VwGH 2005/11/0190

VwGH2005/11/019022.2.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Invalidenstraße 13/1/15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. Oktober 2005, Zl. UVS-FSG/54/7014/2005/2, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
FSG 1997 §7 Abs4;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §39;
StGB §43 Abs1;
StGB §43a Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
FSG 1997 §7 Abs4;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §39;
StGB §43 Abs1;
StGB §43a Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 3. Oktober 2005 entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Zeit von 10 Monaten, gerechnet ab Zustellung des erstbehördlichen Bescheides vom 29. Juli 2005 und ohne Einrechnung von Haftzeiten. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen für den angeführten Zeitraum verboten.

Begründend führte der UVS nach Wiedergabe der nach seiner Auffassung maßgebenden Vorschriften aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. Februar 2005 zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 20 Monaten - davon sei ein Teil der Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden - verurteilt worden, weil er in Wien in der Zeit von Anfang 2001 bis August 2003 gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) in Verkehr gesetzt habe, indem er dem abgesondert verfolgten R. insgesamt 150 bis 200 Gramm Kokain mit wechselndem, zumindest aber durchschnittlichem Wirkstoff verkaufte. Weiters habe der Beschwerdeführer seit Ende 1999 bis jedenfalls 11. Februar 2004 Suchtgift, nämlich Kokain, unregelmäßig für den Eigenkonsum erworben und besessen. Es sei im Hinblick auf die Bindung an das rechtskräftige Strafurteil davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die strafbaren Handlungen auch begangen habe. Zu Recht habe daher schon die Erstbehörde das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 11 des Führerscheingesetzes (FSG) angenommen. Die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers seien wegen der damit verbundenen Gefahr für die Gesundheit von Menschen als besonders verwerflich anzusehen. Es sei daraus eine Sinnesart abzuleiten, wonach die Annahme, dass sich der Beschwerdeführer wegen der erleichternden Umstände beim Lenken von Kraftfahrzeugen sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, gerechtfertigt sei. Zum Nachteil des Beschwerdeführers falle außerdem ins Gewicht, dass er sich im Zuge des gerichtlichen Strafverfahrens nicht schuldeinsichtig gezeigt habe. Das strafbare Verhalten habe sich über einen sehr langen, zwei Jahre übersteigenden Zeitraum hingezogen, seiner bis dahin anzunehmenden Unbescholtenheit komme daher geringes Gewicht zu, ebenso wie dem Wohlverhalten während des Strafverfahrens. Der Strafaufschub gemäß § 39 SMG spiele hier keine Rolle. Gleiches gelte für die bedingte Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 1 StGB. Es bedürfe nach Ansicht der erkennenden Behörde im Hinblick auf die angeführten Umstände der Tat und die seit der Tat verstrichene Zeit der nunmehr festgesetzten Entziehungszeit, um auf Grund des innerhalb dieses Zeitraums gezeigten Wohlverhaltens auf eine Änderung der Sinnesart und damit eine Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit schließen zu können. Aus denselben Überlegungen sei auch das Lenkverbot auszusprechen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

...

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

11. eine strafbare Handlung gemäß den §§ 28 Abs. 2 bis 5 oder 31 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG, BGBl. I Nr. 112/1997, begangen hat;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, ... .

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ...

...

Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern,

vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

..."

Der Beschwerdeführer tritt den Feststellungen der belangten Behörde zum Inhalt des strafgerichtlichten Urteils nicht entgegen. Auch der Verwaltungsgerichtshof legt der folgenden Beurteilung die Feststellungen der belangten Behörde zu Grunde.

Im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens nach § 28 Abs. 2 SMG kann die Ansicht der belangten Behörde, im Falle des Beschwerdeführers sei die bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 11 FSG verwirklicht, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Der Beschwerdeführer verkennt, indem er ganz allgemein auf die Bindung der belangten Behörde an die Entscheidungen der Strafgerichte verweist, dass zwar die belangte Behörde an den Spruch des rechtskräftigen Straferkenntnisses gebunden war und daher von dem dort festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers auszugehen hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Feber 2005, Zl. 2003/11/0266), aus dem Aufschub des Strafvollzuges gemäß § 39 SMG für die Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit jedoch nichts zu gewinnen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Feber 2005, Zl. 2002/11/0253, mwN), und diesbezüglich somit keine "Bindung" für die belangte Behörde bestand. Dennoch ist die Beschwerde begründet:

In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung vertreten, dass die bedingte Strafnachsicht zwar für sich allein noch nicht zwingend dazu führe, dass der Betreffende bereits als verkehrszuverlässig anzusehen sei, weil sich die bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht zur Gänze mit jenen decken, die für das Gericht betreffend die bedingte Strafnachsicht nach den Bestimmungen des StGB von Bedeutung sind. Gleichzeitig hat der Verwaltungsgerichtshof aber darauf hingewiesen, dass nach diesen Bestimmungen die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen sind und es sich dabei im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln kann, die für die im § 7 Abs. 4 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2006, Zl. 2006/11/0076, mwN).

Das Strafgericht hat im Fall des Beschwerdeführers von der Bestimmung des § 43a Abs. 3 StGB Gebrauch gemacht und den sofortigen Vollzug des größten Teiles der Freiheitsstrafe (nämlich 16 Monate der verhängten 20 Monate) durch den Beschwerdeführer nicht als erforderlich angesehen und dabei die Auffassung vertreten, dass der Beschwerdeführer durch das Verbüßen dieses Teiles der Freiheitsstrafe davon abgehalten werden könne, in Zukunft weitere strafbare Handlungen dieser oder ähnlicher Art zu begehen. Unter Bedachtnahme hierauf und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das im angefochtenen Bescheid (laut Strafurteil) angenommene Tatende am 11. Feber 2004 war, hätte es der Feststellung besonderer Umstände bedurft, die die Annahme rechtfertigen, der Beschwerdeführer sei als zum Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides (dessen Zustellung nach der Aktenlage am 2. August 2005 erfolgte, somit rund 17 1/2 Monate nach Tatende) und noch für mindestens drei weitere Monate (§ 25 Abs. 3 FSG) als verkehrsunzuverlässig anzusehen. Da die belangte Behörde derartige Feststellungen nicht getroffen hat, erweist sich ihre Annahme als rechtswidrig, es sei für einen Zeitraum von 10 Monaten (nach der Zustellung des Erstbescheides, ohne Einrechnung von Haftzeiten) damit zu rechnen, der Beschwerdeführer werde erneut in der hier in Rede stehenden Weise straffällig werden und er werde daher erst nach Ablauf dieses Zeitraumes seine Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Überdies ist der belangten Behörde die neuere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Nichteinrechnung von Haftzeiten in die ausgesprochene Entziehungsdauer in Erinnerung zu rufen (vgl. zB. die hiezu im oben erwähnten hg. Erkenntnisse genannte Rechtsprechung).

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 22. Februar 2007

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