VwGH 2006/18/0322

VwGH2006/18/03224.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des M K in W, geboren am 20. Dezember 1978, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. März 2006, Zl. SD 1774/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §43 Abs4;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
AVG §43 Abs4;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. März 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9 sowie § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei auf Grund eines Reisevisums nach Österreich eingereist und habe am 23. März 2004 einen Asylantrag gestellt, der am 28. Dezember 2004 (rechtskräftig am 14. Jänner 2005) negativ beschieden und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei sein Aufenthalt nicht mehr gesetzmäßig gewesen.

Am 31. August 2004 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - § 49 Abs. 1 FrG" gestellt und sich dabei auf die am 22. Juni 2004 geschlossene Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin S.K. berufen. Erhebungen hinsichtlich des Verdachtes einer Scheinehe hätten im November 2004 ergeben, dass tatsächlich eine Scheinehe vorliege, für die die Ehefrau einen Betrag von EUR 4.000,-- erhalten habe. Der Beschwerdeführer habe nie bei seiner Frau Unterkunft genommen und auch keine persönlichen Sachen in ihrer Wohnung deponiert. Er sei seit dem 4. März 2004 mit Hauptwohnsitz in W und seit 19. März 2004 mit Nebenwohnsitz bei seiner Ehefrau behördlich gemeldet.

Im Rahmen des Parteiengehörs habe der Beschwerdeführer geantwortet, die Anschuldigung des Eingehens einer Scheinehe sei vollkommen aus der Luft gegriffen, wie durch nachträglich der Behörde übermittelte Fotos belegbar wäre. An der Adresse in W habe er sich deshalb angemeldet, weil dort sein Vater wohne, der alleinstehend und auf die Betreuung des Beschwerdeführers angewiesen sei. Entgegen den Angaben seiner Ehefrau führten sie sehr wohl einen gemeinsamen Haushalt, wobei die Haushaltsführung je nach Arbeitsanfall unter beiden Ehepartnern gleichmäßig aufgeteilt werde.

Bei einer neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme der Ehefrau am 27. Oktober 2005 habe diese sinngemäß angegeben, auf Grund finanzieller Schwierigkeiten die auf Vorschlag einer Freundin vermittelte Scheinehe mit dem Beschwerdeführer eingegangen zu sein und dafür EUR 4.000,-- Bargeld erhalten zu haben. Die Ehe sei nur geschlossen worden, damit der Beschwerdeführer in Österreich bleiben könne. Er habe nie bei ihr, sondern immer bei seinem Vater gewohnt.

Eine weitere Stellungnahme sei seitens des Beschwerdeführers trotz nochmaliger Einräumung der Möglichkeit dazu nicht abgegeben worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die §§ 2 Abs. 4 Z. 11 und 60 Abs. 1 sowie Abs. 2 Z. 9 FPG aus, dass der Beschwerdeführer trotz formal aufrechter Ehe kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei, da seine Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe.

Für die belangte Behörde bestehe kein Grund, die klare, widerspruchsfreie und wiederholt abgegebene Aussage der Ehefrau hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts in Zweifel zu ziehen. Das eher unsubstanziiert gebliebene, bestreitende Vorhaben des Beschwerdeführers trete demgegenüber im Wahrheitsgehalt in den Hintergrund, zumal er ein massives Interesse habe, den Sachverhalt in ein für ihn günstiges Licht zu rücken. Inwieweit die ohnehin gestellt wirkenden Fotos, auf denen der Beschwerdeführer den Arm um die Schultern seiner Ehefrau bzw. deren Kinder lege, einen Beweis oder nur eine Glaubhaftmachung für ein bestehendes Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK liefern sollten, sei für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar. Die Herstellung derartiger Fotos und deren Vorlage bei der Behörde seien gerade typisch für Scheinehen.

Dem Umstand, ob für die Eheschließung ein Vermögensvorteil geleistet worden sei, komme nach der seit 1. Jänner 2006 geltenden Rechtslage keine Bedeutung mehr zu.

Es bestehe daher kein Zweifel, dass das Verhalten des Beschwerdeführers, das den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG voll erfülle, den öffentlichen Interessen zuwiderlaufe und eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Ehe- und Fremdenwesens, darstelle, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zulässig sei.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG seien der mehrjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie die Tatsache, dass sich sein Vater hier befinde, zu berücksichtigen. Die berufliche Bindung sei insoweit zu vernachlässigen, als sie nur durch die rechtsmissbräuchliche Eheschließung mit einer Österreicherin ermöglicht worden sei. Den dargestellten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet stehe gegenüber, dass er durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe und die Berufung darauf im Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung maßgebliche öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) erheblich beeinträchtigt habe. Daher sei das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit., gemeint wohl: § 66 Abs. 2 FPG). Hinzu komme, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 14. Jänner 2005 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und der auf Grund der rechtskräftigen Ausweisung bestehenden Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Dadurch sei die Missachtung österreichischer Gesetze durch den Beschwerdeführer hinreichend dokumentiert.

Auch im Rahmen des ihr zukommenden Ermessens habe die belangte Behörde nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand nehmen können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Hinsichtlich der Gefährdungsprognose ist allerdings zu beachten, dass der Beschwerdeführer als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin ist. Für diese Personengruppe gelten jedenfalls - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige sein "gemeinschaftsrechtlich begründetes" Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige gemäß § 86 FPG. Nach dessen Abs. 1 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige oder erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2006/18/0172). Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG gilt als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 2 leg. cit., wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und bringt vor, er sei keine Scheinehe eingegangen und es liege auch kein Urteil eines österreichischen Familiengerichtes vor, mit dem eine solche festgestellt worden sei.

Damit gelingt es der Beschwerde jedoch nicht, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen. Der Beschwerdeführer bestreitet lediglich allgemein das Vorliegen einer Scheinehe, ohne auch nur ein Beweismittel zu einem konkreten Beweisthema zu nennen, das seinen Standpunkt stützen könnte. Entgegen der Beschwerdeansicht setzt die Beurteilung der belangten Behörde, dass eine Scheinehe vorliegt, auch nicht voraus, dass die Ehe für nichtig erklärt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0285).

Das im Weiteren ins Treffen geführte Fragerecht der Parteien ist im Verwaltungsverfahren gemäß § 43 Abs. 4 AVG auf mündliche Verhandlungen beschränkt (vgl. dazu die in Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 4 zitierte hg. Judikatur). Abgesehen davon bringt der Beschwerdeführer nicht vor, dass es ihm unmöglich gewesen sei, im Rahmen der ihm von der belangten Behörde eingeräumten Gelegenheit eine Stellungnahme zu der neuerlichen Aussage seiner Ehefrau am 27. Oktober 2005 abzugeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hegt - im Rahmen der ihm insoweit zukommenden Prüfbefugnis - keine Bedenken dagegen, dass die belangte Behörde der Zeugenaussage der Ehefrau mehr Gewicht beigemessen hat als den unsubstanziierten Behauptungen des Beschwerdeführers. Auf der Basis der getroffenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen, aber mit der Ehefrau ein gemeinsames Familienleben nie geführt hat. Auf Grund dieses Sachverhaltes begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt sei, keinem Einwand.

In Anbetracht des hohen Stellenwertes, der der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zukommt, stellt dieses Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine Gefährdung im Sinne des - im Beschwerdefall gemäß § 87 FPG anzuwendenden - § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) und des § 60 Abs. 1 leg. cit. dar. Das Eingehen einer Scheinehe zur Umgehung der für Drittstaatsangehörige geltenden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen stellt auch nach den gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0779, mwH). Daher kommt dem - von der Beschwerde nicht aufgegriffenen - Umstand, dass die belangte Behörde das Verhalten des Beschwerdeführers rechtsirrtümlich nur nach § 60 Abs. 1 und nicht auch nach § 86 Abs. 1 FPG beurteilt hat, für den Ausgang des Verfahrens keine Bedeutung zu (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 13. März 2007, Zl. 2006/18/0417 und vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0474).

3. Die Interessenabwägung nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG wird von der Beschwerde nicht bekämpft. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen erscheint auch die vorgenommene Interessenabwägung als unbedenklich, sodass es genügt, auf die insoweit zutreffenden Bescheidausführungen der belangten Behörde zu verweisen.

4. Der Beschwerdeführer bestreitet weiters die Zuständigkeit der belangten Behörde und bringt unter Hinweis auf das Urteil des EuGH im Fall Dörr und Ünal vor, über seine Berufung hätte der (für Wien) zuständige unabhängige Verwaltungssenat entscheiden müssen, und zwar auch dann, wenn die belangte Behörde davon ausgehe, dass er nicht unter die Begünstigung des Assoziationsabkommens der Türkei mit der EWG und des Beschlusses ARB 1/80 fallen sollte.

Diesem Vorbringen ist einerseits zu erwidern, dass einem Fremden in dem Fall, dass er den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten hat, die Begünstigung nach dem ARB nicht zugute kommt, wenn er diesen Zugang rechtsmissbräuchlich im Wege einer Scheinehe erlangt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2006/18/0172). Andererseits lässt sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Beschwerdevorbringen erkennen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, weshalb der Beschwerdeführer nicht als "begünstigter Drittstaatsangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG anzusehen ist. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG ist daher die Sicherheitsdirektion zur Entscheidung über die vorliegende Berufung zuständig.

5. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 4. Juni 2009

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