VfGH G57/03

VfGHG57/0320.6.2003

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Stmk Baugesetzes betreffend die aufschiebende Wirkung; Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung im Verfahren der Berufungskommission der Stadt Graz bei Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Berufung des Antragstellers in einem Bauverfahren

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Stmk BauG §41 Abs5
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Stmk BauG §41 Abs5

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Der Antragsteller begehrt mit seinem auf Art140 B-VG gestützten Antrag, die Wortfolge "1 und" in §41 Abs5 Steiermärkisches Baugesetz idF LGBl. Nr. 59/1995 unter Kostenzuspruch als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Er bringt dazu ua. vor, er sei Eigentümer eines Nebengebäudes auf der Liegenschaft EZ 372, KG Geidorf, dessen Umbau bzw. Sanierung mit Bescheid des Stadtsenates der Stadt Graz vom 12. September 2002 rechtskräftig genehmigt worden sei. Bei der Ausführung habe der Einschreiter teilweise vom genehmigten Bauplan abweichen wollen; zu diesem Zweck habe der Architekt des Antragstellers am 8. Dezember 2002 einen Änderungsplan eingereicht. Mit Bescheiden vom 21. Jänner 2003 sei in der Folge vom Stadtsenat der Stadt Graz sowohl ein Baueinstellungsauftrag als auch ein Beseitigungsauftrag erlassen worden. Der Antragsteller habe beide Bescheide mit Berufung bekämpft und hinsichtlich beider Berufungen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

3. Die Berufungskommission der Stadt Graz wies beide Berufungen des Antragstellers mit Bescheid vom 24. Februar 2003 als unbegründet ab. Zu den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung führte sie darin folgendes aus:

"Nun wird in beiden Berufungen des Dr. [...] ausdrücklich gewünscht, dass über seine Berufung gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung entschieden wird, wobei sich in beiden Rechtsmitteln ein Hinweis auf ein Judikat des Verwaltungsgerichtshofes befindet. Bei rechtsfreundlicher Vertretung muss es doch einigermaßen verwundern, dass nicht nur in der Berufung gegen die Baueinstellung, in der die Behörde erster Instanz darauf hingewiesen hat, dass Berufungen gegen Baueinstellungen keine aufschiebende Wirkung haben, sondern auch in der Berufung gegen den Beseitigungsauftrag ausdrücklich (bei den Berufungsanträgen) begehrt wird, die Berufungsbehörde möge der Berufung aufschiebende Wirkung zuerkennen bzw. im Ablehnungsfall durch gesonderten Bescheid über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entscheiden: Wie nämlich §64 Abs1 AVG schon bei schlichter Lektüre entnommen werden kann, haben rechtzeitig eingebrachte Berufungen aufschiebende Wirkung. Nachdem der Steiermärkische Bauordnungsgesetzgeber bei Beseitigungsaufträgen nicht verfügt hat, dass Berufungen keine aufschiebende Wirkung zukommt (die Bestimmung des §41 Abs5 BauG ist gleichfalls bei schlichter Lektüre unschwer dahin zu deuten, dass nur Berufungen gegen Baueinstellungen und gegen Aufträge zur Unterlassung der vorschriftswidrigen Nutzung keine aufschiebende Wirkung haben), hatte die Berufung des Rechtsmittelwerbers gegen den Beseitigungsauftrag gemäß §64 Abs1 AVG schon von vorneherein aufschiebende Wirkung, sodass sich deren Zuerkennung im Beseitigungsauftragsverfahren, wie beantragt, erübrigt. Da, wie hervorgehoben, Berufungen (wenn nicht, wie im Gegenstandsfall bei Baueinstellungen, der Materiengesetzgeber ausdrücklich etwas anderes anordnet) aufschiebende Wirkung zukommt, kann es auch keinen 'Ablehnungsfall' über den zu entscheiden wäre, geben. Völlig anders verhält es sich freilich bei Baueinstellungsaufträgen, wie den im Gegenstand angefochtenen: Hier hat der Materiengesetzgeber, wie offenbar auch der Erstberufungswerber erkennt, ausdrücklich im §41 Abs5 BauG angeordnet, dass ua Berufungen gegen Baueinstellungen keine aufschiebende Wirkung haben. Es ist dem Erstberufungswerber selbstverständlich unbenommen, diese Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, der Rechtsmittelbehörde ist es jedenfalls verwehrt, wie in der Berufung gegen die Baueinstellung ausdrücklich beantragt, der Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weil sich die Rechtsmittelbehörde damit in ausdrücklichen und damit rechtswidrigen Widerspruch zum Gesetzesinhalt setzen würde, den sie pflichtgemäß zu vollziehen hat. Es ist daher ausgeschlossen, dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung gegen die Baueinstellung Folge zu geben. Ebenso ausgeschlossen ist es allerdings und auch dieses Begehren muss bei rechtsfreundlicher Vertretung doch verblüffen, so wie beantragt, 'durch gesonderten Bescheid über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung' (zu) 'entscheiden'. Sieht man einmal davon ab, dass eine solche gesonderte Entscheidung wegen widersprechender gesetzlicher Anordnung krass rechtswidrig wäre, geht auch der Hinweis in der Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes völlig fehl: Wie dem vom Rechtsmittelwerber selbst angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.5.1992, 92/04/0026, bei gehöriger Aufmerksamkeit entnommen werden kann, hat der Verwaltungsgerichtshof, wie er in diesem Erkenntnis selbst ausführt, in ständiger Rechtsprechung zu §64 Abs2 AVG die Anfechtbarkeit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bejaht, nur handelt es sich hier um eine AVG - Gesetzesbestimmung, die die Behörde ermächtigt (und wohl bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch beauftragt), die (gemäß §64 Abs1 AVG rechtzeitig eingebrachten Berufungen zukommende) aufschiebende Wirkung dann auszuschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. In einem solchen, aber nur in einem solchen Fall, kann der Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gesondert angefochten und von der Rechtsmittelbehörde auch gesondert entschieden werden. Wenn aber, wie im vorliegenden Fall, der Gesetzgeber selbst bestimmt, dass Berufungen keine aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach Auffassung der Rechtsmittelbehörde bei einem Antrag, einer Berufung ungeachtet der zwingenden Gesetzesbestimmung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine gesonderte Anfechtung der Gesetzesstelle selbst im ordentlichen Rechtszug und eine gesonderte Entscheidung der Berufungsbehörde hierüber ausgeschlossen und unzulässig. Dem diesbezüglichen Antrag konnte daher keine Folge gegeben werden, wobei hier ausdrücklich hervorgehoben sei, dass dies keinen bescheidmäßigen Abspruch über das Begehren des Erstberufungswerbers darstellt, sondern lediglich eine Erläuterung der (wie gesagt: zwingenden) Rechtslage!"

4. Der Antragsteller führt zur Zulässigkeit des vorliegenden Individualantrages ua. aus, der Umstand, dass für Berufungen gegen Baueinstellungen die aufschiebende Wirkung gemäß §41 Abs5 Stmk BauG ausgeschlossen sei, könnte im Falle einer Bescheidbeschwerde nicht zur inhaltlichen Aufhebung des Bescheides der Berufungskommission führen. Zur Berechtigung einer Bescheidbeschwerde sei nämlich erforderlich, dass der verfassungsrechtswidrige Zustand noch aufrecht sei, wenn Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werde. Voraussetzung für die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens auf Grund einer Bescheidbeschwerde sei aber auch, dass der Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Prüfung des Bescheides §41 Abs5 Stmk BauG anzuwenden hätte, somit dass Präjudizialität vorliege. Selbst wenn man der (in der Beschwerde des Antragstellers an den Verwaltungsgerichtshof geäußerten) Ansicht wäre, dass der Verfassungsgerichtshof zufolge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung für Rechtsmittel in einer unteren Verfahrensstufe nicht mehr befugt wäre, eine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, könnte nur zufolge eines solchen Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ein Gesetzesprüfungsverfahren in Gang gesetzt werden. Dies würde aber voraussetzen, dass ein weiterer materieller Grund vorliege, der den angefochtenen Bescheid in verfassungswidriger Weise belaste. Liege "ein solcher Grund plausiblerweise nicht vor", sei die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufung sei somit eine reine Wirkung des Berufungsverfahrens. Im vorliegenden Fall sei der Beschwerdeführer bereits "Opfer" dieser Wirkung und er werde es - falls der Verwaltungsgerichtshof seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkenne - auch bei Aufhebung des angefochtenen Bescheides wieder werden, weil das Verfahren dann wieder vor der Berufungsbehörde fortgeführt werden müsse. Der Beschwerdeführer sei daher als unmittelbar betroffen anzusehen.

Besonders hervorzuheben sei, dass der Beschwerdeführer sogar durch ausdrückliche Stellung eines "Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung" sowie auch durch Stellung eines "Antrages auf Erlassung einer Berufungsvorentscheidung durch die erste Instanz" im Rahmen der Berufung alles versucht habe, um zu einem abweisenden oder zurückweisenden Bescheid betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zu gelangen. Die Berufungskommission habe in ihrer Entscheidung jedoch ausführlich dargelegt, dass sie einen solchen Bescheid nicht erlassen könne, wobei sie selbst diese Ausführungen ausdrücklich ohne Bescheidwillen gemacht habe. Selbst wenn man nun die Ansicht vertrete, dass die Berufungskommission auch über unzulässige Anträge absprechen müsste, könne dies letztendlich nicht zur Verneinung der Legitimation des Individualantrages führen, weil dem Beschwerdeführer nur zugemutet werden dürfe, zulässige Bescheidanträge zu stellen.

II. Der Antrag ist unzulässig.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (vgl. z.B. VfSlg. 11.684/1988, 13.871/1994).

Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren läuft, das dem Betroffenen Gelegenheit zur Geltendmachung seiner Bedenken bzw. zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet (VfSlg. 8312/1978, 9939/1984, 10.857/1986, 11.045/1986, 11.823/1988). Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, dass ein Verfahren anhängig war, in welchem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, selbst seine Bedenken gegen die angefochtene Norm an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, oder eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991). Man gelangte andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit den Grundprinzipien des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. z.B. VfSlg. 8890/1980, 11.823/1988, 13.659/1993, 14.752/1997).

2. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung des Einschreiters nicht, dass er im konkreten Fall keine Möglichkeit hatte, seine im vorliegenden Antrag aufgeworfenen Bedenken gegen §41 Abs5 Steiermärkisches Baugesetz im Wege der Berufung gegen den Bescheid der Berufungskommission der Stadt Graz vom 24. Februar 2003 an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen: Präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG sind bei einem vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen einzuleitenden Gesetzesprüfungsverfahren ua. jene gesetzlichen Bestimmungen, die von der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides in denkmöglicher Weise angewendet wurden (vgl. z.B. 5373/1966, VfGH vom 23.9.2002, B1556/99, VfSlg. 16.241/2001).

Die Berufungskommission der Stadt Graz hat nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes - wie auch die oben unter I.3. wiedergegebenen Rechtsausführungen im Bescheid vom 24. Februar 2003 zeigen - die vom Antragsteller bekämpfte Norm bei der Beurteilung des ihr vorliegenden Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls denkmöglicherweise angewendet; nur durch Heranziehung des §41 Abs5 Steiermärkisches Baugesetz konnte sie nämlich letztlich zu dem Ergebnis kommen, dass eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung durch die Behörde infolge des ex-lege-Ausschlusses derselben in der genannten Bestimmung rechtlich nicht vorgesehen ist. Da mit der Sachentscheidung über die Berufung auch der Antrag auf aufschiebende Wirkung der Berufung erledigt wurde, wäre dem Antragsteller daher nach Auffassung des Gerichtshofes die Möglichkeit offen gestanden, seine Bedenken gegen die bekämpfte Norm durch Bekämpfen des Bescheides vom 24. Februar 2003 an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Daran vermag im Hinblick auf den das Verfahren abschließenden Charakter des Bescheides auch die in der Begründung geäußerte Absicht, über den Antrag auf aufschiebende Wirkung nicht absprechen zu wollen, nichts zu ändern.

Der Antrag war daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen, ohne dass noch weiters auf die Frage einzugehen war, ob zum Zeitpunkt der Antragstellung, also nach Erlassung des Berufungsbescheides vom 24. Februar 2003 und somit nach Abschluss des Berufungsverfahrens überhaupt noch ein aktueller Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers durch die angefochtene Bestimmung gegeben war.

3. Dies konnte gemäß Art19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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