VfGH B1070/11

VfGHB1070/1111.10.2012

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verneinung der Anwendbarkeit der Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über die Möglichkeit der Abwendung von Freiheitsstrafen durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen auf eine im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren mit einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe belegte Person; gleichheitskonforme Auslegung der Regelung des Finanzstrafgesetzes zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches zwischen dem Vollzug von Freiheitsstrafen im verwaltungsbehördlichen und im gerichtlichen Finanzstrafverfahren geboten

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Staatsangehörigkeit
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
FinStrG §20, §175
StVG §1, §3, §3a
B-VG Art7 Abs1 / Staatsangehörigkeit
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
FinStrG §20, §175
StVG §1, §3, §3a

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Über die Beschwerdeführerin, eine bulgarische Staatsangehörige, wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Spruchsenates I beim Zollamt Graz als Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 25. November 2010 wegen der Finanzvergehen des gewerbsmäßigen Schmuggels nach §35 Abs1 lita iVm §38 Abs1 lita Finanzstrafgesetz (FinStrG) und der vorsätzlichen Monopolhehlerei nach §46 Abs1 lita FinStrG eine Geldstrafe in Höhe von € 20.000,-- (im Fall der Uneinbringlichkeit vier Wochen Ersatzfreiheitsstrafe) sowie eine Wertersatzstrafe im Ausmaß von € 25.000,-- (im Fall der Uneinbringlichkeit fünf Wochen Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

2. In der Folge beantragte die Beschwerdeführerin bei der genannten Behörde Strafaufschub zum Zweck der Erbringung gemeinnütziger Leistungen iSd §3a Strafvollzugsgesetz (StVG); da sie Notstandhilfe beziehe und kein verwertbares Vermögen besitze, sei ihr die Zahlung der aushaftenden Strafen nicht möglich.

3. Dieser Antrag wurde vom Zollamt Graz als Finanzstrafbehörde erster Instanz - nach erfolglosen Eintreibungsversuchen - mit Bescheid vom 14. Juni 2011 abgewiesen: §§3 und 3a StVG würden sich ausdrücklich auf Verurteilte iSd §1 Z1 StVG, mithin auf von einem Strafgericht mit einer Freiheitsstrafe belegte Personen beziehen; mangels Vorliegens eines Strafurteils seien die Voraussetzungen des §3 Abs1 iVm §3a StVG nicht gegeben.

4. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit

Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates (UFS) vom 25. Juli 2011 mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Antrag "auf Strafaufschub, um die Ersatzfreiheitsstrafen durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Sinne des §3a StVG zu vollziehen", von der Unterinstanz mangels gesetzlicher Grundlage zurückzuweisen gewesen wäre.

Die belangte Behörde ging in der Begründung ihrer Entscheidung davon aus, dass die Abwendung des Vollzuges der (Ersatz-)Freiheitsstrafen durch gemeinnützige Leistungen nicht in Betracht komme: Gesetzliche Voraussetzung für das Unterbleiben des Vollzuges gemäß §3 StVG sei u.a. die Erbringung gemeinnütziger Leistungen durch einen "Verurteilten" iSd §1 StVG. Im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren gelange für den Vollzug die eigenständige Regelung des §175 FinStrG zur Anwendung. Eine gesetzliche Möglichkeit für die Erbringung gemeinnütziger Leistungen durch den Bestraften an Stelle des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe bestehe nicht. §3 StVG regle die Anordnung des Vollzuges von auf Freiheitsstrafen lautenden Strafurteilen und sei - da §175 FinStrG eine eigene Bestimmung für den Vollzug derartiger Strafen vorsehe - im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren nicht anwendbar. Der Finanzstrafbehörde erster Instanz komme daher keine Zuständigkeit zur Entscheidung über den vorliegenden Antrag zu, weshalb sie diesen zurückzuweisen gehabt hätte.

5. In der gegen diesen Bescheid gemäß Art144 B-VG

erhobenen Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht: §175 FinStrG ordne - von bestimmten, §3a StVG nicht betreffenden Ausnahmen abgesehen - subsidiär die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des StVG an; die Regelung des §3a StVG wäre daher heranzuziehen und eine meritorische Entscheidung zu treffen gewesen.

6. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstatte eine Gegenschrift, in der sie im Kern unter Wiederholung der im angefochtenen Bescheid dargelegten Gründe die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Rechtslage

1. Hier maßgebliche Bestimmungen des FinStrG, BGBl. 129/1958 idF BGBl. I 57/2004, lauten:

"ARTIKEL I

Strafrecht und Strafverfahrensrecht in Angelegenheiten der bundesrechtlich oder durch Rechtsvorschriften der Europäischen Union geregelten Abgaben und der Monopole

Erster Abschnitt

Finanzstrafrecht

I. Hauptstück

Allgemeiner Teil"

"Ersatzfreiheitsstrafen

§20. (1) Wird auf eine Geldstrafe oder auf Wertersatz erkannt, so ist zugleich die für den Fall der Uneinbringlichkeit an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen.

(2) Die gemäß Abs1 anstelle einer Geldstrafe und

eines Wertersatzes festzusetzenden Ersatzfreiheitsstrafen dürfen bei Finanzvergehen, deren Ahndung dem Gericht vorbehalten ist, das Höchstmaß von je einem Jahr, wenn jedoch die Geldstrafdrohung das Zweifache des Betrages, nach dem sich sonst die Strafdrohung richtet, übersteigt, das Höchstmaß von je eineinhalb Jahren und wenn dieser Betrag 500.000 Euro übersteigt, das Höchstmaß von je zwei Jahren nicht übersteigen; bei Finanzvergehen, deren Ahndung in den Fällen des §58 Abs2 lita dem Spruchsenat vorbehalten ist, dürfen die Ersatzfreiheitsstrafen das Höchstmaß von je drei Monaten und bei den übrigen Finanzvergehen das Höchstmaß von je sechs Wochen nicht übersteigen."

"Zweiter Abschnitt

Finanzstrafverfahren"

"Zweiter Unterabschnitt

Verwaltungsbehördliches Finanzstrafverfahren"

"IX. Hauptstück

Vollzug der Freiheitsstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen)

§175. (1) Die Freiheitsstrafen sind in den

gerichtlichen Gefangenenhäusern und in den Strafvollzugsanstalten zu vollziehen. Der Vollzug in einer Strafvollzugsanstalt ist jedoch nur in unmittelbarem Anschluß an eine gerichtliche Freiheitsstrafe und mit Zustimmung des Bestraften zulässig. Soweit dieses Bundesgesetz nicht besondere Bestimmungen enthält, sind für den Vollzug die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit achtzehn Monate nicht übersteigt, mit folgender Maßgabe sinngemäß anzuwenden, soweit dies nicht zu Anlaß und Dauer der Freiheitsstrafe außer Verhältnis steht:

a) §§31 Abs2, 32, 45 Abs1, 54 Abs3, 115, 127, 128, 132 Abs4 und 149 Abs1 und 4 des Strafvollzugsgesetzes sind nicht anzuwenden;

b) soweit Häftlinge eine Arbeitsvergütung zu erhalten haben, ist ihnen diese nach Abzug des Vollzugskostenbeitrages (§32 Abs2 erster Fall und Abs3 des Strafvollzugsgesetzes) zur Gänze als Hausgeld gutzuschreiben;

c) wird eine Freiheitsstrafe in einer Strafvollzugsanstalt vollzogen, so bleiben die im Strafvollzug gewährten Vergünstigungen und Lockerungen auch für den Vollzug der Freiheitsstrafe aufrecht.

(2) Ist eine Freiheitsstrafe zu vollziehen, so hat die Finanzstrafbehörde erster Instanz den auf freiem Fuß befindlichen rechtskräftig Bestraften schriftlich aufzufordern, die Strafe binnen einem Monat nach der Zustellung der Aufforderung anzutreten. Die Aufforderung hat die Bezeichnung des zuständigen gerichtlichen Gefangenenhauses (§9 des Strafvollzugsgesetzes) und die Androhung zu enthalten, daß der Bestrafte im Falle seines Ausbleibens vorgeführt wird. Kommt der Bestrafte dieser Aufforderung nicht nach, so hat ihn die Finanzstrafbehörde durch Anwendung unmittelbaren Zwanges zum Strafantritt vorführen zu lassen; sie ist berechtigt, hiebei die Unterstützung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anspruch zu nehmen. An Stelle der Aufforderung zum Strafantritt ist die sofortige Vorführung zu veranlassen, wenn Fluchtgefahr (§86 Abs1 lita und Abs2) besteht.

(3) Die Finanzstrafbehörde hat zugleich den Leiter des zuständigen gerichtlichen Gefangenenhauses oder der Strafvollzugsanstalt um den Vollzug der Freiheitsstrafe zu ersuchen.

(4) Eine gemäß §142 Abs1 verhängte Haft ist beim Strafvollzug zu berücksichtigen.

(5) Personen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen,

dürfen sich angemessen beschäftigen. Mit ihrer Zustimmung dürfen sie zu einer ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechenden Tätigkeit herangezogen werden.

(6) Wird gegen die Verhängung einer Freiheitsstrafe Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof eingebracht, so ist mit dem Vollzug dieser Strafe bis zur Entscheidung des Gerichtshofes zuzuwarten, es sei denn, daß Fluchtgefahr (§86 Abs1 lita und Abs2) besteht."

2. Die relevanten Bestimmungen des StVG, BGBl. 144/1949 idF BGBl. 142/2009, lauten:

" ERSTER TEIL

Allgemeine Bestimmungen

Begriffsbestimmungen

§1. Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist:

1. Strafurteil: jedes Erkenntnis eines Strafgerichtes, mit dem wegen einer den Gerichten zur Aburteilung zugewiesenen strafbaren Handlung eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist;

2. Verurteilter: jede Person, über die in einem Strafurteil eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist;

3.-5. [...]"

" ZWEITER TEIL

Anordnung des Vollzuges der auf Freiheitsstrafe

lautenden Strafurteile

Anordnung des Vollzuges

§3. (1) Ist an einem Verurteilten eine Freiheitsstrafe zu vollziehen, so ist der Strafvollzug anzuordnen und die nach §9 zur Einleitung oder Durchführung des Strafvollzuges zuständige Anstalt von der Anordnung zu verständigen. Zugleich mit dieser Verständigung oder so bald wie möglich ist der Anstalt auch eine Ausfertigung des Strafurteiles zu übersenden. Der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe hat jedoch zu unterbleiben, soweit der Verurteilte die ausständige Geldstrafe erlegt, durch eine öffentliche Urkunde nachweist, dass sie gezahlt ist, oder gemeinnützige Leistungen (§3a) erbringt. Darüber ist er in der Aufforderung zum Strafantritt zu informieren, wobei ihm auch das Ausmaß der zu erbringenden gemeinnützigen Leistungen mitzuteilen ist. Eine Gleichschrift dieser Mitteilung ist auch einer in der Sozialarbeit erfahrenen Person (§29b Bewährungshilfegesetz) zu übermitteln. Ist der psychische Zustand des Verurteilten oder sein sonstiger Gesundheitszustand im Zuge des Strafverfahrens durch sachverständige Personen untersucht worden, so ist der Verständigung auch eine Abschrift des Gutachtens anzuschließen.

(2) Tritt ein Verurteilter, der sich auf freiem Fuße befindet, die Strafe nicht sofort an, so ist er schriftlich aufzufordern, die Strafe binnen einem Monat nach der Zustellung anzutreten. Die Aufforderung hat die Bezeichnung der zuständigen Anstalt und die Androhung zu enthalten, daß der Verurteilte im Falle seines Ausbleibens vorgeführt wird. Kommt der Verurteilte dieser Aufforderung nicht nach, so ist seine Vorführung zum Strafantritt anzuordnen. Die Vorführung ist auch anzuordnen, wenn der Verurteilte versucht, sich dem Vollzuge der Freiheitsstrafe durch die Flucht zu entziehen, wenn begründete Besorgnis besteht, daß er das versuchen werde, oder wenn seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme oder entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher oder für gefährliche Rückfallstäter angeordnet worden ist.

(3) - (5) [...]

Erbringung gemeinnütziger Leistungen

§3a. (1) Gemeinnützige Leistungen sind in der Freizeit bei einer geeigneten Einrichtung (§202 StPO) zu erbringen, mit der das Einvernehmen herzustellen ist. Vier Stunden gemeinnütziger Leistungen entsprechen einem Tag der Freiheitsstrafe. Nach vollständiger Erbringung gilt die Strafe als vollzogen. Der Vermittler erarbeitet gemeinsam mit dem Verurteilten den für die Erbringung der gemeinnützigen Leistung benötigten Zeitraum, wobei auf eine gleichzeitige Aus- und Fortbildung, eine Berufstätigkeit oder eine Verpflichtung aus einer Arbeitsvermittlung Bedacht zu nehmen ist, und unterstützt ihn bei den erforderlichen Eingaben bei Gericht. Der Zeitraum für die Erbringung der gemeinnützigen Leistungen darf nicht länger bemessen werden, als der Verurteilte bei wöchentlich zehn Arbeitsstunden benötigen würde. §202 Abs1 letzter Satz sowie Abs3 bis 5 StPO gilt sinngemäß. Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen bei Freiheitsstrafen, die neun Monate oder länger dauern, ist nicht zulässig.

(2) Teilt der Verurteilte innerhalb der Frist des §3 Abs2 dem Gericht mit, dass er sich bereit erkläre, gemeinnützige Leistungen zu erbringen und ist dies rechtlich zulässig, so wird diese Frist gehemmt. Danach muss der Verurteilte innerhalb eines Monats ein Einvernehmen mit einer geeigneten Einrichtung erreichen und dies dem Gericht mitteilen. Wird innerhalb dieser Frist kein Einvernehmen erzielt, so läuft die Frist des §3 Abs2 fort. Teilt der Verurteilte hingegen die erreichte Einigung rechtzeitig mit, so gilt der Strafvollzug mit dem Tag des Einlangens der Mitteilung bei Gericht bis zum Nachweis der Erbringung der gemeinnützigen Leistungen als aufgeschoben.

(3) Entspricht die Einigung nicht den gesetzlichen Voraussetzungen, so hat das Gericht dem Verurteilten mitzuteilen, welche Änderungen der Einigung erforderlich wären, und ihm aufzutragen, die geänderte Einigung binnen 14 Tagen vorzulegen, widrigenfalls die Strafe zu vollziehen ist.

(4) Der Aufschub ist zu widerrufen und die Freiheitsstrafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte die gemeinnützigen Leistungen nicht oder nicht vollständig erbringt; bereits erbrachte Leistungen sind entsprechend zu berücksichtigen. Weist der Verurteilte nach, dass er an der vollständigen Erbringung der gemeinnützigen Leistungen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse gehindert war, so hat das Gericht den Aufschub für die notwendige und angemessene Dauer zu verlängern.

(5) Für das Verfahren gilt §7."

3. Die Bestimmungen der §§3 Abs1 zweiter bis letzter Satz und 3a StVG wurden mit der Novelle BGBl. I 109/2007 in das StVG eingefügt und erfuhren durch BGBl. I 142/2009 insoweit eine Ergänzung, als die Zulässigkeit der Erbringung gemeinnütziger Leistungen anstelle der Verbüßung einer Freiheitsstrafe auf Freiheitsstrafen von unter neun Monaten beschränkt wurde.

§175 FinStrG steht seit der Fassung BGBl. I 138/2000 unverändert in Geltung, die Vorschrift wurde aus Anlass der Einfügung der hier maßgeblichen Bestimmungen des StVG keiner Modifizierung unterzogen.

4. Die Materialien zur Stammfassung dieser Bestimmung (RV 1130 BlgNR 13.GP, 84) lauten auszugsweise:

"Zu §175: Abs1 ordnet die sinngemäße Anwendung

derjenigen Bestimmungen des StVG an, die den Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit ein Jahr nicht übersteigt, betreffen. Es sind dies neben den allgemeinen Bestimmungen des ersten und des zweiten Teiles und des ersten Abschnittes des dritten Teiles der zweite Abschnitt des dritten Teiles (§§20 ff., Grundsätze des Strafvollzuges) und der dritte Abschnitt des dritten Teiles (§§131 ff., Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit ein Jahr übersteigt) mit den Modifikationen des vierten Abschnittes (§§153 ff., Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit ein Jahr nicht übersteigt). Der vierte Abschnitt schließt insbesondere die Anwendung der §§134 bis 147 aus. Den solcherart für den Vollzug von in verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren verhängten Freiheitsstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) geltenden Bestimmungen des StVG gehen aber immer die einschlägigen Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes vor; so wird z. B. §3 StVG über die Anordnung des Vollzuges durch den Abs2 des §175 FinStrG und werden die §§5 und 6 StVG über den Aufschub des Strafvollzuges durch die §§176 und 177 FinStrG verdrängt."

5. In den Materialien zu BGBl. I 109/2007 heißt es in Bezug auf die Neuregelung des §3a Abs1 StVG (RV 302 BlgNR 23. GP, 4):

"Mit Erlass vom 20. Februar 2006, BMJ-L311.007/0005-II 1/2006, wurde der Modellversuch 'Gemeinnützige Leistungen statt Ersatzfreiheitsstrafe' im Bereich der Landesgerichtssprengel Wien, Graz, Linz, Wels und Innsbruck - in Zusammenarbeit mit dem Verein NEUSTART - eingeführt. Nach erfolgter positiver Evaluierung dieses Modellversuchs wurde mit Erlass vom 9. August 2007 zu BMJ-L311.007/0006-II 1/2007 der Modellversuch auf das gesamte Bundesgebiet - mit Wirksamkeit 1. September 2007 - ausgeweitet. Der vorliegende Entwurf soll diesen Modellversuch auf eine gesetzliche Grundlage stellen, um so der Sozialschädlichkeit von kurzen Freiheitsstrafen begegnen zu können."

6. Zur Novelle BGBl. I 142/2009 wird ausgeführt (RV 487 BlgNR 24.GP, 6):

"Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2008 wurde die Möglichkeit geschaffen, den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen abzuwenden. Eine Beschränkung der maximal zulässigen Anzahl von zu erbringenden Stunden wurde nicht vorgesehen.

In jüngster Vergangenheit haben sich durch die

fehlende Begrenzung gerade durch die oft hohen Ersatzfreiheitsstrafen im Bereich der Finanzstrafverfahren immer wieder praktische Schwierigkeiten ergeben. Dies soll nun durch eine ausdrückliche Beschränkung behoben werden und die Erbringung gemeinnütziger Leistungen nicht zulässig sein, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe neun Monate oder länger ist."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet.

2. Die Beschwerdeführerin behauptet u.a. die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002 und 17.163/2004) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.2. Der in Art7 B-VG garantierte Gleichheitsgrundsatz erstreckt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch auf Unionsbürger mit nicht-österreichischer Staatsangehörigkeit (vgl. zB VfSlg. 19.077/2010 und 19.118/2010).

3. Die belangte Behörde nimmt an, dass eine Substitution des Vollzuges finanzstrafbehördlich ausgesprochener (Ersatz-)Freiheitsstrafen schon von Gesetzes wegen ausscheide: Da die eigenständige, auf den Vollzug finanzverwaltungsbehördlich verhängter (Ersatz-)Freiheitsstrafen anzuwendende Bestimmung des §175 Abs1 FinStrG eine den §§3 und 3a StVG vergleichbare Regelung nicht kenne , seien diese iVm dem Inhalt der Begriffsbestimmungen des §1 leg.cit. nur auf von Strafgerichten wegen gerichtlich strafbarer Handlungen Verurteilte, nicht aber auf wegen verwaltungsbehördlicher Finanzdelikte Bestrafte anwendbar; damit mangle der Finanzstrafbehörde erster Instanz die Kompetenz zur Entscheidung über den vorliegenden Antrag.

3.1. Damit hat die belangte Behörde der Vorschrift des §175 FinStrG aber einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt:

3.2. §175 Abs1 dritter Satz FinStrG ordnet für den Vollzug von (Ersatz-)Freiheitsstrafen die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des StVG über den Vollzug von Freiheitsstrafen (bis höchstens achtzehn Monaten) an, soweit dies zu Anlass und Ausmaß der Freiheitsstrafe nicht außer Verhältnis steht und das FinStrG keine speziellen Regelungen vorsieht.

Die hier maßgeblichen Vorschriften der §§3 und 3a

StVG über die Möglichkeit der Abwendung der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Tätigkeit finden sich nicht in der taxativen Aufzählung der Ausnahmebestimmungen in §175 Abs1 lita FinStrG. Allerdings enthält §175 Abs2 FinStrG eine im Sinne des §175 Abs1 dritter Satz leg.cit.

eigenständige (von §3 Abs1 und 2 StVG abweichende) Regelung für die Anordnung bzw. Einleitung des Vollzuges verwaltungsbehördlich verhängter (Ersatz-)Freiheitsstrafen (RV 1130 BlgNR 13. GP, 84 - siehe oben II.4.).

3.3. Es ist daher im gegebenen Zusammenhang zu

prüfen, ob die (seit der Fassung BGBl. I 138/2000 unverändert in Geltung stehende) Vorschrift des §175 Abs2 FinStrG - als lex specialis - den Bestimmungen der §§3 f. StVG uneingeschränkt (also auch in Bezug auf die erst später in den Rechtsbestand aufgenommene Regelung über die Möglichkeit der Abwendung von Freiheitsstrafen durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen) vorgeht oder nur insoweit, als Vorgänge um die Strafvollzugsanordnung bzw. den Strafantritt betroffen sind.

Unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten ist

davon auszugehen, dass §175 Abs2 nur insoweit besondere Bestimmungen zu §§3 und 3a StVG enthält, als der Strafantritt als solcher oder die Vorführung geregelt sind. Anderes trifft indes auf jene Teile der §§3 und 3a StVG zu, welche die Haftverschonung durch gemeinnützige Leistung regeln:

Die Annahme einer gänzlichen Verdrängung der §§3 und 3a StVG einschließlich der hier maßgeblichen Regelungen über die Möglichkeit der Abwendung der Strafverbüßung durch §175 Abs2 FinStrG würde nämlich zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch zwischen dem Vollzug von Freiheitsstrafen im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren einerseits und im gerichtlichen Finanzstrafverfahren andererseits führen.

3.4. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass zwischen gerichtlichem und verwaltungsbehördlichem Finanzstrafverfahren wesentliche Unterschiede bestehen, die - etwa aus Gründen der Verwaltungsökonomie - grundsätzlich verschiedenartige Regelungen einer Frage (auch auf dem Gebiet des Strafvollzuges) sachlich zu rechtfertigen vermögen (vgl. VfSlg. 8017/1977, 9956/1984).

3.4.1. Es ist jedoch kein sachlicher Grund

ersichtlich, der es rechtfertigen würde, §175 Abs2 FinStrG so zu verstehen, dass die von einem Strafgericht wegen einer Finanzstraftat zu einer - maximal neunmonatigen - (Ersatz-)Freiheitsstrafe Verurteilten in §§3 und 3a StVG eröffnete Option einer von der Finanzstrafbehörde mit einer - geringeren (höchstens dreimonatigen - §20 Abs2 FinStrG) - Ersatzfreiheitsstrafe belegten Person nicht zukommt.

3.4.2. Eine solche - von der belangten Behörde

vorgenommene - Auslegung würde eine dem Gesetzgeber nicht zusinnbare unsachliche Schlechterstellung eines im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren Bestraften gegenüber einem im gerichtlichen Finanzstrafverfahren Verurteilten bedeuten. Denn der Gesetzgeber stuft in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde fallende Finanzvergehen von vornherein - schon wegen der vergleichsweise geringeren Höhe des Hinterziehungsbetrages - als weniger schwerwiegend ein als der gerichtlichen Kompetenz unterfallende Finanzdelikte und sieht für erstere deshalb eine geringere Strafdrohung vor (vgl. VfSlg. 8017/1977, 14.973/1997, 15.772/2000, 16.184/2001).

3.5. Der Auffassung der belangten Behörde zuwider widerstreitet diese - verfassungsrechtlich gebotene - Interpretation auch nicht dem Wortlaut des §1 StVG. Dass sich die diesbezüglichen Begriffsdefinitionen - wie alle Bestimmungen des StVG - auf den Vollzug gerichtlich verhängter Freiheitsstrafen beziehen, hindert die sinngemäße Anwendung der §§3 Abs1 zweiter und dritter Satz sowie 3a StVG im finanzstrafbehördlichen Vollzugsverfahren in keiner Weise.

3.6. Schließlich spricht die Bedachtnahme auf die Intention des Gesetzgebers, mit der Schaffung des §3a StVG der Sozialschädlichkeit von kurzen Freiheitsstrafen begegnen zu können (RV 302 BlgNR 23.GP, 4), ebenfalls für die dargelegte - gleichheitskonforme - Auslegung, zumal gemäß §175 Abs1 erster Satz FinStrG verwaltungsbehördlich verhängte Ersatzfreiheitsstrafen gleich gerichtlichen in Justizanstalten zu vollziehen sind.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid war deshalb aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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