Normen
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z1
COVID-19-MaßnahmenG §1, §2
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 §1
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V530.2020
Spruch:
I. 1. Die Wortfolge "sowie von Freizeit- und Sportbetrieben" und die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II Nr 96/2020, waren gesetzwidrig.
2. Die als gesetzwidrig festgestellten Wortfolgen sind nicht mehr anzuwenden.
II. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Wortfolge "sowie von Freizeit- und Sportbetrieben" und die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96), BGBl II 96/2020, gesetzwidrig waren. Eventualiter begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Wortfolge "sowie von Freizeit- und Sportbetrieben" und die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 sowie §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gesetzwidrig waren, in eventu dass die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gesetzwidrig war, in eventu dass die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 sowie §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, in eventu dass §§1 und 2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gesetzwidrig waren.
II. Rechtslage
1. §§1 und 2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (im Folgenden: COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96), BGBl II 96/2020, idF BGBl II 110/2020 (§2), (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben) lauteten:
"§1. Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.
§2. §1 gilt nicht für folgende Bereiche:
1. öffentliche Apotheken
2. Lebensmittelhandel (einschließlich Verkaufsstellen von Lebensmittelproduzenten) und bäuerlichen Direktvermarktern
3. Drogerien und Drogeriemärkte
4. Verkauf von Medizinprodukten und Sanitärartikeln, Heilbehelfen und Hilfsmitteln
5. Gesundheits- und Pflegedienstleistungen
6. Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen die von den Ländern im Rahmen der Behindertenhilfe-, Sozialhilfe‑, Teilhabe- bzw Chancengleichheitsgesetze erbracht werden
7. veterinärmedizinische Dienstleistungen
8. Verkauf von Tierfutter
9. Verkauf und Wartung von Sicherheits- und Notfallprodukten
10. Notfall-Dienstleistungen
11. Agrarhandel einschließlich Schlachttierversteigerungen sowie der Gartenbaubetrieb und der Landesproduktenhandel mit Saatgut, Futter und Düngemittel
12. Tankstellen
13. Banken
14. Postdiensteanbieter einschließlich deren Postpartner, soweit diese Postpartner unter die Ausnahmen des §2 fallen sowie Postgeschäftsstellen iSd §3 Z7 PMG, welche von einer Gemeinde betrieben werden oder in Gemeinden liegen, in denen die Versorgung durch keine andere unter §2 fallende Postgeschäftsstelle erfolgen kann, jedoch ausschließlich für die Erbringung von Postdienstleistungen und die unter §2 erlaubten Tätigkeiten, und Telekommunikation.
15. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege
16. Lieferdienste
17. Öffentlicher Verkehr
18. Tabakfachgeschäfte und Zeitungskioske
19. Hygiene und Reinigungsdienstleistungen
20. Abfallentsorgungsbetriebe
21. KFZ-Werkstätten."
2. §§1 und 3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz, im Folgenden: COVID‑19‑MG), BGBl I 12/2020, lauteten:
"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen
§1. Beim Auftreten von COVID‑19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.
[…]
Strafbestimmungen
§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß §2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg‑Fürstenfeld vom 10. April 2020 wurde über den Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: antragstellendes Gericht) wegen einer Übertretung des §3 Abs2 erster Satz iVm §1 COVID‑19-MG, BGBI. I 12/2020, iVm §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020, eine Geldstrafe verhängt.
Begründend führte die Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht am 21. März 2020 als Inhaber der Betriebsstätte "Teich für Sportfischen" – laut Behörde ein Freizeit- und Sportbetrieb – nicht dafür gesorgt hätte, dass dieser nicht betreten werde, obwohl das Betreten von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck der Benützung auf Grund der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 verboten sei. Ferner sei kein Ausnahmetatbestand gemäß §2 leg cit vorgelegen. Verwirklicht sei der Tatbestand [des §1 leg cit] dadurch, dass sich — wie anlässlich einer polizeilichen Kontrolle festgestellt – im Gebäude nahe des Fischteichs "mehrere Personen" versammelt und Getränke konsumiert hätten.
1.2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht Beschwerde. Darin bestreitet er im Wesentlichen, dass es sich bei seinem wasserrechtlich bewilligten Fischteich um eine Betriebsstätte bzw einen Sport- und Freizeitbetrieb iSd §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 handle.
1.3. Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind beim antragstellenden Gericht Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Wortfolgen "sowie von Freizeit‑ und Sportbetrieben" und "oder der Benützung von Freizeit‑ und Sportbetrieben" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 96/2020 entstanden.
2. Das antragstellende Gericht legt seine Bedenken wie folgt dar:
2.1. Zur Zulässigkeit – im Hinblick auf die Präjudizialität – führt das antragstellende Gericht aus, dass sich das angefochtene Straferkenntnis der Behörde ausdrücklich auf §3 Abs2 erster Satz iVm §1 COVID‑19‑MG, BGBI I 12/2020, iVm §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gestützt habe. Der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zufolge sei eine Norm präjudiziell, wenn die Behörde die Norm im Anlassfall tatsächlich angewandt habe (VfGH 15.10.1966, G9/66). Dies sei im vorliegenden Fall jedenfalls gegeben. Präjudiziell sei eine Norm auch dann, wenn das (Verwaltungs‑)Gericht sie denkmöglich anzuwenden habe, da sie die Grundlage der Beschwerde vor dem (Verwaltungs‑)Gericht bilde (VfGH 24.11.2015, G255/2015). Dies sei hier ebenso der Fall, richte sich die vorliegende Beschwerde doch gegen einen Tatvorwurf der Behörde, der rechtlich auf §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gestützt worden sei. Dieselbe Rechtsgrundlage komme auch für die Beurteilung durch das antragstellende Gericht bei der Entscheidung zumindest denkmöglich zur Anwendung, da die Verordnung durch ihren §1, neben dem Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen, auch das Betreten von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zwecke des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder die Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben untersage. Somit habe das antragstellende Gericht diese Bestimmungen bei seiner Entscheidung anzuwenden und würden sich die Bestimmungen der §§1 und 3 Abs2 erster Satz COVID‑19‑MG, iVm §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 (in den angegebenen Fassungen) als präjudiziell erweisen, da diese Bestimmungen in Bezug auf den Tatzeitpunkt im Verwaltungsstrafverfahren maßgeblich seien (vgl §1 Abs2 VStG).
Das Betretungsverbot des §1 der angefochtenen Verordnung sei nur vom 16. März 2020 bis 30. April 2020 in Geltung gewesen. Deren Aufhebung sei durch die COVID‑19-Lockerungsverordnung, BGBI. II 197/2020, erfolgt. Der Tatzeitpunkt falle auf den 21. März 2020, folglich in den zeitlichen Geltungsbereich der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBI. II 110/2020. Nach §1 Abs2 VStG richte sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre.
Der Günstigkeitsvergleich nach §1 Abs2 VStG und Art7 EMRK führe allerdings nicht zum Entfall der Strafbarkeit und folglich auch nicht zum Wegfall der Präjudizialität (vgl VfSlg 16.649/2002, 20.039/2016). Der Günstigkeitsvergleich nach §1 Abs2 VStG komme laut der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann zum Tragen, wenn die spätere Gesetzgebung erkennen lasse, dass das Unwerturteil milder ausfallen oder wegfallen solle. Wenn der Gesetzgeber das strafrechtliche Unwerturteil gleich belasse, biete §1 Abs2 VStG keine Möglichkeit, das zum Tatzeitpunkt strafbare Verhalten anders zu beurteilen als nach der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Rechtslage (VwGH 16.3.1994, 92/03/0106). Weiters finde "bei einer Änderung der Rechtslage zwischen dem Tatzeitpunkt und dem Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Urteiles ein Günstigkeitsvergleich iSd §1 Abs2 VStG keine Anwendung, wenn das strafrechtliche Unwerturteil aufrecht bleibt" (VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107).
Im vorliegenden Fall sei zwar die Übertretungsnorm des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 nicht mehr in Kraft, die Strafnorm des §3 Abs2 COVID‑19‑MG gehöre jedoch weiterhin dem Rechtsbestand an. Es handle sich daher bei §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 um eine Bestimmung, die von vornherein zeitlich begrenzt intendiert gewesen sei, um der COVID‑19-Pandemie gerecht zu werden. Dass diese Situation nun eine andere und die Verordnung wie geplant außer Kraft getreten sei, lasse nicht auf eine Änderung des Unwerturteils über die verbotene Handlung durch den Gesetzgeber schließen.
Dass die COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 mittlerweile außer Kraft getreten sei, habe im Hinblick auf den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes über die Gesetzwidrigkeit nach Art139 Abs4 B‑VG keine Auswirkung. Spreche doch auch der Gerichtshof selbst aus, dass dem Rechtsschutzziel eines Antrages gemäß Art139 Abs4 B‑VG in bestimmten Konstellationen durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes Rechnung dahingehend getragen werden müsse, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen gesetzwidrig gewesen seien (VfGH 14.7.2020, V363/2020). Dieses Rechtsschutzinteresse, eine verbindliche Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit von Bestimmungen zu erwirken, könne auch nach Geltung der Verordnung fortbestehen. Der Verfassungsgerichtshof führe dazu das ähnlich gelagerte Rechtsschutzinteresse bei Maßnahmenbeschwerden an (VfGH 14.7.2020, G202/2020, V408/2020).
2.2. Zum Anfechtungsumfang führt das antragstellende Gericht aus, dass sich seine Bedenken gegen die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 richteten.
Die §§1 und 2 der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 würden ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander bilden, weil nach §2 leg cit Ausnahmen vom Betretungsverbot bestimmt würden. Insofern seien auch die Ausnahmebestimmungen gemäß §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 präjudiziell, da auf Grund der Tatvorwürfe zu prüfen sei, ob einer dieser Ausnahmetatbestände zur Anwendung gelangen könne. Allerdings nehme keiner der genannten Ausnahmetatbestände Bezug auf Freizeit- und Sportbetriebe und stünden somit nicht in direktem Zusammenhang mit den angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96. Die Ausnahmen vom Betretungsverbot nach §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 stünden auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit §1 leg cit, da sie von einer allfälligen Aufhebung dieser Wortfolge isoliert betrachtet nicht berührt wären. Die normative Wirkung des §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 bliebe bestehen, da sich die Ausnahmen weiterhin auf eine Verbotsbestimmung bezögen, nämlich auf das Betretungsverbot für Betriebsstätten. Auch die übrigen Bestimmungen der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 könnten rechtlich weiterbestehen. Es handle sich um eigenständig bestehende, weitere, spezifische Betretungsverbote für Gastgewerbe (und mit BGBI II 130/2020 auch für Beherbergungsbetriebe).
Die Wortfolge "sowie von Freizeit- und Sportbetrieben" könne von der Wendung "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" zwar grundsätzlich isoliert betrachtet werden, beziehe sie sich doch auf das Betretungsverbot. Allerdings würden die Begrifflichkeiten "Freizeit- und Sportbetriebe" dem verfassungsrechtlichen Determinierungsgebot nicht genügen. Insofern wäre bei Zutreffen der diesbezüglichen Bedenken auch die Gesetzwidrigkeit der Wendung "sowie von Freizeit- und Sportbetrieben" in Bezug auf das Betretungsverbot festzustellen. Auch der Ausspruch der Gesetzwidrigkeit beider Wortfolgen würde die Ausnahmebestimmung in §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 nicht beeinträchtigen. Selbst in diesem Fall würde eine ausreichende normative Wirkung der §§1 und 2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 verbleiben.
2.3. Im Hinblick auf die inhaltlichen Bedenken führt das antragstellende Gericht aus, §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 fehle die gesetzliche Deckung und sei nicht hinreichend bestimmt.
2.3.1. Der Wortlaut des §1 COVID‑19‑MG weise einen unmissverständlichen Zweckbezug auf, da sich das Betretungsverbot ausschließlich auf den Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen beziehe (vgl dazu auch die Materialien IA 396/A 27. GP , 11; so auch Heissenberger, Rechtliche Maßnahmen zur Bewältigung von COVID‑19, ÖJZ 2020/57, 440 [443]). §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 erweitere diesen Zweckbezug insoweit über die gesetzliche Grundlage des §1 COVID‑19‑MG hinaus, als nicht nur das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt werde. Zum einen werde das Betretungsverbot zum Zweck des Erwerbs von Waren auch auf Freizeit- und Sportbetriebe ausgedehnt. Damit solle eine weitere Kategorie von Betriebsstätten vom Betretungsverbot mitumfasst werden. Zum anderen werde durch §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 eine neue Zweckbindung geschaffen, der zufolge auch die Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben untersagt werde. Hiebei handle es sich entgegen dem gesetzlichen Wortlaut in §1 COVID‑19‑MG nicht mehr um den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen, sondern um eine anderweitige Benützung dieser Freizeit- und Sportbetriebe. Insofern sei die Zweckwidmung durch §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 erweitert worden.
Einzuräumen sei, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber den Umständen entsprechende Abwägungs- und Prognosespielräume gewähren und die situationsbezogene Konkretisierung des Gesetzes dem Verordnungsgeber überlassen könne. Dabei gelte es allerdings zu beachten, dass "die wesentlichen Zielsetzungen, die das Verwaltungshandeln leiten sollen, der Verordnungsermächtigung in ihrem Gesamtzusammenhang mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein müssen" (vgl VfGH 14.7.2020, V411/2020). Der diesbezüglichen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sei zu entnehmen, dass "der Grundsatz der Vorherbestimmung verwaltungsbehördlichen Handelns nicht in Fällen überspannt werden darf, in denen ein rascher Zugriff und die Berücksichtigung vielfältiger örtlicher und zeitlicher Verschiedenheiten für eine sinnvolle und wirksame Regelung wesensnotwendig sind, womit auch eine zweckbezogene Determinierung des Verordnungsgebers durch unbestimmte Gesetzesbegriffe und generalklauselartige Regelungen zulässig ist" (vgl VfGH 14.7.2020, V363/2020, unter Verweis auf VfSlg 17.348/2004 mwN).
In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber in §1 COVID‑19‑MG Spielraum erstens nur hinsichtlich der Wahl einräume, ob er Betriebsstätten generell oder nur bestimmte Arten von Betriebsstätten einem Betretungsverbot unterwerfen möchte, und zweitens dem Verordnungsgeber nur dahingehend ein Ermessen belasse, welche Anzahl von und zu welcher Zeit Betriebsstätten nicht betreten werden dürften. Keinerlei Ermessen habe er dem Verordnungsgeber aber hinsichtlich der Zweckausweitung allfälliger Betretungsverbote eingeräumt. Ein solches Ansinnen gehe auch aus den Materialien zum COVID‑19‑MG nicht hervor. Es deute ferner nichts auf eine demonstrativ auszulegende Zweckrichtung hin.
Daher könnten auch solche Ausnahmesituationen, wie sie zum Zeitpunkt des verstärkten Ausbruchs der COVID‑19-Pandemie Mitte März 2020 zweifelsohne gegeben gewesen seien, den Verordnungsgeber nicht dazu ermächtigen, den gesetzlich exakt präformierten Zweckbezug so extensiv auszuweiten, wie dies hier erfolgt sei, gehe doch die Benützung eines Freizeit- und Sportbetriebes sprachlich weit über den Erwerb von Waren und Dienstleistungen hinaus. Die Grundentscheidung des Gesetzgebers gehe aus dem Gesetzeswortlaut eindeutig hervor. Demnach sollten Betretungsverbote ausschließlich zum Zweck des Erwerbs von Waren oder Dienstleistungen verfügt werden können (so bereits VfGH 14.7.2020, V411/2020). Dass der Gesetzgeber den ausschließlichen Zweckbezug nach §1 COVID‑19‑MG explizit gewollt habe, könne aus dem Umkehrschluss des fehlenden Zweckbezuges des weiter formulierten §2 COVID‑19‑MG abgeleitet werden. Demzufolge könne das Betreten bestimmter Orte untersagt werden (so etwa von Sportplätzen, vgl IA 396/A 27. GP , 11). Bei dieser Verordnungsermächtigung könne nämlich davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber den Spielraum überlassen habe, von verschiedenen Zweckbindungen in der Verordnung Gebrauch zu machen.
Dem "Erwerb" (von Waren oder Dienstleistungen) nach §1 COVID‑19‑MG begriffsimmanent sei die Entgeltlichkeit iSd §917 ABGB, wonach für eine Leistung eine Gegenleistung zu erbringen sei. Sohin könne neben dem klassischen Erwerb von Waren, bei dem für eine Ware meist eine Gegenleistung in Form von Geldleistungen erfolge, auch die Zurverfügungstellung einer Freizeit- und Sportanlage den Erwerb einer Dienstleistung darstellen (zB bei Fitnessstudios). Dahingegen könne die Benützung von Freizeit- und Sportanlagen auch unentgeltlich erfolgen. Man denke etwa an die unentgeltliche Benützung von öffentlichen Spiel- und Sportplätzen oder Parkanlagen. Die Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben zeichne sich im Gegensatz zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen gerade nicht durch das Charakteristikum der Entgeltlichkeit aus. Insofern weiche §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 auch dahingehend von §1 COVID‑19‑MG ab.
Bei der Beurteilung der Frage, inwieweit eine gesetzliche Regelung hinreichend bestimmte Vorgaben für den Verordnungsgeber enthalte, sei nicht isoliert auf die Verordnungsermächtigung abzustellen, sondern das Gesetz gesamthaft zu betrachten (vgl dazu Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht11 [2019], Rz 602). Korrespondierend zu §1 COVID‑19‑MG sehe auch §3 Abs2 erster Satz leg cit vor, dass der Inhaber einer Betriebsstätte, der nicht dafür Sorge trage, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 leg cit untersagt sei, nicht betreten werde, eine Verwaltungsübertretung begehe. Insofern knüpfe auch die Strafbestimmung an den gesetzlich vorgegebenen Zweck nach §1 COVID‑19‑MG an. Vor diesem Hintergrund habe der Verordnungsgeber durch die Wendung "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gegen Art18 Abs2 B‑VG verstoßen, da er dadurch die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des §1 COVID‑19‑MG überschritten habe. Dahingegen sei die Schaffung einer weiteren Art von Betriebsstätte zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen, nämlich jene der Freizeit- und Sportbetriebsstätten, durch den Verordnungsgeber im Lichte des Art18 Abs2 B‑VG wohl grundsätzlich zulässig, weil die gesetzliche Grundlage diesen dazu ermächtigt habe, auch bestimmte Arten von Betriebsstätten mit einem Betretungsverbot zu belegen.
2.3.2. Darüber hinaus werde aus Art18 Abs1 B‑VG abgeleitet, dass allgemeine Rechtsnormen hinreichend bestimmt sein müssen; dies gelte auch für Verordnungen. Was das Ausmaß dieser Determinierung anlange, werde dabei ua auf die jeweiligen Sachmaterien abgestellt. In diesem Zusammenhang werde bei jenen Sachgebieten eine möglichst exakte Bestimmtheit gefordert, in denen das Rechtsschutzbedürfnis dies in besonderem Maße erfordere. Gerade Verwaltungsstrafnormen unterlägen derartig strikten Bestimmtheitsanforderungen. Auch und gerade Art7 EMRK verlange bei eingriffsintensiven Bereichen vom jeweiligen Normgeber eine besonders genaue Determinierung des entsprechenden Tatbestandes. So werde aus dieser Bestimmung das Klarheitsgebot abgeleitet, wonach strafbare Tatbestände möglichst exakt umschrieben werden müssten, damit die Normunterworfenen eine genaue Vorstellung davon erhalten könnten, welche Handlungen unter Strafe stünden; sie sollten dadurch in die Lage versetzt werden, gesetzeskonform zu handeln (vgl VfSlg 20.039/2016, 18.013/2006; EGMR 25.5.1993, Fall Kokkinakis, Appl 14307/88; 7.12.1976, Fall Handyside, Appl 5493/72). Die Unterscheidung zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten müsse so klar erkennbar sein, dass "jeder berechtigte Zweifel über den Inhalt des pflichtkonformen Verhaltens ausgeschlossen ist" (vgl mit Blick auf die COVID‑19-Normgebung, Fister, Grundrechte in der Krise, AnwBI 2020, 406 [410]). Bereits der Sprachkundige und nicht erst der Rechtskundige solle die Abgrenzung des strafrechtlich verbotenen vom erlaubten Verhalten feststellen können (vgl Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 §1, Rz 5, unter Verweis auf VfSlg 3207/1957, 4037/1961, 9187/1981). Da das Verbot des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 die tatbestandliche Voraussetzung für die Anwendung der Verwaltungsstrafnorm des §3 COVID‑19‑MG bilde, gelte es, die Begrifflichkeiten des "Freizeit- und Sportbetriebes" am strengen Determinierungsgebot nach Art18 Abs1 B‑VG und Art7 EMRK zu messen. Bei der Ermittlung des fraglichen Begriffsinhaltes sei auf alle verfügbaren Interpretationsmethoden zurückzugreifen. Dies werde im (Verwaltungs‑)Strafrecht allerdings durch den "äußerst möglichen Wortsinn" begrenzt (vgl Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 §1, Rz 5).
Es sei zunächst schon nicht zweifelsfrei zu erkennen, wie der Gesetzgeber den Begriff der "Betriebsstätte" in §1 COVID‑19‑MG sowie §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 verstanden wissen möchte. Der Verwaltungsgerichtshof interpretiere eine "Betriebsstätte" iSd GewO als den Standort der Gewerbeberechtigung, "sohin der in der Gewerbeberechtigung angeführte Ort, an dem das Gewerbe zulässigerweise ausgeübt wird" (vgl jüngst VwGH 7.5.2020, Ra 2018/04/0146 mwN; vgl dazu auch Schlögl in Ennöckl/Raschauer/Wessely, GewO §46 [Stand 1.1.2015, rdb.at], Rz 33 f.). Gemeint könnten damit also jene örtlich gebundenen Einrichtungen sein, an denen eine gewerbliche Tätigkeit, die im Zusammenhang mit Sport- und Freizeitgestaltung stehe, ausgeübt werde. Beispielhaft zu nennen wären etwa Fitnessstudios, Golfplätze, Schwimmbäder oder Kletterparks. Bestimmte, der Freizeitverrichtung dienende Anlagen seien hingegen nach den Ausnahmebestimmungen des §2 GewO nicht als "Betriebsstätten" iSd GewO einzuordnen (so etwa der Betrieb von Theatern, vgl §2 Abs1 Z17 GewO).
Den Erläuterungen zu §1 COVID‑19‑MG sei in Bezug auf das Begriffsverständnis einer Betriebsstätte eine unternehmerische bzw eine gewerbliche Betrachtung iSd GewO zu entnehmen (IA 396/A 27. GP , 11). So werde im ersten Satz angeführt, dass sich das Betretungsverbot an Waren- und Dienstleistungsbetriebe richte, wobei dieses Verbot nicht nur die Kunden, sondern auch die Wirtschaftstreibenden umfassen solle. Weiters heiße es, dass das Verbot nur "zum Zweck des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen" bestehe und "Unternehmen, in denen kein Kontakt mit Kunden besteht, von dem Verbot demnach nicht betroffen sind." Offenbar gehe der Gesetzgeber in §1 COVID‑19‑MG also von gewerblichen Tätigkeiten iSd §1 GewO aus. Dies werde auch dahingehend bestärkt, dass der Gesetzgeber in den Erläuterungen zu §2 COVID‑19‑MG etwa konsumfreie Aufenthaltszonen als ein Beispiel für bestimmte Orte anführe (vgl IA 396/A 27. GP , 11). Auch das Epidemiegesetz (BGBl 186/1950 idF BGBl I 62/2020), das in Bezug auf die Textierung des §1 COVID‑19‑MG offensichtlich Vorbildwirkung entfaltet habe, sehe in §20 Abs1 leg cit die Schließung von Betriebsstätten vor, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt würden. Daneben knüpfe die konkretisierende Anordnung in §20 Abs2 Epidemiegesetz ebenfalls explizit an unternehmerische und gewerbliche Aspekte an, wenn der Betrieb einzelner gewerbsmäßig betriebener Unternehmungen mit fester Betriebsstätte beschränkt oder die Schließung der Betriebsstätte verfügt werden könne.
Dem Duden zufolge verstehe man unter dem Begriff Sportbetrieb die "Gesamtheit von Tätigkeiten und Abläufen im Bereich des Sports" (vgl https://www.duden.de/rechtschreibung/Sportbetrieb , abgerufen am 23.7.2020). Dieser scheine vom Wortsinn her weit begriffen zu sein. Davon könnten auch Betriebsstätten umfasst sein, in denen Waren oder Dienstleistungen im Bereich des Sports angeboten werden würden. Der Begriff Freizeitbetrieb finde sich hingegen nicht im Wörterbuch. Lediglich das Internetlexikon Wikipedia definiere diesen Begriff "allgemein als das Geschehen der Freizeitbetätigungen" (vgl https://de.wikipedia.org/wiki/Freizeitbetrieb , abgerufen am 23.7.2020). Insofern lasse sich soeben Erwähntes wohl auch auf Freizeitbetriebe übertragen. Der Verwaltungsgerichtshof verstehe unter Sportbetrieb die tatsächliche Ausübung der sportlichen Tätigkeit, wenn er festhalte, dass eine Flutlichtanlage den Sportbetrieb auch während der Dunkelheit ermögliche (VwGH 12.3.1974, 1248/73). Insofern ordne der Verwaltungsgerichtshof den Sportbetrieb nicht als eine Betriebsstätte im gewerberechtlichen Sinn ein. Zum Begriff eines Freizeitbetriebes habe sich bisher, soweit ersichtlich, kein Höchstgericht geäußert. Lege man die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zum Sportbetrieb auf Freizeitbetriebe um, so müsste darunter die Ausübung der Freizeittätigkeit zu verstehen sein. Offenbar habe auch der Gesetzgeber das Betretungsverbot von Sportplätzen als ein Beispiel eines bestimmten Ortes vor Augen (vgl die Materialien zu §2 COVID‑19‑MG, IA 396/A 27. GP , 11).
Der Verordnungsgeber nehme in §8 COVID‑19-Lockerungsverordnung hingegen insoweit explizit Bezug auf die Sportausübung, als er das Betreten von Sportstätten unter bestimmten Voraussetzungen (zB 1‑Meter-Abstandsregel) für zulässig erkläre (Abs1 leg cit), hingegen die Sportausübung davon ausnehme (Abs2 Satz 1 leg cit; vgl zum Betretungsverbot von Sportstätten gemäß §5 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID‑19‑MG, BGBI II 97/2020, idF BGBI II 162/2020). Dass reine Sportstätten, also Anlagen, die der Sportausübung dienten (wie etwa Sportplätze), nicht von §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 erfasst seien, sei aus den Materialien zu §2 COVID‑19‑MG ersichtlich, würden dort doch Sportplätze als Beispiele für bestimmte Orte iSd §2 COVID‑19‑MG genannt (vgl IA 396/A 27. GP , 11). Nach §3 Z11 Bundes‑Sportförderungsgesetz 2017, BGBI I 100/2017, handle es sich bei einer Sportstätte um eine Anlage, die ausschließlich oder überwiegend für die körperliche Aktivität sowie die Betätigung im sportlichen Wettkampf oder im Training bestimmt sei (zB Sportplatz), einschließlich den dem Betrieb der Anlage oder der Vorbereitung für die Benützung der Anlage dienenden Einrichtungen, Bauten und Räumlichkeiten. Der Betrieb einer Sportstätte diene sohin der Benutzbarkeit derselben. Folglich sei darunter die technische und sonstige Erhaltung und Vorbereitung der Anlage für die Benützung zu sportlichen Zwecken gemeint, nicht aber eine gewerbliche bzw unternehmerische iSd Verkaufs von Waren oder Dienstleistungen. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge sei nach "dem Auslegungsprinzip der Einheit der Rechtsordnung und der Rechtssprache prinzipiell davon auszugehen, dass in der Rechtssprache geprägte Begriffe die gleiche Bedeutung haben" (VwGH 13.8.2019, Ra 2019/03/0068 mwH). Ob der Verordnungsgeber nun aber bei Freizeit- und Sportbetrieben von Betriebsstätten iSd GewO oder von Sportstätten iSd COVID‑19-Lockerungsverordnung (bspw. Tennisplätze) ausgehe, könne nicht abschließend beurteilt werden. Die Einbeziehung der Freizeit- und Sportbetriebe in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 lege im systematischen Kontext und iSd soeben zitierten Judikatur zumindest nahe, dass der Verordnungsgeber auf die Ermächtigung des §1 COVID‑19‑MG zurückgreifen gewollt habe, wonach auch nur bestimmte Betriebsstätten mit einem Betretungsverbot versehen werden könnten. Vor diesem Hintergrund würden Freizeit- und Sportbetriebe iSd §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in Zusammenschau mit §1 COVID‑19‑MG aber als Betriebsstätten, die der gewerblichen Ausübung in Bezug auf das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen im Bereich des Sports und der Freizeit dienten, zu verstehen sein. Ein privater Fischteich – wie im Anlassfall – sei nicht darunter zu subsumieren. Als Betriebsstätte iSd GewO sei ein Fischteich wie im Anlassfall jedenfalls nicht anzusehen (vgl die entsprechende Ausnahmebestimmung in §2 Abs3 Z3 GewO). Vielmehr wäre ein solcher Fischteich wohl als ein bestimmter Ort iSd §2 COVID‑19‑MG zu subsumieren und folglich dessen Betreten nicht gemäß §3 Abs2 COVID‑19‑MG strafbar. Selbst im Lichte der außergewöhnlichen Lage bei Ausbruch der COVID‑19-Pandemie sei der Verordnungsgeber angehalten, hinreichend bestimmte Normtexte zu formulieren. Wenn selbst die rechtlich fachkundige Behörde einen privaten, wasserrechtlich bewilligten Fischteich als Freizeit- oder Sportbetrieb einordne, sei im Umkehrschluss nicht davon auszugehen, dass in aller Regel rechtlich nicht fachkundige Normunterworfene nachvollziehbar erkennen könnten, welche Freizeit- und Sportbetriebe vom Betretungsverbot umfasst seien. Daher sei die Wendung "Freizeit- und Sportbetriebe" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 nicht bestimmt genug ausgestaltet, um den Anforderungen der Art18 Abs1 B‑VG und Art7 EMRK zu genügen und belaste somit die Verordnung in diesem Punkt mit Verfassungswidrigkeit.
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat auf die zu den Zahlen V350‑354/2020 vorgelegten Verordnungsakten verwiesen und eine Äußerung erstattet, in der er dem Antragsvorbringen entgegentritt und die Zurückweisung des Antrages, in eventu den Ausspruch, dass der Antrag als unbegründet abgewiesen wird, beantragt.
3.1. Zur Zulässigkeit führt der BMSGPK aus, dass für ihn keine Anhaltspunkte erkennbar seien, die gegen die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung sprächen.
Hinsichtlich der auch auf die Aufhebung des §2 der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 gerichteten Eventualanträge vermag der BMSGPK keinen untrennbaren Zusammenhang zu den beanstandeten Wortfolgen in §1 leg cit zu erkennen.
3.2. In der Sache bringt der BMSGPK Folgendes vor:
3.2.1. Zur behaupteten fehlenden gesetzlichen Deckung des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96:
Dass es sich bei der Aufnahme von Sport- und Freizeitbetrieben um eine zulässige Präzisierung des Begriffs der Betriebsstätte handle und Betretungsverbote für diesen Bereich von §1 COVID‑19‑MG gedeckt gewesen seien, räume auch das antragstellende Gericht selbst ein.
Auch beim Zweck der "Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" handle es sich um eine Präzisierung des §1 COVID‑19‑MG iSd Art18 Abs2 B‑VG: So könne das Wort "Erwerb" nicht nur als "Kauf" verstanden werden (was eine Entgeltlichkeit impliziere). Während der "Erwerb von Waren" regelmäßig entgeltlich, das heißt in Form eines Kaufs oder Tauschs erfolge, könne der "Erwerb" insbesondere im Zusammenhang mit Dienstleistungen auch mit "Aneignung" gleichgesetzt werden und habe eine zentrale Bedeutung im immateriellen Bereich (vgl etwa den Erwerb von Kenntnissen). Anders als vom antragstellenden Gericht angenommen, sei daher insbesondere im Bereich der Dienstleistungen nicht von einer begriffsimmanenten Entgeltlichkeit des Wortes "Erwerb" auszugehen.
Der Zweck der "Benützung von Sport- und Freizeiteinrichtungen" stelle daher ebenso wie jener der "Inanspruchnahme von Dienstleistungen" eine sprachliche Präzisierung der gesetzlichen Vorgabe ohne Änderung des normativen Begriffsgehalts dar: Bei Leistungen von Sport- und Freizeiteinrichtungen sei es sprachlich präziser, von einer Inanspruchnahme oder – inhaltlich gleichbedeutend – von einer Benützung zu sprechen. Dies bestätige retrospektiv auch die Novelle zum COVID‑19‑MG, BGBl I 104/2020, wonach nunmehr in §3 [COVID‑19‑MG] nicht mehr vom Zweck des "Erwerbs von Dienstleistungen", sondern vom Zweck der "Inanspruchnahme von Dienstleistungen" die Rede sei (ohne dass damit inhaltliche Änderungen einhergehen würden).
Auch eine historische und teleologische Interpretation spreche für dieses aus der Wortlautinterpretation gewonnene Verständnis: So sei es ausweislich der Materialien der Telos der Zweckbestimmungen "Erwerb von Waren und Dienstleistungen" gewesen, Kundenkontakt zu vermeiden. Insbesondere sollten Betretungen abseits des Kundenverkehrs, etwa durch den Betriebsstätteninhaber sowie durch Reinigungspersonal, nicht betroffen sein (IA 396/A 27. GP , 10). Vor dem Hintergrund des Ziels der Vermeidung sozialer Kontakte könne es aber keinen Unterschied machen, ob Leistungen einer Betriebsstätte entgeltlich oder unentgeltlich in Anspruch genommen würden. Andernfalls könnten die Bestimmungen des Gesetzes und die darauf basierenden Verordnungen mühelos dadurch umgangen werden, dass Waren und Dienstleistungen für die Zeit der Betretungsverbote unentgeltlich bereitgestellt würden. Ein solches mit dem Zweck des Gesetzes unvereinbares Verständnis dürfe dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.
Im Ergebnis handle es sich bei der Wendung "zum Zweck der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" um eine zulässige Präzisierung des gesetzlichen Wortlauts des "Erwerbs von Dienstleistungen".
3.2.2. Zur behaupteten unzureichenden Bestimmtheit des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96:
Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass das Bestimmtheitsgebot des Art7 EMRK nicht absolut sei, sondern vom Rechtsgebiet sowie von Zahl und Status der Adressaten abhänge (s Grabenwarter/Pabel, EMRK6 Rz 159). Das Klarheitsgebot verlange, dass ein Straftatbestand eindeutig vom Gesetz festgelegt sei. Daraus ergebe sich jedoch nicht das Erfordernis kasuistischer Einzelfallregelungen und ‑definitionen. Den Anforderungen aus Art7 EMRK sei vielmehr Genüge getan, wenn dem Wortlaut – soweit erforderlich mit Hilfe der Auslegung durch die Gerichte – zu entnehmen sei, für welche Handlungen und Unterlassungen der Rechtsunterworfene zur Verantwortung gezogen werden könne und welcher Strafrahmen dafür bestehe (EGMR 22.1.2013, Fall Camilleri, Appl 42931/10). Im Zusammenhang mit der COVID‑19-Rechtsetzung sei auf die Fülle der zu regelnden Lebenssachverhalte hinzuweisen. Kasuistische Regelungen würden die Gefahr der Unvollständigkeit der erfassten Sachverhalte bergen und damit einer gleichheitswidrigen Inkonsistenz der Maßnahmen. Bei der Ermittlung des Bedeutungsgehalts der insoweit naturgemäß allgemein zu haltenden Regelungen komme im Kontext mit dem Seuchenrecht der teleologischen Interpretation besondere Bedeutung zu.
Insbesondere unter Berücksichtigung des Telos der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 (größtmögliche Reduktion der Mobilität und der sozialen Kontakte im Einklang mit dem gesetzlichen Auftrag der Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19) sowie der gebotenen gleichheitskonformen Interpretation lasse sich dem Wortlaut ein hinreichend bestimmter Bedeutungsgehalt beimessen:
Zur Auslegung der gesetzlichen Vorgaben des §1 COVID‑19‑MG im Hinblick auf den Betriebsbegriff sei zunächst darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Betriebsstätte rechtlich in unterschiedlichen Reglungszusammenhängen verwendet werde. So fänden sich entsprechende Begrifflichkeiten in der GewO (vgl insbesondere §46 GewO); der Betriebsbegriff werde aber auch in betriebswirtschaftlichem, steuer- und unternehmensrechtlichem Sinn verwendet. Im Lichte des Telos des COVID‑19‑MG würden sich diese Begriffe als zu eng erweisen; eine Orientierung etwa am gewerberechtlichen oder steuerrechtlichen Verständnis würde dem seuchenrechtlichen Regelungsbedarf nicht gerecht werden. Im Hinblick auf das Ziel der Bekämpfung der weiteren Ausbreitung von COVID‑19 könne es etwa keinen Unterschied machen, ob es sich um eine feste örtliche Anlage handle oder nicht.
Anders als vom antragstellenden Gericht angenommen, lasse sich auch den Materialien zum COVID‑19‑MG kein gewerberechtliches Verständnis entnehmen. Aus der Terminologie "Kunden, Unternehmen" etc. allein könnten keine derartigen Rückschlüsse gezogen werden. So sei dort etwa im Gegensatz zu den gewerberechtlichen Begrifflichkeiten auch vom "Wirtschaftstreibenden" und nicht vom "Gewerbetreibenden" die Rede (vgl IA 396/A 27. GP , 1[1]). Die Materialien bestätigten sogar im Gegenteil, dass das COVID‑19‑MG – ganz im Sinne seines Telos – nicht den gewerberechtlichen Betriebsbegriff zugrunde lege: Insbesondere würden sich die Materialien auch auf "Gesundheits- und Pflegedienstleistungen" sowie auf "Bankdienstleistungen" beziehen, die von den Betretungsverboten ausgenommen werden dürften. Diese seien aber vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen (vgl §2 Abs1 Z11 und Z14 GewO). In diesem Sinne umfasse auch der Ausnahmekatalog des §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 zahlreiche von der Gewerbeordnung ausgenommene Bereiche (vgl zB die Z1, 5, 7 und 13).
Auch aus dem Epidemiegesetz 1950, insbesondere aus dessen §20, lasse sich nichts Gegenteiliges gewinnen: Was die behauptete Vorbildwirkung für die Bestimmungen des COVID‑19‑MG betreffe, sei auf die zentrale Motivation zur Erlassung des COVID‑19‑MG zu verweisen, wonach sich die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 als zu kleinteilig erwiesen hätten, um den Anforderungen der COVID‑19-Pandemie gerecht zu werden. Aus §20 Epidemiegesetz 1950 könne daher nicht zwangsläufig auf die Reichweite des §1 COVID‑19‑MG geschlossen werden. Insbesondere stelle §1 COVID‑19‑MG gerade nicht auf die Ausübung bestimmter Gewerbe ab. Der Begriff der Betriebsstätte sei daher autonom im Lichte der Zielsetzung des COVID‑19‑MG zu interpretieren. Unter Zugrundelegung einer teleologischen Interpretation gelange man zu einer eindeutigen Abgrenzung, wonach Betriebsstätten all jene Orte seien, an denen Waren erworben und Dienstleistungen in Anspruch genommen werden könnten und an denen Kundenkontakt bestehe (dies ergebe sich auch in historischer Interpretation: s. wieder IA 396/A 27. GP , 1[1]).
Der Begriff des Freizeitbetriebs komme als Rechtsbegriff – soweit ersichtlich – ausdrücklich nur im arbeitszeitrechtlichen Kontext vor (s dazu die Rechtsprechung des OGH 15.9.1987, 4 Ob 364/87; 11.9.1990, 4 Ob 128/90). Auch diesbezüglich gelte jedoch, dass dem Begriff des Freizeitbetriebs im seuchenrechtlichen Kontext ein eigenständiges Begriffsverständnis zukommen müsse: Im Einklang mit §1 COVID‑19‑MG müsse es sich dabei um Betriebe handeln, in denen Dienstleistungen im Bereich der Freizeitgestaltung in Anspruch genommen werden könnten und in denen Kundenkontakt bestehe. Eben dies gelte auch für Sportbetriebe. Ob es sich beim vorliegenden "Fischteich für Sportfischen" um einen solchen Sport- oder Freizeitbetrieb iSd COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 handle, könne im Übrigen mangels Angaben zur konkreten Ausgestaltung (Infrastruktur, Organisation, Voraussetzungen für die Nutzung etc.) nicht beantwortet werden. Es sei darauf hinzuweisen, dass alleine die Tatsache, dass es sich um einen privaten Teich handle, nicht gegen das Vorliegen eines Sport- oder Freizeitbetriebs spreche, zumal Betriebsstätten iSd §1 COVID‑19‑MG in der Regel in privatem Eigentum stünden. Im Übrigen seien behördliche Einzelfallentscheidungen keine stichhaltigen Argumente gegen die Bestimmtheit einer Norm.
IV. Erwägungen
A. Zur Zulässigkeit des Antrages
1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001, 16.927/2003).
2. Das dem Anlassverfahren zugrunde liegende Straferkenntnis stützt sich ausdrücklich auf §3 Abs2 erster Satz iVm §1 COVID‑19‑MG, BGBI I 12/2020, iVm §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020. §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 ist zwar mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten (vgl §13 Abs2 Z1 COVID‑19‑Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020). Da es sich dabei jedoch um eine zeitraumbezogene Regelung handelt, die im Tatzeitpunkt in Geltung war, geht das antragstellende Gericht denkmöglich davon aus, dass es den angefochtenen §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 (auch unter Bedachtnahme auf den Günstigkeitsvergleich des §1 Abs2 VStG) im Anlassverfahren anzuwenden hat (vgl VfGH 14.7.2020, G202/2020 ua mwN; VfSlg 19.791/2013).
3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängende Bestimmungen erfasst, führt dies – ist der Antrag in der Sache begründet – im Fall der Aufhebung nur eines Teiles der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl VfSlg 19.746/2013, 19.905/2014). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht nicht präjudiziell sind, führt dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen zur partiellen Zurückweisung des Antrages (s VfSlg 18.486/2008, 18.298/2007; soweit diese Voraussetzungen vorliegen, führen zu weit gefasste Anträge also nicht mehr – vgl noch VfSlg 14.342/1995, 15.664/1999, 15.928/2000, 16.304/2001, 16.532/2002, 18.235/2007 – zur Zurückweisung des gesamten Antrages).
3.1. Das antragstellende Gericht hegt Bedenken gegen die Wortfolgen "sowie von Freizeit- und Sportbetrieben" und "oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 und moniert deren fehlende gesetzliche Deckung in §1 COVID‑19‑MG und deren unzureichende Bestimmtheit iSd Art7 [Abs1] EMRK. Vor dem Hintergrund dieser Bedenken stehen die beiden angefochtenen Wortfolgen in einem untrennbaren sprachlichen Zusammenhang (vgl zB VfSlg 14.715/1996). Hingegen besteht kein derartiger Zusammenhang zur Ausnahmeregelung des §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 (idF BGBl II 110/2020), weil keiner der einzelnen Tatbestände einen Bezug zu Freizeit- bzw Sportbetrieben aufweist.
3.2. Bei den mit den angefochtenen Wortfolgen geregelten Tatbeständen handelt es sich um selbständige rechtliche, vom Rest der Bestimmung des §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 trennbare Verhaltensanordnungen. Ihre Aufhebung würde der Regelung keinen völlig veränderten, dem Verordnungsgeber nicht mehr zusinnbaren Inhalt verleihen, weil damit das allgemeine System des Betretungsverbotes mit Bereichsausnahmen (im Wesentlichen für sogenannte systemrelevante Betriebe [vgl §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96]) bestehen bliebe.
4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der (Haupt‑)Antrag als zulässig.
B. In der Sache
1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2. Der Antrag ist begründet.
2.1. Das antragstellende Gericht bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, die angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 seien von der gesetzlichen Ermächtigung des §1 COVID‑19‑MG nicht gedeckt und nicht hinreichend bestimmt.
2.2. §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 stützte sich auf §1 COVID‑19‑MG. Gemäß §1 COVID‑19‑MG idF BGBl I 12/2020 kann der BMSGPK durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass diese Verordnungsermächtigung (in der dort maßgeblichen Fassung BGBl I 23/2020) den BMSGPK als verordnungserlassende Behörde in mehrfacher Hinsicht determiniert:
Aus dem Regelungszusammenhang insbesondere mit §2 COVID‑19‑MG geht die grundsätzliche Zielsetzung des Gesetzgebers hervor, durch Betretungsverbote für Betriebsstätten die persönlichen Kontakte von Menschen einzudämmen, die damit verbunden sind, wenn Menschen die Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen aufsuchen. Damit gibt das Gesetz den Zweck der Betretungsverbote konkret vor. Weiters ordnet das Gesetz an, dass der Verordnungsgeber diese Betretungsverbote im Hinblick auf den Zweck der Maßnahme nach Art und Ausmaß differenziert auszugestalten hat, je nachdem, inwieweit er es in einer Gesamtabwägung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 für erforderlich hält, das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zu untersagen.
2.4. Damit überträgt der Gesetzgeber dem BMSGPK einen Einschätzungs‑ und Prognosespielraum, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Kunden zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung von COVID‑19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Betretungsverbote oder Betretungsbeschränkungen von Betriebsstätten zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geeignete (der Zielerreichung dienliche) erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.
Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet §1 COVID‑19‑MG vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B‑VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.
2.5. Der Verfassungsgerichtshof hat damit insbesondere auch zu prüfen, ob der BMSGPK den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 dahingehend entsprochen hat, als er im Verordnungserlassungsverfahren festgehalten hat, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Dass es damit dafür, ob die angefochtene Verordnungsbestimmung mit den Zielsetzungen des §1 COVID‑19‑MG im Einklang steht, auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung ankommt, ist kein Selbstzweck. Auch in Situationen, die deswegen krisenhaft sind, weil für ihre Bewältigung entsprechende Routinen fehlen, und in denen der Verwaltung zur Abwehr der Gefahr gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu (vgl zu alldem auch VfGH 1.10.2020, V405/2020; 1.10.2020, V392/2020).
2.6. In dem – vom BMSGPK in den zu den Zahlen V350‑354/2020 geführten Verordnungsprüfungsverfahren vorgelegten und auch für das vorliegende Verfahren für maßgeblich erklärten – Verwaltungsakt, der der Erlassung der Stammfassung der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, BGBl II 96/2020 vom 15. März 2020, zugrunde liegt, wird unter der Rubrik "Sachverhalt" ausgeführt: "Die BReg hat auf Grund der aktuellen Situ[at]ion beschlossen, das Betreten von Geschäften ab MO 16.3. (mit Ausnahmen) zu verbieten, und den Betrieb von GastroUnternehmen mit 17.3.2020". Darüber hinaus finden sich in diesem Verwaltungsakt keine weiteren, im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage des §1 COVID‑19‑MG relevanten Ausführungen oder Unterlagen.
2.7. Damit genügen die angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 den Vorgaben des §1 COVID‑19‑MG schon aus diesem Grund nicht:
Die Entscheidungsgrundlagen, die im Verordnungsakt zur COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 in der Stammfassung BGBl II 96/2020 dokumentiert sind, reichen nicht aus, um den aus §1 COVID‑19‑MG folgenden Anforderungen an die Dokumentation einer auf diese Gesetzesbestimmung gestützten Verordnung im Hinblick auf §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 Rechnung zu tragen (vgl VfGH 1.10.2020, V405/2020). Es ist aus den Verordnungsakten nicht ersichtlich, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID‑19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung, das Betreten von Freizeit‑ und Sportbetrieben iSd §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 zu untersagen, geleitet haben.
2.8. Die angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 96/2020 verstoßen somit gegen §1 COVID‑19‑MG, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.
2.9. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine weitere Prüfung, ob die angefochtenen Wortfolgen in §1 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 96/2020 auch aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig waren.
V. Ergebnis
1. §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 ist durch §13 Abs2 Z1 COVID‑19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass die Wortfolge "sowie von Freizeit‑ und Sportbetrieben" und die Wortfolge "oder der Benützung von Freizeit‑ und Sportbetrieben" in §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II 96/2020, gesetzwidrig waren.
2. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannten Wortfolgen in §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II 96/2020, nicht mehr anzuwenden sind, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B‑VG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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