VwGH 2001/20/0573

VwGH2001/20/057330.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des C in W, geboren 1966, vertreten durch Mag. Jürgen W. Zahradnik, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Mai 2001, Zl. 214.131/8- IX/25/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Berufung gegen Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides, betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Moldawien, abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Moldova (Moldawien), reiste am 21. November 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. November 1999 und am 20. Juni 2000 begründete er seinen Antrag mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten mit Polizisten und anderen "maskierten und bewaffneten Männern", die ihm seit Dezember 1998 das Leben in Moldawien erschwert hätten.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 7. Juli 2000 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I) und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Moldawien fest (Spruchpunkt II). Es ging davon aus, die Angaben des Beschwerdeführers "dürften ... der Wahrheit entsprechen", erachtete das Vorbringen aber nicht als asylrelevant und verwies den Beschwerdeführer auch in Bezug auf den Ausspruch gemäß § 8 AsylG auf "Schutz vor Übergriffen durch den Staat" (gemeint: staatlichen Schutz vor Übergriffen Dritter).

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages mit dem Argument bestätigt, es fehle ein Zusammenhang zwischen den behaupteten Erlebnissen des Beschwerdeführers und der von ihm geltend gemachten Bedrohung einerseits und den in der FlKonv genannten Gründen für eine asylrelevante Verfolgungsgefahr andererseits. Dem hält die Beschwerde entgegen, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer in der Berufung eine Äußerung ihn misshandelnder Polizisten erwähnt habe, in der sich diese auf seine ukrainische Abstammung bezogen hätten.

Damit zeigt die Beschwerde bei Bedachtnahme auf die Gesamtheit der von der belangten Behörde - wie schon vom Bundesasylamt - als wahr unterstellten Schilderungen des Beschwerdeführers keinen Zusammenhang zwischen der befürchteten Verfolgungsgefahr und der von Anfang an aktenkundigen, vom Beschwerdeführer bei der Darstellung der Fluchtgründe aber nie ins Spiel gebrachten Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer hat in seinen mündlich und schriftlich jeweils wortreich vorgetragenen Darstellungen nie angedeutet, die von ihm erduldeten und weiterhin zu befürchtenden Nachstellungen könnten - und sei es auch nur in untergeordneter Weise - auf seine Volksgruppenzugehörigkeit zurückzuführen sein. Dass der Berufung zufolge bei einem der Vorfälle die "Männer mit Masken und Polizeiuniformen" geäußert hätten, "dass die Ukrainer in Moldavien nichts tun würden", wird durch die Beifügung relativiert, die erwähnten Männer hätten noch "vieles anderes" gesagt, und kann im Gesamtzusammenhang der Behauptungen des Beschwerdeführers nicht als (Teil einer) Erklärung für seine behaupteten Erlebnisse aufgefasst werden.

Insoweit sich die Beschwerde unter Hinweis auf diese Stelle in der Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages richtet, war ihr daher ein Erfolg zu versagen.

Zur Begründung ihrer Bestätigung der gemäß § 8 AsylG getroffenen Feststellung hat die belangte Behörde einleitend auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen, der sich diesbezüglich (mit der schon wiedergegebenen Wendung) auf Ausführungen zum ersten Spruchteil des erstinstanzlichen Bescheides bezieht. Danach hätte sich der Beschwerdeführer nur entschließen müssen, die auf Grund einer Anzeige seiner Schwiegermutter festgenommenen Verbrecher, die ihn im Falle einer Rückkehr nach Moldawien ermorden würden, zu identifizieren, "und diese wären einer gerechten Strafe zugeführt worden. Sie hingegen haben es vorgezogen, mit diesen (gemeint: dieser) mafiosen Organisation zusammenzuarbeiten. Alleine dieser (gemeint: diesem) Umstand ist daher eindeutig zu entnehmen, dass Ihr Heimatstaat sehr wohl gewillt ist, Schutz vor Verfolgung zu gewähren."

In ihren eigenen Ausführungen zu diesem Thema hält es die belangte Behörde zunächst für maßgeblich, ob die kriminelle Bedrohung des Beschwerdeführers "mit oder ohne Billigung staatlicher Stellen erfolgte". Eine "ausdrückliche Billigung seitens des Heimatstaates" habe der Beschwerdeführer nicht behauptet, "jedoch in allgemeiner Form die Vermutung ausgesprochen, es würde möglicherweise mehr Banditen als Polizisten geben".

Schließlich weist auch die belangte Behörde darauf hin, dass die Polizei auf Grund der Anzeige der Schwiegermutter des Beschwerdeführers vier der "Banditen", von denen der Beschwerdeführer erpresst worden sei, festgenommen und in das Polizeigefängnis gebracht habe. Der Beschwerdeführer habe aber "trotz Aufforderung der Polizisten die Wahrheit anzugeben, eine Identifizierung bei der erfolgten Gegenüberstellung - obwohl ihm dies möglich gewesen wäre - nicht vorgenommen. Dass die ... Banditen in der Folge wiederum enthaftet worden sind und später nochmals den Berufungswerber bedroht haben, ist nicht auf staatliches Versagen oder auf staatliche Duldung krimineller Machenschaften zurückzuführen, sondern dem eigenen Verhalten des Berufungswerbers zuzuschreiben".

Gegenüber diesen Ausführungen ist zunächst klarzustellen, dass eine Bedrohung im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit dem Ausspruch gemäß § 8 AsylG auch ohne "Billigung" der Bedrohung durch den Herkunftsstaat von Bedeutung sein kann (vgl. die Nachweise in den hg. Erkenntnissen vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509 und Zl. 99/20/0571, sowie daran anknüpfend zuletzt etwa in den Erkenntnissen vom 12. Juni 2003, Zl. 2000/20/0100 und Zl. 2000/20/0264, und vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0152).

Nicht zielführend ist auch der in den Überlegungen der belangten Behörde angedeutete Gesichtspunkt eines Eigenverschuldens des Beschwerdeführers an der ihm - seinen Behauptungen zufolge - drohenden Gefahr ("dem eigenen Verhalten des Berufungswerbers zuzuschreiben"). Darauf wäre - abgesehen von den Fällen des Art. 1 Abschnitt F FlKonv - schon bei der Entscheidung über die Asylgewährung nicht abzustellen (vgl. dazu aus der hg. Rechtsprechung die Nachweise in dem Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0151, und daran anschließend die Erkenntnisse vom 27. Februar 1997, Zl. 96/20/0078, und vom 16. Dezember 1999, Zl. 98/20/0415; zuletzt im Zusammenhang mit der Herbeiführung von Nachfluchtgründen das Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 99/20/0565). In Bezug auf die Feststellung gemäß § 8 AsylG und den durch diese Feststellung zu gewährleistenden Schutz des Art. 3 EMRK (vgl. zuletzt etwa die Nachweise in dem hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2004, Zl. 99/20/0573) ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu verweisen, wonach der Schutz durch Art. 3 EMRK nicht unter der Einschränkung steht, dass der Betroffene das Risiko nicht selbst herbeigeführt haben dürfe (vgl. zum absoluten Charakter dieses Schutzes, selbst für Fälle eines besonders verwerflichen Verhaltens, im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen die Entscheidungen vom 7. Juli 1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Rz 88, vom 15. November 1996, Chahal gegen Vereinigtes Königreich, Rz 80, vom 17. Dezember 1996, Ahmed gegen Österreich, Rz 40, vom 2. Mai 1997, D gegen Vereinigtes Königreich, Rz 46 und 47, und vom 6. Februar 2001, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich, Rz 32; zuletzt etwa die Zurückweisungsentscheidung vom 22. Juni 2004, Ndangoya gegen Schweden).

Von Bedeutung kann nur sein, welchem Risiko der Beschwerdeführer - ungeachtet seines eigenen Beitrages dazu in der Vergangenheit - im Herkunftsstaat nunmehr ausgesetzt wäre und ob ihm gegenüber den ihn seinem Vorbringen zufolge bedrohenden "Banditen" staatlicher Schutz zuteil werden würde. Die belangte Behörde hat dazu weder Ermittlungen angestellt noch Feststellungen getroffen, sondern ihrer Entscheidung auch in dieser Hinsicht das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde gelegt.

Danach wäre aber - über die im angefochtenen Bescheid zitierte Vermutung des Beschwerdeführers, "es würde möglicherweise mehr Banditen als Polizisten geben", hinaus und abgesehen von seiner behaupteten Misshandlung bei der Polizeirazzia vom Dezember 1998 - zunächst davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer Anfang 1999 von zwei "Richtern" aufgefordert worden sei, eine Anzeige gegen die Polizei zurückzunehmen, und ihn einer dieser "Richter" in den Magen geschlagen hätte, weil er dieser Aufforderung nicht nachkommen wollte, weiters davon, dass in Moldawien "die Polizei auch Mafia" sei und es daher unmöglich sei, gegen die Mafia zu kämpfen, sowie davon, dass der Beschwerdeführer in einem Warteraum der Polizei von "maskierten Männern" brutal zusammengeschlagen und zum Verlassen des Landes aufgefordert worden sei und eine weitere Vorsprache des Beschwerdeführers bei der Polizei zu einem Überfall von "Banditen" auf ihn geführt habe. In Bezug auf den letztlich maßgeblichen Vorfall mit der Erpressung des Beschwerdeführers durch "Banditen" und deren vorübergehender Inhaftierung wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer von einer Identifizierung Abstand genommen habe, weil ihm "klar wurde, dass, selbst wenn ich die Wahrheit sage, die Polizei ohnehin nicht imstande sein wird, mich dann zu schützen. In ihrem Interesse wäre (gemeint: würde) nach meiner Aussage vielmehr sein, mich zu liquidieren". Dem Beschwerdeführer sei klar geworden und er habe gewusst, "sollte ich aussagen, werde ich mein eigenes Todesurteil unterzeichnen sowohl vonseiten der Polizei als auch vonseiten der Banditen".

Ausgehend von diesen - durch keinerlei Ermittlungsergebnisse ergänzten oder relativierten, sondern der Entscheidung in ihrer Gesamtheit zugrunde gelegten - Angaben des Beschwerdeführers über die Verhältnisse in Moldawien und der Behauptung des ihm dort drohenden sicheren Todes lässt sich die Ansicht der belangten Behörde, die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Moldawien sei "sohin zu Recht erfolgt", nicht teilen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. September 2004

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