Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
StGB §42
StVO 1960 §99 Abs1
StVO 1960 §100 Abs5
VStG §21
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
StGB §42
StVO 1960 §99 Abs1
StVO 1960 §100 Abs5
VStG §21
Spruch:
Die Wortfolge "§21 und" in §100 Abs5 StVO 1960, BGBl. 1960/159 idF BGBl. I 1998/92, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2000 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im folgenden: UVS) ist zur Zahl VwSen - 105573/1998 eine Berufung gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 28. Mai 1998, Zl. III/ S 4.110/98-1, anhängig, mit dem über den Berufungswerber eine Verwaltungsstrafe wegen der Weigerung, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, gemäß §5 Abs2 StVO 1960 iVm. §99 Abs1 litb erster Fall StVO 1960 in der Höhe von
S 10.000,- verhängt wurde.
Aus Anlaß dieses Berufungsverfahrens stellte der UVS gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG den zur Zahl G211/98 protokollierten Antrag, "den Ausdruck '21 und' in §100 Abs5 Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO, BGBL. Nr. 159/1960 in der Fassung des BGBl. I Nr. 3/1998 als verfassungswidrig aufzuheben".
1.2. Aus Anlaß eines weiteren bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens stellte der UVS den zu G108/99 protokollierten Antrag, "der Verfassungsgerichtshof möge die Wendung '§21 und' in §100 Abs5 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 in der derzeit geltenden Fassung des BGBl. I Nr. 92/1998 als verfassungswidrig aufheben".
2.1. §100 Abs5 StVO 1960 in der Fassung BGBl. I 1998/92 (durch diese Novelle wurden lediglich die beiden Verweise "1a, 1b," in die Bestimmung aufgenommen) lautet:
"(5) Bei einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1, 1a, 1b, 2 oder 2a finden die Bestimmungen der §§21 und 50 VStG keine Anwendung."
2.2. §21 VStG lautet:
"(1) Die Behörde kann ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.
(2) Unter den im Abs1 angeführten Voraussetzungen können die Organe der öffentlichen Aufsicht von der Verhängung einer Organstrafverfügung oder von der Erstattung einer Anzeige absehen; sie können den Täter in solchen Fällen in geeigneter Weise auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aufmerksam machen."
3.1. Im zu G211/98 protokollierten Verfahren führte der antragstellende UVS zur Frage der Präjudizialität aus, er habe im bezeichneten Berufungsverfahren in Wahrnehmung seiner Kompetenz gemäß Art129a Abs1 Z1 B-VG die StVO 1960 idF BGBl. I 1998/3 anzuwenden. Nach §100 Abs5 StVO 1960 fänden bei einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1, 2 oder 2a die Bestimmungen der §§21 und 50 VStG keine Anwendung. Im gegenständlichen Fall sei die Bestimmung des §99 Abs1 litb StVO 1960 als Strafnorm anzuwenden, sodaß die den §21 VStG von der Anwendung ausschließende Bestimmung des §100 Abs5 StVO 1960 idF BGBl. I 1998/3 für diesen Fall präjudiziell sei.
3.2. In der Sache führte der UVS unter anderem aus, der Gesetzgeber schließe durchaus mögliche und im gegenständlichen Beweisergebnis auch festgestellte, bloß geringere Verschuldenskomponenten und bloß geringe Übertretungsfolgen (welche hier geradezu völlig unbedeutend geblieben seien) generell aus.
Der Ausschluß der Möglichkeit des Absehens von der Strafe oder des Ausspruches einer Ermahnung stehe im Spannungsfeld zum Sachlichkeitsgebot. Ähnlich wie der Verfassungsgerichtshof beim Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechts die Prüfung der Sachlichkeit der Regelung der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den von Gerichten zu verhängenden Strafen vornahm (Erkenntnis vom 9. Oktober 1997, G216/96 (VfSlg. 14973/1997)), werde dies auch hier zu geschehen haben.
Zur sachgerechten Handhabung der Verwaltungsstrafpraxis solle der gesetzliche Rahmen nicht mehr eingeschränkt sein als dies im gerichtlichen Strafrecht durch die vergleichbare Bestimmung des §42 StGB der Fall sei. Darüber hinaus sei auch, weil im Rahmen eines Berufungsverfahrens in Verwaltungsstrafsachen seit Einrichtung der unabhängigen Verwaltungssenate eine Sachentscheidung durch ein unabhängiges Tribunal getroffen werde, der teilweise Ausschluß der Anwendung des §21 VStG im Vergleich zum strafgerichtlichen Verfahren, wobei mit Blick auf die Strafdrohung bei wesentlich schwerwiegenderen Delikten von einer Bestrafung durch das Gericht abgesehen werden könne, sachlich nicht gerechtfertigt und auch aus diesem Blickwinkel verfassungsrechtlich bedenklich.
4.1. Die Bundesregierung erstattete zum gegenständlichen Vorbringen des UVS eine Äußerung, in der sie hinsichtlich der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrages ausführte, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dürfe ein Antrag im Sinne des Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) sei, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts oder Verwaltungssenats im Anlaßfall bilde.
Im Lichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei nunmehr zu untersuchen, ob die dem vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag zugrundeliegende Annahme des antragstellenden UVS, daß in dem bei ihm anhängigen Verfahren, aus dessen Anlaß der Gesetzesprüfungsantrag gestellt worden sei, die in §21 Abs1 erster Satz VStG näher umschriebenen Voraussetzungen für ein Absehen von der Strafe vorliegen würden, zumindest denkmöglich sei. Denn nur dann, wenn dies der Fall sei, erweise sich die angefochtene Wendung als präjudiziell, weil der antragstellende UVS andernfalls die bekämpfte Gesetzesstelle nicht denkmöglich anzuwenden hätte. Erweise sich die Annahme des UVS, daß diese Voraussetzungen im Anlaßfall vorlägen, hingegen als offenkundig unrichtig, so sei der vorliegende Antrag mangels Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesstelle unzulässig.
Nach der Sachverhaltsdarstellung des antragstellenden UVS sei der Berufungswerber wegen einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1 litb erster Fall iVm. §5 Abs2 StVO 1960 bestraft worden, weil er trotz begründeter Vermutung der Alkoholbeeinträchtigung und trotz Aufforderung durch ein besonders geschultes und von der Behörde hierzu ermächtigtes Organ der Straßenaufsicht die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt mittels Alkomat verweigert hätte.
Der Sachverhaltsdarstellung des antragstellenden UVS sei zweifelsfrei zu entnehmen, daß dem Berufungswerber das Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gar nicht vorgeworfen werde. Die erstinstanzliche Verurteilung sei vielmehr auf §99 Abs1 litb iVm. §5 Abs2 StVO 1960 gestützt. Dem Berufungswerber werde somit vorgeworfen, sich trotz Vorliegens der in §5 StVO 1960 bezeichneten Voraussetzungen geweigert zu haben, die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt zu ermöglichen.
Ausgehend davon könne aber nach Auffassung der Bundesregierung kein Zweifel bestehen, daß der Berufungswerber das hier allein maßgebende Tatbild des §99 Abs1 litb StVO 1960 - die Weigerung, trotz Vorliegens der in §5 Abs2 StVO 1960 festgelegten Voraussetzungen die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen - nicht bloß fahrlässig, sondern sogar vorsätzlich erfüllt habe. Der Berufungswerber habe nämlich mit dem Wissen und in der Absicht gehandelt, durch die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft die Feststellung, ob er in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt und somit den Tatbestand des §99 Abs1 lita StVO 1960 erfüllt habe, unmöglich zu machen. Selbst wenn man die Auffassung vertreten wollte, daß das Verschulden nicht nur dann geringfügig sein könne, wenn es sich um eine leichte Fahrlässigkeit handle, so könne das Verschulden einer Handlung, die mit dem stärksten Grad des Vorsatzes getätigt worden sei, wohl keinesfalls mehr als "geringfügig" angesehen werden.
Zudem scheine es ebenfalls als offenkundig unrichtig, die Folgen der vom Berufungswerber begangenen Übertretung als unbedeutend zu qualifizieren, habe der Berufungswerber mit seinem Verhalten doch verhindert, daß festgestellt werden könne, ob er das Tatbild des §99 Abs1 lita StVO 1960 erfüllt und somit eine Verwaltungsübertretung begangen habe.
Aus dem Gesagten folge, daß es offenkundig unrichtig sei, im vorliegenden Anlaßfall das Vorliegen der Voraussetzungen des §21 Abs1 erster Satz VStG anzunehmen. Wenn dem aber so sei, so scheine es gleichfalls denkunmöglich, daß der antragstellende UVS die angefochtene Wendung - die die Anwendbarkeit des §21 VStG unter anderem bei Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 ausschließe - in dem dem vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren anzuwenden habe. Damit erweise sich die angefochtene Wendung jedoch im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als nicht präjudiziell, weshalb der vorliegende Gesetzesprüfungsantrag nach Auffassung der Bundesregierung zurückzuweisen sei.
4.2. In der Sache führte die Bundesregierung unter anderem aus, sie verkenne nicht, daß der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 die Zahl "20" in §100 Abs5 StVO 1960 als verfassungswidrig aufgehoben habe. Der antragstellende UVS verweise in seinen Ausführungen zweimal auf dieses Erkenntnis, ohne aber die darin enthaltenen Erwägungen ausdrücklich zu seinen Bedenken im vorliegenden Fall zu erklären. Angesichts der eingangs erwähnten Bindung des Verfassungsgerichtshofes an die im Antrag vorgebrachten Bedenken halte sich die Bundesregierung nicht für berechtigt, das Anfechtungsvorbringen in diesem Sinne ergänzt anzusehen. Auch der Verfassungsgerichtshof scheine insofern eine strenge Linie zu vertreten. So habe der Gerichtshof etwa in VfSlg. 12947/1991 ausgeführt, daß in der (vom anfechtenden Obersten Gerichtshof aufgestellten) "Behauptung", die inhaltliche Unbestimmtheit einer Norm und deren Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip rücke sie "in die Nähe der Verfassungswidrigkeit", schon nach ihrem Wortlaut keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm zu erblicken seien. Lege man diesen - strengen - Maßstab an den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag, so verbiete sich nach Auffassung der Bundesregierung eine ergänzende Auslegung des Antragsvorbringens.
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 (lediglich) ausgesprochen habe, daß unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes ein Vergleich der Strafbemessungsvorschriften des Gerichts- und des Verwaltungsstrafrechts erforderlich sei. §21 könne jedoch nicht als "Strafbemessungsvorschrift" qualifiziert werden, regle er doch gerade das Absehen von der Strafe. Auch insofern verbiete sich eine rein schematische Übertragung der in dem in Rede stehenden Erkenntnis angestellten Erwägungen auf die vorliegende Fallkonstellation.
Die Bundesregierung stellte somit den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle den Antrag des UVS auf Aufhebung der Wortfolge "§21 und" in §100 Abs5 StVO 1960 zurückweisen, in eventu abweisen.
5. Der antragstellende UVS erstattete eine Gegenäußerung, in der er unter anderem ausführte, daß den Ausführungen der Bundesregierung dahingehend nicht gefolgt werden könne, der antragstellende UVS hätte die Präjudizialität mit seinem Antrag nicht nachgewiesen.
Mit der von der Bundesregierung verkürzt vorgenommenen Beurteilung des Sachverhaltes und der Schlußfolgerung auf die Schuldform der vorsätzlichen Tatbegehung werde eine dem UVS im Rahmen der unmittelbaren und freien Beweiswürdigung vorbehaltene Beurteilung der Schuldfrage im Ergebnis vorweggenommen. Im Justizbereich fänden sich in einer Vielzahl Anwendungsfälle des §42 StGB - der in seiner Intention mit dem §21 VStG weitgehend ident anzusehen sei -, in denen auch bei Vorsatzdelikten die Bestimmung des §42 StGB Anwendung finden würde. Im Tenor gelange in diesen Entscheidungen zum Ausdruck, daß geringe Schuld im Sinne des §42 Abs1 StGB ein erhebliches Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt verlange. Im Lichte dieser Spruchpraxis scheine das nicht von der Unmittelbarkeit der Beweiswürdigung getragene Vorbringen der Bundesregierung unzutreffend.
Im Ergebnis reduziere die Bundesregierung die Atemluftuntersuchung auf einen reinen formalen Selbstzweck. Damit würde im Ergebnis für die Beurteilung der Tat(folgen)- und Schuldebene überhaupt kein Raum bleiben. Bei einer solchen Betrachtung würde der Verweigerungstatbestand immer für sich isoliert auf das reine Faktum reduziert bleiben. Bei einer derart isolierten Betrachtung hätte folglich das Schutzziel bei der Beurteilung der Tat- und Schuldfrage im Ergebnis unbeachtlich zu bleiben bzw. bliebe hierfür unter Bedachtnahme auf den hohen Mindeststrafsatz im Ergebnis kein Raum mehr. Eine solche Sichtweise laufe wohl in bedenklicher Weise den Grundprinzipien des Strafrechts an sich zuwider und degradiere in solchen Fällen ein Strafverfahren potentiell zur reinen "Hülsenhaftigkeit".
In der Lebenspraxis würden Alkoholdelikte (sowohl nach §5 Abs1 als auch nach §5 Abs2 StVO 1960) in aller Regel vorsätzlich, zumindest mit Eventualvorsatz, begangen. Würde die Sicht der Bundesregierung generalisiert, müßte bei dieser Deliktsgruppe in der Tat die Anwendung des §21 VStG immer ausscheiden. Bei dieser Betrachtung hätte der Gesetzgeber die Anwendung auf diese Bereiche durch gesetzliche Regelung wohl überhaupt nicht ausschließen müssen.
Dem Gesetzgeber müsse im Gegensatz dazu vielmehr der klare Wille zugesonnen werden, daß er aus Abschreckungsgründen das Rechtsinstitut des §21 VStG für diesen Deliktsbereich nicht zulassen wollte. Dabei könne der Gesetzgeber wohl nur die Vielzahl der völlig typisch verlaufenden Alkoholdelikte im Auge gehabt haben. Die in der Menge verschwindend geringen und in der Realität gänzlich anders in ein Strafverfahren gelangenden Ausnahmefälle habe der Gesetzgeber im Ausschluß eines Rechtsinstitutes, welches die Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten habe, wohl nicht bedacht. Aus diesem Blickwinkel ergebe sich bereits anschaulich, daß eine derartige Regelung im unlösbaren Spannungsverhältnis zum Sachlichkeitsprinzip stehe.
Dabei werde grundsätzlich nicht übersehen, daß bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung dem Gesetzgeber auch in der Gestaltung des Strafrechts rechtspolitisch ein durchaus breiter Gestaltungsspielraum eingeräumt sein möge, dieser jedoch im verfassungsrechtlich determinierten Sachlichkeitsgebot begrenzt sei. Die Überschreitung dieser Grenze könne hier insbesondere in einer auf Einzelfälle als unangemessen hart wirkenden, aber anzuwendenden Sanktionsnorm erblickt werden.
Es werde abermals auf das Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 hingewiesen, worin im Kern ausgeführt werde, daß "die Regelung des §100 Abs5 StVO 1960, derzufolge bei allen mit einer Strafuntergrenze bedrohten, nach der StVO 1960 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen das außerordentliche Milderungsrecht nach §20 VStG entfalle, eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung für den Bereich der genannten Verwaltungsdelikte im Vergleich zum Gerichtsstrafrecht bedeute, die ein extremes Mißverhältnis der jeweiligen Strafdrohungen im Gerichts- und im Verwaltungsstrafrecht entstehen ließe". Ebenfalls sei im Rahmen dieses Verfahrens auch der Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit ins Treffen geführt worden. Ferner habe sich der Verfassungsgerichtshof auf das aus Art91 Abs2 und 3 B-VG als auch auf das aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende verfassungsrechtliche Sachlichkeitsgebot und die verfassungsrechtlichen Grenzen der für die Ahndung von Übertretungen durch Verwaltungsbehörden vom Gesetzgeber anzuordnenden Strafrahmen bezogen. Rechtssystematisch und durchaus logisch ließen sich diese Aussagen im Lichte des oben Dargelegten auf den hier spezifizierten Ausschluß des im §21 VStG enthaltenen einzelfallbezogenen Regelungszieles übertragen.
Selbst wenn, wie die Bundesregierung darlege, §21 VStG keine Strafbemessungsvorschrift darstelle und demnach von ihr eine "schematische Übertragung" auf den gegenständlichen Antrag nicht zulässig erachtet werde, berühre dies nicht das Faktum, daß ein Absehen von einer Bestrafung als ein im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit unerläßliches Rechtsinstitut vorhanden bleibe. Ein grundsätzlicher Ausschluß würde im Vergleich zum gerichtlichen Verfahren eine sachliche Schlechterstellung bedeuten, für die die Bundesregierung einen inhaltlichen Rechtfertigungsgrund nicht anzuführen vermochte.
Der grundsätzliche Ausschluß indiziere - im Hinblick auf den in diesem Verfahren zwar noch nicht anzuwendenden, jedoch mit Blick auf den mit der 20. StVO-Novelle für ein derartiges Delikt auf S 16.000,- drastisch angehobenen Mindeststrafsatz - im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 14973/1997 für den Normunterworfenen eine noch schwerwiegendere Einschränkung. Die vom antragstellenden UVS vertretene Sichtweise könne darüber hinaus noch mit den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in ebendiesem Erkenntnis gleichsam kraft Größenschlusses gestützt werden, wonach es als nicht einsichtig qualifiziert worden sei, daß bei einem von einem Verkehrsteilnehmer in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand begangenen Delikt beträchtlich überwiegende Milderungsgründe zwar bei der Strafzumessung (hier der Tatschuldbeurteilung) vom Gericht wahrzunehmen seien, diese für die Verwaltungsbehörde hingegen rechtlich belanglos seien, wenn eine Person in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand ihr Fahrzeug (ohne weitere Folgen und daher mit geringerem Unrechtsgehalt als beim gerichtlich zu ahndenden Delikt) lenke oder in Betrieb nehme.
Mit Blick auf die schon im Antrag getätigten Ausführungen könne auch nicht gesehen werden, daß mit den getroffenen Darlegungen nicht auf die Erwägungen im Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 Bezug genommen worden wäre, wie dies die Bundesregierung offenbar darzulegen versuche.
6. Auf die im wesentlichen inhaltsgleichen Ausführungen des UVS im zur Zahl G108/99 protokollierten Gesetzesprüfungsantrag antwortete die Bundesregierung mit der bereits dargestellten Äußerung vom 15. Oktober 1998.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge gemäß den §§187 und 404 ZPO iVm. §35 Abs1 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung verbunden und über sie erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seiner ständigen Judikatur (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989, 14551/1996, 14795/1997, 15199/1998) davon aus, daß er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung ein Gericht oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art140 Abs1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichts oder des unabhängigen Verwaltungssenats in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art140 Abs1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung eines Gerichts bzw. eines unabhängigen Verwaltungssenats im Anlaßfall bildet.
1.2. Die Bundesregierung versucht in ihrer Äußerung das Fehlen der Präjudizialität der Bestimmung des §100 Abs5 StVO 1960 in den den gegenständlichen Gesetzesprüfungsanträgen des UVS zugrundeliegenden Anlaßfällen mit der Rechtsauffassung darzutun, ein von §21 VStG gefordertes "geringfügiges Verschulden" könne bei Vorliegen einer Vorsatztat, als die die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft bei Vorliegen der in §5 StVO 1960 bezeichneten Voraussetzungen anzusehen sei, schon denkmöglich nicht gegeben sein.
In Anbetracht der ständigen Judikatur des VwGH, wonach die Anwendung des §21 Abs1 VStG nur dann in Frage komme, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibe, was auch bei vorsätzlichem Handeln des Täters der Fall sein könne, allerdings nur dann, wenn besondere Umstände bei der Begehung der Tat, wie zB verminderte Zurechnungsfähigkeit, Unbesonnenheit, dringende Notlage etc. diesen Schluß rechtfertigen würden (VwGH 31.1.1990, 89/03/0084, 27.5.1992, 92/02/0167, uva.), vermag der Verfassungsgerichtshof in der Rechtsauffassung des antragstellenden UVS, die Bestimmung des §100 Abs5 StVO 1960, welche unter anderem die Anwendung des §21 VStG bei einer Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1, 1a, 1b, 2 oder 2a StVO 1960 ausschließt, sei vom UVS in den diesen Gesetzesprüfungsanträgen zugrundeliegenden Anlaßfällen anzuwenden, keine Denkunmöglichkeit zu erblicken. Nur eine solche würde jedoch das Fehlen der Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung zur Folge haben. Aus ebendiesen Erwägungen vermag der Verfassungsgerichtshof auch den Ausführungen der Bundesregierung nicht zu folgen, es erscheine denkunmöglich, die Folgen der vom Berufungswerber begangenen Übertretung als unbedeutend zu qualifizieren.
1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Der von der Bundesregierung vertretenen Ansicht, der UVS habe in seine Gesetzesprüfungsanträge die im Erkenntnis vom 9. Oktober 1997, G216/96 (VfSlg. 14973/1997), vom Verfassungsgerichtshof erhobenen Bedenken nicht einbezogen, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr zeigen die Anträge des UVS (vgl. etwa Punkt 3.1.1. des Antrages vom 20. Juli 1998: "Ähnlich wie der Verfassungsgerichtshof beim Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechts die Prüfung der Sachlichkeit der Regelung der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den von Gerichten zu verhängenden Strafen vornahm (Erkenntnis vom 9. Oktober 1997, G216/96 (VfSlg. 14973/1997)), werde dies auch hier zu geschehen haben."), daß diese Bedenken ausdrücklich erfaßt sind.
2.2. Mit dem zitierten Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 hat der Verfassungsgerichtshof die Zahl "20" in §100 Abs5 StVO 1960 und damit den in §100 Abs5 StVO 1960 normierten Ausschluß des außerordentlichen Strafmilderungsrechts nach §20 VStG infolge Unsachlichkeit der dadurch bewirkten Verschärfung der Strafdrohung für Verwaltungsdelikte im Vergleich zu gerichtlich zu ahndenden Delikten als im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz gesehen und als verfassungswidrig aufgehoben. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus:
"Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl aus Art91 Abs2 und 3 B-VG als auch wegen des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebots verfassungsrechtliche Grenzen des für die Ahndung von Übertretungen durch Verwaltungsbehörden vom Gesetzgeber anzuordnenden Strafrahmens festgestellt. In ständiger Judikatur (VfSlg. 12151/1989, bekräftigt mit VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990, 12546/1990, 12547/1990, 12920/1991 sowie vor allem VfSlg. 14361/1995 u.a.) hat er die Auffassung vertreten, daß ein vom Gesetzgeber als besonders sozialschädlich bewertetes und demgemäß mit schwerwiegender (Geld-)Strafe bedrohtes Verhalten verfassungsrechtlich der Strafgerichtsbarkeit vorbehalten ist. Gleichzeitig betrachtete der Gerichtshof eine das Strafausmaß betreffende gesetzliche Regelung als gleichheitswidrig, die ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion aufweist, weil derartige Strafdrohungen 'mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind' (VfSlg. 12151/1989).
Der im Hinblick auf die geschilderte Judikatur (vgl. auch VfSlg. 8017/1977) notwendige Vergleich der Strafbemessungsvorschriften des Gerichts- mit dem Verwaltungsstrafrecht zeigt, daß dem Gerichtsstrafrecht (vgl. §41 StGB) ein Ausschluß der 'Außerordentlichen Strafmilderung', soweit diese durch gesetzliche Festlegung einer Untergrenze des Strafrahmens überhaupt in Betracht kommt, ausnahmslos unbekannt ist.
...
Die Regelung des §100 Abs5 StVO 1960, derzufolge bei allen mit einer Strafuntergrenze bedrohten, nach der StVO 1960 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen das außerordentliche Milderungsrecht nach §20 VStG entfällt, bedeutet so eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung für den Bereich der genannten Verwaltungsdelikte im Vergleich zum Gerichtsstrafrecht, die ein extremes Mißverhältnis der jeweiligen Strafdrohungen im Gerichts- und im Verwaltungsstrafrecht entstehen läßt. Dieser Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechts ist also an sich bereits mit den geschilderten Anforderungen an die Sachlichkeit der Regelung der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den von Gerichten zu verhängenden Strafen nicht zu vereinbaren.
Der in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur 19. StVO-Novelle (1580 BlgNR, XVIII. GP, S 35) genannte spezial- und generalpräventive Zweck des §100 Abs5 StVO 1960, - soll doch den Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 ein 'besonders große(r) Unrechtsgehalt' innewohnen und an der Vermeidung von Alkoholdelikten auch im Hinblick auf die österreichische Unfallstatistik im Interesse der Verkehrssicherheit eine besondere Notwendigkeit bestehen, wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung dartut, - wird durch den Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechtes gemäß §20 VStG nicht erreicht: Findet doch dieser Unrechtsgehalt in der abstrakten Höhe der gesetzlichen Strafdrohung seinen Ausdruck, nicht aber im - an sich bereits unsachlichen (vgl. in diese Richtung schon VfSlg. 14381/1995) - Verbot der Berücksichtigung selbst beträchtlich überwiegender Milderungsgründe bei der konkreten Strafbemessung. Trotz des vom Gesetzgeber wahrgenommenen besonderen Unrechtsgehalts von Alkoholdelikten ist ... von der Sache her nicht einzusehen, daß ein beträchtliches Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe bei der Ahndung der in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand begangenen Verkehrsdelikte vom Gericht bei seiner Strafbemessung wahrgenommen werden muß, bei einer entsprechenden Verwaltungsübertretung (nach §99 Abs1 lita StVO 1960) hingegen selbst ein beträchtliches Überwiegen der Milderungs- gegenüber den Erschwerungsgründen gemäß §100 Abs5 StVO 1960 für die Verwaltungsbehörde unbeachtlich ist."
2.3. Ist dem in diesem Erkenntnis zitierten §20 VStG im gerichtlichen Strafrecht die Bestimmung des §41 StGB vergleichbar, so enthält das gerichtliche Strafrecht als dem §21 VStG korrelierende Norm die Bestimmung des §42 StGB.
Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung nichts vorgebracht, was ein Abgehen von der im Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 ausgesprochenen Rechtsansicht für die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge rechtfertigen könnte.
2.4. Der durch die Wortfolge "§21 und" in §100 Abs5 StVO 1960 bewirkte Ausschluß des Absehens von der Strafe bei geringfügigem Verschulden des Beschuldigten und unbedeutenden Folgen der Übertretung nach §21 VStG widerspricht sohin dem Gleichheitsgrundsatz. Die genannte Wortfolge ist als verfassungswidrig aufzuheben.
2.5. Angesichts dieses Verfahrensergebnisses erübrigt es sich, auf die sonstigen verfassungsrechtlichen Bedenken, die vom UVS gegen §100 Abs5 StVO 1960 vorgebracht werden, einzugehen.
2.6. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 B-VG.
2.7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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