VwGH 2003/20/0474

VwGH2003/20/047426.11.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1982, vertreten durch Dr. Klaus Voithofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Eßlinggasse 9, dieser vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Juli 2003, Zl. 238.604/0-XIV/16/03, betreffend §§ 7, 8 und 15 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien festgestellt (Spruchpunkt II.) und der Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG abgewiesen wurde (Spruchpunkt III.), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gelangte am 4. Februar 2003 in das Bundesgebiet und beantragte am 6. Februar 2003 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. Mai 2003 begründete er seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass er von erpresserischen Entführern bedroht worden sei. Polizeilicher Schutz sei letztlich unwirksam geblieben, weil nach Anzeigeerstattung die Familie des Beschwerdeführers und er selbst von den Unbekannten noch stärker unter Druck gesetzt worden seien, "Lösegeld" zwecks Unterlassung einer Entführung zu bezahlen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 30. Mai 2003 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien fest (Spruchpunkt II.). Es ging davon aus, der Beschwerdeführer habe Indien "aus den vorgebrachten Gründen" verlassen, wenn auch "auf die Widersprüche und Ungereimtheiten in Ihrem Vorbringen ... nicht eingegangen" werden müsse, zumal es nicht asylrelevant sei. Auch in Bezug auf § 8 AsylG fehle es an den gesetzlichen Voraussetzungen, weil die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Privatverfolgung von staatlichen Stellen nicht "gebilligt" werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien fest (Spruchpunkt II.), und wies den in der Berufung gestellten Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG ab (Spruchpunkt III.).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages mit dem Argument bestätigt, es fehle ein Zusammenhang zwischen der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bedrohung durch Entführer und den in der FlKonv genannten Gründen für eine asylrelevante Verfolgung. Dagegen führt die Beschwerde im Wesentlichen ins Treffen, dass nicht allein auf eine bereits stattgefundene Verfolgung abzustellen sei, vielmehr darauf, ob die Furcht des Beschwerdeführers "wohlbegründet" sei. Im Heimatbundesstaat des Beschwerdeführers (Punjab) herrsche ein mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen der indischen Bundesregierung und den von ihr entsandten Sicherheitskräften einerseits und einer "heterogenen separatistischen Bewegung" andererseits, welche die Bildung eines unabhängigen Sikh-Staates Khalistan durchsetzen wolle.

Auch wenn man von einer solchen spezifischen Situation im Heimatbundesstaat des Beschwerdeführers ausgehen wollte, fehlt aber ein Zusammenhang zwischen der vom Beschwerdeführer allein geltend gemachten Bedrohung durch Erpresser, welche die wohlhabende Familie des Beschwerdeführers mit "Lösegeldforderungen" verfolgten, und Gründen im Sinne der FlKonv.

Insoweit sich die Beschwerde also gegen die Abweisung des Asylantrages richtet, war ihr ein Erfolg zu versagen.

Zur Begründung ihrer gemäß § 8 AsylG getroffenen Feststellung (wie auch hinsichtlich der Entscheidung nach § 7 AsylG) hat die belangte Behörde zunächst auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen, dem sie sich vollinhaltlich, auch hinsichtlich der Beurteilung der Rechtsfrage, anschließe. Zentrales Begründungselement für die erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 8 AsylG war das vermeintliche Erfordernis einer "Billigung" der Bedrohung von relevanten Rechtsgütern durch den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, wenn die Bedrohung nicht ohnehin vom Staat selbst ausgehe. Der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, dass die von ihm angegebene Privatverfolgung von staatlichen Stellen gebilligt werde. Nur ergänzend argumentierte das Bundesasylamt damit, dass dem Beschwerdeführer "eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe", weil im Hinblick auf die Größe und die Einwohnerzahl des Heimatlandes des Beschwerdeführers nicht davon auszugehen sei, dass er von Privatpersonen in einem anderen Landesteil gefunden worden wäre.

Die belangte Behörde hat sich diese Begründung zu Eigen gemacht und von sich aus - neuerlich - das vermeintliche Erfordernis der "Billigung" betont.

Dem gegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach klargestellt, dass eine Bedrohung im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit dem Ausspruch gemäß § 8 AsylG auch ohne "Billigung" der Bedrohung durch den Herkunftsstaat von Bedeutung sein kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0573 mit Hinweis auf entsprechende Nachweise schon in den hg. Erkenntnissen vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509 und Zl. 99/20/0571).

Die von der erstinstanzlichen Behörde lediglich angeschnittene Zusatzbegründung einer "inländischen Fluchtalternative" reicht für sich allein - mangels geeigneter Feststellungen über die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen "Alternative" - in der vorliegenden Form nicht aus, um (durch die Verweisung auch auf diese Ausführungen des Bundesasylamtes) den angefochtenen Bescheid zu tragen.

Da die belangte Behörde bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 8 AsylG durch die ausdrücklich und mehrfach betonte Annahme der Notwendigkeit einer "Billigung" der Bedrohung durch staatliche Stellen die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid im Umfang der Spruchpunkte II. und III. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil ein EUR 991,20 übersteigender Betrag für Schriftsatzaufwand in der erwähnten Verordnung keine Deckung findet.

Wien, am 26. November 2004

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