berufung sei vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 5. November 2002 abgewiesen worden und es sei gleichzeitig festgestellt worden, dass gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei. Am 7. Oktober 2002 habe die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet. Mit Urteil vom 3. Februar 2004 sei sie wegen gewerbsmäßigen Handelns mit einer großen Menge Suchtgift als Beteiligte gemäß § 28 Abs. 2, Abs. 3 erster Fall, Abs. 4 Z. 3 SMG und § 12 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Mit Bescheid vom 17. November 2004 habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien im Instanzenzug gegen die Beschwerdeführerin ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die Beschwerdeführerin befinde sich bis voraussichtlich 18. Mai 2006 in Strafhaft.

Die Behörde erster Instanz habe - so die weitere Bescheidbegründung - die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung nach Nigeria verhängt und sich dabei auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt, worin die Möglichkeit der Anhaltung zur Sicherung der Abschiebung ausdrücklich vorgesehen sei. Die Schubhaft habe nicht den Zweck, das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu sichern, weil bereits ein rechtskräftiges unbefristetes Aufenthaltsverbot bestehe. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach § 57 FrG sei von der zuständigen Behörde "wohl zurückzuweisen ..., da § 57 FrG nicht mehr dem Rechtsbestand angehört". Auf Grund des bisherigen Verhaltens der Beschwerdeführerin, dokumentiert durch die vorliegende strafgerichtliche Verurteilung, könne davon ausgegangen werden, dass sie mit den in Österreich geltenden rechtlichen Werten nicht verbunden sei, sodass die Anwendung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG nicht in Betracht komme, weil dadurch nicht sichergestellt werden könne, dass sie nicht Maßnahmen setzt, um ihre Abschiebung zu vereiteln.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten samt Gegenschrift erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

In der Beschwerde wird vorgebracht, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in ihr Heimatland den sicheren Tod bedeuten würde, weil sie dort aus religiösen Gründen (sie sei Christin) verfolgt werde. Seit zwei Jahren sei sie mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet, habe einen aufrechten Wohnsitz in Wien und sei bis zu ihrer Verurteilung polizeilich unauffällig und völlig unbescholten gewesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 76 Abs. 1 FPG lägen nicht vor, weil das Aufenthaltsverbotsverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei und die Anordnung der Schubhaft daher nicht dazu dienen könne, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu sichern. Auch müsse nicht ihre Abschiebung nach Nigeria gesichert werden, weil sie dahingehend rechtsbelehrt worden sei, dass sie "einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach § 57 FrG vornehmen möge". Eine Abschiebung nach Nigeria dürfe nicht vorgenommen werden.

Mit dem Hinweis auf den rechtskräftigen Abschluss des Aufenthaltsverbotsverfahrens wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt, weil die Schubhaft ausdrücklich nur zur Sicherung der Abschiebung und nicht zur Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes angeordnet wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits (im Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301) ausgesprochen, dass eine fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen könne und das Sicherungserfordernis des § 61 Abs. 1 FrG (nunmehr § 76 Abs. 1 FPG) in weiteren Umständen begründet sein müsse, wofür etwa eine mangelnde berufliche oder soziale Verankerung im Inland in Frage käme, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen.

Diesbezüglich hat die belangte Behörde lediglich auf das strafrechtliche Verhalten der Beschwerdeführerin verwiesen, ohne Feststellungen zu einer (etwa aus ihrer Ehe mit einem Österreicher ableitbaren) Integration der Beschwerdeführerin im Inland zu treffen, mag diese auch durch die gravierenden Straftaten der Beschwerdeführerin in ihrem Ausmaß gemindert sein.

Da somit der angefochtene Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das in dieser Verordnung nicht Deckung findende Mehrbegehren war abzuweisen, ebenso im Blick auf die gewährte Verfahrenshilfe der angesprochene Gebührenersatz.

Wien, am 22. Juni 2006

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