VwGH 2002/18/0068

VwGH2002/18/006817.2.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des Ü, geboren 1986, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traungasse 14/I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. November 2001, Zl. 108.607/15- III/11/01, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art7;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art50 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §113 Abs10;
FrG 1997 §20;
FrG 1997 §21 Abs2;
FrG 1997 §21 Abs3;
EMRK Art8;
Übk Rechte des Kindes 1993 Art10 Abs1;
VwRallg;
ARB1/80 Art7;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art50 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §113 Abs10;
FrG 1997 §20;
FrG 1997 §21 Abs2;
FrG 1997 §21 Abs3;
EMRK Art8;
Übk Rechte des Kindes 1993 Art10 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 7. November 2001 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe am 5. Jänner 1999 bei der österreichischen Botschaft in Ankara einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung eingebracht. Dieser Antrag sei von der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen (der Erstbehörde) mit Bescheid vom 18. Juni 2001 gemäß § 21 Abs. 3 FrG abgewiesen worden. Dagegen habe der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Berufung erhoben.

Im Laufe des (Berufungs-)Verfahrens habe sich herausgestellt, dass der Beschwerdeführer am 30. Juli 2001 mit einem bis 8. September 2001 gültigen Visum C (Reisevisum) nach Österreich eingereist sei. Daraufhin sei sein Rechtsvertreter am 25. Oktober 2001 aufgefordert worden bekannt zu geben, wo sich der Beschwerdeführer derzeit aufhielte. Gleichzeitig habe die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass der Versagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG vorläge, sollte sich der Beschwerdeführer tatsächlich im Bundesgebiet befinden. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2001 habe sein Rechtsvertreter mitgeteilt, dass sich der Beschwerdeführer nach wie vor bei seinen Eltern in Österreich aufhalte. Auf Grund dieses unbestritten gebliebenen Sachverhalts sei der zwingende Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG erfüllt.

Somit erübrige sich auch das Eingehen auf etwaige private und familiäre Interessen, weil ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht bei Vorliegen des genannten Versagungsgrundes zulässig sei.

2. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 25. Februar 2002, B 1727/01, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass sich die Erstbehörde in ihrem Bescheid auf die "§§ 8 Abs. 3, 19 Abs. 5, 21 Abs. 3 und 22 des Fremdengesetzes 1997 sowie Artikel 8 der EMRK" gestützt habe. Hingegen habe die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid erstmals den Versagungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG "als Grundlage für die Abweisung der Berufung" aufgegriffen. Sie habe somit die "Sache" des Berufungsverfahrens überschritten und sich mit dem im Hinblick auf § 21 Abs. 3 FrG erstatteten Berufungsvorbringen nicht auseinander gesetzt. Nur im Fall einer Zurückverweisung gemäß § 66 Abs. 4 AVG an die Erstbehörde hätte diese (nach weiteren Erhebungen) ihren Bescheid auf § 10 FrG stützen dürfen. Der Versagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG sei außerdem nicht zwingend.

2.1. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der Beschwerdeführer am 3. Juli 2001 auf Grund eines bis 8. September 2001 gültigen Reisevisums in das Bundesgebiet eingereist und im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides noch hier aufhältig war.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu versagen, wenn dieser zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2003, Zl. 2003/18/0048) ist für die Beurteilung der Frage, ob dieser Versagungsgrund vorliegt, ausschließlich maßgeblich, ob sich der Fremde im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Anschluss an eine mit einem Reisevisum erfolgte Einreise im Bundesgebiet aufgehalten hat. Daher begegnet die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG sei verwirklicht, keinen Bedenken.

2.2. Dem Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe durch die erstmalige Heranziehung des Versagungstatbestandes nach § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG die "Sache" des Berufungsverfahrens überschritten, ist entgegenzuhalten, dass die Behörde im Rahmen der "Sache" nach § 66 Abs. 4 zweiter Satz AVG berechtigt und verpflichtet war, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäss den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung hin abzuändern. "Sache" ist der Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde, im vorliegenden Fall also die beantragte Erstniederlassungsbewilligung nach dem FrG und nicht eine bestimmte von der Unterinstanz gewählte Begründung für die Erteilung oder Versagung derselben. Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde eine neuerliche selbstständige Prüfung des Sachverhaltes vorzunehmen, ohne an die Ergebnisse des bisher durchgeführten Ermittlungsverfahrens und deren Beurteilung durch die Unterbehörde gebunden zu sein (vgl. das zu § 36 FrG ergangene hg. Erkenntnis vom 7. September 2004, Zl. 2001/18/0019). Die im § 66 Abs. 4 AVG verankerte grundsätzliche Verpflichtung der Rechtsmittelbehörde zur Entscheidung in der Sache selbst schließt auch die Verpflichtung ein, Änderungen des Sachverhalts und der Beweislage, welche erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eingetreten oder hervorgekommen sind, in der Berufungsentscheidung zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1991, Zl. 87/18/0011). § 66 Abs. 4 AVG bietet der Berufungsbehörde auch die Grundlage dafür, die rechtlichen Erwägungen, die zur Abweisung eines Antrages geführt haben, auszuwechseln und einen anderen Grund (andere Gründe) als die Behörde erster Instanz für die Versagung der begehrten Bewilligung heranzuziehen, wenn hiezu das Parteiengehör gewahrt wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis Slg. 10.247A/1980). Da der Beschwerdeführer - unstrittig - während des laufenden Berufungsverfahrens mit einem Reisevisum ins Bundesgebiet gelangt ist und sich seither hier aufhält, kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde die beantragte Niederlassungsbewilligung unter Heranziehung des von der Erstbehörde nicht angewendeten Versagungstatbestandes des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG - in diesem Umfang wurde dem Beschwerdeführer (von ihm nicht in Abrede gestellt) mit Schreiben der belangten Behörde vom 25. Oktober 2001 Parteiengehör eingeräumt - versagt hat.

2.3. Bei der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG handelt es sich - wie sich aus der Wendung "... ist zu versagen, wenn ..."

ergibt - um einen absoluten Versagungsgrund, bei dessen Vorliegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels ausgeschlossen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1999, Zl. 99/19/0221). Anders als der Beschwerdeführer meint, ist bei einer auf § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG gestützten Entscheidung eine Bedachtnahme auf die privaten und familiären Verhältnisse des Fremden im Sinn des Art. 8 MRK nicht geboten (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2001, Zl. 2001/19/0091, mwN). Ebenso ist der Beschwerdehinweis auf § 20 FrG, aus dem der Beschwerdeführer für sich einen "Rechtsanspruch auf Bewilligung der Familienzusammenführung" ableitet, nicht zielführend. Nach dieser Gesetzesbestimmung ist (u. a.) minderjährigen Kindern solcher Fremder, die rechtmäßig in Österreich auf Dauer niedergelassen sind, auf deren Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern sie ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12 FrG). Diese Bestimmung stellt somit darauf ab, dass kein Versagungsgrund verwirklicht ist, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 2002, Zl. 2002/18/0038).

3. Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, die belangte Behörde hätte von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG ausgehen müssen und ihm trotz Vorliegens des Versagungsgrundes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen müssen. Damit verkennt der Beschwerdeführer aber, dass diese der Fremdenpolizeibehörde (und nicht der hier einschreitenden Niederlassungsbehörde) eingeräumte Möglichkeit, unter näher bestimmten Voraussetzungen trotz Vorliegens des in Rede stehenden Versagungsgrundes von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, der im gegenständlichen Fall erfolgten Versagung der vom Beschwerdeführer beantragten Niederlassungsbewilligung nicht entgegensteht (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2001/18/0091).

4. Die Beschwerde führt auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, BGBl. Nr. 7/1993, ins Treffen. Österreich sei als Vertragsstaat verpflichtet, ausreichend Sorge dafür zu tragen, dass Minderjährige nicht der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt würden und dass für eine umfassende Betreuung und Obsorge durch beide Elternteile gesorgt werde. In diesem Zusammenhang rügt die Beschwerde, dass weder der Beschwerdeführer noch sein Vater zu möglichen Betreuungsmöglichkeiten in der Türkei einvernommen worden seien, sodass die belangte Behörde das Recht auf Parteiengehör verletzt habe.

Das genannte Übereinkommen ist jedoch auf Grund des Beschlusses des Nationalrates, wonach es durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, nicht unmittelbar anwendbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 99/19/0171). Schon deshalb kann ein Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungsbewilligung aus ihm nicht abgeleitet werden.

5. Entgegen der Beschwerdemeinung ist aus dem auf Grundlage des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei aus 1963 gefassten Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 vom 19. September 1980 (ARB) ein Recht auf Familienzusammenführung nicht abzuleiten, regelt dieser Beschluss doch nur die beschäftigungsrechtliche Stellung der Familienangehörigen, die auf Grund anderer Rechtsgrundlagen der Mitgliedstaaten die Genehmigung erhalten haben, zu einem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, wobei die Befugnis des betreffenden Mitgliedstaates, den Familienangehörigen die Genehmigung zu erteilen (oder nicht zu erteilen), nicht berührt wird. Die Erteilung eines Reisevisums stellt jedenfalls keine solche Genehmigung dar (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 2002/18/0038).

6. Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. Februar 2005

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