VwGH 2003/18/0051

VwGH2003/18/00518.9.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des G, geboren 1967, vertreten durch Dr. Alfred Windhager, Rechtsanwalt in 4040 Linz-Urfahr, Flußgasse 15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 17. Dezember 2002, Zl. St 218/02, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 17. Dezember 2002 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, gemäß §§ 31, 33 und 37 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Die Bundespolizeidirektion Linz (Erstbehörde) habe (in ihrem Bescheid vom 10. Oktober 2002) folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Wie den Akten zu entnehmen ist, reisten Sie (der Beschwerdeführer) am 13.08.2001 illegal, unter Umgehung der Grenzkontrolle und mit Hilfe eines Schleppers nach Österreich ein.

Ihr Asylverfahren ist seit 12.08.2002 rechtskräftig negativ entschieden. Sie halten sich seither ohne jegliche fremdenrechtliche Bewilligung und somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Mit Schreiben der BPD Linz vom 29.08.2002 wurde Ihnen dieser Sachverhalt mitgeteilt und Ihnen Gelegenheit eingeräumt, Ihre Privat- und Familienverhältnisse bekannt zu geben, in den Akt Einsicht zu nehmen und zum vorliegenden Sachverhalt Stellung zu nehmen.

Eine diesbezügliche Stellungnahme ist ha. allerdings bis dato nicht eingelangt."

Zur persönlichen und familiären Situation des Beschwerdeführers habe die Erstbehörde ausgeführt, dass er sich seit ca. 16 Monaten in Österreich mit seiner Gattin und seinen zwei Kindern aufhielte. Gegen diese würde allerdings bereits ein Ausweisungsverfahren laufen.

In seiner Berufungsschrift vom 24. Oktober 2002 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht und gleichzeitig beantragt zu haben, dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Seine beiden Töchter wären bis vor kurzem in stationärer Behandlung in der Landes-Kinderklinik Linz gewesen. Eine weitere ärztliche Behandlung bzw. Kontrolle wäre erforderlich. Seine Tochter würde darüber hinaus an einem schweren Herzfehler leiden. Dies wäre eine ernstzunehmende Krankheit und würde einer qualifizierten ärztlichen Kontrolle bedürfen. Kopien der nächsten Arzttermine wären der Berufung beigelegt. Seine Ehegattin wäre erwerbstätig. Mit dem daraus erzielten Einkommen könnte er seinen Lebensunterhalt zur Gänze bestreiten.

Nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen, darunter des § 33 Abs. 1 FrG, führte die belangte Behörde weiter begründend aus, dass sich der Beschwerdeführer seit 12. August 2002 insofern rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte, als ihm seit diesem Zeitpunkt weder ein Einreisetitel noch ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei. Anhaltspunkte dafür, dass ihm ein Aufenthaltsrecht entsprechend einer anderen gesetzlichen Bestimmung zukomme, fänden sich im Verwaltungsakt nicht und seien von ihm auch nicht behauptet worden.

Wie sich aus der Darstellung seiner persönlichen Verhältnisse ergebe (er halte sich zwar seit ca. einem Jahr im Bundesgebiet auf, sei jedoch mit Hilfe eines Schleppers nach Österreich eingereist und habe im Bundesgebiet lediglich versucht, einen Asylstatus zu erlangen; seine Familienangehörigen hielten sich ebenfalls illegal im Bundesgebiet auf, und es laufe gegen diese ebenfalls ein Ausweisungsverfahren), würde sich erübrigen, zu erörtern, ob die Ausweisung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei, weil nicht in relevanter Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde.

Der Beschwerdeführer halte sich seit dem 12. August 2002, also seit mehr als zwei Monaten, illegal in Österreich auf. Schon ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß. Die Ausweisung sei demnach gemäß § 37 Abs. 1 FrG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Zweifelsohne sei der vom Beschwerdeführer erwähnte schwere Herzfehler seiner Tochter zu beachten. Er habe jedoch in keiner Weise behauptet, dass eine Behandlung nur in Österreich möglich sei. Auch ließen die von ihm beigelegten Unterlagen ("ambulante Vorbestellungen") darauf schließen, dass mit der von ihm erwähnten Krankheit keine unmittelbare Lebensgefahr verbunden sei, zumal ja sonst eine stationäre Behandlung dringend erforderlich wäre. Von der Aufnahme weiterer Beweise sei Abstand genommen worden, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt ausreichend ermittelt worden sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde, dass dem Beschwerdeführer seit dem 12. August 2002 weder ein Einreisetitel noch ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei und keine Anhaltspunkte für ein Aufenthaltsrecht nach einer anderen gesetzlichen Bestimmung vorhanden seien, begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte - damit ist die Tatbestandsvoraussetzung des § 33 Abs. 1 FrG erfüllt - keinen Bedenken.

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid unter dem Blickwinkel des § 37 Abs. 1 FrG und bringt vor, dass der Beschwerdeführer und seine Ehegattin in Österreich erwerbstätig seien, im Fall der Ausweisung soziales und existenzielles Elend drohe und ihre Töchter medizinische Versorgung benötigten. So habe seine Tochter Selma ein Herzleiden, das behandelt werden müsse und nur in Österreich behandelt werden könne, weil hier die nötigen Instrumente und finanziellen Grundlagen durch sein Einkommen gegeben seien, zumal in seinem Heimatstaat die medizinische Versorgung weder gegeben noch finanzierbar sei.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren (Berufung vom 24. Oktober 2002) u.a. vorgebracht, dass seine beiden Töchter, Elma, geboren am 25. September 1999, und Selma, geboren am 29. August 2001, bis vor kurzem in stationärer Behandlung in der Landes-Kinderklinik in Linz gewesen seien und eine weitere ärztliche Behandlung bzw. Kontrolle erforderlich sei. Seine Tochter Selma leide an einem schweren Herzfehler, einer ernstzunehmenden Krankheit, die einer qualifizierten ärztlichen Kontrolle bzw. Behandlung bedürfe. Mit dieser Berufung legte er Kopien von zwei ambulanten Vorbestellungen der Landes-Kinderklinik Linz vom 17. Oktober 2002 und 20. Oktober 2002 betreffend die beiden genannten Kinder sowie eine Bestätigung der Herzambulanz dieser Klinik vor, wonach seine Tochter Selma zum EKG und zur Echokardiographie am 20. Jänner 2003 bestellt worden sei.

Die belangte Behörde hat - ohne hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten Erkrankung ein Ermittlungsverfahren durchzuführen - den angefochtenen Bescheid erlassen und in ihrer Bescheidbegründung in Bezug auf das genannte Berufungsvorbringen ausgeführt, dass zweifelsohne der schwere Herzfehler der Tochter des Beschwerdeführers zu beachten sei, der Beschwerdeführer jedoch in keiner Weise behauptet habe, dass eine Behandlung nur in Österreich möglich sei. Auch ließen die von ihm vorgelegten Unterlagen darauf schließen, dass mit der Krankheit keine unmittelbare Lebensgefahr verbunden sei, zumal sonst eine stationäre Behandlung dringend erforderlich wäre. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt sei daher ausreichend ermittelt. In Anbetracht des illegalen Aufenthaltes des Beschwerdeführers von zwei Monaten werde die öffentliche Ordnung in hohem Maß gefährdet, weshalb seine Ausweisung gemäß § 37 Abs. 1 FrG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten sei.

Ob, wie in der Berufung vorgebracht wurde, eine weitere qualifizierte ärztliche Behandlung und Kontrolle der an einem schweren Herzfehler erkrankten minderjährigen Selma erforderlich sei und es dem Kind möglich wäre, eine solche Behandlung und Kontrolle auch nach dem Verlassen des Bundesgebietes in Anspruch zu nehmen, kann dem angefochtenen Bescheid ebenso wenig entnommen werden wie eine nähere Feststellung darüber, um welche Art von Herzerkrankung es sich bei diesem Leiden handle, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß mit dieser Erkrankung eine Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung des genannten Kindes verbunden sei und welche ärztliche Behandlung notwendig sei. Dem Beschwerdevorbringen, dass dieses Herzleiden nur in Österreich behandelt werden könne, steht auch das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) nicht entgegen, lässt doch das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, dass seine Töchter bis vor kurzem in der Landes-Kinderklinik Linz stationär behandelt worden seien und eine weitere ärztliche Behandlung erforderlich sei, die Deutung zu, dass es notwendig sei, diese Behandlung in der genannten Klinik vorzunehmen.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid insoweit mit einem Verfahrensmangel belastet, als sie im Rahmen ihrer Ermittlungsverpflichtung (§ 39 Abs. 2, § 45 Abs. 3 AVG) entweder den Beschwerdeführer hätte auffordern müssen, das Ausmaß der unstrittig bestehenden Herzerkrankung seiner Tochter Selma und die Notwendigkeit der weiteren Behandlung in der Landes-Kinderklinik Linz bzw. die Unmöglichkeit, diese Erkrankung nach einem Verlassen des Bundesgebietes zu behandeln, nachzuweisen, oder selbst diesbezügliche Ermittlungen hätte führen müssen.

Diesem Verfahrensmangel kommt auch Relevanz zu.

Sollte sich herausstellen, dass der minderjährigen Selma ein Verlassen des Bundesgebietes im Hinblick auf ihre Herzerkrankung nicht zumutbar sei, so würde das persönliche Interesse des Beschwerdeführers und insbesondere seiner minderjährigen Tochter an seinem weiteren Aufenthalt in Österreich das gegenläufige öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 2004, Zl. 2003/18/0121, mwN), überwiegen.

3. Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer mit hg. Beschluss vom 3. April 2003 Verfahrenshilfe durch einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Stempelgebühren und der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG gewährt worden war und der Schriftsatzaufwand mit dem in der genannten Verordnung angeführten Pauschalbetrag abgegolten ist.

Wien, am 8. September 2005

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