Normen
ASVG §203 Abs1 impl;
HVG §2 Abs1;
HVG §21 Abs1;
HVG §4 Abs1;
HVG §86;
VwRallg;
ASVG §203 Abs1 impl;
HVG §2 Abs1;
HVG §21 Abs1;
HVG §4 Abs1;
HVG §86;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1979 geborene Beschwerdeführer leistete vom 4. Januar 1999 bis 16. März 1999 (infolge vorzeitiger Entlassung) seinen ordentlichen Präsenzdienst beim österreichischen Bundesheer. Am 15. Februar 1999 stürzte er während der Ableistung seines Grundwehrdienstes auf der Stiege und erlitt hierbei eine Gesundheitsschädigung.
Mit Antrag vom 8. April 1999 (Tag des Einlangens bei der Behörde erster Instanz) begehrte der Beschwerdeführer die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG) für folgende Gesundheitsschädigung:
"Bandscheibenvorfall L5/S1".
Mit Bescheid vom 14. Oktober 1999 sprach das Bundessozialamt Oberösterreich unter Spruchpunkt 1. aus, dass das Begehren auf Anerkennung der Gesundheitsschädigung "Bandscheibenvorfall L5/S1" gemäß §§ 1 und 2 HVG nicht als Dienstbeschädigung anerkannt werde und lehnte unter Spruchpunkt 2. den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gemäß § 4 HVG ab.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung im Wesentlichen mit der Behauptung, die als Dienstbeschädigung geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Bandscheibenvorfall L5/S1" sei unfallkausal.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid von 22. Mai 2000 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte damit den erstinstanzlichen Bescheid.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das weitere im Berufungsverfahren eingeholte ärztliche Gutachten des unfallchirurgischen Sachverständigen Dr. K habe - unter Berücksichtigung der Ergebnisse der CT-Untersuchung und im Ergebnis mit dem bereits im Verfahren erster Instanz eingeholten Gutachten übereinstimmend - ergeben, dass gravierende Veränderungen der Wirbelsäule bereits lange vor dem Unfall bestanden haben müssten. Durch den Sturz über eine Stiege hätten die objektivierbaren röntgenologischen Veränderungen nicht verursacht worden sein können; dieses Trauma sei "auch für eine unveränderte Bandscheibe als nicht relevant zu verzeichnen". Der medizinischen Beurteilung im erstinstanzlichen Verfahren sei zuzustimmen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Wirbelsäulenprellung und der Spondylolisthese und den intervertebralen Arthrosen sei mit Sicherheit nicht gegeben. Das Gutachten werde als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt. Die Einwendungen des Beschwerdeführers seien nicht geeignet gewesen, die übereinstimmenden Gutachten beider Instanzen zu entkräften.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung der von ihm erlittenen Gesundheitsbeschädigung als Dienstbeschädigung verletzt. Er macht im Wesentlichen geltend, es seien keinerlei Vorschäden vorhanden gewesen; dies hätte ansonsten bei der Stellungsuntersuchung im August 1997 hervorkommen müssen. Es sei unbegründet geblieben, wie die Gutachter zu dem Ergebnis hätten gelangen können, es seien bereits seit längerer Zeit Vorschäden vorhanden gewesen. Selbst bei Bejahung solcher Vorschäden hätte die Behörde eine relevante Verschlimmerung annehmen müssen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 erster Satz des Heeresversorgungsgesetzes (HVG), BGBl. Nr. 27/1964, ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.
Nach § 21 Abs. 1 HVG in der Fassung BGBl. Nr. 687/1991, hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 25 v.H. vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v. H.. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.
Nach Abs. 2 dieser Gesetzesbestimmung ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Abs. 1 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Diese Richtsätze sind durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates (§§ 8 bis 13 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990) durch Verordnung (RichtsatzVO) aufzustellen.
Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsschädigung entschädigt wird, ist somit, dass diese zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist und im Falle der Bejahung der Kausalitätsfrage die erlittene Gesundheitsschädigung die Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. vermindert. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Behörde zu prüfen. Im Beschwerdefall wurden diese Fragen verneint. Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichenwissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. zur Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur inhaltsgleichen Regelung des § 4 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957, z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Jänner 1990, Zl. 89/09/0060). Im Verfahren nach dem Heeresversorgungsgesetz geht es demnach nicht um eine Objektivierung der Verneinung der Kausalität, sondern um die Feststellung, ob die Wahrscheinlichkeit für die Kausalität spricht.
Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen einem schädigenden Ereignis oder den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 erster Satz HVG setzt voraus, dass der Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 86 HVG geregelten Verfahren geklärt wird und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsvorgeschichte von der Behörde ermittelt und festgestellt werden (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 1986, Zl. 84/09/0057). Dabei kommt es nicht allein darauf an, dass das schädigende Ereignis unmittelbare Leidenszustände zu Folge hat, es genügt auch eine Verschlimmerung bereits anlagebedingt vorhandener Leiden. Eine krankhafte Veranlagung hindert daher die Annahme einer unfallbedingten Auslösung nicht. Eine solche kann auch vorliegen, wenn eine vorhandene krankhafte Veranlagung zu einer plötzlichen, in absehbarer Zeit nicht zu erwartenden Entwicklung gebracht oder eine bereits bestehende Erkrankung verschlimmert worden ist. Für die Frage, ob die Auswirkungen des Unfalles eine rechtlich wesentliche Teilursache des nach dem Unfall eingetretenen Leidenszustandes sind, ist in erster Linie von Bedeutung, ob dieser Leidenszustand auch ohne den Unfall etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre oder durch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis hätte ausgelöst werden können, ob also die äußere Einwirkung wesentliche Teilursache oder nur Gelegenheitsursache war (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 6. November 2001, Zl. 96/09/0004).
Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 iVm § 67 AVG sind in der Begründung eines Berufungsbescheides u.a. auch die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen. Ein Bescheid, der diesen Erfordernissen nicht entspricht, bedarf hinsichtlich des Sachverhaltes der Ergänzung und ist daher, sofern durch diesen Mangel die Parteien in der Verfolgung ihrer Rechte beeinträchtigt sind, mit einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 42 Abs. 2 Z.3 lit.b VwGG behaftet.
Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG, wonach die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen hat, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (sogenannter Grundsatz der freien Beweiswürdigung), bedeutet nicht, dass dieser in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die in Rede stehende Bestimmung hat nur zur Folge, dass, sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, die Würdigung der Beweise keinen anderen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Diese Regelung schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind aber solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. März 1989, Zl. 86/09/021, und die dort zitierte Rechtsprechung).
Auf dem Boden dieser Rechtsprechung hält die Begründung des angefochtenen Bescheides einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht stand.
Der im Berufungsverfahren beigezogene Sachverständige Dr. K ging zwar in seinem Gutachten von den Ergebnissen einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und dem vom unfallchirurgischen Sachverständigen Prim. Dr. C erstatteten Vorgutachten aus und hat in Übereinstimmung mit diesem eine Wahrscheinlichkeit für die vom Beschwerdeführer behauptete Kausalität in Bezug zu den diagnostizierten körperlichen Anomalien dezidiert verneint. Die Aufnahmediagnose des Krankenhauses R, welche noch auf "Verdacht auf Wirbelbogenfraktur und Abbruch des Dornfortsatzes d.5. Lendenwirbels" lautete, konnte nach röntgenologischer Untersuchung des Beschwerdeführers und Durchführung eines CT's nicht aufrechterhalten werden. Der Beschwerdeführer hat aber seinen Anspruch nicht auf "Spondylolisthese" und/oder "intervertebrale Arthrosen" gestützt, sondern auf "Bandscheibenvorfall L5/S1" und in diesem Zusammenhang bereits im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass er vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei, nach diesem aber ständige Beschwerden habe.
Der Sachverständige Prim. Dr. C sagte in seinem Gutachten hierzu lediglich aus "..der Bandscheibenvorfall (hätte) in absehbarer Zeit auch bei jeder anderen Gelegenheit, wie Husten, Niesen, Pressen, Lachen" verursacht werden können, ohne dass eine weitere Bezugnahme auf die allenfalls bereits vorhanden gewesenen Vorschäden erfolgt wäre. Vielmehr geht dieser Gutachter selbst davon aus, es könne sich um einen "stummen" Bandscheibenvorfall gehandelt haben, der durch den Treppensturz virulent geworden sei. Entscheidungswesentlich ist daher im vorliegenden Fall die Frage, ob die - nach den von den Gutachtern angenommenen und im Zeitpunkt des Treppensturzes offenbar schon vorhanden gewesenen - Vorschädigungen zumindest mit Wahrscheinlichkeit im Sinne einer Prädisposition für den sodann aufgetretenen Bandscheibenvorfall verschlimmert worden sind oder nicht. Auch wäre in diesem Zusammenhang die Frage zu prüfen gewesen, ob diese Vorschädigungen der Dienstbehörde bekannt gewesen sind oder hätten sein müssen (vgl. in gleichem Sinn das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1993, Zl. 93/09/0088).
Aus diesen Gründen musste der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b und c VwGG aufgehoben werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 18. April 2002
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