VwGH 2006/19/0451

VwGH2006/19/045121.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Gertraud Hofer, Rechtsanwältin in 7400 Oberwart, Hauptplatz 11, Atrium, Top 16A, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Mai 2005, Zl. 257.049/0-III/07/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Spruchpunktes 3. (Ausweisung der Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet"), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation. Sie reiste gemeinsam mit ihrem Halbbruder bereits im Jahr 1994 in das Bundesgebiet ein, stellte aber erst am 19. Oktober 2004 einen Asylantrag. Als Fluchtgrund gab sie zusammengefasst an, ihr Halbbruder werde in Russland von der Mafia bedroht, sie selbst sei in Österreich mehrfach telefonisch von Unbekannten bedroht worden.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 19. Oktober 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) ab (Spruchpunkt 1.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt 2.) und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt 3.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens, in welchem die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt hat, erwogen hat:

Zu I.:

1. Ausgehend von den im hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 17. März 2005, G 78/04 ua. = VfSlg. 17.516, dargestellten Rechtsgrundsätzen haben die Asylbehörden gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ihre den Asylantrag abweisende und Refoulementschutz verneinende Entscheidung im Regelfall mit einer Ausweisung des Asylwerbers in den Herkunftsstaat zu verbinden.

Eine Ausweisung hat jedoch nicht zu erfolgen, wenn dadurch in unzulässiger Weise in die grundrechtliche Position des Asylwerbers eingegriffen wird. Dabei ist auf das Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK Bedacht zu nehmen. In diesem Zusammenhang erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs und verlangt somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. auch hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mwN).

In dem - zu einer Ausweisung nach dem Asylgesetz 2005 - ergangenen Erkenntnis vom 29. September 2007, B 1150/07 = VfSlg. 18.224, führte der VfGH aus, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht. Hiebei nennt der VfGH - jeweils mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR - die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft werde, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung. Letztlich hebt der VfGH hervor, dass auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2010, Zl. 2008/01/0637, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zu den für die Frage der Ausweisung der Beschwerdeführerin in Betracht kommenden Kriterien keine ausreichenden Feststellungen getroffen bzw. die erforderlichen Interessenabwägungen nicht vorgenommen, was aber schon angesichts des im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides elfjährigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich erforderlich gewesen wäre.

Bei der Ausweisung der Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" hat die belangte Behörde überdies verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides war daher wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die Spruchpunkte 1.) und 2). des angefochtenen Bescheides bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerde sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkte 1). und 2). des angefochtenen Bescheides richtet, abzulehnen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. Juni 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte