VfGH G647/2015

VfGHG647/20152.12.2016

Keine Verfassungswidrigkeit der generellen Ausnahme des Insolvenzverfahrens von der Möglichkeit der Stellung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle im Hinblick auf die gebotene enge Auslegung des Ausnahmetatbestandes und den besonderen Zweck der zu subsumierenden Verfahren

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1a
VfGG §62a Abs1 Z8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2016:G647.2015

 

Spruch:

§62a Abs1 Z8 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 – VfGG, BGBl Nr 85, idF BGBl I Nr 92/2014, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu G361, 362/2015 ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützter Antrag anhängig, mit dem die antragstellende Gesellschaft begehrt, das Wort "Insolvenzverfahren" in §62a Abs1 Z8 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl 85 ("VfGG"), und die Wortfolge "ohne mündliche Verhandlung" in §24 Abs1 Jurisdiktionsnorm, RGBl. 111/1985 ("JN"), als verfassungswidrig aufzuheben. Der Antrag wurde aus Anlass eines Rekurses der antragstellenden Gesellschaft gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 26. Juni 2015 gestellt, mit dem ein Ablehnungsantrag der antragstellenden Gesellschaft gegen mehrere Richter des Oberlandesgerichtes Wien zurückgewiesen worden war.

2. Bei der Behandlung des Antrages nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §62a Abs1 Z8 VfGG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 26. November 2015 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof führte im Prüfungsbeschluss aus (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…]

 

2. Um die Zulässigkeit des Parteiantrages beurteilen zu können, hat der Verfassungsgerichtshof §62a Abs1 Z8 VfGG anzuwenden. Diese Bestimmung ist daher präjudiziell iSd Art140 Abs1 Z1 litb B‑VG (vgl. VfSlg 8028/1984, 16.631/2002 sowie VfGH 29.11.2014, G30, 31/2014; 2.7.2015, G206/2015; 8.10.2015, G162, 163/2015 ua.).

 

3. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle das Bedenken, dass sie gegen Art140 Abs1a erster Satz B‑VG verstoßen dürfte:

 

3.1. Der mit der B‑VG-Novelle BGBl I 114/2013 eingefügte Art140 Abs1a erster Satz B‑VG bestimmt, dass das Stellen von Anträgen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG durch Bundesgesetz für unzulässig erklärt werden kann, wenn dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist. Die entsprechenden einfachgesetzlichen Ausführungsbestimmungen – darunter §62a VfGG – wurden mit dem Bundesgesetz, mit dem das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz und die Strafprozeßordnung 1975 geändert werden, BGBl I 92/2014, erlassen und sind mit 1. Jänner 2015 in Kraft getreten. In den Erläuterungen zur RV dieses Bundesgesetzes heißt es auszugsweise (263 BIgNR 25. GP 2 f., 5):

 

'Zu den Ausnahmen der §§57a Abs1 und 62a Abs1 im Einzelnen:

 

Gemäß Art139 Abs1a erster Satz und Art140 Abs1a erster Satz B‑VG kann die Stellung eines Antrages gemäß Art139 Abs1 Z4 bzw. Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG durch Bundesgesetz für unzulässig erklärt werden, wenn dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist. In der im Bericht des Verfassungsausschusses wiedergegebenen Begründung des im Verfassungsausschuss eingebrachten gesamtändernden Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Peter Wittmann, Mag. Wolfgang Gerstl, Dr. Peter Fichtenbauer, Kolleginnen und Kollegen (AB 2380 d.B. XXIV. GP, 9) wird dazu ausgeführt, dass in bestimmten verfahrensrechtlichen Konstellationen (etwa in Provisorialverfahren) die Stellung eines Parteiantrages den Zweck des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht gefährden oder vereiteln könne. Dies gelte auch für Sachentscheidungen, etwa solche, die rasch zu ergehen hätten, oder für Rechtssachen, in welchen eine neuerliche Entscheidung auf faktische Unmöglichkeiten stoße (etwa im Insolvenz- oder Exekutionsverfahren). Wie in den vergleichbaren Bestimmungen des B‑VG sei der Begriff 'erforderlich' auch hier im Sinne von 'unerlässlich' zu verstehen.

 

[…]

 

Zu Z8 (Insolvenzverfahren) und Z9 (Exekutionsverfahren und Verfahren betreffend einstweilige Verfügungen gemäß den Bestimmungen der Exekutionsordnung einschließlich des Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung):

 

Vgl. die ausdrückliche Nennung dieser Verfahren in der im Bericht des Verfassungsausschusses wiedergegebenen Begründung des im Verfassungsausschuss eingebrachten gesamtändernden Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Peter Wittmann, Mag. Wolfgang Gerstl, Dr. Peter Fichtenbauer, Kolleginnen und Kollegen (AB 2380 d.B. XXIV. GP, 9) und in der Entschließung des Nationalrates vom 13. Juni 2013 betreffend die Einführung einer Gesetzesbeschwerde (wiedergegeben im Stenographischen Protokoll der 207. Sitzung des Nationalrates am 13. Juni 2013, XXIV. GP, 133). Zu den Exekutionsverfahren gehören auch Verfahren nach §110 AußStrG.' (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original)

 

Die in den Erläuterungen zitierte Stelle des Berichts des Verfassungsausschusses (2380 BIgNR 24. GP, 9) lautet – auszugsweise – wie folgt:

 

'In bestimmten verfahrensrechtlichen Konstellationen (zB im Provisorialverfahren) könnte die Stellung eines Parteiantrages den Zweck des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht gefährden oder vereiteln. Dies gilt auch für Sachentscheidungen, etwa solche, die rasch zu ergehen haben, oder für Rechtssachen, in welchen eine neuerliche Entscheidung auf faktische Unmöglichkeiten stößt (zB im Insolvenzrecht). Die Stellung eines Parteiantrages soll daher durch Bundesgesetz für unzulässig erklärt werden können, wenn dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist. Wie in den vergleichbaren Bestimmungen des B‑VG (vgl. insb. Art11 Abs2 sowie zuletzt Art136 Abs2 in der Fassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) ist der Begriff 'erforderlich' auch hier im Sinne von 'unerlässlich' zu verstehen (vgl. VfSlg 17.340/2004 mwH).'

 

3.2. Nach dem in diesen Zitaten zutage tretenden Willen des (Verfassungs‑)Gesetzgebers und dem Wortlaut des Art140 Abs1a erster Satz B‑VG dürfte die Stellung eines Antrages nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG durch Bundesgesetz nur in jenen Fällen für unzulässig erklärt werden, in denen dies 'unerlässlich' für die Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht ist (vgl. zum Erfordernis der 'Unerlässlichkeit' ferner die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art11 Abs2 B‑VG, beginnend mit VfSlg 8945/1980 und die Rechtsprechung zu Art136 Abs2 B‑VG zB VfGH 2.12.2014, G74/2014 ua.; 2.12.2014, G148/2014; 12.3.2015, E58/2015).

 

3.3. Der Verfassungsgerichtshof vermag vorderhand nicht zu erkennen, dass das gesamte Insolvenzverfahren schlechthin ein Verfahren darstellt, in dem es zur Sicherung seines Zwecks stets und hinsichtlich jedes einzelnen Verfahrensschrittes bzw. in allen Fällen 'unerlässlich' wäre, die Stellung eines Antrages nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG für unzulässig zu erklären. Auch die Begründung der diesbezüglichen Ausnahme in §62a Abs1 Z8 VfGG in den Erläuterungen zur RV des Bundesgesetzes, mit dem das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz und die Strafprozeßordnung 1975 geändert werden (263 BIgNR 25. GP, 5), scheint die Erforderlichkeit des gänzlichen Ausschlusses der Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle nicht darzutun. Zwar enthalten die Materialien zur B‑VG-Novelle BGBl I 114/2013 ausdrückliche Hinweise darauf, dass der Verfassungsgesetzgeber annahm, dass es im Insolvenzrecht Verfahren geben könne, aus deren Anlass die Stellung eines Antrages nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG wegen der Notwendigkeit rascher Entscheidungen sowie der faktische Unmöglichkeit einer neuerlichen Entscheidung unzulässig sein soll (AB 2380 BIgNR 24. GP, 9; Entschließung vom 13. Juni 2013, 310/E 24. GP). Aus dieser pauschalen Aussage vermag der Verfassungsgerichtshof aber zumindest vorläufig nicht zu erkennen, warum in jeder der in der Insolvenzordnung geregelten Angelegenheiten von vornherein der Ausschluss des Parteiantrages unerlässlich sein soll. Dies trifft etwa auf die Regelungen über den Insolvenzverwalter (§§82 ff., 125 f., 177, 191 IO) oder den Treuhänder (§§157b f., 203 f. IO) zu. Allein der zeitliche Aspekt der 'Verfahrensverzögerung' durch Stellung eines Antrages nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG scheint für sich genommen kein Grund, der den Bundesgesetzgeber berechtigt, von der ihm durch Art140 Abs1a erster Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung in der Weise Gebrauch zu machen, dass er das gesamte Insolvenzverfahren pauschal ausnimmt (vgl. VfGH 1.10.2015, G346/2015).

 

[…]"

 

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken mit folgenden Argumenten entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…]

 

2.4. Nach Ansicht der Bundesregierung ergibt sich aus den Materialien zur B‑VG-Novelle BGBI. I Nr 114/2013, mit der der Parteiantrag auf Normenkontrolle eingeführt wurde, dass nicht nur spezielle gerichtliche Entscheidungen im Insolvenzverfahren von der Ausnahme des Art140 Abs1a B‑VG erfasst sein sollten, sondern das gesamte Insolvenzverfahren. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art140 Abs1a B‑VG (arg. 'zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens') und wird durch die im Ausschussbericht und in der Entschließung gewählten abstrakten und typologisierenden Formulierungen bestätigt (arg. 'im Provisorialverfahren' und 'im Insolvenzrecht' bzw. 'für Provisorialverfahren' und 'in Angelegenheiten des Exekutions- und Insolvenzrechts'). Diese pauschalen und nicht näher differenzierenden Ausnahmen beziehen sich also erkennbar auf das gesamte Provisorialverfahren und das gesamte Exekutions- und Insolvenzrecht und nicht bloß auf einzelne Rechtssachen oder Verfahrensschritte aus einem dieser (Rechts-) Bereiche. Bereits dann, wenn es zur Sicherung des Zwecks eines in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich genannten (oder eines vergleichbaren) Verfahrens (hier: des Insolvenzverfahrens) typischerweise erforderlich im Sinne von 'unerlässlich' ist, die mit der Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens zwangläufig verbunden Verzögerungen zu vermeiden, ist eine entsprechende einfachgesetzliche Ausnahme verfassungskonform und es schadet diesfalls auch nicht, wenn dies in einzelnen Rechtssachen aus diesem Bereich (insbesondere auch in der im Ausgangsverfahren zu entscheidenden Rechtssache) nicht der Fall sein sollte.

 

2.5. Dass das 'Insolvenzrecht' in den Materialien zur B‑VG-Novelle BGBI. I Nr 114/2013 mehrfach ausdrücklich genannt wird, zeigt, dass Art140 Abs1a B‑VG die Zulässigkeit eines pauschalen Ausschlusses der Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle in diesem Rechtsbereich als zulässig voraussetzt. Dies erscheint angesichts des Zwecks und der Bedeutung des Insolvenzverfahrens auch sachlich gerechtfertigt:

 

3. Zum Zweck und zur Bedeutung des Insolvenzverfahrens:

 

3.1. Mit dem Insolvenzrecht soll eine mögliche Sanierung oder die Schuldenregulierung mit Restschuldbefreiung des Schuldners untersucht bzw. eine Gläubigergleichbehandlung (primär die bestmögliche Gläubigerbefriedigung) und eine geordnete Abwicklung der Vermögens- und Haftungsverhältnisse verwirklicht werden. Insolvenzverfahren sollen zügig abgewickelt werden und im Sinn der Schuldner, der Gläubiger und damit allgemein zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes möglichst rasch und zuverlässig Rechtssicherheit bringen.

 

3.2. Das Insolvenzrecht hat große rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung. Im Jahr 2015 gab es insgesamt 5150 Unternehmensinsolvenzen (3115 eröffnete Insolvenzverfahren, 2035 nicht eröffnete Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens) mit über 100000 Gläubigern. Dabei betrugen die geschätzten Insolvenzverbindlichkeiten rund 2,4 Mrd. Euro. Ca. 21800 Dienstnehmer waren im Jahr 2015 von Insolvenzen betroffen. Im Jahr 2015 wurden 8829 Konkursverfahren über Privatpersonen und ehemals Selbstständige eröffnet; die geschätzten Insolvenzverbindlichkeiten daraus betrugen rund 1,14 Mrd. Euro (Quelle: KSV1870 Insolvenzstatistik 2015).

 

3.3. Ein Grundsatz zur Verwirklichung der Ziele des Insolvenzverfahrens ist die Verfahrenskonzentration und -beschleunigung: Die in der IO bestimmten Fristen können nicht erstreckt werden (sogenannte 'Notfristen'; §259 Abs1 IO). Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Anbringung eine Tagsatzung bestimmt ist, können von den nicht erschienenen, gehörig geladenen Personen nachträglich nicht mehr vorgebracht werden (§259 Abs2 IO). Das Gericht kann jeden Beteiligten unter Setzung einer angemessenen Frist zur Äußerung über einen Antrag auffordern und im Fall der Nichtäußerung annehmen, dass der Beteiligte diesem keine Einwendungen entgegensetzt (§259 Abs3 IO). Schließlich findet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weder gegen die Versäumung einer Tagsatzung noch gegen die Versäumung einer Frist statt (§259 Abs4 IO). Zu betonen sind in diesem Zusammenhang auch die Handlungslasten der Gläubiger bei der Forderungsanmeldung (vgl. §103 IO) und die mit dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1997 – IRÄG 1997, BGBl I Nr 114/1997, vorgenommene Strukturierung des Insolvenzverfahrens durch Einführung einer Prüfphase, einer Berichtstagsatzung und den daran anknüpfenden Fristbestimmungen (§§21, 25, 91a, 114a, 114b, 114c, 115 IO).

 

3.4. Nach Ansicht der Bundesregierung ist die Ausnahme des §62a Abs1 Z8 VfGG für das gesamte Insolvenzverfahren unerlässlich, weil ansonsten das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf eine zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens und damit in den Wirtschaftsstandort Österreich empfindlich gestört werden würde.

3.5. Vordringlicher Zweck des Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Diese wird nur erreicht, wenn die im Insolvenzverfahren erzielte Quote möglichst bald gezahlt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen von Insolvenzforderungen ausgeschlossene Ansprüche sind und daher als Insolvenzforderungen nicht geltend gemacht werden können (§58 Z1 IO), weshalb sich der Schaden für die Gläubiger erhöht, je später die Quote gezahlt wird.

 

3.6. Die Straffung des Insolvenzverfahrens war ein vordringliches Anliegen der Insolvenzrechtsnovellen der letzten Zeit.

 

3.6.1. So wurde mit dem IRÄG 1997im Konkursverfahren ein Fristengebäude geschaffen. Es wurde eine Prüfphase eingeführt, die bis zur Berichtstagsatzung dauert, einer Gläubigerversammlung, die spätestens 90 Tage nach Konkurseröffnung stattfinden muss (§91a IO). In der Berichtstagsatzung soll die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise (Fortführung oder Schließung des Unternehmens, Sanierungsplan), somit die Weichenstellung zwischen der Rettung eines lebensfähigen Unternehmens, vor allem durch Abschluss eines Sanierungsplans, und der Verwertung (als Ganzes oder in Teilen) getroffen werden. Mit der Einführung der Prüfphase wurde auf eine unterschiedliche Praxis reagiert. Das Konkursverfahren ging zwar von der Fortführung des Unternehmens aus. Allerdings bestand wegen befürchteter Haftungen die Tendenz, Unternehmen frühzeitig zu schließen. Dazu kam noch, dass die Arbeitnehmer durch ihren Austritt eine Fortführung unmöglich machen konnten. Andererseits wurden Unternehmen oft jahrelang fortgeführt, ohne dass es zu einem Sanierungsplan kam, weil das Erfordernis nicht erwirtschaftet werden konnte. In wieder anderen Fällen wurde die Verwertung durch untaugliche Sanierungsplanversuche immer wieder hinausgeschoben und dadurch verzögert.

 

Diese Mängel wurden beseitigt: In der Prüfphase hat sich der Insolvenzverwalter insbesondere über die wirtschaftliche Lage des Schuldners Kenntnis zu verschaffen. In dieser Phase wird der Fortführungsgedanke verstärkt: Der Insolvenzverwalter hat das Unternehmen im Zweifel bis zur Berichtstagsatzung fortzuführen. Nur dann, wenn es offenkundig ist, dass eine Fortführung des Unternehmens zu einer Erhöhung des Ausfalls führen wird, den die Insolvenzgläubiger erleiden, ist es sofort zu schließen (§114a Abs1 IO). Durch das Wort 'offenkundig' wird der für die Entscheidung dieser Frage anzulegende Haftungsmaßstab verringert; die Entscheidung muss vom Insolvenzverwalter erst dann getroffen werden, wenn alle für die Beurteilung der Fortführung erforderlichen Unterlagen vorliegen.

 

Sind in der Berichtstagsatzung die Voraussetzungen für eine Fortführung gegeben, so hat das Insolvenzgericht nach Anhörung der Insolvenzgläubiger gemäß §114b Abs2 IO mit Beschluss die Fortführung auszusprechen. Entspricht überdies ein Sanierungsplan, dessen Erfüllung voraussichtlich möglich ist, dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger, so hat es auch dem Schuldner auf dessen Antrag eine Frist zum Sanierungsplanantrag einzuräumen. Die Frist darf 14 Tage nicht übersteigen. Währenddessen darf das Unternehmen nicht verwertet werden.

 

Legt der Schuldner fristgerecht einen Sanierungsplanantrag vor und ist dieser zulässig, so hat das Gericht gemäß §114c Abs1 IO eine Sanierungsplantagsatzung auf längstens sechs Wochen anzuordnen. Das Unternehmen ist erst zu verwerten, wenn der Sanierungsplanvorschlag nicht innerhalb von 90 Tagen angenommen wird oder wenn er nicht mehr dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger entspricht oder wenn die Voraussetzungen für eine Fortführung nicht mehr gegeben sind.

 

3.6.2. Die Gerichtsgebühren- und Insolvenzrechts-Novelle 2006 – GIN 2006, BGBl I Nr 8/2006, hatte vor allem die Straffung des Zwangsausgleichsverfahrens (jetzt: Sanierungsplanverfahren) bezweckt (Erl. RV 1168 BIgNR 22. GP, 4 f.):

 

'Der Zwangsausgleich hat sich zu dem in der Praxis bedeutsamsten Sanierungsinstrument entwickelt. Wird im Konkursverfahren der Zwangsausgleichvorschlag des Gemeinschuldners von der notwendigen Gläubigermehrheit angenommen und der Zwangsausgleich vom Konkursgericht bestätigt, so ist der Gemeinschuldner von seinen Verbindlichkeiten befreit, soweit sie die Ausgleichsquote übersteigen. Nach Aufhebung des Konkurses erlangt der Gemeinschuldner wieder die freie Verfügungsmacht über sein Vermögen. Als unbefriedigend wird dabei empfunden, dass es relativ lange dauern kann, bis der Schuldner nach Annahme des Zwangsausgleichsvorschlags durch die Gläubiger wieder frei über sein Vermögen verfügen kann. Diese Verzögerung liegt daran, dass das Verfahren in dieser Phase in mehrere Schritte gegliedert ist. Erst nach rechtskräftiger Bestätigung des Zwangsausgleichs kann nach Prüfung einer Reihe von Voraussetzungen der Beschluss über die Konkursaufhebung gefasst werden, mit dessen Rechtskraft der Schuldner die Eigenverwaltung zurückerlangt.

 

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, damit – bei Vorliegen aller Voraussetzungen – das Konkursverfahren nach Annahme eines Zwangsausgleichs möglichst rasch beendet werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, soll neben der Bestätigung des Zwangsausgleichs kein gesonderter Beschluss über die Aufhebung des Konkurses mehr erforderlich sein. Schon mit der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses soll der Konkurs auf Grund des Gesetzes aufgehoben sein (§152b Abs2 KO). Zudem soll der Beschluss über die Bestätigung des Zwangsausgleichs im Regelfall schon in jener Tagsatzung gefasst werden können, in der die Gläubiger den Zwangsausgleichsvorschlag annehmen.

 

Um diese Konzentration bislang getrennter Verfahrensschritte zu ermöglichen, sind zahlreiche Detailregelungen erforderlich, mit denen insbesondere sichergestellt werden soll, dass auch bei raschem Abschluss des Verfahrens die Interessen der Gläubiger nicht geschmälert werden: Da kein gesonderter Beschluss über die Konkursaufhebung mehr erforderlich sein wird, müssen jene Umstände, die bislang Voraussetzung für die Konkursaufhebung waren, schon vor der Bestätigung des Ausgleichs vorliegen und in diesem Zusammenhang geprüft werden. Dies betrifft insbesondere die Zahlung der Masseforderungen. Die Bestätigung des Zwangsausgleichs darf erst erteilt werden, wenn alle fälligen und feststehenden Masseforderungen bezahlt sind (§152a Abs1 KO). Damit das Konkursgericht möglichst schon in der Tagsatzung, in der der Ausgleichsvorschlag angenommen wird, die notwendigen Grundlagen für die Bestätigung des Zwangsausgleichs hat, sind entsprechende Berichtspflichten des Masseverwalters vorgesehen (§152a Abs2 KO). Zudem sollen Masseverwalter und Gläubigerschutzverbände ihre Ansprüche auf Ent- bzw. Belohnung so rechtzeitig geltend machen, dass das Konkursgericht in der Zwangsausgleichstagsatzung auch über diese entscheiden kann (§125 Abs1 KO). Dieselbe Tagsatzung soll überdies der Rechnungslegung dienen (§§145a, 152b Abs1 KO). Wenn der Schuldner alle Voraussetzungen für die Bestätigung des Zwangsausgleichs schon in jener Tagsatzung erfüllt, in der der Zwangsausgleichsvorschlag angenommen wird, verfügt das Gericht auf Grund der vorgesehenen Neuerungen sofort über alle Entscheidungsgrundlagen, um in derselben Tagsatzung den Beschluss über die Bestätigung des Zwangsausgleichs fassen zu können.

 

Durch diese Verbesserungen im Zwangsausgleichsverfahren wird den Interessen der Konkursgläubiger Rechnung getragen, die Zwangsausgleichsquote möglichst rasch zu erhalten. Die Verbesserung nützt auch dem Schuldner, der nach Gelingen einer Sanierung früher wieder die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen erlangt.'

 

Die Erl. RV 1168 BIgNR 22. GP, 1, führen ergänzend aus:

 

'Im Insolvenzrecht soll durch eine Straffung der einzelnen Verfahrensschritte die gesetzliche Grundlage für eine möglichst rasche Aufhebung des Konkursverfahrens geschaffen werden. Die derzeitige Trennung zwischen der Bestätigung des Ausgleichs und der Aufhebung des Konkurses soll aufgegeben werden; es soll also nur noch ein Beschluss erforderlich sein: Der Konkurs soll mit Eintritt der Rechtskraft der Zwangsausgleichsbestätigung schon auf Grund des Gesetzes aufgehoben sein; die Voraussetzungen für die Konkursaufhebung, insbesondere die Bezahlung der Masseforderungen, sind daher schon bei der Bestätigung des Zwangsausgleichs zu prüfen. Durch eine Reihe gesetzlicher Anordnungen soll sichergestellt werden, dass das Konkursgericht schon in der Zwangsausgleichstagsatzung, in der die Gläubiger den Zwangsausgleichsvorschlag annehmen, über alle Entscheidungsgrundlagen verfügt.'

 

3.6.3. Mit dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 – IRÄG 2010, BGBl I Nr 29/2010, sollten die Sanierungschancen erhöht werden, insbesondere durch Schaffung einer übersichtlichen Verfahrensstruktur und durch Erleichterung der Unternehmensfortführung (Erl. RV 612 BIgNR 24. GP, 2).

 

Es wurde ein Sanierungsverfahren (mit und ohne Eigenverwaltung) geschaffen, das einem engen Fristenkorsett unterliegt. Das Gericht hat zugleich mit der Eröffnung des Sanierungsverfahrens die Sanierungsplantagsatzung in der Regel auf 60 bis 90 Tage anzuordnen (§168 Abs1 IO). Während dieser Zeit gilt eine weitgehende Verwertungssperre. Das Unternehmen ist nach §168 Abs2 IO erst zu verwerten, wenn der Sanierungsplanvorschlag nicht innerhalb von 90 Tagen nach Eröffnung angenommen wird.

 

Für Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung wird zusätzlich festgelegt, dass nach §170 IO die Eigenverwaltung auch dann zu entziehen und ein Masseverwalter zu bestellen ist, wenn der Sanierungsplan nicht innerhalb von 90 Tagen nach Eröffnung des Verfahrens von den Gläubigern angenommen wurde.

 

3.6.4. Auch europarechtlich geht die Tendenz dahin, Insolvenzverfahren zu straffen. So spricht sich der 'Small Business Act für Europa'(SBA — Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 25. Juni 2008 [KOM(2008) 394 endg.]) für ein möglichst kurzes Insolvenzverfahren aus (S. 8):

 

'II. Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass rechtschaffene Unternehmer, die insolvent geworden sind, rasch eine zweite Chance bekommen.

 

Etwa 15% aller Unternehmensschließungen gehen auf Insolvenzen zurück. Durchschnittlich sind Jahr für Jahr circa 700 000 KMU und damit EU weit ungefähr 2,8 Millionen Arbeitsplätze betroffen. In der EU ist unternehmerisches Scheitern immer noch mit einem Stigma behaftet, und die Gesellschaft unterschätzt das Potenzial der Unternehmer, die einen Neubeginn wagen. Derzeit hätten 47 % der Europäer Bedenken, Kunden eines Unternehmens zu werden, das bereits einmal gescheitert ist. Gleichzeitig wird ein Neustart durch langwierige Insolvenzverfahren erschwert, die in der EU im Schnitt zwischen 4 Monate und 9 Jahre dauern können.

 

Für die praktische Umsetzung dieses Grundsatzes ist Folgendes erforderlich: Die Kommission

 wird weiterhin eine Politik der zweiten Chance fördern und sich dafür einsetzen, dass die Mitgliedstaaten vorbildliche Verfahren austauschen.

 

Die Mitgliedstaaten werden ersucht,

 etwa durch Informationskampagnen zu erreichen, dass die Gesellschaft eine zweite Chance für Unternehmer positiv sieht;

 die Dauer der für die Auflösung eines Unternehmens vorgesehenen rechtlichen Verfahren bei nicht betrügerischer Insolvenz möglichst auf ein Jahr zu beschränken;

 zu gewährleisten, dass Unternehmer, die eine Neugründung wagen, etwa auch im Rahmen von Förderprogrammen, gleich behandelt werden wie jene, die erstmals ein Unternehmen gründen.'

 

Dieser Überblick zeigt, dass das gesamte Insolvenzverfahren (Konkursverfahren, Sanierungsverfahren und Schuldenregulierungsverfahren, das ein Konkursverfahren ist) einem engen Fristenkorsett unterliegt. Ein solches ist notwendig, damit in kurzer Zeit feststeht, ob das Unternehmen saniert werden kann und die Gläubiger möglichst rasch eine Quote ihrer Forderungen erhalten.

 

Ein Entfall der Ausnahme des §62a Abs1 Z8 VfGG als Ganzes oder von substantiellen Teilen des Insolvenzverfahrens würde diesen gesetzlichen Zielsetzungen und europarechtlichen Bestrebungen widerstreiten, weil damit zwangsläufig eine Verlängerung der Insolvenzverfahren verbunden wäre.

 

4. Zu den Regelungen über den Insolvenzverwalter:

 

4.1. Gemäß §152a Abs1 Z1 IO ist die gerichtliche Bestätigung des Sanierungsplans erst zu erteilen, wenn die Entlohnung des Insolvenzverwalters und die Belohnungen der Gläubigerschutzverbände vom Gericht bestimmt sowie gezahlt oder beim Insolvenzverwalter sichergestellt sind. Die geleistete oder sichergestellte Entlohnung des Insolvenzverwalters oder des Gläubigerschutzverbandes ist eine Voraussetzung für die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, weil dafür die Rechtskraft der Bestätigung erforderlich ist (§152b Abs2 IO). Würden die Bestimmungen über die Entlohnung des Insolvenzverwalters nicht der Ausnahmeregelung des §62a Abs1 Z8 VfGG unterliegen, so könnte durch Stellung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle die rasche Aufhebung des Insolvenzverfahrens verhindert werden. Gemäß §152b Abs2 IO ist die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemeinsam mit dem Eintritt der Rechtskraft der Bestätigung in der Insolvenzdatei anzumerken. Darüber hinaus ist die Beendigung der Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Behörden und Stellen mitzuteilen, die von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens benachrichtigt worden sind; gleichzeitig ist zu veranlassen, dass die gemäß §77 IO vollzogenen Anmerkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Eintragung in die Insolvenzdatei gelöscht und alle die freie Verfügung des Schuldners beschränkenden Maßnahmen aufgehoben werden (§152b Abs4 IO in Verbindung mit §79 Abs2 und 3 IO). Die rasche Aufhebung des Insolvenzverfahrens liegt unter anderem im Interesse des Schuldners, um der stigmatisierenden Wirkung einer Insolvenz zu begegnen.

 

4.2. Eine Entscheidung über die Entlohnung des Insolvenzverwalters ist auch während des Verfahrens möglich, etwa wenn es zum Wechsel des Insolvenzverwalters kommt. Ohne die lückenlose Ausnahme des §62a Abs1 Z8 VfGG könnte es wegen der mit einem Gesetzesprüfungsverfahren verbundenen Verzögerungen (§62a Abs6 VfGG) zu unüberwindbaren Problemen bei der Fortführung des Unternehmens und damit zu einer Schwächung bzw. zu einer zusätzlichen Gefährdung des Unternehmens (und seiner Dienstnehmer) kommen und nicht zuletzt zu einer Verminderung der Sanierungschancen.

 

5. Zu den Regelungen über den Treuhänder:

 

5.1. Ist im Rahmen eines Sanierungsplans nichts anderes vorgesehen, so erfüllt der Schuldner den Sanierungsplan autonom: Er hat nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens seine Verfügungsfähigkeit wiedererlangt und kann die Gläubiger nach Maßgabe der festgesetzten Quote befriedigen. Im Rahmen des so genannten Treuhandsanierungsplans gemäß den §§157 ff. IO sind jedoch abweichende Lösungen möglich. Zu unterscheiden ist zwischen dem Treuhandsanierungsplan (überwachter Sanierungsplan; §§157 ff. IO) und dem Treuhandsanierungsplan mit Vermögensübergabe (§157g ff. IO).

 

5.2. Gemäß §202 IO bestimmt das Gericht zugleich mit der Einleitung des Abschöpfungsverfahrens für die Dauer des Verfahrens einen Treuhänder, auf den der pfändbare Teil der Forderungen des Schuldners auf Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis oder auf sonstige wiederkehrende Leistungen mit Einkommensersatzfunktion nach Maßgabe der Abtretungserklärung (§199 Abs2 IO) übergeht. Auch sonstiges Vermögen wird – wie beim Treuhandsanierungsplan mit Vermögensübergabe – weitgehend erfasst, sodass auf die Ausführungen zum Insolvenzverfahren verwiesen werden darf.

 

6. Es ist zur Sicherung des Zwecks des Insolvenzverfahrens erforderlich und unerlässlich, dass ein Antrag gemäß §62a Abs1 VfGG auch zur Prüfung der Bestimmungen über den Insolvenzverwalter oder den Treuhänder unzulässig ist und bleibt. Dies ist nach Ansicht der Bundesregierung im Sinn des Art140 Abs1a B‑VG (weiterhin) geboten.

 

7. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass §62a Abs1 Z8 VfGG nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

 

5. Der Oberste Gerichtshof übermittelte dem Verfassungsgerichtshof am 5. Jänner 2016 seinen Beschluss vom 25. November 2015, mit dem die Zurückziehung des Rekurses gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 26. Juni 2015 durch die zu G361, 362/2015 antragstellende Gesellschaft zur Kenntnis genommen wurde. Der Verfassungsgerichtshof forderte daraufhin mit Schreiben vom 6. April 2016 – unter Bezugnahme auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 25. November 2015 – die antragstellende Gesellschaft auf, binnen zwei Wochen bekannt zu geben, ob ihr auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützter Antrag zurückgezogen wird. Die antragstellende Gesellschaft erstattete keine Stellungnahme.

II. Rechtslage

Die Bestimmung des §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 78/2016, lautet auszugsweise (die in Prüfung gezogene Z8, welche in der Fassung BGBl I 92/2014 gilt, ist hervorgehoben):

"§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:

 

[…]

 

8. im Insolvenzverfahren;

 

[…]."

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Das vorliegende amtswegige Gesetzesprüfungsverfahren wurde aus Anlass eines beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestellten Antrages eingeleitet. In dem diesem Antrag zugrunde liegenden zivilgerichtlichen Verfahren zog die rechtsmittelwerbende Gesellschaft, die zugleich die beim Verfassungsgerichtshof antragstellende Partei ist, ihren Rekurs zurück.

Da die antragstellende Partei den vorliegenden (Partei-)Antrag nicht zurückzog, hat der Verfassungsgerichtshof weiterhin dessen Zulässigkeit zu prüfen. Aus Anlass dieser Zulässigkeitsprüfung hat der Verfassungsgerichtshof somit das eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren fortzusetzen.Die von Amts wegen in Prüfung gezogene Bestimmung des §62a Abs1 Z8 VfGG ist daher im vorliegenden Fall weiterhin präjudiziell.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinen (jeweils einen anderen Ausnahmetatbestand des §62a Abs1 VfGG betreffenden) Erkenntnissen vom 1. Oktober 2015, G346/2015, und vom 8. März 2016, G537, 538/2015, mit näherer Begründung ausgeführt, dass die Bestimmung des Art140 Abs1a B‑VG als eng begrenzte Ausnahme von der grundsätzlich gegen alle Bundes- und Landesgesetze offen stehenden Anfechtungsberechtigung anzusehen ist, die durch die Erforderlichkeit des Ausschlusses des Rechtsbehelfs im Hinblick auf den Zweck des (gerichtlichen) Verfahrens bestimmt wird; dabei sollte den mit dem zeitlichen Aspekt zusammenhängenden Elementen der Sicherung des Verfahrenszwecks wenigstens auch durch andere verfahrensrechtliche Vorkehrungen Rechnung getragen werden (Art140 Abs1b B‑VG, Art140 Abs8 B‑VG, §62a Abs6 VfGG und §80a Abs2 AußStrG).

Die in Art140 Abs1a B‑VG mit dem Kriterium der Erforderlichkeit beschränkte Ermächtigung an den Gesetzgeber, die Erhebung eines Parteiantrages ausnahmsweise auszuschließen (unter Zugrundelegung einer am Regelungszweck der Art11 Abs2 und 136 Abs2 B‑VG ausgerichteten historisch-systematischen Auslegung des Art140 Abs1a B‑VG), ist somit im Sinne einer "Unerlässlichkeit" der Ausnahme zu verstehen (vgl. zB VfGH 8.3.2016, G537, 538/2015; 13.10.2016, G665/2015).

2.2. Die (vorläufigen) Bedenken im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes, wonach die Ausnahme des Insolvenzverfahrens vom Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG im dargelegten Sinn nicht erforderlich sei, haben sich im Gesetzesprüfungsverfahren nicht bestätigt.

2.2.1. Nach der Fassung des Prüfungsbeschlusses am 26. November 2015 setzte sich der Verfassungsgerichtshof in einem von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren mit dem Ausnahmetatbestand des Exekutionsverfahrens in §62a Abs1 Z9 VfGG auseinander. Mit Erkenntnis vom 8. März 2016, G537, 538/2015, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wortfolge "im Exekutionsverfahren und" in §62a Abs1 Z9 VfGG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird:

Der Verfassungsgerichtshof begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Wendung "im Exekutionsverfahren und" in §62a Abs1 Z9 VfGG bei Berücksichtigung ihres Wortsinnes sowie vor dem Hintergrund der Besonderheiten dieses Verfahrens nicht pauschal alle in der Exekutionsordnung geregelten Verfahrensarten und dort getroffenen Bestimmungen erfasst, sondern nur jene Vorschriften, die das eigentliche Exekutionsverfahren (die Zwangsvollstreckung) regeln. Während – so der Verfassungsgerichtshof weiter – Erkenntnisverfahren der Klärung der streitigen Rechtssache dienen, hat die Zwangsvollstreckung die Verwirklichung der Gläubigerrechte durch staatlichen Zwang zum Gegenstand; im Gegensatz zum Erkenntnisverfahren ist nicht mehr die Sammlung des Prozessstoffes zur Schaffung einer Entscheidungsgrundlage Gegenstand, sondern allein die Durchsetzung der im Erkenntnisverfahren getroffenen Entscheidung. Das Exekutionsverfahren dient also der zwangsweisen Herbeiführung eines bestimmten rechtmäßigen Zustandes.

Das gerichtliche Exekutionsverfahren weist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im genannten Erkenntnis vom 8. März 2016, G537, 538/2015, auf Grund seines spezifischen Zwecks (zügige Hereinbringung vollstreckbarer Forderungen durch Exekution auf bewegliches oder unbewegliches Vermögen im Wege der in der Exekutionsordnung geregelten Exekutionsarten unter möglichster Hintanhaltung allfälliger Vereitelungsmaßnahmen der verpflichteten Partei) und seiner damit verbundenen besonderen Prägung wesentliche Spezifika auf, die unter dem Blickwinkel des Art140 Abs1a B‑VG – anders als für das zivilrechtliche Erkenntnisverfahren – eine Ausnahme von der Zulässigkeit des Parteiantrages erforderlich machen können.

Jene exekutionsrechtlichen Klagen (zB Oppositions-, Impugnations- und Exzindierungsklagen), die sich zwar in der Exekutionsordnung finden, für deren Verfahren jedoch die Vorschriften der Zivilprozessordnung gelten, fallen nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2016, G537, 538/2015, von vornherein nicht unter den Ausnahmetatbestand des §62a Abs1 Z9 VfGG.

Der Verfassungsgerichtshof kam im mehrfach genannten Erkenntnis somit zum Ergebnis, dass das Exekutionsverfahren – bei dem gebotenen engen Verständnis dieses Begriffes – schon auf Grund seines Zwecks solche Spezifika aufweist, die es dem Gesetzgeber erlauben, von der ihm durch Art140 Abs1a erster Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und in diesem Verfahren, weil zu seiner Sicherung (im Sinne von "unerlässlich") erforderlich, die Stellung eines Parteiantrages durch Bundesgesetz für unzulässig zu erklären.

2.2.2. Diese Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes zum Ausnahmetatbestand "Exekutionsverfahren" in §62a Abs1 Z9 VfGG sind in ihrem Kern auf die Auslegung und in der Folge auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des Ausnahmetatbestandes "Insolvenzverfahren" in §62a Abs1 Z8 VfGG übertragbar:

Das Exekutionsverfahren, genauso wie das Insolvenzverfahren, bezweckt die möglichst zeitnahe Befriedigung der Gläubiger durch zwangsweise Vollstreckung. Im Exekutionsverfahren gilt die individuelle Spezialexekution und das Prioritätsprinzip. Im Insolvenzverfahren tritt an die Stelle der individuellen Spezialexekution durch die einzelnen Gläubiger die kollektive Rechtsverfolgung; alle Gläubiger werden in einem Verfahren in einer Verlustgemeinschaft zusammengefasst: Sie tragen verhältnismäßig den teilweisen Ausfall aller ihrer Forderungen. Neben dem Insolvenzverfahren sind weder Klagen noch Einzelexekutionen möglich.

2.2.3. Der Ausnahmetatbestand "Insolvenzverfahren" in §62a Abs1 Z8 VfGG ist – ebenso wie der Ausnahmetatbestand "Exekutionsverfahren" in §62a Abs1 Z9 VfGG – eng auszulegen: Der Tatbestand "Insolvenzverfahren" erfasst nur Verfahren nach jenen Vorschriften, die das eigentliche Insolvenzverfahren regeln. Sonstige Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen, wie zB Verfahren zur Klärung streitiger Rechtssachen (zB Anfechtungs- oder Prüfungsverfahren) gehören hingegen nicht zum Insolvenzverfahren im Sinne des §62a Abs1 Z8 VfGG.

2.2.4. Bei diesem (engen) Verständnis des Begriffes "Insolvenzverfahren" begegnet der Ausnahmetatbestand des §62a Abs1 Z8 VfGG keinen Bedenken in Hinblick auf Art140 Abs1a B‑VG:

Das Insolvenzverfahren weist – wie auch das Exekutionsverfahren – auf Grund seines Zweckes Spezifika auf, die es dem Gesetzgeber erlauben, von der ihm durch Art140 Abs1a B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und für das Insolvenzverfahren die Stellung eines Parteiantrages für unzulässig zu erklären.

IV. Ergebnis

1. §62a Abs1 Z8 VfGG idF BGBl I 92/2014 wird nicht wegen Verstoßes gegen Art140 Abs1a erster Satz B‑VG als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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