VfGH B1317/02

VfGHB1317/0215.12.2005

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzwidriger Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer betreibt nach seinen Angaben in Tirol einen Rinderhaltungsbetrieb mit rund 35 Stück Vieh, davon rund zwölf Kühe und den Rest Jungvieh, und forciert als Fleckviehzüchter vor allem die eigene Nachzucht und den Verkauf von Nutzvieh (2,5 bis 3-jährige trächtige Kalbinnen), wobei er sich üblicherweise eines Viehhändlers bedient und die Rinder vorwiegend nach Italien, aber auch in Drittländer, gelangen. Er ist nicht Mitglied einer Zuchtorganisation, aber sein Viehbestand weist - seinen Behauptungen zufolge - jene Kennzeichnung und Registrierung auf, die vom Gemeinschaftsrecht und den innerstaatlichen Regelungen, insbesondere dem Tiroler Tierzuchtgesetz verlangt werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid weist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft die Berufung gegen einen Bescheid der Agrarmarkt Austria ab, womit (unter anderem) die Gewährung der beantragten Mutterkuhprämie für acht Kalbinnen mit der Begründung versagt wurde, der Antragsteller gehöre keiner anerkannten Zuchtorganisation an; laut Datenbestand der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Rinderzüchter sei der Betrieb kein Zuchtbetrieb.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet. Die in §9 Abs2 der Tierprämien-Verordnung 2000 enthaltene Beschränkung der Prämiengewährung auf Mitglieder von Zuchtverbänden finde im Gesetz keine Deckung. Rund 40 % der rinderhaltenden Betriebe seien nicht Mitglieder einer anerkannten Zuchtorganisation. Die Prämien sollten aber die Auswirkungen der Agenda 2000 auf die Rinder- und Fleischpreise für alle Bauern abfedern. Die österreichische Verordnung mache aus der Abgeltung des Preisverlustes eine reine "Zuchtförderung" und widerspreche damit schon dem Gemeinschaftsrecht. Sie verstoße aber auch gegen den Gleichheitssatz, weil die Differenzierung zwischen vereinsangehörigen Betrieben und anderen unsachlich sei.

II. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof am 7. Oktober 2004 gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des zweiten Satzes in Abs2 und des Abs3 des §9 der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Gewährung von Prämien für Rinder, Mutterschafe und Mutterziegen (Tierprämien-Verordnung 2000), BGBl. II 497/1999, ein (V70/04).

Aus Anlass dieses Verordnungsprüfungsverfahrens wiederum beschloss der Verfassungsgerichtshof am 17. Juni 2005 von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "Erzeuger- und" in §99 Abs1 Z5 des Marktordnungsgesetzes 1985, idF BGBl. I 2001/108, die den Bundesminister zur Erlassung von Verordnungen zur Durchführung von Regelungen betreffend die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte ermächtigt (G104/05).

Mit Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, G104/05, hob der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogene gesetzliche Bestimmung wegen Verstoßes gegen das aus Art18 B-VG abzuleitende, auch den Gesetzgeber bindende Determinierungsgebot als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. Juni 2007 in Kraft tritt und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten.

Mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2005, V70/04, hob der Verfassungsgerichtshof sodann die Tierprämien-Verordnung 2000 wegen Wegfalls der gesetzlichen Grundlage zur Gänze auf.

III. Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde folglich durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.303/1984, 10.515/1985).

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

Dies kann gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- und eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.

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