VwGH 2003/16/0495

VwGH2003/16/049529.7.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, in der Beschwerdesache der S & Co AG in W, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen den Unabhängigen Finanzsenat (Außenstelle Linz) wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über die Beschwerde vom 14. November 2002 in einer Eingangsabgabenangelegenheit, den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §249 Abs1;
BAO §260;
BAO §276 Abs1;
BAO §276 Abs4 idF 2002/I/097;
BAO §276 Abs6 idF 2002/I/097;
BAO §323 Abs10 idF 2002/I/097;
B-VG Art132;
UFSG 2003 §1 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §55 Abs2;
ZollRDG 1994 §120 Abs1h;
ZollRDG 1994 §85c;
BAO §249 Abs1;
BAO §260;
BAO §276 Abs1;
BAO §276 Abs4 idF 2002/I/097;
BAO §276 Abs6 idF 2002/I/097;
BAO §323 Abs10 idF 2002/I/097;
B-VG Art132;
UFSG 2003 §1 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §55 Abs2;
ZollRDG 1994 §120 Abs1h;
ZollRDG 1994 §85c;

 

Spruch:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 675,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die belangte Behörde hat innerhalb der mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Dezember 2003 - dem Unabhängigen Finanzsenat am 11. Dezember 2003 zugestellt - gesetzten und mit Verfügung vom 24. März 2004 - dem Unabhängigen Finanzsenat am 1. April 2004 zugestellt - verlängerten Frist den Bescheid vom 8. Juni 2004 erlassen und eine Ablichtung dieses Bescheides sowie des Rückscheines (welcher als Datum der Zustellung den 9. Juni 2004 ausweist) dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt.

Das Verfahren über die Säumnisbeschwerde war daher gemäß § 36 Abs. 2 VwGG einzustellen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 55 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

In der den vorgelegten Akten angeschlossenen Gegenäußerung vom 30. Dezember 2004 beantragte die belangte Behörde, die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen sowie eventualiter einen Kostenersatz an die Beschwerdeführerin nicht zuzusprechen. Sie führte begründend aus, die ihr gemäß § 27 Abs. 1 VwGG zur Verfügung stehende Frist von sechs Monaten sei noch nicht abgelaufen gewesen. Die Beschwerde vom 14. November 2002 gegen die Berufungsvorentscheidung vom 7. Oktober 2002 sei zwar bereits am 18. November 2002 beim Hauptzollamt Wien eingelangt. Das Hauptzollamt Wien habe die Beschwerde jedoch nachweislich erst am 11. August 2003 dem erst mit 1. Jänner 2003 zur Entscheidung hierüber zuständig gewordenen Unabhängigen Finanzsenat vorgelegt. Unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2003, 2003/13/0010, vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass sie sich die Verletzung der Entscheidungspflicht einer anderen Verwaltungsbehörde auf die Frist des § 27 Abs. 1 VwGG nicht anrechnen lassen müsse. Eine allenfalls vom Hauptzollamt Wien zu verantwortende Säumnis dürfe der belangten Behörde nicht angelastet werden, zumal diese - mangels Weisungsbefugnis bzw. Aufsichtsrechten - keinerlei Einfluss auf das Verwaltungshandeln der Berufungsbehörde und somit auch keine rechtliche Handhabe zur Verhinderung derartiger - möglicherweise organisatorischer - Unzukömmlichkeiten habe. Erst als am 7. August 2003 ein Urgenzschreibens der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde eingelangt sei, habe diese Kenntnis von deren Beschwerde erlangt. Sie hätte daher bis zum 30. Juni 2003 darüber nicht entscheiden können. Auf Grund umfangreichen Aktenmaterials (insgesamt vier Aktenordner), der Komplexität der Materie (sowohl die Sachlage als auch die Rechtslage betreffend) und im Hinblick auf die Notwendigkeit ergänzender Sachverhaltsermittlungen unter Wahrung der Parteienrechte (insbesondere des Rechtes auf Parteiengehör) sei es der belangten Behörde faktisch unmöglich gewesen, über die Beschwerde binnen der gesetzlichen Entscheidungsfrist zu entscheiden. Die Beschwerdeführerin habe auch ihren Beweisantrag auf Einvernahme eines Zeugen zu wenig konkretisiert, sodass sich die belangte Behörde mittels Vorhaltverfahren darüber habe Klarheit verschaffen müssen. Mangels "Entscheidungsreife" des Verfahrens sei es auch nicht zumutbar gewesen, innerhalb des Zeitraumes von drei Monaten zwischen Einlangen der Beschwerde und Erhebung der Säumnisbeschwerde zur Verfügung stehenden Zeit eine den materiell- und verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdende Sachentscheidung zu erlassen.

Von der belangten Behörde wurde zum Antrag, der Beschwerdeführerin Kostenersatz nicht zuzusprechen, angeführt, dass sie die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 3. September 2003 ausdrücklich davon in Kenntnis gesetzt habe, dass die Beschwerde samt den Verwaltungsakten erst am 11. August 2003 vorgelegt worden seien. Wenn die Beschwerdeführerin gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof angegeben habe, es sei davon auszugehen, dass die belangte Behörde spätestens Mitte März 2003 den in Rede stehenden Akt erhalten habe, so habe sie dies wider besseren Wissens behauptet. In diesem Schreiben vom 3. September 2003 habe die belangte Behörde die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die oben genannten Umstände ersucht, vorerst von der Erhebung einer - bereits im Urgenzschreiben vom 4. August 2003 angedrohten - Säumnisbeschwerde abzusehen. Daher liege ein dem § 55 Abs. 2 VwGG entsprechender Sachverhalt vor, der den Anspruch auf Kostenersatz im Falle einer Säumnisbeschwerde ausschließe.

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht (was im Beschwerdefall nicht zutrifft), nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Gemäß § 85c ZollR-DG in der vor dem 1. Jänner 2003 geltenden Fassung ist gegen Berufungsvorentscheidungen als Rechtsbehelf der zweiten Stufe die Beschwerde an den örtlich und sachlich zuständigen Berufungssenat (§ 85d Abs. 5) zulässig. Beschwerden können bei einer der Finanzlandesdirektionen oder bei jener Behörde eingebracht werden, die die Berufungsvorentscheidung erlassen hat.

Gemäß § 85c ZollR-DG in der ab 1. Jänner 2003 geltenden Fassung des Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetzes (AbgRmRefG), BGBl. I Nr. 97/2002, ist gegen Berufungsvorentscheidungen als Rechtsbehelf der zweiten Stufe die Beschwerde an den Unabhängigen Finanzsenat (§ 1 UFSG) zulässig. Dieser wurde gemäß § 1 Abs. 1 iVm

§ 26 Abs. 1 und 2 UFSG mit 1. Jänner 2003 für das Bundesgebiet errichtet.

§ 120 Abs. 1h ZollR-DG bestimmt, dass die Zuständigkeit für Entscheidungen über Beschwerden, über die mit 1. Jänner 2003 noch nicht entschieden worden sind, mit diesem Zeitpunkt auf den Unabhängigen Finanzsenat übergeht.

Nach der dargestellten Rechtslage hatte ab 1. Jänner 2003 der Unabhängige Finanzsenat über die Beschwerde vom 7. Oktober 2002 zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne auch die hg. Beschlüsse vom 28. April 2004, 2004/14/0027, und vom 2. Juni 2004, 2004/13/0023).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beschwerdeberechtigung nach Art. 132 B-VG von keiner anderen Voraussetzung als vom Ablauf der in § 27 VwGG vorgesehenen Frist abhängig (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 198, und die dort zitierte Rechtsprechung).

Von einer Verletzung der Entscheidungspflicht könnte allerdings dann nicht die Rede sein, wenn die Entscheidungsbefugnis durch ein gesetzliches Hindernis gehemmt ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 26. November 1998, 98/16/0162, mwN).

Im Beschwerdefall wurde die Beschwerde bei einer vom Gesetz bezeichneten Stelle (der Abgabenbehörde erster Instanz) eingebracht. Damit wurde die oberste, nämlich die Abgabenbehörde zweiter Instanz, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, angerufen, ohne dass binnen sechs Monaten von dem Tag an, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei jener Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen ist, in der Sache entschieden wurde. Ob die Säumnis der zuständigen Behörde auf deren Verschulden zurückzuführen ist oder nicht, hat auf die Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG keinen Einfluss (vgl. mit weiteren Nachweisen etwa die hg. Beschlüsse vom 26. November 1998, 98/16/0162, und vom 2. Juni 2004, 2004/13/0023).

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der belangten Behörde angeführten Beschluss vom 26. Februar 2003, 2003/13/0010, in dem der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass mangels einer gesetzlichen Anordnung der ab 1. Jänner 2003 neu zuständig gewordene Unabhängige Finanzsenat sich nicht die Verletzung der Entscheidungspflicht der früher zur Entscheidung zuständig gewesenen Behörde - im damaligen Beschwerdefall die Finanzlandesdirektion - auf die Frist des § 27 VwGG anrechnen lassen muss. Auch im Beschwerdefall gibt es keine gesetzliche Anordnung, wonach sich der Unabhängige Finanzsenat die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die früher zur Entscheidung zuständig gewesene Behörde anrechnen lassen muss. Die Frist des § 27 VwGG begann daher im Beschwerdefall mit dem Übergang der Zuständigkeit auf den Unabhängigen Finanzsenat am 1. Jänner 2003 neu zu laufen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 2. Juni 2004, 2004/13/0023, ausgeführt hat, liegt im Übrigen eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine andere Behörde bei einer Säumigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz hinsichtlich der Vorlage der bei ihr eingelangten Beschwerden nicht vor. Daraus ergibt sich, dass sich die belangte Behörde deren Säumigkeit zurechnen lassen muss.

Auch mit dem Vorbringen, es sei ihr mangels "Entscheidungsreife" des Verfahrens nicht zumutbar gewesen, bis zur Erhebung der Säumnisbeschwerde am 18. November 2003 eine den materiell- und verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdende Sachentscheidung zu treffen, zeigt die belangte Behörde nicht auf, dass der Entscheidung ein Hindernis im Sinne der Rechtsprechung entgegen gestanden wäre.

Was den eventualiter gestellten Antrag der belangten Behörde auf Ausschluss von der Kostenersatzpflicht gemäß § 55 Abs. 2 VwGG anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass der Kostenersatzanspruch für den Beschwerdeführer nur dann nicht gegeben ist, wenn die belangte Behörde Gründe nachweisen kann, die eine fristgerechte Erlassung ihres Bescheides unmöglich gemacht haben und diese Gründe von ihr dem Beschwerdeführer vor Erhebung der Säumnisbeschwerde bekannt gegeben worden sind (vgl. den bereits zitierten hg. Beschluss vom 26. November 1998, 98/16/0162).

In ihrem Schreiben vom 3. September 2003 hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin zwar auf den verspäteten Erhalt der Beschwerde und der Verwaltungsakten sowie auf die materiell- und verfahrensrechtliche Komplexität des Beschwerdefalles hingewiesen. Sie hat damit aber der Beschwerdeführerin keine triftigen Gründe bekannt gegeben, die eine rechtzeitige Entscheidung unmöglich gemacht hätten und die Kostenersatzpflicht der belangten Behörde ausschließen.

Die Aufwendungen waren daher der Beschwerdeführerin im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß zu ersetzen.

Wien, am 29. Juli 2004

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