VfGH G227/2015 ua

VfGHG227/2015 ua2.7.2015

Unzulässigkeit eines Parteiantrags mangels genauer und eindeutiger Bezeichnung der bekämpften Gesetzesstellen

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Verfahrenseinleitender Schriftsatz

Das vorliegende Eingangsstück kann so gedeutet werden, dass die antragstellende Gesellschaft mit einem auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt, §81 Urheberrechtsgesetz (G227/2015), die Wortfolge "bei einem untergeordneten Gerichte" und das Wort "angefochtenen" in §20 Z5 Jurisdiktionsnorm (G251/2015) sowie den Wortteil "Schrift" im Wort "Schriftstücke" in der Wendung "Klagen und Schriftstücke" in §106 Zivilprozessordnung (G252/2015) als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1.1. §4 Urheberrechtsgesetz (im Folgenden: UrhG) in der Stammfassung BGBl 111/1936 lautet:

"Werke der Filmkunst

§4. Unter Werken der Filmkunst (Filmwerke) versteht dieses Gesetz Laufbildwerke, wodurch die den Gegenstand des Werkes bildenden Vorgänge und Handlungen entweder bloß für das Gesicht oder gleichzeitig für Gesicht und Gehör zur Darstellung gebracht werden, ohne Rücksicht auf die Art des bei der Herstellung oder Aufführung des Werkes verwendeten Verfahrens."

1.2. §81 UrhG, BGBl 111/1936 idF BGBl 81/2006, lautet:

"Unterlassungsanspruch

§81. (1) Wer in einem auf dieses Gesetz gegründeten Ausschließungsrecht verletzt worden ist oder eine solche Verletzung zu besorgen hat, kann auf Unterlassung klagen. Der Inhaber eines Unternehmens kann hierauf auch dann geklagt werden, wenn eine solche Verletzung im Betrieb seines Unternehmens von einem Bediensteten oder Beauftragten begangen worden ist oder droht; §81 Abs1a gilt sinngemäß.

(1a) Bedient sich derjenige, der eine solche Verletzung begangen hat oder von dem eine solche Verletzung droht, hiezu der Dienste eines Vermittlers, so kann auch dieser auf Unterlassung nach Abs1 geklagt werden. Wenn, bei diesem die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Verantwortlichkeit nach den §§13 bis 17 ECG vorliegen, kann er jedoch erst nach Abmahnung geklagt werden.

(2) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 81/2006)"

2. §20 Jurisdiktionsnorm (im Folgenden: JN), RGBl. 111/1895 idF BGBl I 135/2009, lautet:

"§20. (1) Richter sind von der Ausübung des Richteramtes in bürgerlichen Rechtssachen ausgeschlossen:

1. in Sachen, in welchen sie selbst Partei sind, oder in Ansehung deren sie zu einer der Parteien in dem Verhältnisse eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen stehen;

2. in Sachen ihrer Ehegatten, ihrer eingetragenen Partner oder solcher Personen, welche mit ihnen in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, oder mit welchen sie in der Seitenlinie bis zum vierten Grade verwandt oder im zweiten Grade verschwägert sind sowie in Sachen ihrer Lebensgefährten oder solcher Personen, die mit diesen in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad verwandt sind;

3. in Sachen ihrer Wahl- oder Pflegeeltern, Wahl- oder Pflegekinder und Pflegebefohlenen;

4. in Sachen, in welchen sie als Bevollmächtigte einer der Parteien bestellt waren oder noch bestellt sind;

5. in Sachen, in welchen sie bei einem untergeordneten Gerichte an der Erlassung des angefochtenen Urtheiles oder Beschlusses theilgenommen haben.

(2) Der Richter ist in den unter Abs1 Z2 und 3 angegebenen Fällen mit Rücksicht auf die dort bezeichneten Personen auch dann ausgeschlossen, wenn das Naheverhältnis zu diesen Personen nicht mehr besteht."

3.1. §106 Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO), RGBl. 113/1895 idF BGBl I 120/2005 lautete:

"Zustellung von Klagen

§106. (1) Klagen und Schriftstücke, die wie Klagen zuzustellen sind, können nur zu eigenen Handen des Empfängers oder seines zur Übernahme von Klagen oder anderen wie solche zuzustellenden Schriftstücken ermächtigten Vertreters oder in Rechtssachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens beziehen, zu Handen eines Prokuristen (Gesamtprokuristen) des Empfängers zugestellt werden.

(2) Erfolgt die Zustellung im Ausland durch Behörden des Zustellstaates, so genügt die Einhaltung jener Vorschriften, die das Recht dieses Staates für die Zustellung entsprechender Schriftstücke vorsieht. Das gilt nicht, wenn die Anwendung dieser Vorschriften mit Art6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, unvereinbar wäre."

3.2. §106 ZPO, RGBl. 113/1895 idF BGBl I 52/2009 lautet:

"Zustellung von Klagen

§106. (1) Klagen sind mit Zustellnachweis zuzustellen. Die Zustellung an einen Ersatzempfänger ist zulässig.

(2) Erfolgt die Zustellung im Ausland durch Behörden des Zustellstaates, so genügt die Einhaltung jener Vorschriften, die das Recht dieses Staates für die Zustellung entsprechender Schriftstücke vorsieht. Das gilt nicht, wenn die Anwendung dieser Vorschriften mit Art6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, unvereinbar wäre."

4. §62 Abs1 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (im Folgenden: VfGG), BGBl 85/1953 idF BGBl I 101/2014, lautet auszugsweise:

"§62. (1) Der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, muss begehren, dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. [...]"

III. Erwägungen zur Zulässigkeit

1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Beschluss VfSlg 17.570/2005 ausgeführt:

"Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG muss ein Gesetzesprüfungsantrag das Begehren enthalten, das – nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige – Gesetz seinem gesamten Inhalt oder in bestimmten Stellen aufzuheben.

Um das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, muss – wie der Verfassungsgerichtshof in vielen Beschlüssen (zB VfSlg 11.888/1988, 12.062/1989, 12.263/1990, 14.040/1995, 14.634/1996) entschieden hat – die bekämpfte Gesetzesstelle genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich aufgehoben werden soll (VfSlg 12.062/1989, 12.487/1990, 14.040/1995, 16.340/2001). Ein Antrag, der die konkrete Fassung der zur Aufhebung begehrten Norm nicht nennt, erfüllt das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG nicht. Es ist dem Verfassungsgerichtshof nämlich verwehrt, Gesetzesbestimmungen aufgrund bloßer Vermutungen, in welcher Fassung ihre Aufhebung begehrt wird, zu prüfen und im Fall des Zutreffens der geltend gemachten Bedenken aufzuheben (vgl. dazu VfSlg 11.802/1988, 14.261/1995, 14.634/1996, 15.962/2000)."

Dieses strenge Formerfordernis gilt zweifellos auch für einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG, ein Anfechtungsverfahren, das durch die B‑VG‑Novelle BGBl I 114/2013 neu geschaffen wurde.

2. Die antragstellende Gesellschaft führt in dem mit "PARTEIANTRAG gem. Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG" überschriebenen Eingangsstück aus:

"Angefochten werden die nachstehend genannten – im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht unmittelbar anzuwenden gewesenen – Normen, deren Verfassungsmäßigkeit eine Vorfrage für die Gerichtsentscheidung verkörpert.

Begehrt wird die Aufhebung der solcherart verfassungswidrigen Normen. Zudem wird die Aufhebung des eingangs bezeichneten Urteils des ordentlichen Gerichtes […] begehrt.

1.) Im Urteil steht: 'Übertragungen von Sportereignissen können Filmwerke sein.' Daraus leitet das Zivilgericht einen Urheberrechtsanspruch der klagenden Partei auf Unterlassung und Zahlung ab. Die maßgebliche (und damit präjudizielle) Norm liegt folglich im Urheberrechtsgesetz (BGBl Nr 111/1936 vom 9. April 1936, in der gültigen Fassung, das ist, soweit ersichtlich, jene nach BGBl Nr 93/1993). Einen konkreten Paragrafen dieses Gesetzes nennt das Erstgericht nicht.

Sinnfälligerweise wird als die vom Erstgericht (inhaltlich) herangezogen anzusehende und somit präjudizielle Norm jene des §4 UrhG sowie jene des §81 UrhG sein.

Deren Verfassungsgemäßheit stellt zumindest eine wesentliche Vorfrage (vgl. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, 11. Auflage, Rz 1160) für die Gerichtsentscheidung dar. Sie werden hiermit als verfassungswidrig zum Gegenstand des vorliegenden Antrags gemacht.

[…]

Der einen Unterlassungsanspruch gewährende Paragraf 81 des Urheberrechtsgesetzes widerspricht somit den genannten Grundrechten.

[...]

2.) Für die Entscheidung des Erstgerichts war weiters die Norm des §20 JN präjudiziell bzw. stellt ihre Verfassungsgemäßheit jedenfalls eine Vorfrage für die Gerichtsentscheidung dar (vgl. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, 11. Auflage, Rz 1160).

In §20 JN hätten in Z5 die Wortfolge 'bei einem untergeordneten Gerichte' und das Wort 'angefochtenen' zu entfallen, um mit Art6 EMRK vereinbar zu sein.

[…]

3.) Das Zivilgericht hatte zivilprozessuale Bestimmung über die Vorlage von Urkunden Augenscheinsgegenstände anzuwenden. Die klagende Partei legte Datenträger vor, die beklagte Partei erhielt aber keine Kopien davon. Dies verstößt gegen die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des Artikel 6 MRK und die darin normierte Waffengleichheit. Zur Wahrung der Waffengleichheit im Zivilverfahren und des damit einhergehenden rechtlichen und tatsächlichen Gehörs ist es unabdinglich, dass eine Partei, die ein Beweismittel vorbringt, dieses auch der Gegenpartei vorlegt. […] Daher wäre, um einen verfassungskonformen Zustand herzustellen, der Wortteil 'Schrift' im Wort 'Schriftstücke' in der Wendung 'Klagen und Schriftstücke' in §106 ZPO aufzuheben, denn dann stünde dort nur 'Stücke' und dies ließe eine verfassungskonforme Interpretation dahingehend zu, dass auch Datenträger der Gegenpartei (so wie eine Klage) zuzustellen seien."

3. Diese Form der Antragstellung und deren Formulierung entspricht nicht dem Erfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG:

3.1. Das Eingangsstück enthält kein Aufhebungsbegehren, das sich eindeutig auf genau bezeichnete Rechtsvorschriften bezieht. Aus dem Text des Eingangsstücks (s. Pkt. III.2.) können zwar die in Pkt. I. genannten Bestimmungen herausgefiltert werden. Der Verfassungsgerichtshof kann aber nur vermuten, dass das Aufhebungsbegehren sich auf diese Bestimmungen bezieht. Es ist beispielsweise unklar, ob auch §4 UrhG von dem Aufhebungsbegehren umfasst ist.

3.2. Hinzu kommt, dass die Fassungen der in Pkt. I. genannten Bestimmungen nicht angegeben sind und diese aus dem Text des Eingangsstücks auch nicht herausgelesen werden können. Anders als in VfSlg 18.567/2008 handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Zitierfehler bei der Bezeichnung der angefochtenen Gesetzesstelle, der als offenkundiger Schreibfehler gewertet werden könnte, sondern es ist auf Basis des Eingangsstücks nicht mit hinreichender Klarheit feststellbar, welche Fassungen der Bestimmungen von dem Aufhebungsbegehren betroffen sind (vgl. VfSlg 16.645/2002):

3.2.1. Die antragstellende Gesellschaft beantragt die Aufhebung von Textteilen des §106 ZPO, die in der geltenden Fassung dieser Bestimmung (idF BGBl I 52/2009) nicht enthalten sind, sondern nur in deren Vorgängerbestimmungen (idF BGBl I 120/2005, idF BGBl I 128/2004, idF BGBl 201/1982). Es muss daraus gefolgert werden, dass die antragstellende Gesellschaft die Aufhebung einer der Fassungen des §106 ZPO vor der Novelle BGBl I 52/2009 begehrt. Welche dieser Fassungen, bleibt aber offen.

3.2.2. Ähnlich ist die Konstellation bei §20 JN: Die antragstellende Gesellschaft bringt vor, dass die Worte "bei einem untergeordneten Gerichte" und das Wort "angefochtenen" in der Z5 des §20 JN als verfassungswidrig anzusehen seien. Fassungen des §20 JN, die dieser Zitierung entsprechen (idF BGBl I 30/2009, idF BGBl 412/1975), gab es nur bis zur Novelle BGBl I 75/2009. Seit dieser Novelle findet sich die Ziffer 5 nicht mehr als ein Gliederungselement direkt unter §20 JN, sondern im Absatz 1 des §20 JN. Mag sein, dass es sich hier nur um einen Zitierfehler der antragstellenden Gesellschaft handelt, es könnte damit aber auch bewusst ein Hinweis auf eine ältere Fassung gegeben worden sein. Jedenfalls ist auch in diesem Fall nicht zweifelsfrei feststellbar, welche Fassung des §20 JN gemeint ist.

3.2.3. Auch hinsichtlich des §81 UrhG, dessen Stammfassung BGBl 111/1936 durch die Novellen BGBl 295/1982, BGBl I 32/2003 und BGBl I 81/2006 Änderungen erfahren hat, könnten – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Bedenken gegen § 106 ZPO sich offensichtlich gegen eine der Fassungen vor der Novelle BGBl I 52/2009 richten – nur Vermutungen angestellt werden, die Aufhebung welcher Fassung des §81 UrhG begehrt wird.

3.2.4. Es kommt also auch wegen der Unbestimmtheit der Fassungen eine dem Antrag entsprechend formulierte Gesetzesaufhebung nicht in Betracht.

4. Aus den in Pkt. 3.1. und 3.2. ausgeführten Gründen liegt kein hinreichend bestimmtes Aufhebungsbegehren vor. Da das Fehlen eines spezifizierten Aufhebungsbegehrens nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einer Verbesserung nicht zugänglich ist – es handelt sich dabei nicht um ein bloßes Formgebrechen iSd §18 VfGG, sondern um einen inhaltlichen Mangel –, erweist sich der Antrag daher als unzulässig (zB VfSlg 12.487/1990, 15.962/2000, 17.570/2005).

IV. Ergebnis

1. Der zu G227/2015, G251-252/2015 protokollierte Antrag ist daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Von einer Verständigung des Handelsgerichts Wien gemäß §62a Abs5 VfGG konnte aufgrund der offenkundigen Unzulässigkeit des Antrages abgesehen werden.

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