VwGH 2002/09/0016

VwGH2002/09/001615.12.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Ing. Dr. Werner Schostal, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zedlitzgasse 1/17, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen vom 27. Dezember 2001, Zl. OB. 114-486.070-006, betreffend Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

HVG §2 Abs1;
HVG §4 Abs1;
VwRallg;
HVG §2 Abs1;
HVG §4 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der im Jahr 1977 geborene Beschwerdeführer leistete vom 3. Juli bis 11. September 2000 Präsenzdienst (Grundwehrdienst) beim österreichischen Bundesheer. Am 20. Juli 2000 erlitt er im Rahmen einer Truppenübung beim Anheben und Abstellen eines "KaZ III" (Ausrüstungspaket Kampfanzug mit einem Gewicht von etwa 40 kg) auf die Ladefläche eines LKW (verbunden mit 90 grädiger Hebedrehbewegung) eine Gesundheitsschädigung an seiner Wirbelsäule. In seinem Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung machte der Beschwerdeführer als Gesundheitsschädigungen "Diskusprolaps L5/S1, Diskusprotrusion L4/L5 und Diskusprotrusion L3/L4" geltend.

Mit Bescheid vom 24. April 2001 hat das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland über die Beschädigtenversorgung des Beschwerdeführers wie folgt entschieden:

"1. Auf ihren Antrag vom 8.9.2000 wird gemäß §§ 1 und 2 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG), BGBl. Nr. 27/1964, in geltender Fassung, nachstehend angeführte Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung anerkannt:

Bezeichnung der Dienstbeschädigung:

L5-Laesion links (motorisch) bei Prolaps L5/S1

Kausalanteil: 1/1

2. Der Anspruch auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente wird gemäß § 21 HVG, in geltender Fassung, abgelehnt.

3. Die weiters angemeldeten Gesundheitsschädigungen "Diskusprotrusion L4/L5 und Diskusprotrusion L3/L4" werden gemäß § 2 HVG, in geltender Fassung, nicht als Dienstbeschädigungen anerkannt."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er erklärte darin ausdrücklich, den erstinstanzlichen Bescheid nur hinsichtlich der Spruchpunkte 3. (Nichtanerkennung der Diskusprotrusionen als Dienstbeschädigung) und 2. (Rentenablehnung) anzufechten. Der Beschwerdeführer stellte den Berufungsantrag, den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Diskusprotrusionen (L4/L5 und L3/L4) als Dienstbeschädigung anerkannt und ihm eine Beschädigtenrente im gesetzlichen Ausmaß zuerkannt werde; in eventu stellte er einen Aufhebungsantrag.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde über die Berufung des Beschwerdeführers wie folgt entschieden:

"Der Berufung wird keine Folge gegeben, jedoch der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991), in Verbindung mit § 82 Abs. 1 HVG dahin abgeändert, dass die Dienstbeschädigung gemäß § 2 HVG wie folgt lautet:

Vom 20. Juli 2000 bis 20. August 2000:

Irritation L5 beidseits und sensible Läsion L5 links nach

Hebetrauma, kausaler Anteil: 1/1;

Vom 20. August 2000 bis 24. Oktober 2000:

Irritation L5 beidseits bei Prolaps L5/S1; kausaler Anteil: 1/1.

Am 25. Oktober 2000 besteht keine Dienstbeschädigung mehr.

Gemäß § 21 HVG ist kein Anspruch auf Beschädigtenrente gegeben."

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, sie habe zur Prüfung der medizinischen Vorfrage die ärztlichen Sachverständigengutachten eines Facharztes für Nervenkrankheiten und einer Fachärztin für Orthopädie eingeholt. Hinsichtlich der geltend gemachten Diskusprotrusionen sei festzustellen, dass neurologisch keine Ausfälle feststellbar bzw. nachweisbar gewesen seien, die "der Höhe dieser Protrusionen" entsprechen würden. Bei vorgeschädigten Wirbelsäulen - wie im Fall des Beschwerdeführers - würden sich "Bandscheibenwölbungen finden", sie würden jedoch keine Ausfälle und keine Funktionsstörungen verursachen. In der Computertomographie sei eindeutig festgehalten, dass in den geltend gemachten Wirbelsäulensegmenten "wohl degenerative Veränderungen, jedoch keine Beeinträchtigungen der Nervenwurzeln festzustellen waren". Es handle sich daher um ein schicksalhaftes, anlagemäßig bedingtes Leiden ohne Zusammenhang mit dem Präsenzdienst. In einem Röntgenbefund vom 9. März 1995 würden "Veränderungen der Brustwirbelsäule nach einem Morbus Scheuermann" beschrieben. Ein Röntgenbefund vom 26. Juli 2000 beschreibe in der Lendenwirbelsäule eine "Streckfehlhaltung und Retrolisthese L5/S1, die die Annahme der Akausalität der Bandscheibenprotrusionen als Ausdruck einer vorgeschädigten Wirbelsäule unterstützen". Die belangte Behörde erkenne die im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten als schlüssig, und lege sie in freier Beweiswürdigung ihrer Entscheidung zugrunde. Dem Vertreter des Beschwerdeführers sei das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht worden. Die danach vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwendungen seien "nicht geeignet, die auf medizinisches Fachwissen gestützten Sachverständigengutachten zu entkräften". Insbesondere sei zu entgegnen, dass die Fachärztin für Orthopädie zu allen medizinisch relevanten Fragen schlüssig Stellung genommen habe; sie habe ihr Gutachten nicht nur auf das eingeholte Gutachten des Facharztes für Neurologie, sondern auch auf die CT-Untersuchung und die Röntgenbefunde vom 9. März 1995 und vom 26. Juli 2000 gestützt. Der Beschwerdeführer habe "auf medizinisches Fachwissen gestützte Gegenbeweise" nicht vorgelegt; von einer Erweiterung des Beweisverfahrens habe daher abgesehen werden können. Auf Grund der im Einzelnen wiedergegebenen stufenweisen Einschätzung nach Richtsätzen ergebe sich, dass die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit im Zeitraum 20. Juli bis 20. August 2000 40 v.H. und vom 21. August bis 24. Oktober 2000 20 v.H. betrage; ab 25. Oktober 2000 bestehe keine Dienstbeschädigung mehr. Da die Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung nicht über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung hinaus mehr als 25 v.H. betragen habe, bestehe gemäß § 21 Abs. 1 HVG kein Anspruch auf Beschädigtenrente.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde sei nicht befugt gewesen, den Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides abzuändern. Er erachte sich in dem Recht verletzt, dass die rechtskräftig festgestellte Bandscheibenvorfallsverletzung L5/S1 über den 25. Oktober 2000 hinaus als Dienstbeschädigung - mit entsprechenden Versorgungsrechtsfolgen nach § 4 HVG - unverändert festgestellt bleibe.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht. Im Beschwerdefall blieb der erstinstanzliche Bescheid im Umfang seines Spruchpunktes 1. unbekämpft. Es ist daher die darin erfolgte Anerkennung der konkret umschriebenen Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers als Dienstbeschädigung in Rechtskraft erwachsen. "Sache" des Berufungsverfahrens im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG war - unter Berücksichtigung der Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides und des Umfanges des Berufungsantrages - daher ausschließlich die Anerkennung der Diskusprotrusionen (Spruchpunkt 3. des erstinstanzlichen Bescheides) und die danach allenfalls erforderliche Rentenbemessung (Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides). Die belangte Behörde hat, indem sie den Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides abänderte, die Grenzen ihrer Abänderungsbefugnis als Berufungsbehörde überschritten und ihren Bescheid insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. September 2001, Zl. 99/09/0204, und die darin angegebene Judikatur).

Die belangte Behörde ist auf Grund des Gutachtens der Fachärztin für Orthopädie davon ausgegangen, dass die geltend gemachten Bandscheibenwölbungen - deren Anerkennung als Dienstbeschädigung strittig ist - ein "anlagemäßig bedingtes Leiden" darstellen, und sie hat deshalb die Kausalität verneint. Bei dieser Beurteilung hat die belangte Behörde jedoch den Zusammenhang der anerkannten Dienstbeschädigung mit der Anlage des Beschwerdeführers nicht hinreichend geprüft und insoweit eine notwendige Ergänzung des Beweisverfahrens unterlassen, weil sie die Rechtslage wie folgt verkannte:

Bei der Kausalitätsbeurteilung im Bereich der Heeresversorgung ist von der Theorie der "wesentlichen Bedingung" auszugehen. Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein von § 2 Abs. 1 HVG erfasstes schädigendes Ereignis (hier: Präsenzdienst des Beschwerdeführers sowie sein Unfall während einer Truppenübung) zurückgeht - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Dies ist das Ereignis dann, wenn es nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht, oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt, oder nur im geringeren Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung. Wirken eine krankhafte Veranlagung und ein Unfallereignis bei Entstehung einer Gesundheitsschädigung zusammen, so ist demnach zu beurteilen, ob das Unfallereignis eine wesentlich mitwirkende Bedingung für die Schädigung gewesen ist, oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache war. Letzteres ist anzunehmen, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Eine krankhafte Veranlagung hindert also die Annahme einer unfallbedingten Auslösung nicht. Eine solche kann auch vorliegen, wenn eine vorhandene krankhafte Veranlagung zu einer plötzlichen, in absehbarer Zeit nicht zu erwartenden Entwicklung gebracht, oder eine bereits bestehende Erkrankung verschlimmert worden ist. Für die Frage, ob die Auswirkungen des Unfalles eine rechtlich wesentliche Teilursache des nach dem Unfall eingetretenen Leidenszustandes sind, ist in erster Linie von Bedeutung, ob dieser Leidenszustand auch ohne den Unfall etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre, oder durch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis hätte ausgelöst werden können, ob also die äußere Einwirkung wesentliche Teilursache oder nur Gelegenheitsursache war (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 6. November 2001, Zl. 96/09/0004, vom 18. April 2002, Zl. 2000/09/0184, und vom 23. Mai 2002, Zl. 99/09/0013).

Im Beschwerdefall blieb ungeprüft, welche Auswirkungen der Unfall des Beschwerdeführers auf sein als anlagebedingt eingestuftes Leiden (Diskusprotrusionen im Bereich der Lendenwirbelsäule) hatte. Dass dieser Unfall allein die (als Dienstbeschädigung anerkannte) Bandscheibenvorfallsverletzung zur Folge hatte, aber auf seine als anlagebedingt eingestuften Diskusprotrusionen im Bereich der Lendenwirbelsäule keine Auswirkungen gehabt habe, hat die belangte Behörde jedenfalls nicht festgestellt.

Der Beschwerdeführer ist auch mit seinem Beschwerdevorbringen im Recht, dass die belangte Behörde auf seine im Berufungsverfahren erhobenen Einwendungen nicht eingegangen sei. Er hat nämlich in seiner - zu dem zur Kenntnis gebrachten Ergebnis der Beweisaufnahme erstatteten - Stellungnahme vom 25. Oktober 2001 unter anderem vorgebracht, dass er einen röntgenologischen Sachbeweis habe, wonach vor dem Unfall keine Schädigung der Lendenwirbelsäule gegeben gewesen sei; die Beurteilung bzw. der medizinische Schluss auf einen Vorschaden beruhe - nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers - nur auf Spekulation. Damit hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt, und sie hat auch die vom Beschwerdeführer mit Recht verlangte Ergänzung des Sachverständigenbeweises nicht vorgenommen. Die Fachärztin für Orthopädie hat in ihrem Gutachten unter anderem festgehalten, dass der Röntgenbefund vom 9. März 1995 nur den Bereich der Brustwirbelsäule beschreibe, aber eine solche Zusatzuntersuchung im Bereich der Lendenwirbelsäule fehle. Es hätte daher - im Sinne der Einwendungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme - einer Erörterung mit der Sachverständigen (Fachärztin für Orthopädie) bedurft, auf welche Tatsachen oder allenfalls medizinisch gesicherte Erfahrungen sie ihr Gutachten in dieser Hinsicht stützte, dass "zu diesem Zeitpunkt auch in der Lendenwirbelsäule auf den Normalaufnahmen nicht sichtbare Veränderungen vorhanden waren". Von daher ist auch klärungsbedürftig geblieben, ob bzw. aus welchem Grund die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bandscheibenwölbungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als anlagemäßig bedingtes Leiden anzusehen sind.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren hinsichtlich der (entrichteten) Pauschalgebühr war abzuweisen, weil vom Beschwerdeführer gemäß § 68 Abs. 2 HVG keine bundesgesetzlich geregelten Gebühren und Verwaltungsabgaben zu entrichten waren.

Wien, am 15. Dezember 2004

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