VwGH 2002/21/0027

VwGH2002/21/002722.3.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des W in Graz, geboren am 9. Mai 1974, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 18. Dezember 2001, Zl. Fr 127/1999, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

EO §291a Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
FrG 1997 §37 Abs2;
EO §291a Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
FrG 1997 §37 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Nigeria, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 7 in Verbindung mit den §§ 37 bis 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Beschwerdeführer am 6. August 1998 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem sein Asylantrag abgewiesen wurde, mit Beschluss vom 15. März 2001 abgelehnt. Der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben als Zeitungskolporteur beschäftigt, sein monatliches Nettoeinkommen belaufe sich nach seiner Berufung auf ca. S 7.000,-- bis S 8.000,--. Dies sei allerdings "nur der derzeitige, tatsächliche Zustand", aus dem ein Rechtsanspruch für den Bezug der notwendigen Mittel für einen länger andauernden Aufenthalt im Bundesgebiet nicht abgeleitet werden könne. Im Übrigen bestätige der Umstand, dass der Beschwerdeführer eine monatliche Sozialhilfe im Ausmaß von S 1.400,-- erhalte, geradezu seine Mittellosigkeit, sodass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 7 FrG erfüllt sei. Da aus der Mittellosigkeit eines Fremden die Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen und einer finanziellen Belastung der öffentlichen Hand resultiere, sei die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Hinzu komme, dass gegen den Beschwerdeführer der Verdacht bestehe, er habe einen Dritten (bei dem ein nachweislich gefälschter Reisepass des Beschwerdeführers und eine Blanko-Geburtsurkunde mit dem Lichtbild des Beschwerdeführers gefunden worden seien) zu einer strafbaren Handlung angestiftet. Wenngleich der diesbezügliche Strafantrag gegen den Beschwerdeführer von der Staatsanwaltschaft zurückgezogen worden sei, könne der gegen ihn bestehende Tatverdacht bei Beurteilung seines Gesamtfehlverhaltens im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG einbezogen werden.

Zu § 37 FrG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei ledig, habe weder familiäre Bindungen noch nahe Verwandte in Österreich und gehe "keiner erlaubten und keiner besonders qualifizierten Berufsausübung" nach. Selbst wenn man aber von einem relevanten Eingriff in sein Privat- oder Familienleben durch das vorliegende Aufenthaltsverbot ausginge, sei dieses zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen dringend geboten. In seiner Berufung habe der Beschwerdeführer zwar ausgeführt, er hätte sich auf Grund eines schweren Herzleidens in Österreich einer Herzoperation unterziehen müssen, stünde weiterhin in ärztlicher Behandlung und sein Leben wäre in Nigeria aufs Äußerste gefährdet, weil es in seinem Heimatland keine entsprechende medizinische Betreuung für ihn gäbe. Dem hielt die belangte Behörde entgegen, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet weder wirtschaftlich noch sozial integriert sei und keine familiären oder sonstigen Bindungen zu in Österreich lebenden Personen geltend gemacht habe. Ein "allfälliges Fehlen einer entsprechenden medizinischen Betreuung in Nigeria sei somit ", so die belangte Behörde weiter, "keinesfalls Gegenstand des Aufenthaltsverbotes und allenfalls hinsichtlich der Kriterien gemäß Art. 3 EMRK in einem eigens hiefür vorgesehenen Verfahren (gemäß § 75 FrG bzw. § 8 AsylG) zu prüfen". Nach Ansicht der belangten Behörde seien die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwer wiegender als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, weshalb das Aufenthaltsverbot auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde bekämpft zunächst die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, dass im vorliegenden Fall der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 7 FrG erfüllt sei. Die belangte Behörde lasse das Berufungsvorbringen unberücksichtigt, wonach der Beschwerdeführer für zwei Firmen als Zeitungskolporteur tätig sei, "sodass sich sein monatliches Nettoeinkommen auf einen Betrag von ca. S 7.000,-- bis S 8.000,-- (EUR 508,71 bis 581,38) beläuft". Mit diesem Vorbringen ignoriert die Beschwerde, dass die belangte Behörde ihrer Entscheidung ohnedies Einkünfte des Beschwerdeführers in der genannten Höhe zugrundegelegt hat, diese aber weder als gesichert noch (in Anbetracht der vom Beschwerdeführer bezogenen Sozialhilfe) als ausreichend qualifiziert hat, um die Lebensbedürfnisse des Beschwerdeführers zu befriedigen.

Zum letztgenannten Punkt hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass sich die Höhe der für die Bestreitung des Unterhaltes erforderlichen Mittel am allgemeinen Grundbetrag des § 291a Abs. 1 EO ("Existenzminimum") orientiert (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. September 2001, Zl. 99/21/0090).

Nach der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Geltung gewesenen Existenzminimum-Verordnung 2001, BGBl. II Nr. 419/2000, betrug dieser Grundbetrag monatlich S 8.440,-- (EUR 613,36). Berücksichtigt man, was die belangte Behörde insoweit zutreffend erkannt hat, dass in dem vom Beschwerdeführer genannten monatlichen "Nettoeinkommen" bereits die ihm gewährte Sozialhilfe in Höhe von S 1.400,-- (EUR 101,74) enthalten ist (was in der Beschwerde mit dem für die Erlangung von Verfahrenshilfe vorgelegten Vermögensbekenntnis ausdrücklich bestätigt wird), so kann der belangten Behörde schon von daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie von der "Mittellosigkeit" des Beschwerdeführers ausgeht und den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 7 FrG als erfüllt ansieht. Ob die belangte Behörde das genannte Einkommen des Beschwerdeführers als Zeitungskolporteur auch als nicht gesichert ansehen durfte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. September 2001, Zl. 2000/21/0022), bedarf vor diesem Hintergrund keiner weiteren Erörterung. Im Hinblick auf die aus der Mittellosigkeit eines Fremden resultierende Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen und/oder einer finanziellen Belastung der Republik Österreich - zumindest letztere hat sich im gegenständlichen Fall angesichts der unstrittig vom Beschwerdeführer bezogenen Sozialhilfeleistungen bereits verwirklicht - ist es auch nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme für gerechtfertigt hält (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 99/21/0090). Schon deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde diese Annahme zusätzlich auch auf ein allfälliges, in der Beschwerde bestrittenes Fehlverhalten des Beschwerdeführers stützen durfte.

Zur Interessenabwägung nach § 37 FrG wendet sich die Beschwerde gegen die im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung, es sei im Rahmen der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer nach der im Bundesgebiet durchgeführten Herzoperation eine entsprechende medizinische Betreuung in seinem Heimatland erhalten könne. Nach Ansicht des Beschwerdeführers stelle das Aufenthaltsverbot vor dem Hintergrund seiner Herzoperation, deretwegen er weiterhin einer ärztlichen Behandlung bedürfe und ohne die sein Leben gefährdet wäre, einen vehementen Eingriff in sein Privatleben dar, der schwerer wiege, als die Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Wenn die belangte Behörde, wie erwähnt, die Auffassung vertritt, am Ergebnis der Interessenabwägung könne auch ein Zutreffen der Angaben des Beschwerdeführers über sein schweres Herzleiden und seine zur Hintanhaltung einer Lebensgefahr erforderliche ärztliche Behandlung in Österreich nichts ändern, so verkennt sie die Rechtslage. Es liegt auf der Hand, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden, dessen Leben von der medizinischen Behandlung in Österreich abhängt, mit erheblichen Auswirkungen auf seine "Lebenssituation" im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG verbunden wäre. Sollte für einen solchen Fremden, wie dies auch der Beschwerdeführer für seine Person behauptet, keine Aussicht bestehen, sich in einem anderen Land der für ihn lebensnotwendigen Behandlung zu unterziehen (der Beschwerdeführer behauptete, dass er nur nach Nigeria ausreisen könne), dann hätten seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich ein derart großes Gewicht, dass die besagten öffentlichen Interessen bei der Abwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG in den Hintergrund träten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 98/21/0283).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG unterbleiben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die beantragte Umsatzsteuer im zuerkannten Pauschalbetrag der zitierten Aufwandersatzverordnung bereits enthalten ist.

Wien, am 22. März 2002

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