Normen
EMRK Art11
EMRK Art11 Abs2
VersammlungsG §2 Abs1
VersammlungsG §13
VersammlungsG §14
VersammlungsG §19
EMRK Art11
EMRK Art11 Abs2
VersammlungsG §2 Abs1
VersammlungsG §13
VersammlungsG §14
VersammlungsG §19
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und den unbestritten gebliebenen Ausführungen in der von der belangten Behörde erstatteten Gegenschrift (s.u. I.3) ergibt sich folgender Sachverhalt:
Am 12. Feber 1991 blockierten etwa 50 Personen (darunter der Beschwerdeführer) bei km 76,4 beide Gleise der Brennerstrecke der ÖBB. Sie wollten damit gegen die im Zusammenhang mit der "Kuwaitkrise" stehende (mit der Eisenbahn erfolgende) Durchfuhr US-amerikanischer Panzer durch Österreich protestieren. Da die Demonstranten trotz behördlicher Aufforderung den Bahndamm nicht freiwillig verließen, wurde die - als Versammlung i.S. des Versammlungsgesetzes 1953/VersG gewertete - Demonstration aufgelöst. Die Anordnung, den Versammlungsort unverzüglich zu verlassen, wurde mißachtet; vielmehr brachten die Demonstranten ihren Protest gegen die Durchfuhr der Panzer in Sprechchören zum Ausdruck. Da nochmalige Aufforderungen und Androhungen der Festnahme erfolglos blieben, wurden die Demonstranten (darunter der Beschwerdeführer) um etwa 15.05 Uhr festgenommen.
b) Mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 15. Juni 1993 (zur Vorgeschichte siehe VfGH 30.11.1992 B376/92, gleich wie VfSlg. 13225/1992;
Quasianlaßfall zu VfSlg. 13179/1992) wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von 500 S (Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden) verhängt, weil er am 12. Feber 1991 um 15.00 Uhr in Innsbruck, Brennerstrecke der ÖBB bei km 76,4, trotz Auflösung der Versammlung den Versammlungsort nicht sogleich verlassen habe und nicht auseinandergegangen sei; hiedurch habe er eine Verwaltungsübertretung nach §14 (iVm §19) VersG begangen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (UVS) wies die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung mit Bescheid vom 1. September 1994 als unbegründet ab.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§§13, 14 und 19 VersG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Der UVS legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes 1953, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten.
Auch eine Bestrafung wegen Übertretung des VersG greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit ein (vgl. VfSlg. 8685/1979, 9107/1981, 9603/1983).
2. Zu untersuchen ist also, ob die Bestrafung des Beschwerdeführers rechtsrichtig erfolgte.
a) Die in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des VersG lauten:
"§13
(1) Wenn eine Versammlung gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet wird, so ist sie von der Behörde (§§16 und 17) zu untersagen und nach Umständen aufzulösen.
(2) Desgleichen ist die Auflösung einer, wenngleich gesetzmäßig veranstalteten Versammlung vom Abgeordneten der Behörde oder, falls kein solcher entsendet wurde, von der Behörde zu verfügen, wenn sich in der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn sie einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt."
"§14
(1) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen.
(2) Im Falle des Ungehorsams kann die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden."
"§19
Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Amtsgebiet einer Bundespolizeibehörde aber von dieser Behörde, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 5.000 S zu ahnden."
b) Der Beschwerdeführer räumt zwar ein, daß die Blockade behördlich aufgelöst worden sei und daß er dennoch den Blockadeort nicht verlassen habe. Er meint jedoch, er sei zu Unrecht bestraft worden, weil es sich um eine unorganisierte Spontanveranstaltung gehandelt habe, die nicht unter das VersG falle. Er beruft sich hiebei auf das Erkenntnis VfSlg. 8685/1979; darin vertrete der Verfassungsgerichtshof die Ansicht, daß Spontanversammlungen zwar keine Versammlungen i.S. des VersG seien, aber gemäß §13 VersG als Versammlungen aufgelöst werden könnten. Der Beschwerdeführer vertritt in diesem Zusammenhang folgende Meinung:
"Gegen diese Rechtsauffassung des VfGH wurden in der Literatur Bedenken geäußert (vgl. Herwig Anderle, Österreichisches Versammlungsrecht, Rz 66 ff). Ebenso wurden gegen die vom VfGH in seinem Erkenntnis vom 10.06.1985, B567/84-40, vertretene Rechtsauffassung Bedenken geäußert, wonach die Worte 'nach Umständen' im §13 Abs1 Versammlungsgesetz mit 'weil erforderlich' und 'unter der Voraussetzung des Vorliegens eines zureichenden Grundes' gleichzusetzen seien (vgl. Herwig Anderle, Österreichisches Versammlungsrecht, Rz. 265). Vielmehr wird die Auffassung vertreten, daß nach dem - derzeit verfassungswidrigen - Gesetzeswortlaut jede gesetzeswidrige Versammlung, beispielsweise auch eine solche, die gegen §2 Versammlungsgesetz (Anzeige der Versammlung) verstößt, von der Behörde aufzulösen sei. Davon sind insbesonders die sogenannten 'Spontanversammlungen' betroffen, deren Anmeldung innerhalb einer 24-stündigen Frist vor der Versammlung wie auch im vorliegenden Fall praktisch (infolge Geheimhaltung der Durchfahrtsroute) gar nicht möglich ist. Dagegen ist einzuwenden, daß es zum Wesensgehalt des Versammlungsrechtes gehört, daß auch die sogenannten 'Spontanversammlungen' in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallen und somit einfach-gesetzlich nicht eingeschränkt werden können, weil das Rechtsgut der Versammlungsfreiheit bloßen Ordnungsvorschriften, die beispielsweise die Anmeldung der Versammlung betreffen, vorgeht. Daraus ergibt sich, daß ein allgemeines Verhindern von Spontanversammlungen verfassungswidrig ist (vgl. auch Herwig Anderle, Österreichisches Versammlungsrecht, Rz 77). Die derzeit geltenden Bestimmungen des Versammlungsgesetzes (im gegenständlichen Fall insbesonders §§13, 14 und 19) sind weiters auch im Hinblick auf Art7 B-VG verfassungswidrig, da nach der derzeit geltenden Rechtslage hinsichtlich der sogenannten 'Spontanversammlungen' eine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Versammlungen schon deshalb verboten wäre, weil sie gegen die Anmeldungsvorschriften des §2 Versammlungsgesetz verstoßen und deshalb gemäß §13 Versammlungsgesetz aufzulösen wären.
Dem angefochtenen Berufungserkenntnis der belangten Behörde sind keine hinreichenden Feststellungen dazu zu entnehmen, ob eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes überhaupt vorgelegen hat und bejahendenfalls ob diese Versammlung im Sinne des §13 Versammlungsgesetz von der zuständigen Behörde in gesetzmäßiger Weise aufgelöst worden ist. Die belangte Behörde hat sich weder mit den Tatbestandsmerkmalen des §13 Abs1 noch mit jenen des §13 Abs2 Versammlungsgesetz hinreichend auseinandergesetzt. Dies, obwohl ich mich im Verwaltungsverfahren immer darauf berufen habe, daß mein Verhalten rechtmäßig war.
Selbst wenn die vom VfGH nach der oben zitierten Judikatur vertretene einschränkende Interpretation des Begriffes der Versammlung zutreffen sollte, darf nicht übersehen werden, daß der VfGH aufgrund des von ihm vertretenen Versammlungsbegriffes offenbar nur im Wege einer Analogie zur Anwendung der Bestimmungen des Versammlungsgesetzes auf die sogenannte 'Spontanversammlung' gelangt. Es mag im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, inwieweit dies im Anwendungsbereich des §2 des Versammlungsgesetzes zulässig ist. Im Anwendungsbereich des §19 Versammlungsgesetz, auf welchen meine Bestrafung im Verwaltungsverfahren gestützt wurde, stellt diese Interpretation jedoch eine im Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens zum Nachteil des Beschuldigten unzulässige Analogie dar. Wenn der Verfassungsgerichtshof an seinem oben dargestellten Versammlungsbegriff festhält, liegt im gegenständlichen Fall eine Versammlung im Sinne des Gesetzes nicht vor, weshalb eine Bestrafung wegen einer Übertretung des Versammlungsgesetzes unzulässig ist. Falls man im gegenständlichen Fall das Vorliegen einer Versammlung annimmt, ist zu überprüfen, ob die Versammlung in gesetzmäßiger und verfassungskonformer Weise aufgelöst wurde. Hiezu hat die belangte Behörde aber keine hinreichenden Feststellungen getroffen."
Schließlich bringt der Beschwerdeführer noch vor, daß er mit seiner Handlungsweise "in einem Akt der Nothilfe bzw. des rechtfertigenden Notstandes das Rechtsgut der Neutralität und das Leben und die Gesundheit anderer Menschen (Soldaten im Golf-Krieg) schützen wollte".
c) Die Ausgangspositionen der Beschwerde sind verfehlt:
aa) Das VersG definiert den Begriff der von ihm erfaßten "Versammlung" nicht.
Der Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 5415/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10443/1985, 10608/1985, 10955/1986, 11651/1988, 11866/1988, 11904/1988, 11935/1988, 12161/1989) wertet eine Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als Versammlung i.S. des VersG, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.
So hat denn auch der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 8685/1979 genau das Gegenteil dessen zum Ausdruck gebracht, was der Beschwerdeführer annimmt. Er hat die damalige Zusammenkunft als Versammlung i.S. des VersG angesehen, obgleich sie der Behörde nicht angezeigt worden war, und deren auf das VersG gestützte Auflösung als gesetzmäßig erachtet.
bb) Auch sogenannte Spontanversammlungen (etwa solche, deren fristgerechte Anzeige - §2 Abs1 VersG - bei der Behörde unmöglich ist, ohne den Versammlungszweck zu gefährden) sind also - sofern die übrigen, oben (sublit. aa) geschilderten Voraussetzungen vorliegen - als Versammlungen i.S. des VersG zu qualifizieren.
Die Mißachtung der Anzeigepflicht allein rechtfertigt - und das übersieht der Beschwerdeführer (offenbar in Unkenntnis der neueren Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, z.B. VfSlg. 10443/1985, 10955/1986, 11132/1986, 11832/1988) - die Auflösung einer Versammlung aber noch nicht. Die Auflösung muß vielmehr aus einem der im Art11 Abs2 EMRK umschriebenen Gründe notwendig sein.
Damit ist auch die Frage nach der Möglichkeit, eine sogenannte "Spontanversammlung" zu veranstalten, gelöst. Liegt nicht einer der im Art11 Abs2 EMRK angeführten Umstände vor, so ist sie weder vor ihrem Beginn (bescheidmäßig) zu untersagen, noch ist nach ihrem Beginn ihre Weiterführung (durch verfahrensfreien Verwaltungsakt) zu verbieten. Ob in Ansehung der Verwaltungsübertretung der Unterlassung der Versammlungsanzeige (§2 iVm §19 VersG) ein Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund vorliegt, wird im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen sein.
Sofern nicht §7 VersG Anwendung findet (vgl. hiezu VfGH 30.11.1995 B1495/94), muß im jeweiligen konkreten Fall geprüft werden, ob die Auflösung der Versammlung nach Art11 Abs2 EMRK gerechtfertigt ist. Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, damit eine Versammlungsauflösung gesetzmäßig ist, müssen so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in der zitierten Konventionsnorm aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Ob solche Umstände vorliegen, hat das Behördenorgan nach dem Bild zu beurteilen, das sich ihm an Ort und Stelle bietet. Dies muß der Veranstalter, der seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, gegen sich gelten lassen; er hat in Kauf zu nehmen, daß kein förmliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden kann und daß es der Behörde in der Regel auch nicht mehr möglich sein wird, allenfalls erforderliche, den ungehinderten Ablauf der Versammlung sichernde Vorkehrungen zu treffen, etwa solche, die dem Schutz der Versammlung vor Gegendemonstrationen oder der Umleitung des Straßenverkehrs dienen.
cc) Bei diesem Inhalt des Gesetzes hegt der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§13, 14 und 19 VersG. Auf die vom Beschwerdeführer geäußerten Bedenken ist nicht einzugehen, weil sie von einem anderen - verfehlten - Verständnis des Gesetzesinhaltes ausgehen.
dd) Der Beschwerdeführer hat - wie er selbst angibt - den Versammlungsort nicht verlassen, obgleich die Versammlung für aufgelöst erklärt worden war.
Die von ihm geltend gemachten Strafausschließungsgründe lagen nicht vor. Der Beschwerdeführer verkennt den Inhalt der Institutionen des Notstandes und der Nothilfe, sodaß auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen nicht näher einzugehen war.
d) Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Beschwerdeführer zu Recht aufgrund verfassungsrechtlich unbedenklicher Rechtsvorschriften bestraft wurde.
Es ist daher sowohl ausgeschlossen, daß er in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht als auch, daß er in einem Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde war sohin abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
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