Normen
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Horn (BH) vom 15. Dezember 2004 wurde der Beschwerdeführerin die Errichtung und der Betrieb einer Biogasanlage zur Erzeugung von Wärme und elektrischen Strom aus nachwachsenden Rohstoffen an einem näher genannten Standort genehmigt (Spruchteil I.) und Anträge und Einwendungen der Mitbeteiligten als unzulässig zurück- bzw. als unbegründet abgewiesen (Spruchteil II.).
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2006 entschied die belangte Behörde über die Berufung der Mitbeteiligten wie folgt:
"Den Berufungen wird gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben."
Nach Darstellung des Verfahrensganges und des § 66 Abs. 4 AVG führte die belangte Behörde in ihrer Begründung aus, die Einwendungen der Zweit- und des Drittmitbeteiligten seien von der BH als unzulässig zurückgewiesen worden, weil für sie eine Parteistellung von vornherein im Sinne der Bestimmung des § 75 Abs. 2 GewO 1994 nicht gegeben sei. Hinsichtlich dieses Spruchteiles (Zurückweisung der Einwendungen der Zweit- und des Drittmitbeteiligten) sei "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG und somit Gegenstand des Berufungsverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Nach Wiedergabe des § 75 Abs. 2 GewO 1994 führte die belangte Behörde zur grundsätzlichen Nachbarstellung und somit Parteistellung aus, dass das für die Beurteilung nach § 75 Abs. 2 GewO 1994 maßgebliche räumliche Naheverhältnis (zur Betriebsanlage) durch den möglichen Immissionsbereich bestimmt werde. Der Verwaltungsgerichtshof habe hinsichtlich eines Fernheizwerkes ausgesprochen, dass bei einer solchen Betriebsanlage nicht von vornherein auszuschließen sei, dass ein Nachbar, der in einer Entfernung von ca. 12 km von der Betriebsanlage wohne, von den zu erwartenden Abgasimmissionen betroffen werde und ihm daher die Stellung eines Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 leg. cit. zukomme (Hinweis auf VwSlg. 10.616 A/1981). Im Hinblick auf eine Mischgutanlage mit Recyclingeinrichtung für Asphalt hätten trotz der räumlichen Entfernung der Wohnliegenschaften der Nachbarn (zum Teil mehr als 500 m) schon im Hinblick auf die üblicherweise von einer derartigen Betriebsanlage ausgehenden Immissionen gegen die Annahme, es könnten gefährdende oder belästigende Einwirkungen von der Betriebsanlage bis zu den Wohnliegenschaften reichen, keine Bedenken bestanden (Hinweis auf das Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/04/0178). Entscheidend für die Nachbarstellung sei bereits die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Belästigung. Es käme daher nur dann keine Nachbarstellung in Frage, wenn jede von der Betriebsanlage ausgehende Gefährdung oder Belästigung von vornherein ausgeschlossen wäre (Hinweis auf das Erkenntnis vom 23. Jänner 2002, Zl. 2001/04/0135).
Als Nachbarn gälten nicht nur Anrainer im engeren Sinne (also Eigentümer eines an die Betriebsanlage angrenzenden Grundstückes), sondern alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Auf Grund der Ausführungen des luftreinhaltetechnischen Sachverständigen vom 1. Dezember 2004 sowie der Ausführungen des lärmtechnischen Amtssachverständigen, die für die belangte Behörde schlüssig und nachvollziehbar seien, stehe als erwiesen fest, dass die Zweit- und der Drittmitbeteiligte Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO seien, weil deren dauernder Aufenthalt in B. im möglichen Emissionsbereich der gegenständlichen Betriebsanlage liege. Die Zurückweisung der Einwände der Zweit- und des Drittmitbeteiligten sei daher zu Unrecht erfolgt und sei daher dieser Spruchteil jedenfalls ersatzlos zu beheben gewesen. Eine Trennbarkeit der Zurückweisung der Einwände der Zweit- und des Drittmitbeteiligten einerseits und die Erteilung der Genehmigung der Errichtung und den Betrieb der Betriebsanlage andererseits sei nach Auffassung der belangten Behörde nicht gegeben. Es sei daher auf Grund der Situation, dass die Zurückweisung der Einwendungen zu Unrecht erfolgt sei, "auch die Genehmigung (bzw. andere Spruchteile) ersatzlos zu beheben" gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift sowohl durch die belangte Behörde als auch die mitbeteiligten Parteien erwogen hat:
Im Spruch des angefochtenen Bescheides wird der erstinstanzliche Bescheid "ersatzlos behoben" und als Rechtsgrundlage § 66 Abs. 4 AVG genannt.
Nach dieser Gesetzesstelle hat die Berufungsbehörde, außer dem den in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Daraus folgt aber, dass die Berufungsbehörde, wenn der meritorischen Entscheidung der Vorinstanz ein Antrag einer Partei zugrunde lag (im vorliegenden Fall zu Spruchpunkt I. der auf Genehmigung der Betriebsanlage gerichtete Antrag der Beschwerdeführerin), - abgesehen vom Fall des § 66 Abs. 2 AVG - auch über diesen Antrag abzusprechen hat. Eine bloße - nicht auf § 66 Abs. 2 AVG gegründete - Behebung vorinstanzlicher Bescheide hätte nämlich zur Folge, dass die Unterbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf und dass somit der auf die Entscheidung der Vorinstanz bezughabende Parteienantrag unerledigt bliebe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 2. Juni 2004, Zl. 2001/04/0242, und die weitere bei Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz 108 zu § 66 AVG referierte Judikatur).
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurft hätte.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 11. November 2009
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