VwGH 2003/02/0076

VwGH2003/02/007620.4.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des HÖ in H, vertreten durch Dr. Karl Claus und Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwaltspartnerschaft OEG in Mistelbach, Hauptplatz 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Mistelbach, vom 25. Oktober 2002, Zl. Senat-HL-01-2035, betreffend Übertretungen der StVO, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
SPG RichtlinienV 1993 §1 Abs3;
StPO §86 Abs2;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §22 Abs2;
StVO 1960 §52 Z10a;
VStG §22 Abs1;
VStG §6;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
SPG RichtlinienV 1993 §1 Abs3;
StPO §86 Abs2;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §22 Abs2;
StVO 1960 §52 Z10a;
VStG §22 Abs1;
VStG §6;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 6. September 2001 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er sei als Fahrzeuglenker eines dem Kennzeichnen nach näher bestimmten PKWs am 13. Mai 2001 gegen 00.34 Uhr auf der B 303 bei Strkm. 17,6 und 23,5 Fahrtrichtung Kleinhaugsdorf auf der Freilandstraße schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gefahren (185 bzw. 210 km/h gefahrene Geschwindigkeit). Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 i.V.m. § 99 Abs. 3 lit. a StVO begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe von S 10.000.-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Wochen) verhängt wurde. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2002 wurde der Berufung von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben, der Spruch des Straferkenntnisses jedoch dahingehend abgeändert, dass der Beschwerdeführer am 13. Mai 2001 gegen 00.34 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten PKW nicht eine, sondern zwei Verwaltungsübertretungen gemäß § 20 Abs. 2 i.V.m.

§ 99 Abs. 3 lit. a StVO begangen habe, nämlich weil er

1. auf der B 303 bei Strkm. 17,6 in Fahrtrichtung Kleinhaugsdorf auf der Freilandstraße schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und

2. auf der B 303 bei Strkm. 23,5 in Fahrtrichtung Kleinhaugsdorf auf der Freilandstraße schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gefahren sei,

wobei das Ausmaß der verhängten Strafe für jedes Delikt mit EUR 363,36 (Ersatzfreiheitsstrafe: jeweils eine Woche) festgesetzt wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 25. Februar 2003, B 1847/02, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer ist Gendarmeriebeamter und lenkte - außerhalb des Dienstes - nach seinen Angaben am 13. Mai 2001 gegen 00.34 Uhr seinen privaten PKW auf der B 303 von Stockerau kommend Richtung Hollabrunn, wobei ihn ein PKW mit "weit überhöhter Geschwindigkeit" überholt habe. Der Beschwerdeführer habe in der Folge beobachtet, wie der Lenker dieses PKWs auf Grund seiner Fahrweise andere Straßenverkehrsteilnehmer gefährdet und auch mehrere Übertretungen der StVO begangen habe, weshalb der Beschwerdeführer dessen Verfolgung bis zur Grenzkontrollstelle Kleinhaugsdorf aufgenommen habe.

In der Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer u.a. gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Spruchänderung, nämlich gegen den Vorwurf der Begehung von zwei Übertretungen des § 20 Abs. 2 StVO. Es sei eine derart zeitliche, örtliche und sachliche Einheit durch das Nachfahren gegeben und dieses vom Gesamtvorsatz des Beschwerdeführers getragen gewesen, sodass (allenfalls) nur eine Verwaltungsübertretung vorgelegen sei. Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizupflichten:

Wird nämlich - wie hier - auf einem Straßenzug, der eine längere Strecke aufweist, die zulässige Höchstgeschwindigkeit mehrmals mit Unterbrechung(en) überschritten, dann sind zwar der zeitliche Zusammenhang und die gleiche Begehungsform, nicht jedoch die Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände gegeben, weshalb in diesen Fällen nach der hg. Rechtsprechung keine Deliktseinheit und damit auch kein fortgesetztes Delikt angenommen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1997, Zl. 97/03/0037 sowie das von der belangten Behörde in der Gegenschrift zitierte hg. Erkenntnis vom 11. November 1987, Zl. 86/03/0237).

Dass eine solche "Unterbrechung" der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwischen den im Schuldspruch angeführten Tatorten stattgefunden hat, ergibt sich allerdings aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme bei der Grenzkontrollstelle Kleinhaugsdorf am 15. Mai 2001 (vgl. die diesbezügliche Niederschrift), woraus zunächst entnehmbar ist, dass der Beschwerdeführer auf der Strecke zwischen den beiden angeführten Straßenkilometern seine Geschwindigkeit "verlangsamte" (was für sich allein nicht bedeuten müsste, dass er dadurch nicht doch weiterhin die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hätte). Allerdings ergibt sich aus den weiteren diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers, dass jener PKW-Lenker, welchem der Beschwerdeführer nachfuhr, andere PKWs trotz Sperrlinie und "Überholverbot" überholte und der Beschwerdeführer , "nachdem das Überholen wieder erlaubt war", selbst andere PKWs überholte. Unterstellt man diesen PKW-Lenkern, dass sie die erlaubte Höchstgeschwindigkeit eingehalten haben (Gegenteiliges wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet), so hat der Beschwerdeführer beim Nachfahren nach diesen (weil er sie nicht überholte) die Geschwindigkeit so reduziert, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten hat.

Der Beschwerdeführer wendet ferner ein, die belangte Behörde habe die gesetzlichen Vorschriften über die Verfolgungsverjährung außer Acht gelassen, weil die erste Instanz ursprünglich von einem einzigen Delikt ausgegangen und nach weit fortgeschrittener Zeit aus diesem einen Delikt zwei Delikte "konstruiert" worden seien. Dem ist entgegenzuhalten, dass dem Beschwerdeführer bereits im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. schon die Beschuldigtenvernehmung vom 25. Juni 2001, im Übrigen aber auch den Spruch des Straferkenntnisses vom 6. September 2001) innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist die Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO, jeweils getrennt nach Strkm. 17,6 und 23,5, zur Last gelegt wurde.

Der Beschwerdeführer rügt ferner in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen das Verbot der "reformatio in peius". Da aber die von der belangten Behörde für die beiden Übertretungen des § 20 Abs. 2 StVO festgesetzten Strafen das Gesamtausmaß der von der Erstbehörde verhängten Strafe nicht übersteigen, liegt die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Oktober 1996, Zl. 96/11/0098).

Insoweit der Beschwerdeführer vermeint, die Verfolgung des vor ihm fahrenden Lenkers unter Nichtbeachtung der nach § 20 Abs. 2 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Freilandstraßen sei durch § 86 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, ist zu bemerken:

§ 86 Abs. 2 StPO lautet:

"Liegen hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass eine Person eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung ausführe, unmittelbar vorher ausgeführt habe, oder dass nach ihr wegen einer solchen Handlung gefahndet werde, so ist jedermann berechtigt, diese Person auf angemessene Weise anzuhalten. Er ist jedoch verpflichtet, die Anhaltung unverzüglich dem nächsten Sicherheitsorgan anzuzeigen."

Diese Bestimmung berechtigt unter den dort angeführten Voraussetzungen zur Anhaltung einer Person, also zum Eingriff in deren persönliche Freiheit; sie kann zwar nach der hg. Rechtsprechung einen Rechtfertigungsgrund für eine unmittelbar mit der Anhaltung durch die Person des Anhaltenden begangene Verwaltungsübertretung darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1987, Zl. 87/18/0092 und den diesem zu Grunde liegenden Sachverhalt), rechtfertigt aber - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - keineswegs auch Verwaltungsübertretungen, die in keinem derartigen unmittelbaren Zusammenhang mit der Anhaltung stehen, wie die im Beschwerdefall im Zuge der "Verfolgungsfahrt" begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen. Es erübrigt sich daher, auf die Frage, ob die sonstigen Voraussetzungen für eine zulässige Anhaltung nach § 86 Abs. 2 StPO (insbesondere das Vorliegen des Verdachtes der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung durch den Lenker jenes Fahrzeuges, dem der Beschwerdeführer nachfuhr) gegeben waren, näher einzugehen.

Der Beschwerdeführer vertritt ferner die Ansicht, sein Verhalten sei nach § 6 VStG gerechtfertigt. Er übersieht dabei, dass es nach der ständigen hg. Rechtsprechung zum Wesen des Notstands gehört, dass die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., S. 127, unter E 21 zu § 6 VStG angeführte Judikatur). Es ist allerdings für den Verwaltungsgerichtshof auf Grund des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes nicht zu erkennen, dass die Übertretungen des § 20 Abs. 2 StVO durch den Beschwerdeführer das einzige ihm zur Verfügung gestandene Mittel war, um eine nach seiner Ansicht für andere Personen durch das Verhalten des von ihm verfolgten PKW-Lenkers unmittelbar drohende Gefahr - unabhängig davon, ob eine solche bejaht werden konnte - abzuwehren.

Zutreffend verneinte die belangte Behörde auch das Nichtvorliegen des vom Beschwerdeführer eingewendeten Rechtfertigungsgrundes des Einschreitens nach § 1 Abs. 3 erster Satz der Richtlinien-Verordnung, BGBl. Nr. 266/1993, zumal ein derartiges Einschreiten eines Organes des öffentliches Sicherheitsdienstes "außerhalb des Dienstes" u.a. zur Voraussetzung hat, "dass dies zur Abwehr einer gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Gefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß erforderlich" ist.

Nach der hg. Rechtsprechung muss insoweit eine "konkrete" Gefahr vorliegen; eine solche ist zu bejahen, wenn sich eine bestimmte Situation so drohend zugespitzt hat, dass sie erfahrungsgemäß "nahezu zwangsläufig" zu einer Beeinträchtigung von Leib oder Leben führt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 95/12/0338). Es ist für den Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht zu ersehen, dass eine solche konkrete Gefahr im Sinne der zitierten Judikatur im Beschwerdefall vorlag.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. April 2004

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte