VwGH 2001/04/0242

VwGH2001/04/02422.6.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der 1. G und J F in L, 2. W und M F in L, 3. Dr. M in S und 4. Yachtclub N in L, alle vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 49, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 9. Oktober 2001, Zl. Ge-440908/40-2001- Msch/Th, betreffend Vorschreibung zusätzlicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: B & Co KG in W, vertreten durch DDr. Heinz Mück, Dr. Peter Wagner, Dr. Walter Müller, Dr. Wolfgang Graziani-Weiss, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Kroatengasse 7), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2001 sprach der Landeshauptmann von Oberösterreich über die von den Beschwerdeführern sowie der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 15. Dezember 1999 erhobenen Berufungen unter Bezugnahme auf § 66 Abs. 4 AVG 1950 wie folgt ab:

"I.

Den Berufungen der Nachbarn G und J F, Sstraße 5, L, W und M F, Sstraße 5, L, Dr. M, H Straße 5, S und des Yachtclubs N, S, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Metzler, Landstraße 49, 4020 Linz, wird keine Folge gegeben.

II.

Der Berufung der B & Co KG, W, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Peter Wagner, Kroatengasse 7, 4020 Linz, wird stattgegeben und

der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung, Ge20- 5-1998-Tn, vom 15.12.1999, wird behoben.

Rechtsgrundlage: § 79 Abs. 1 GewO 1994 i.d.g.F."

Zur Begründung wurde ausgeführt, auf Grund mehrerer Anträge von Nachbarn gemäß § 79a GewO 1994 auf Einleitung eines Verfahrens gemäß § 79 Abs. 1 leg. cit. habe die Bezirksverwaltungsbehörde ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und mit Bescheid vom 15. Dezember 1999 nachträglich vorgeschrieben, dass die Baggerschiffentladungen an der genehmigten Schottermanipulationsfläche, d. i. ist am linken Donauufer zwischen Strom-km 2.130,2 und 2.130,4, während der Betriebszeiten maximal drei Stunden pro Tag dauern dürften, dass der Gewerbebehörde unter Angabe von Emissionsdaten unverzüglich mitzuteilen sei, wenn beim Abladevorgang vom Baggerschiff ein anderer als der Seilbagger Liebherr HS 881 zum Einsatz gebracht werden sollte und dass in Form eines Betriebstagebuches Aufzeichnungen über die Zeiten der Entladungen an der in Punkt 1 angeführten Manipulationsfläche zu führen und der Behörde auf Verlangen zur Einsichtnahme vorzulegen seien.

Gegen diesen Bescheid hätten die Nachbarn Berufung erhoben und vorgebracht, auch die Einschränkung des Betriebes auf drei Stunden täglich reiche nicht aus, um sie vor gesundheitlichen Schäden und unzumutbaren Lärmbelästigungen zu schützen; ausgehend vom geringst gemessenen Grundgeräuschpegel von 36 dB sei jegliche Tätigkeit aus der gegenständlichen Betriebsanlage eine unzumutbare Erhöhung der Lärmsituation; die Zumutbarkeitsgrenze liege bei 46 dB - eine Erhöhung um 29 dB führe zu einer Versechsfachung des Lärmempfindens.

Die Konsensinhaberin habe in ihrer Berufung u.a. ausgeführt, es stehe der Gewerbebehörde nicht zu, Vorschriften hinsichtlich der beim Abladevorgang vom Baggerschiff eingesetzten Geräte zu erlassen; auch die Führung eines Betriebstagebuches falle in die Zuständigkeit der Schifffahrtsbehörde. Die Heranziehung von Flächenwidmungen als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Belästigungen sei nicht zulässig, der angefochtene Bescheid entspreche auch nicht den Kriterien für die vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung der Auflagen.

Nach Zusammenfassung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten führte die belangte Behörde aus, es stehe unter Zugrundelegung der übereinstimmenden und schlüssigen Gutachten nachvollziehbar fest, dass auf Grund der stark belasteten Lärm-Ist-Situation durch die gegenständliche Betriebsanlage die Betriebsimmissionssituation bei den Nachbarn nicht verschlechtert werden dürfe. Bei Verwendung des ursprünglich im Einsatz befindlichen Baggers Liebherr HS 881 hätte der maximal zulässige Wert (um eine Erhöhung der örtlichen Ist-Situation zu vermeiden) nur bei einer Reduzierung der Ladedauer auf drei Stunden erreicht werden können. Auf Grund der eingetretenen Sachverhaltsänderung, nämlich der Verwendung eines Baggers Liebherr HS 895, dessen Betriebsgeräusche in einer Entfernung von ca. 300 m lediglich 58 dB, somit um 6 dB weniger als die Betriebsgeräusche des HS 881 betrügen, komme es für die Nachbarn zu einer deutlichen Verbesserung der bisherigen Situation. Es werde eine Betriebsimmissionssituation hergestellt, die keine Veränderung der verkehrsbedingten Ist-Situation bewirke bzw. das als zulässig angesehene Immissionsniveau unterschreite. In weiterer Folge begründete die belangte Behörde, warum sie die Belastungsgrenze der Zumutbarkeit mit 60 dB angenommen habe. Die Konsensinhaberin habe laut schriftlicher Mitteilung ihres Vertreters nur mehr den Bagger Liebherr HS 895 in Verwendung. Da dessen Betriebsemissionen sogar niedriger seien als jene des Baggers HS 881 bei einer maximal auf drei Stunden täglich begrenzten Einsatzdauer, ergebe sich für die Nachbarn eine Verbesserung ihrer gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen. Die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen sei demnach derzeit nicht erforderlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben. Die mitbeteiligte Partei stellte in ihrer Gegenschrift einen gleich lautenden Antrag.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht verletzt, dass gemäß § 79 Abs. 1 GewO zusätzliche Auflagen über ihren Antrag gemäß § 79a GewO vorzuschreiben seien und im Falle der technischen Unmöglichkeit geeigneter Auflagen eine Betriebseinstellung anzuordnen sei. Sie bringen hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, sie hätten die Einholung von Befund und Gutachten eines von der Behörde bestellten unabhängigen Sachverständigen sowie Messungen und Hörproben an Ort und Stelle unter Beiziehung von Sachverständigen beantragt, wobei ihnen Gelegenheit zur Anwesenheit bei den Hörproben zu geben wäre. Die Nichtaufnahme dieser Beweise stelle eine Verletzung fundamentaler Parteirechte dar. Bei Durchführung dieses Beweisverfahrens hätte die Behörde feststellen können, dass die tatsächlichen Lärmbeeinträchtigungen gesundheitsbeeinträchtigend und unzumutbar seien. Als Rechtswidrigkeit des Inhaltes machen sie (mit ausführlicher Begründung) geltend, dass der Grundgeräuschpegel von 60 dB zu Unrecht zu Grunde gelegt worden sei. Die belangte Behörde stelle zu Unrecht darauf ab, dass nach den Angaben der Mitbeteiligten nunmehr ein "leiserer" Bagger eingesetzt werde. Dieser Einsatz sei nicht durch eine rechtlich abgesicherte Auflage festgelegt worden. Schon aus diesem Grund sei der angefochtene Bescheid rechtlich unzutreffend. Es stehe nunmehr der Mitbeteiligten völlig frei, einen Bagger jeglicher Art zu verwenden. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es nicht nur auf das Maschinengeräusch, sondern auf die Manipulationsgeräusche insgesamt ankomme. Diese könnten nur auf Grund der tatsächlichen Einsatzlautstärke festgestellt werden, die jedoch nicht überprüft worden sei.

§ 79 Abs. 1 GewO 1994 sieht eine Regelung vor, wonach dann, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, dass die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die Behörde die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben hat.

Nach § 79a Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde ein Verfahren gemäß § 79 Abs. 1 u.a. nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag eines Nachbarn einzuleiten.

Nach § 79a Abs. 3 GewO 1994 muss der Nachbar in seinem Antrag gemäß Abs. 1 glaubhaft machen, dass er als Nachbar von den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt ist, und nachweisen, dass er bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Betriebsanlage oder der betreffenden Betriebsanlagenänderung Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 leg. cit. war.

Gemäß § 79a Abs. 4 erster Satz GewO 1994 erlangt durch die Einbringung des dem Abs. 3 entsprechenden Antrages der Nachbar Parteistellung.

Die Beschwerde ist im Hinblick auf folgende Überlegungen begründet:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat - außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall - die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Daraus folgt aber, dass die Berufungsbehörde, wenn der meritorischen Entscheidung der Vorinstanz ein Antrag einer Partei zu Grunde lag (im vorliegenden Fall die auf § 79a GewO gestützten Anträge der Beschwerdeführer als Nachbarn), - abgesehen vom Fall des § 66 Abs. 2 AVG - auch über diesen Antrag abzusprechen hat. Eine bloße - nicht auf § 66 Abs. 2 AVG gegründete - Behebung vorinstanzlicher Bescheide hätte nämlich zur Folge, dass die Unterbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf und dass somit der auf die Entscheidung der Vorinstanz bezughabende Parteienantrag unerledigt bliebe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 15. September 1992, Zl. 92/04/0120, mwH).

Da die belangte Behörde, die ihren Abspruch über die ersatzlose Behebung des vor ihr angefochtenen Bescheides sowohl nach der spruchmäßig bezogenen Gesetzesstelle als auch inhaltlich ausschließlich auf § 66 Abs. 4 AVG stützte, dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurft hätte.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhang mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Umrechnung der Stempelgebühr beruht auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 2. Juni 2004

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