VwGH 2001/20/0462

VwGH2001/20/046230.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, in der Beschwerdesache des R in W, vertreten durch Dr. Reiner Weber, Rechtsanwalt in 2020 Hollabrunn, Brunnthalgasse 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 29. Juni 2001, Zl. 440.131/42-V.6/2001, betreffend Angelegenheiten des Strafvollzuges,

Normen

StVG §103 Abs1;
StVG §103 Abs4;
StVG §103 Abs5;
VwGG §33 Abs1;
VwRallg;
StVG §103 Abs1;
StVG §103 Abs4;
StVG §103 Abs5;
VwGG §33 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Hinsichtlich der Spruchpunkte 1. und 3. des angefochtenen Bescheides wird die Beschwerde als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt;

2. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2., betreffend die Fesselung des Beschwerdeführers im Rahmen der Ausführung am 20. März 2001, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit den Spruchpunkten 1. und 3. des angefochtenen Bescheides gab die belangte Behörde Administrativbeschwerden des zu diesem Zeitpunkt in Strafhaft angehaltenen Beschwerdeführers, die sich gegen die Ablehnung von Ansuchen um Ausgänge gemäß § 99a StVG sowie um Gewährung einer Vergünstigung jeweils durch den Leiter der Justizanstalt Wien-Simmering richteten, nicht Folge.

Mit Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides gab die belangte Behörde der Administrativbeschwerde des Beschwerdeführers vom 12. April 2001, mit der er seine Verletzung in Rechten durch die Fesselung im Rahmen einer Ausführung am 20. März 2001 geltend machte und sich gegen eine Entscheidung des Leiters der Justizanstalt Wien-Simmering vom 5. April 2001 über die Rechtmäßigkeit dieser Fesselung richtete, nicht Folge.

Gegen alle drei Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Zu den Spruchpunkten 1. und 3. des angefochtenen Bescheides:

Nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft richtete der Verwaltungsgerichtshof an ihn mit Schreiben vom 19. Februar 2004 die Anfrage, inwiefern die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde für ihn in Bezug auf die Spruchpunkte 1. und 3. noch von praktischer Bedeutung sei.

Der Beschwerdeführer brachte dazu mit Schriftsatz vom 18. März 2004 vor, er sei durch die "vorliegenden Rechtsverletzungen" trotz der Entlassung aus der Strafhaft "beschwert und in seinen Rechten verletzt". Insbesondere stehe ihm ein Rechtsanspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeiten zu. Die praktische Bedeutung liege "im Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers und dem Hintanhalten von weiterer Willkür durch die belangte Behörde".

Diesen Ausführungen kann nicht entnommen werden, dass die in Bezug auf die genannten Spruchpunkte im Verwaltungsverfahren verfolgte Durchsetzung von Ausgängen gemäß § 99a StVG zu den in den jeweils abgelehnten Anträgen genannten Zwecken bzw. die Erlangung der Vergünstigung der Benutzung einer "Play-Station" für den Beschwerdeführer noch von aktueller Bedeutung sei und eine Bewilligung der seinerzeit abgelehnten Ansuchen weiterhin in Betracht komme. Dies gilt auch bei Einbeziehung des vom Beschwerdeführer zu anderen von ihm erhobenen Beschwerden in diesem Zusammenhang geltend gemachten Umstandes, dass ihm erneut die Verbüßung einer Freiheitsstrafe bevorstehe.

In Bezug auf die Spruchpunkte 1. und 3. war daher die Beschwerde in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

2. Zu Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides:

In Bezug auf diesen Spruchpunkt verfolgte die von der belangten Behörde erledigte Administrativbeschwerde nicht das Ziel der Durchsetzung eines bestimmten, durch die Entlassung aus der Strafhaft inzwischen überholten Sachanliegens. Sie richtete sich auf die Feststellung, dass der Beschwerdeführer durch ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten eines Strafvollzugsbediensteten, nämlich durch die Fesselung des Beschwerdeführers im Rahmen der Ausführung am 20. März 2001, in Rechten verletzt worden sei (vgl. zu diesem Unterschied etwa die den damaligen Beschwerdepunkt 3. betreffenden Ausführungen in dem hg. Erkenntnis vom 10. September 1998, Zl. 97/20/0811, Slg. Nr. 14.968/A; zum "Konstruktionsmuster des StVG" als Modell eines mit Administrativbeschwerde herbeizuführenden "bescheidmäßigen Ausspruchs über die Rechtmäßigkeit des bekämpften Verwaltungsaktes" bereits Funk, Der Verwaltungsakt im österreichischen Rechtssystem (1978) 35). Für das Recht auf die Entscheidung über eine solche Administrativbeschwerde ist die Entlassung aus der Strafhaft nicht von Bedeutung (vgl. zuletzt etwa die Unterscheidung des Misshandlungsvorwurfs von anderen, durch die Entlassung gegenstandslos gewordenen Punkten einer Beschwerde in dem hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zlen. 99/20/0107, 0108).

Zur Fesselung des Beschwerdeführers im Rahmen der Ausführung am 20. März 2001 enthielt der Bescheid des Leiters der Justizanstalt Wien-Simmering vom 5. April 2001 im Wesentlichen nur folgende Ausführungen:

"Aufgrund der Tatsache, dass sich (der Beschwerdeführer) dzt. ho. in Haft befindet und somit den Bestimmungen des StVG unterliegt, sowie der Feststellung, dass die Anordnung der Fesselung im Sinne des § 103 Abs. 4 StVG durch den Eskortebeamten nach Lage der Umstände und in diesem speziellen Fall im Zusammenwirken mit dem hierfür zuständigen Justizwachekommando, in der Person des KInsp. J.S., zum Zwecke der sicheren Gewährleistung und Durchführung der Eskorte getroffen wurde, besteht ho. keine Veranlassung der Beschwerde Folge zu geben. Der Anordnung liegt als Sachverhalt zugrunde, dass der Strafgefangene bereits während der Vorführung von der Abteilung zweideutige Anspielungen in Bezug auf die bevorstehende Ausführung zu Gericht machte. Wegen dieser Umstände kontaktierte Insp. A. vor Antritt der Eskorte nochmals das ho. Justizwachekommando, wo die Fesselung in Absprache mit dem Eskortebeamten angeordnet wurde. Im Sinne des StVG konnte in der Vorgangsweise der Beamten keine Verletzung der Rechte des (Beschwerdeführers) erkannt werden, auch wenn von Seiten des Genannten dieses, in einem möglicherweise subjektiven Sinn, behauptet wird."

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht (ausdrücklich) auf diese Ausführungen verwiesen, sich ihrerseits jedoch zur Frage der Fesselung des Beschwerdeführers am 20. März 2001 im Wesentlichen nur wie folgt geäußert:

"Für die Ausführung am 20.3.2001 zu einer Gerichtsverhandlung, in der der Beschwerdeführer als Privatankläger auftrat, wurde vom diensthabenden Kommandanten die (Hand-)Fesselung des Beschwerdeführers angeordnet, da er sich ungebührlich benehme. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 26.3.2001 Beschwerde an die Anstaltsleitung, die mit Bescheid vom 5.4.2001 ... entschied, dass die Fesselung im Rahmen der Ausführung vollinhaltlich bestätigt werde. ... Im Rahmen der Ausführung am 20.3.2001 äußerte sich der Beschwerdeführer gegenüber dem zur Eskortierung bereitstehenden Beamten abschätzig ("der Unnötige") und dahingehend, dass er Schwierigkeiten machen werde bevor er selber welche bekomme. Nach Rücksprache mit dem Justizwachekommandanten-Stellvertreter wurde die Fesselung während der Ausführung angeordnet. ... Gemäß § 103 Abs. 4 StVG dürfen einem Strafgefangenen bei Ausführungen Fesseln angelegt werden. Der Beschwerdeführer wurde daher in seinen Rechten nicht verletzt, zumal er durch abschätzige Äußerungen gegenüber Justizwachebeamten sowie eine tätliche Auseinandersetzung seine Konfliktbereitschaft mehrfach dokumentiert hat".

Mit dem Hinweis auf "eine tätliche Auseinandersetzung" bezieht sich die belangte Behörde auf einen im angefochtenen Bescheid im Zusammenhang mit Spruchpunkt 3. (Nichtgewährung der Vergünstigung) erwähnten Vorfall, der sich erst am 14. April 2001 und somit mehrere Wochen nach der Ausführung des Beschwerdeführers am 20. März 2001 ereignete. Die davor erwähnte Ankündigung des Beschwerdeführers, "Schwierigkeiten" zu machen, bevor er selbst welche bekomme, soll nach der zugrunde liegenden Aussage (Insp. A. in der Niederschrift vom 8. Mai 2001) die Antwort des Beschwerdeführers auf die Frage eines Mitgefangenen gewesen sein, warum er zur Ausführung am 20. März 2001 so viele Gesetzbücher mitnehme.

Die Entscheidung der belangten Behörde beruht auf der Ansicht, die Fesselung von Strafgefangenen im Rahmen von Ausführungen und Überstellungen sei nicht nur nicht an die besonderen Voraussetzungen des § 103 Abs. 4 StVG gebunden, sondern bedürfe auf Grund der Ausnahme in der zuletzt genannten Bestimmung keiner näheren Begründung. Dass die Fesselung die richtige Antwort auf "abschätzige Äußerungen gegenüber Justizwachebeamten" sei und sich auf Grund eines späteren Vorfalls im Nachhinein als sinnvoll erwiesen habe, sind erkennbar nur Zusatzüberlegungen der belangten Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der von der belangten Behörde schon in einem früheren Fall vertretenen Auffassung, die Fesselung anlässlich einer Ausführung oder Überstellung bedürfe keiner näheren Begründung, in dem Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 99/20/0105, auseinandergesetzt und dargelegt, dass diese Auffassung nicht der Rechtslage entspricht. Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das genannte Erkenntnis verwiesen werden (vgl. jetzt auch Drexler, StVG (2003) § 103 Rz 4). Die Fesselung bei Ausführungen und Überstellungen ist danach an die in § 103 Abs. 1 StVG umschriebenen Voraussetzungen gebunden und muss auf Grund der zu ihrer Anordnung führenden Gefahr im Sinne des § 103 Abs. 5 StVG "unbedingt" erforderlich sein. Beschwert sich ein Strafgefangener darüber, durch die Fesselung in seinen Rechten verletzt zu sein, so bedarf die Erledigung einer derartigen Administrativbeschwerde schon mit Rücksicht auf die Schwere des mit einer Fesselung verbundenen Eingriffes einer nicht bloß oberflächlichen, sondern eingehenden und an den konkreten Umständen, unter denen die Fesselung angeordnet wurde, orientierten Prüfung des Vorliegens der genannten Voraussetzungen.

Der angefochtene Bescheid, der diesen Anforderungen auf Grund einer Fehlbeurteilung der Rechtslage durch die belangte Behörde nicht entspricht, war daher in Bezug auf seinen Spruchpunkt 2. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 30. September 2004

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