VwGH 2000/20/0502

VwGH2000/20/050220.6.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 2. Oktober 1983 geborenen LO in G, vertreten durch Mag. Georg Derntl, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Herrenstraße 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. August 2000, Zl. 217.909/0-XII/37/00, betreffend § 6 Z 1 und 3 sowie § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 10. Mai 2000 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 22. Mai 2000 einen Asylantrag. In der Niederschrift vor dem Bundesasylamt am 7. Juni 2000 gab der nach seinen (berichtigten) Angaben am 2. Oktober 1983 geborene Beschwerdeführer an, aus Owerri im Bundesstaat Imo zu stammen. Er werde als Christ und Angehöriger der Volksgruppe der Ibos von den moslemischen Haussa verfolgt. Im Zuge der religiös und ethnisch motivierten Auseinandersetzungen würden sie jeden jungen Mann töten, wenn er als Christ erkannt werde. Da auch "in seinem Ort" viele junge Männer getötet worden seien, sei der Beschwerdeführer von seinem Vater, einem pensionierten hochrangigen Militärangehörigen, bis zu seiner Flucht in einem Militärcamp in Owerri untergebracht worden. Der Vater habe auch die Flucht (mit einem gekauften Reisepass und einem gefälschten spanischen Visum) organisiert, vor der sich der Beschwerdeführer zuletzt an einer näher genannten Adresse in Lagos aufgehalten habe. Im Übrigen sei die Mutter des Beschwerdeführers im März 2000, als "die Probleme" (gemeint zwischen Christen und Moslems) angefangen hätten, auf dem Weg zum Markt (in Owerri) vermutlich von Moslems getötet worden.

Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. Juli 2000 gemäß § 6 Z 1 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die Erstbehörde versagte dem Vorbringen des Beschwerdeführers mit näherer Begründung die Glaubwürdigkeit und stellte fest, der Beschwerdeführer sei nach Europa nur gereist, um hier (professionell) Fußball zu spielen. Im Übrigen habe er nur von allgemeinen Ängsten und Übergriffen gesprochen, welche er aber nicht konkret auf seine Person beziehen habe können.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein Vorbringen zu den Fluchtgründen, wandte sich gegen die Beweiswürdigung der Erstbehörde und verwies auf Berichte, wonach bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems sehr viele Tote zu beklagen seien. Aus den Länderdokumentationen hätte für die Behörde erkennbar sein müssen, dass der Beschwerdeführer, ein junger Mann im wehrfähigem Alter, besonders bedroht sei, durch moslemische Rebellen getötet zu werden, somit "als junger christlicher Mann durch die Hausas sehr wohl einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen und noch immer sei".

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Berufung gemäß § 6 Z 1 und 3 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG neuerlich eine Feststellung dahin getroffen, dass insbesondere die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die belangte Behörde stellte zu den Fluchtgründen - gestützt auf die "glaubwürdigen Angaben des Asylwerbers" - folgenden Sachverhalt fest:

"Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Nigeria. Er ist auf Grund den (der) religiösen Auseinandersetzungen zwischen den Moslems und Christen geflüchtet. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurde seine Mutter getötet."

Darüber hinaus traf die belangte Behörde Feststellungen zur allgemeinen politischen Situation in Nigeria und im Besonderen "zur Religionsausübung". Rechtlich folgerte die belangte Behörde fallbezogen, der Beschwerdeführer habe im Ermittlungsverfahren nicht darzutun vermocht, dass die staatlichen Behörden den Angehörigen der christlichen Glaubensgemeinschaft grundsätzlich jegliche Schutzgewährung versagt hätten bzw. pro foturo versagen würden. Der Beschwerdeführer habe auch nicht ins Treffen geführt, dass die staatlichen Organe generell nicht in der Lage wären, die Angehörigen der christlichen Glaubensgemeinschaft gegenüber Übergriffen von Seiten der Moslems zu schützen. Letztlich sei dem Beschwerdeführer auch vorgehalten worden, dass er in einen anderen Landesteil von Nigeria ziehen könne. Er habe diesem Vorhalt nicht fundiert entgegenzutreten vermocht, weshalb die belangte Behörde vom Bestehen einer "innerstaatlichen Fluchtalternative" ausging. Abschließend führte sie zur Abweisung des Asylantrages folgendes wörtlich aus:

"Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der gegenständliche Asylantrag deshalb als offensichtlich unbegründet zu werten ist, weil (sich) zum einen dem Vorbringen des Berufungswerbers vor dem Hintergrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihm in Nigeria Verfolgung droht (§ 6 Z 1), zum anderen das Vorbringen zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht (§ 6 Z 3)."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages im Spruch des angefochtenen Bescheides zunächst auf § 6 Z 1 AsylG gestützt. Der Tatbestand dieser Bestimmung ist dann erfüllt, wenn - ohne sonstigen Hinweis auf eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - sich dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 1 AsylG vorliegt, ist demnach von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531).

Anders als die Erstbehörde, die noch - unzutreffend - die Auffassung vertrat, der Beschwerdeführer habe keine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung geltend gemacht, geht die belangte Behörde von der Verwirklichung des zitierten Tatbestandes des § 6 AsylG erkennbar deshalb aus, weil dem Beschwerdeführer vor der behaupteten Verfolgung durch die moslemischen Angehörigen der Volksgruppe der Haussa staatlicher Schutz gewährt würde und weil ihm in anderen Landesteilen Nigerias eine "inländische Fluchtalternative" offen stehe. Argumente zur staatlichen Schutzgewährung gegenüber einer von nicht staatlichen Stellen (Privaten) ausgehenden Verfolgungsgefahr und zu ihrer regionalen Begrenztheit sind aber nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2002, Zl. 2001/20/0123, mwN) nicht geeignet, das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle darzutun.

Soweit die belangte Behörde ihre Entscheidung auch auf § 6 Z 3 AsylG stützt, sind ihre Ausführungen aber ebenfalls nicht geeignet, die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet zu tragen. Die Anwendung dieser Gesetzesstelle setzt nämlich voraus, dass das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht (zum Offensichtlichkeitskalkül nach dieser Bestimmung vgl. im Einzelnen das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, mwN). Entgegen den nicht weiter begründeten und in keinem Zusammenhang mit der Beweiswürdigung und den darauf gestützten Feststellungen stehenden zusammenfassenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ist die belangte Behörde - wiederum im Gegensatz zur Erstbehörde - nicht von der offensichtlichen Unglaubwürdigkeit, sondern von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen ausgegangen. Sie hat demzufolge - wenn auch nur kursorisch - diesem Vorbringen entsprechende Feststellungen getroffen und die entgegenstehende Feststellung der Erstbehörde, der Beschwerdeführer sei nach Europa gekommen, um hier eine Profifußballkarriere anzustreben, nicht übernommen. Es ist daher in keiner Weise nachvollziehbar, warum die belangte Behörde von einem im Sinne des § 6 Z 3 AsylG offensichtlich unbegründeten Asylantrag ausgegangen ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 20. Juni 2002

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