VwGH 2000/20/0078

VwGH2000/20/007812.12.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Jänner 2000, Zl. 209.353/0-V/15/99, betreffend §§ 11 und 12 AsylG (mitbeteiligte Partei: KO in G, geboren 1960, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §4;
AsylG 1997 §10 Abs2;
AsylG 1997 §11 Abs1;
AsylG 1997 §12;
EMRK Art8;
AsylG 1991 §4;
AsylG 1997 §10 Abs2;
AsylG 1997 §11 Abs1;
AsylG 1997 §12;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der seit 1991 in Österreich aufhältige Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Nigeria, heiratete am 30. Juli 1996 seine am 6. November 1995 in das Bundesgebiet eingereiste nunmehrige Ehegattin, der mit Bescheid vom 15. Jänner 1996 Asyl gewährt worden war. Am 2. Februar 1998 stellte er einen Asylerstreckungsantrag, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 19. März 1999 abwies. Gegen diese Entscheidung erhob der Mitbeteiligte Berufung. Die belangte Behörde gab der Berufung mit dem angefochtenen Bescheid statt, gewährte dem Mitbeteiligten gemäß § 11 Abs. 1 AsylG durch Erstreckung Asyl und traf die gemäß § 12 AsylG auch für den Fall der Asylerstreckung vorgesehene Feststellung, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, in der die Zulässigkeit des Asylerstreckungsantrages des Mitbeteiligten - angesichts der innerhalb eines Jahres nach der Einreise seiner nunmehrigen Ehegattin, der in Österreich Asyl gewährt wurde, erfolgten Eheschließung - ausdrücklich bejaht wird und auch keine Fragen des intertemporalen Rechtes (vgl. insoweit § 44 Abs. 6 AsylG) aufgeworfen werden. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides soll sich nach den Ausführungen in der Amtsbeschwerde daraus ergeben, dass sich die nunmehrigen Ehegatten erst in Österreich kennen gelernt hätten. Mit der Asylerstreckung, so die Auffassung des Beschwerdeführers, gehe es dem Gesetzgeber (gemeint: nur) darum, dass "Familienmitglieder, die im Zuge oder auf Grund der Ereignisse auf Grund derer dem Asylwerber Asyl gewährt wurde, getrennt wurden, wieder zusammengeführt werden sollen". Hiezu wird aus der Regierungsvorlage zum Asylgesetz (686 BlgNR XX. GP 21) der Satz zitiert, wonach es einer Asylerstreckung nicht entgegenstehen könne, wenn die Flucht dazu führe, dass Angehörige vorübergehend den Kontakt zueinander verlieren. Dies beantworte nach den Ausführungen in der Amtsbeschwerde die Frage, in welchem Zeitpunkt das Familienleben, um dessen Fortsetzung es dem Gesetz zufolge gehe, bereits bestanden haben müsse (gemeint: in dem Sinn, dass das Familienleben nicht erst in Österreich begründet worden sein dürfe). Eine "Konstellation" wie die vorliegende solle nach dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht zur Asylerstreckung führen. Für den Fall, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Ansicht gelangen sollte, dass dieser Wille des Gesetzgebers "im Gesetzestext selbst nicht ausreichend" Niederschlag finde, werde ins Treffen geführt, dass die Asylerstreckung auch voraussetze, dass die Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat nicht möglich sei. Dies führe den Beschwerdeführer zu folgender Überlegung:

"Wenn nun der Asylberechtigte und der Asylerstreckungswerber sogar auf eine wie auch immer geartete rechtliche Basis des Zusammenlebens in einem anderen Staat verwiesen werden können, muss dies umso mehr für die Verweisung auf einen anderen rechtlichen Status in Österreich selbst gelten, sodass im vorliegenden Fall der Asylwerber gemäß einem Größenschluss auf die Möglichkeit einer Fortsetzung eines Familienlebens auf der Basis seiner ihm bereits in Österreich gewährten Niederlassungsbewilligung zu verweisen ist, da er des Asyls zu diesem Zwecke nicht bedarf."

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Asylerstreckungsanträge "nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; für Ehegatten überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den Asylantrag eingebracht hat". In der Regierungsvorlage (686 BlgNR XX. GP 20 f) wurde dies wie folgt erläutert:

"Die Asylerstreckung ist stets von der Asylgewährung nach § 7 oder § 9 abhängig. Asylerstreckungsanträge sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig. Asylerstreckungsanträge von Ehegatten sind überdies nur zulässig, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise geschlossen wird. Mit dieser einschränkenden Regelung soll der Möglichkeit entgegengewirkt werden, dass sich Fremde die Asylgewährung gleichsam 'erheiraten'. Asylerstreckungsanträge sonstiger 'Angehöriger' sind als unzulässig zurückzuweisen."

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG setzt die Asylerstreckung voraus, dass "dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist". In der Regierungsvorlage (a.a.O., 21) wurde dazu ausgeführt:

"Ist einem Asylberechtigten ein Familienleben mit dem antragstellenden Angehörigen in einem anderen Staat möglich, soll es generell nicht zu einer Asylerstreckung kommen. Hiebei scheidet der Herkunftsstaat von vornherein als Ort eines möglichen Familienlebens aus: Wer in einem Staat verfolgt wird, kann dort kein Familienleben führen. Das Familienleben als Faktizität muss - im Gegensatz zum formellen Band der Ehe - bereits vor der Asylerstreckung bestanden haben. Wenn die Flucht dazu führt, dass Angehörige vorübergehend den Kontakt zueinander verlieren, kann dies einer Asylerstreckung nicht entgegenstehen."

Weder dem Gesetz noch den Erläuterungen in der Regierungsvorlage ist zu entnehmen, dass die gesetzliche Anordnung, wonach ein Asylerstreckungsantrag auch zulässig sei, wenn die Ehe innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Ehegatten, dem Asyl zu gewähren war, erst in Österreich geschlossen wurde, nur dann zur Asylerstreckung führen solle, wenn zwischen den Fremden, die in Österreich die Ehe geschlossen haben, schon vor ihrer Einreise ein "Familienleben" (gemeint demnach: eine uneheliche Lebensgemeinschaft) bestanden habe. Ein darauf abzielender Wille des Gesetzgebers kommt - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch in denjenigen Teilen der Erläuterungen zur Regierungsvorlage (a.a.O., 21), in denen es unter Bezugnahme auf Beschlüsse des UNHCR-Exekutivkomitees heißt, die Asylerstreckung sei Teil eines umfassenden Konzeptes, wonach im Interesse der Familienzusammenführung "und aus humanitären Gründen" zumindest den Ehegatten und minderjährigen oder abhängigen Kindern die Aufnahme erleichtert werden sollte, nicht zum Ausdruck.

Auf die - diesen Befund bestätigende - Stelle in den Erläuterungen, wonach "das Familienleben als Faktizität ... bereits vor der Asylerstreckung" (also nicht: vor der Einreise) bestanden haben müsse, wird in der Amtsbeschwerde nicht Bezug genommen. Die allein verbleibende - und vom Beschwerdeführer gleichfalls nicht angesprochene - Frage, ob der offenkundig sinnwidrige Einschub, dass dies für das "formelle Band der Ehe" nicht gelte, dahingehend zu deuten sei, dass der Ausdruck "vor der Asylerstreckung" nur versehentlich statt des Ausdrucks "vor der Einreise" gewählt worden sei, lässt sich an Hand der Entstehungsgeschichte der Regelung eindeutig klären:

Nach § 4 des Asylgesetzes 1991 war die Gewährung von Asyl nur dann auf Ehegatten "auszudehnen", wenn "die Ehe schon vor der Einreise nach Österreich bestanden hat". Der Umstand, dass es für erst in Österreich geborene Kinder keinen solchen Ausschluss von der Asylausdehnung gab (so wie es auch jetzt für sie keine der Einjahresfrist für die Eheschließung vergleichbare Einschränkung gibt), veranlasste den Verwaltungsgerichtshof zu der bei Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, E. 2 zu § 10 AsylG, wiedergegebenen Bemerkung, der Gesetzgeber des Asylgesetzes 1991 habe "zwar eine erst nach Einreise in das Bundesgebiet geschlossene Ehe als weniger schutzwürdig" angesehen, "aber das auf der Blutsverwandtschaft beruhende Verhältnis zwischen Eltern und deren leiblichen Kindern auch dann schützen" wollen, "wenn es im Zeitpunkt der Einreise noch nicht bestand" (Erkenntnis vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0099).

Der im Mai 1996 vom Bundesministerium für Inneres u.a. dem Verwaltungsgerichtshof zur Begutachtung zugeleitete Entwurf eines Fremdenrechtsänderungsgesetzes sah folgende Neufassung des § 4 des Asylgesetzes 1991 vor:

"§ 4. (1) Die Behörde hat Angehörigen eines Fremden, dem gemäß § 3 Asyl gewährt wurde, auf Antrag durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(2) Angehörige im Sinne des Abs. 1 sind

  1. 1. Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder und
  2. 2. sonstige Angehörige, wenn schon vor der Einreise ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK bestanden hat."

    Die Erläuterungen dazu geben Aufschluss über die ursprüngliche Bedeutung der auch in den Erläuterungen zum geltenden Gesetz enthaltenen Bezugnahme auf eine vorübergehende Trennung durch die Flucht:

    "Neu gestaltet wurde das Rechtsinstitut der Asylerstreckung. Der Adressatenkreis dieser Norm soll zwar dem Adressatenkreis des Art. 8 EMRK entsprechen, doch ist eine Erstreckung nur im Rahmen des streng subsidiären Charakters der Norm zulässig. Ist einem Asylberechtigten ein Familienleben mit dem betreffenden Angehörigen in einem anderen Staat möglich, soll es generell nicht zu einer Asylerstreckung kommen. Hiebei scheidet der Herkunftsstaat a priori als Ort eines möglichen Familienlebens aus: Wer in einem Staat verfolgt wird, kann dort kein Familienleben führen. Das Familienleben mit anderen Angehörigen als Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern muss vor der Einreise bestanden haben, wobei der Ausdruck 'vor' nicht zwangsläufig im Sinne von zeitlich der Einreise unmittelbar vorausgehend zu verstehen ist: Wenn die Flucht dazu führt, dass Angehörige vorübergehend den Kontakt zueinander verlieren, steht dies einer Asylerstreckung nicht entgegen."

    Der stattdessen im März 1997 zur Begutachtung übermittelte Entwurf einer Novelle zum Asylgesetz 1991 sah die Einbeziehung "sonstiger" Angehöriger im Sinne des Art. 8 EMRK nicht mehr vor.

    Die Bestimmung sollte nun wie folgt lauten:

"§ 4. (1) Die Behörde hat Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern Fremder, denen gemäß § 3 Asyl gewährt wurde, auf Antrag durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, in einem anderen Staat nicht möglich ist."

Erläutert wurde dies jetzt wie folgt:

"Neu gestaltet wurde das Rechtsinstitut der Asylerstreckung. Der Adressatenkreis dieser Norm entspricht dem der geltenden Rechtslage. Ist einem Asylberechtigten ein Familienleben mit dem antragstellenden Angehörigen in einem anderen Staat möglich, soll es generell nicht zu einer Asylerstreckung kommen. Hiebei scheidet der Herkunftsstaat a priori als Ort eines möglichen Familienlebens aus: Wer in einem Staat verfolgt wird, kann dort kein Familienlieben führen. Das Familienleben muss bereits vor der Asylerstreckung bestanden haben. Wenn die Flucht dazu führt, dass Angehörige vorübergehend den Kontakt zueinander verlieren, kann dies einer Asylerstreckung nicht entgegenstehen."

Bei diesem Stand des Reformvorhabens war - zusammen mit der zunächst vorgesehenen Einbeziehung "sonstiger Angehöriger" - auch die ausdrücklich nur für diese zunächst vorgesehene Voraussetzung, dass das Familienleben "schon vor der Einreise" bestanden haben müsse, beseitigt worden, wobei sich schon aus diesem Zusammenhang ergibt, dass der bloßen Bezugnahme auf ein "bestehendes Familienleben" keine derartige Bedeutung beigemessen wurde. Dass schließlich - in der Regierungsvorlage zum geltenden Gesetz und deren Erläuterungen - das Erfordernis gesehen wurde, die Regelung durch die Einführung einer Frist für die Eheschließung in Österreich weiter einzuschränken, bestätigt dies - soweit es um die Absichten des historischen Gesetzgebers geht - ein weiteres Mal.

Darüber hinaus ist dem Beschwerdeführer aber auch entgegenzuhalten, dass die von ihm ins Treffen geführte Voraussetzung eines "bestehenden Familienlebens" schon deshalb nicht auf den Zeitpunkt der Einreise zu beziehen sein kann, weil sie von erst in Österreich geborenen Kindern sonst nicht erfüllt werden könnte. Dass nach dem geltenden Recht auch diese von der Asylerstreckung ausgeschlossen sein sollten, wird in der Amtsbeschwerde nicht - oder zumindest nicht ausdrücklich - vertreten.

Das auf die Niederlassungsbewilligung des Mitbeteiligten bezogene Hilfsargument in der Amtsbeschwerde zielt darauf ab, dass die Asylerstreckung nur zu gewähren sei, wenn sich das Familienleben in Österreich sonst nicht fortsetzen ließe. Dieser Gedanke bringt eine rechtspolitische Wertung zum Ausdruck, deren Verwirklichung gegenüber dem bestehenden Rechtszustand nicht nur - wie die Forderung nach einer vor der Einreise begründeten Lebensgemeinschaft - eine Wiederannäherung an das Asylgesetz 1991 bedeuten, sondern die Bedachtnahme auf den Grundsatz der Familieneinheit auch im Vergleich zum Asylgesetz 1991 an zusätzliche Voraussetzungen binden würde.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

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