VwGH 2001/20/0123

VwGH2001/20/012316.5.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des DK in Wien, geboren am 7. Juli 1969, vertreten durch Dr. Johannes Müller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Oktober 2000, Zl. 216.181/0-II/39/00, betreffend §§ 6, 8 und 15 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 24. September 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 28. September 1999 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28. September 2000 brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen vor, er sei im Juni 1996 erstmals von Angehörigen einer extremistischen (Sikh-)Organisation aufgefordert worden, für diese Plakate zu kleben. Da er dies abgelehnt habe, sei er zwei Tage später von denselben Männern mit Waffengewalt gezwungen worden mitzukommen. In der Folge sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei der einer der Männer dem Beschwerdeführer Säure über den Körper geschüttet habe. Der Beschwerdeführer sei dadurch schwer verletzt worden, er sei 15 Tage bewusstlos gewesen und habe von diesem Vorfall bis heute sichtbare Narben am Körper davon getragen. Der Beschwerdeführer habe keine polizeiliche Anzeige erstattet, weil er gefürchtet habe, die Polizei könnte ihn selbst verdächtigen, den Terroristen anzugehören. Dieses Attentat habe das Leben des Beschwerdeführers völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, er habe ständig Angst, dass die Männer wiederkämen und ihn vielleicht töten würden. Er habe die Männer zwar seither nicht wieder gesehen, jedoch etwa drei Jahre später seien unbekannte Männer zu seinem Vater gekommen und hätten nach ihm gefragt. Sein Vater habe Angst um ihn bekommen und einen Schlepper für ihn organisiert. Im Falle seiner Rückkehr nach Indien befürchte er, dass ihn die Extremisten umbringen könnten.

Mit Bescheid vom 17. März 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 AsylG 1997 als offensichtlich unbegründet ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig. Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers glaubhaft seien und dem Verfahren zugrunde gelegt würden. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes sei jedoch nicht glaubhaft, sodass für den Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative bestanden habe. Die von ihm geltend gemachten bzw. befürchteten Übergriffe durch "Extremisten" könnten die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen, weil die behauptete Verfolgung nur dann asylrelevant sei, wenn sie von staatlichen Stellen ausgehe oder der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die von anderen Stellen ausgehende Verfolgung hintanzuhalten. Da die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgung von Seiten Dritter ausgehe und weder aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers noch aufgrund der zu seinem Heimatland getroffenen Feststellungen anzunehmen sei, dass die staatlichen Behörden keinen Schutz vor Verfolgung gewährten, entbehre der Asylantrag eindeutig jeder Grundlage und sei daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer vor, dass die für das Säureattentat verantwortlichen Angehörigen der Extremistenorganisation nach diesem Vorfall immer wieder zu ihm nach Hause gekommen seien und von ihm verlangt hätten, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aufgrund seiner Angst, neuerlich von den Männern zum Mitkommen gezwungen zu werden, habe der Beschwerdeführer versteckt gelebt. Das letzte Mal seien die Extremisten im September 1999 zum Beschwerdeführer gekommen. Da er mit der Zeit bemerkt habe, dass "sich meine Probleme auch nicht mit der Zeit lösten", habe er sich zur Flucht entschlossen. Da das Bundesasylamt seinen Angaben Glaubwürdigkeit zugebilligt habe und ihm von Sikh-Extremisten schwere Verletzungen zugefügt worden seien, unter deren Folgen er bis heute leide, entbehre sein Asylantrag keinesfalls jeder Grundlage. Die staatlichen Behörden seien weder in der Lage noch gewillt, dem Beschwerdeführer Schutz zu gewähren. Die Situation in seiner Heimatregion Punjab sei keinesfalls ruhig. Der Beschwerdeführer beantragte, seiner Berufung stattzugeben, die Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Indien festzustellen und ihm gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

Die belangte Behörde führte eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer im Wesentlichen die schon bei seiner Ersteinvernahme gemachten Aussagen in Bezug auf die Bedrohung und Verletzung durch Angehörige der Sikhs wiederholte. Eine Anzeige habe er aus Angst vor der Polizei nicht erstattet. Er selbst habe keine Erfahrung mit der Polizei gehabt, habe aber von anderen Leuten erfahren, dass man auch bei der Polizei misshandelt werde. Er habe nach dem Säureattentat ca. ein Jahr in Delhi gelebt und danach an anderen Orten, nicht aber in seinem Heimatdorf. Er sei von Delhi weggegangen, weil er erfahren habe, dass man auch dort nach ihm gefragt habe. Er habe auch an anderen Plätzen in Indien versucht zu leben, habe aber immer das Gefühl gehabt, aufgrund seiner Narben am Körper leicht gefunden zu werden. Am 11. September 1999 sei von einem Mann, der nach dem Säureattentat schon zwei oder drei Mal nach ihm gefragt hätte, erneut bei seinen Eltern nach dem Beschwerdeführer gefragt worden. Er könne nicht erklären, von wem und warum er gesucht werde, er habe "einfach Angst gehabt" und auch seine Eltern hätten es für besser gehalten, dass er Indien verlasse.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Der Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 15 AsylG abgewiesen. Die belangte Behörde begründete diese Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer vermutlich auf Säure zurückzuführende sichtbare Verletzungsspuren aufweise. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass diese Verletzungen durch extremistische Sikhs aufgrund eines asylrechtlich relevanten Motivs entstanden seien und dass der Berufungswerber einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Dass der Staat gegen Übergriffe Dritter keinen ausreichenden Schutz gewähren könne, habe aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geschlossen werden können. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer auch keinen zeitlichen Zusammenhang seiner Flucht mit dem angeblichen Anschlag auf seine Person herstellen können, zumal er nach eigenen Angaben ungefähr ein Jahr in Delhi und danach an anderen Orten ohne Probleme gelebt habe. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal andeutungsweise angeben können, aus welchem Grund er überhaupt annehme, dass man ihn suchen werde. Mit seiner Verantwortung habe er jedenfalls der behaupteten Verfolgung durch eine private kriminelle Organisation keine asylrelevante Bedeutung verleihen können. Der Entscheidung der Erstbehörde, dass der Asylantrag des Berufungswerbers jeder Grundlage entbehre und daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen sei, könne daher nicht entgegengetreten werden. Die belangte Behörde schließe sich daher der Begründung des angefochtenen Bescheides an und erhebe diese auch zur Begründung des Berufungsbescheides. Im Hinblick auf die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien sei auch der vom Beschwerdeführer (in der Berufung) gestellte Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Sowohl das Bundesasylamt als auch die belangte Behörde stützten die Abweisung des Asylantrages auf § 6 Z 2 AsylG. Nach dieser Bestimmung sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 2 AsylG 1997 vorliegt, ist von den Behauptungen der Asylwerber auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen entnehmen lässt; Fragen der Glaubwürdigkeit des Vorbringens spielen bei der Abweisung nach dieser Gesetzesstelle keine Rolle (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294). Wenn daher die belangte Behörde in der Begründung ihrer Entscheidung ausführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Verletzungen des Beschwerdeführers von einem Attentat durch extremistische Sikhs herrührten, so sind diese Ausführungen im Hinblick auf die Abweisung der Berufung "gemäß § 6 Z 2 AsylG" nicht von Relevanz und vermögen daher die Abweisung nach dieser Gesetzesstelle nicht zu tragen.

Lag der Ausgangspunkt für die geltend gemachte Verfolgung des Beschwerdeführers in seiner Weigerung, Extremisten auf die von ihnen gewünschte Weise zu unterstützen, so lässt sich - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - aber auch nicht sagen, die Verfolgungsgefahr sei "offensichtlich" nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv genannten Gründe zurückzuführen. Argumente zur staatlichen Schutzgewährung gegenüber einer von Privaten ausgehenden Verfolgungsgefahr und zur regionalen Begrenztheit der geltend gemachten Gefahr sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496) ebenfalls nicht geeignet, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 (hier: Z. 2) AsylG darzutun.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. Mai 2002

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