Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden unter Einschluss des als unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Teilzuspruchs des Berufungsgerichts dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt wie folgt lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.917,69 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen jährlich seit 1. 7. 2011 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 968,39 EUR bestimmten Verfahrenskosten (darin enthalten 145,23 EUR USt und 104,20 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 674,13 EUR (darin 90,69 EUR USt und 130 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 530,82 EUR (darin 56,14 EUR USt und 194 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der Beklagten vom 4. 4. 2008 bis zum 30. 6. 2011 beschäftigt, sie beendete das Arbeitsverhältnis durch Kündigung. Auf das Arbeitsverhältnis der Streitteile war der Kollektivvertrag der Angestellten bei Wirtschaftstreuhändern (in weiterer Folge: KV) anzuwenden. Unstrittig betrug der offene Gehaltsanspruch der Klägerin im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1.917,69 EUR brutto. Die Beklagte begehrte jedoch von der Klägerin mit Schreiben vom 27. 6. 2011 an aliquoten Ausbildungskosten für Fortbildungsveranstaltungen, die die Klägerin im Zeitraum 5. 5. 2008 bis 21. 4. 2010 besucht hatte, einen Betrag von 2.593,76 EUR brutto. Sie nahm für die Berechnung der Fortbildungskosten, die sie von der Klägerin zurückerstattet haben wollte, eine monatlich aliquote Verrechnung über einen Zeitraum von fünf Jahren (60 Monaten) vor und führte mit dem noch offenen Lohn der Klägerin eine Gegenverrechnung durch.
Art XXI KV lautet auszugsweise:
„XXI. Beendigung des Dienstverhältnisses (Sonderbestimmungen)
1. Allgemein:
Im Falle ihres Ausscheidens durch Selbstkündigung, einvernehmliche Lösung, vorzeitigen unberechtigten Austritt oder gerechtfertigte Entlassung (§ 27 AngG) haben Dienstnehmer die vom Dienstgeber zur Aus‑ oder Fortbildung aufgewendeten Kosten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen rückzuerstatten:
a) Die Kosten sind zwischen Dienstgeber und Angestellten im Vorhinein schriftlich festzulegen. Dabei ist auch Übereinstimmung über den Veranstalter zu erzielen.
b) Die Aus‑ bzw Fortbildung muss vom Angestellten freiwillig erfolgen.
c) Die vermittelten Kenntnisse dürfen nicht nur betriebsbezogen Verwendung finden können.
d) Die Rückverrechnung kann für höchstens 5 Jahre erfolgen und mindert sich pro Jahr um mindestens 20 %.
[...]“
Der Dienstvertrag der Klägerin vom 3. 4. 2008 lautet auszugsweise:
„14. Aus‑ & Fortbildungsaufwand: Es wird ausdrücklich vereinbart, dass die vom Dienstgeber getragenen Aus‑ & Fortbildungskosten gem Art XXII des Kollektivvertrags vom Dienstnehmer zu refundieren sind.“
Die Klägerin besuchte mehrere Seminare, durch die sie unstrittig eine beruflich in jeder Steuerberatungskanzlei verwertbare bessere Qualifikation erwarb. Für den Besuch jeder einzelnen Fortbildungsveranstaltung schlossen die Parteien jeweils eine von der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten unterfertigte Fortbildungsvereinbarung. In allen Vereinbarungen sind die Kosten der jeweiligen Veranstaltung beziffert und findet sich folgende Klausel:
„Der Besuch und die Teilnahme der oben angeführten Bildungsveranstaltung wurde einvernehmlich vereinbart. Der Mitarbeiter verpflichtet sich zum regelmäßigen Besuch der Veranstaltung. Die Verpflichtung des Dienstnehmers zur Rückzahlung der Kosten zuzüglich USt wird hiermit nochmals ausdrücklich vereinbart.“
Die Klägerin schloss alle Kurse positiv ab und erhielt die ihr dafür entstandenen Kosten von der Beklagten refundiert.
Eine ausdrückliche Vereinbarung zur Rückverrechnung über fünf Jahre liegt zwischen den Streitteilen nicht vor.
Die Klägerin begehrt die Zahlung ihres noch offenen Gehaltsanspruchs.
Die Beklagte bestritt diesen nicht, wandte jedoch ein, dass er infolge der Aufrechnung mit ihrer Forderung auf Ausbildungskostenrückersatz bereits bezahlt worden sei.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung, aber auch die Gegenforderung bis zur Höhe der Klageforderung zu Recht bestehen, und wies das Klagebegehren ab. Die Voraussetzungen des § 2d AVRAG für den Rückersatz von Ausbildungskosten lägen vor, eine pauschale Vorwegnahme des Rückersatzes von Ausbildungskosten sei zulässig. Die Parteien hätten eine schriftliche Vereinbarung über den Rückersatz getroffen. Im Dienstvertrag werde auf den Kollektivvertrag verwiesen, in jeder Vereinbarung über den Besuch einer Fortbildungsveranstaltung werde die Verpflichtung zur Rückzahlung angeführt. Der Klägerin habe klar sein müssen, dass im Fall ihrer Kündigung nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von bloß drei Jahren und zwei Monaten eine aliquote Rückforderung der Kosten der Fortbildung schlagend werde.
Das Berufungsgericht verwarf zunächst die von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobene Berufung wegen Nichtigkeit. Es gab ihr im Übrigen teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es der Klägerin den „sich aus dem Nettobetrag von 780,83 EUR ergebenden Bruttobetrag“ samt Zinsen zusprach, hingegen das Mehrbegehren auf den „Bruttobetrag von 1.917,69 EUR“ samt Zinsen abwies. Rückersatzklauseln, die entgegen § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG keine Aliquotierung der Rückersatzverpflichtung vorsähen, seien gemäß § 879 ABGB unwirksam. Sei aber dem Arbeitnehmer klar, für welche Ausbildungskosten er im Fall einer die Rückforderung auslösenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufkommen müsse, könne sich die ausreichend bestimmte Rückersatzverpflichtung auch aus einer Kombination zwischen Rahmenvereinbarung und späterer schriftlicher Konkretisierung ergeben. Diese Voraussetzungen seien hier verwirklicht, weil der Dienstvertrag der Klägerin auf den Kollektivvertrag verweise, der eine Aliquotierungsregelung enthalte. Aus dem Arbeitsvertrag sei im Zusammenhang mit den für die einzelnen Fortbildungsveranstaltungen getroffenen Vereinbarungen klar, für welche Ausbildungskosten die Klägerin im Fall ihrer Kündigung aufzukommen habe. Die Beklagte habe ohnedies monatlich aliquotiert. Soweit eine jährliche Aliquotierung für die Klägerin günstiger sei, sei darauf Bedacht zu nehmen, sodass ein Anspruch der Beklagten auf Rückforderung von Ausbildungskosten nur in Höhe von 2.158,80 EUR bestehe. Allerdings sei auch bei der Rückforderung von Ausbildungskosten das Aufrechnungsverbot des § 293 Abs 3 Fall 2 EO zu beachten. Die Beklagte habe keine gerichtliche Aufrechnungseinrede geltend gemacht, sondern eine außergerichtliche Aufrechnung erklärt, die jedoch bis zum Betrag von 780,83 EUR als Existenzminimum wirkungslos gewesen sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurück‑, hilfsweise die Abweisung der Revision.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, sie ist auch berechtigt.
1. Unstrittig ist im konkreten Fall die mit dem BGBl I 2006/36 geschaffene Bestimmung des § 2d AVRAG anzuwenden, ein Fall der Weitergeltung kollektivvertraglicher Normen iSd § 19 Abs 18 AVRAG (vgl dazu 9 ObA 20/11y) wurde nicht behauptet und liegt auch nicht vor (vgl Art XXII Z 2 KV in der am 1. 10. 2007 in Kraft getretenen Fassung). Ebenso wenig strittig ist im Revisionsverfahren, dass die der Beklagten für die Ausbildung der Klägerin erwachsenen Kosten grundsätzlich rückersatzfähige Ausbildungskosten im Sinn des § 2d Abs 1 AVRAG sind. § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG normiert, dass die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung aliquot bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer zu vereinbaren ist, widrigenfalls eine Verpflichtung zum Rückersatz nicht besteht. Rückersatzklauseln, die überhaupt keine Aliquotierung vorsehen, sind nach der Rechtsprechung als zur Gänze unwirksam einzustufen, um die Vereinbarung solcher besonders mobilitätshemmender Klauseln möglichst zu verhindern (9 ObA 126/08g; RIS‑Justiz RS0124682).
2. Unstrittig enthalten die für jede einzelne Fortbildungsveranstaltung getroffenen Vereinbarungen der Parteien über die Pflicht zur Rückzahlung von Kosten, keine Aliquotierung. Eine solche findet sich entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auch nicht in der vorweg im Dienstvertrag getroffenen Vereinbarung. Denn danach sind die von der Beklagten getragenen Aus‑ und Fortbildungskosten lediglich gemäß Art XXII KV (gemeint unzweifelhaft: Art XXI KV) von der Klägerin zu refundieren. Art XXI KV fordert jedoch seinerseits den Abschluss einer Rückersatzvereinbarung und legt dafür lediglich die Rahmenbedingungen fest.
2.1 Die Vorgängerbestimmung des Art XXI KV, Art XXII KV idF des Rahmens vom 1. 1. 2000, lautete wie folgt:
„ XXII. Beendigung des Dienstverhältnisses (Sonderbestimmungen)
Im Falle ihres Ausscheidens durch Selbstkündigung, einvernehmliche Lösung, vorzeitigen unberechtigten Austritt oder Entlassung (§ 27 AngG) haben Dienstnehmer die vom Dienstgeber zur Aus‑ oder Fortbildung aufgewendeten Kosten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zurückzuerstatten. Zwischen dem Dienstgeber und dem Dienstnehmer sind die jeweiligen Kosten konkreter Aus‑ und Fortbildungsmaßnahmen bzw ‑veranstaltungen im Vorhinein festzulegen. Diese Vereinbarung sollte tunlichst schriftlich erfolgen.
Die Verpflichtung zur Rückerstattung mindert sich pro vollendetem halben Jahr Tätigkeit beim Dienstgeber, welches seit dem Abschluss der jeweiligen Fort- und Ausbildung vergangen ist, um 10 % der ursprünglichen Kosten, erlischt aber jedenfalls nach 5 Jahren zur Gänze.“
Diese noch vor dem § 2d AVRAG geschaffene Regelung ist in der Struktur der geltenden Bestimmung des Art XXI KV vergleichbar. Der Oberste Gerichtshof sprach zu dieser Bestimmung aus, dass sie in „unmissverständlicher Weise“ die Möglichkeit des Arbeitgebers, Ausbildungskosten zurückzufordern, von einer konkreten Vereinbarung abhängig mache. Es reiche auch nicht aus, dass im Arbeitsvertrag eine Maximalgrenze des möglichen Rückersatzes festgelegt worden sei (9 ObA 278/01z).
2.2 Daran ist auch für Art XXI KV in der geltenden Fassung festzuhalten. Dass diese Bestimmung ausdrücklich auf eine zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags noch abzuschließende Vereinbarung hinweist, ergibt sich schon aus Art XXI Z 1 lit a KV, wonach die Kosten einer Aus‑ oder Fortbildung im Vorhinein zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber schriftlich festzulegen sind und auch Übereinstimmung über den Veranstalter zu erzielen ist. Art XXI Z 1 lit d KV gibt ‑ ebenso wie der frühere Art XXII Abs 2 KV ‑ lediglich einen Rahmen für diese noch abzuschließende Vereinbarung der Parteien des Arbeitsvertrags vor, indem er festlegt, dass eine Rückverrechnung für höchstens fünf Jahre erfolgen kann, die sich in diesem Fall um mindestens 20 % pro Jahr vermindert. Diese Bestimmung ermöglicht den Parteien des Arbeitsvertrags im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben selbstverständlich, einen kürzeren Bindungszeitraum oder eine höhere Minderung des Rückersatzanspruchs zu vereinbaren.
2.3 Das Argument der Beklagten, eine von den kollektivvertraglichen Grenzen abweichende Vereinbarung könne nur günstiger für die Klägerin sein, sodass die Vereinbarung eines Aliquotierungszeitraums von maximal fünf Jahren ausreichend Rechtssicherheit für den Arbeitnehmer schaffen würde, trifft nicht zu. Der erkennende Senat hat in der Entscheidung 9 ObA 126/08g ausgesprochen, dass die gesetzliche Anordnung des § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG nicht bloß einen gesetzlichen Mindeststandard absichern soll. Es geht vielmehr darum, dass die vertragliche Vereinbarung eine formelle Qualität aufweisen muss, ohne die keine Verpflichtung besteht.
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so zeigt sich aus der Entscheidung des Berufungsgerichts, dass der bloße Verweis im Arbeitsvertrag auf die Regeln des Kollektivvertrags nicht die vom Gesetz verlangte Rechtssicherheit für die Klägerin als Arbeitnehmerin schafft, weil der Kollektivvertrag selbst keine exakten Kriterien für eine Rückersatzvereinbarung normiert, sondern lediglich einen Rahmen für zu treffende Einzelvereinbarungen festlegt, durch den der gesetzliche Mindeststandard gewahrt werden soll. Die mangelnde Rechtssicherheit der Rückersatzvereinbarung zeigt sich im konkreten Fall auch insofern aus der Entscheidung des Berufungsgerichts, als dieses dort korrigierend in die Berechnung der Beklagten eingegriffen hat, wo die vom Kollektivvertrag vorgesehene jährliche Aliquotierung um mindestens 20 % für die Klägerin günstiger wäre als die von der Beklagten vorgenommene monatliche Aliquotierung, mag die entstehende Differenz hier auch nur sehr geringfügig sein. Ungeachtet des Umstands, dass der Klägerin die jeweiligen Kosten der Ausbildungsveranstaltungen bekannt gegeben wurden, fehlt es daher im konkreten Fall an einer formell wirksamen Rückersatzvereinbarung, weshalb auch keine Verpflichtung zur Rückerstattung von Aus‑ und Fortbildungskosten im konkreten Fall besteht (RIS‑Justiz RS0124682; Reissner in ZellKomm § 2d AVRAG Rz 27; Binder, AVRAG² § 2d Rz 43).
3. Die von der Klägerin geltend gemachte restliche Gehaltsforderung ist im gesamten Verfahren nicht strittig gewesen. Da demgegenüber die von der Beklagten behauptete Forderung auf Rückersatz von Aus‑ und Fortbildungskosten aus den dargelegten Gründen hier nicht bestand, konnte sie mit dieser Forderung auch nicht wirksam gegen die Forderung der Klägerin aufrechnen (§ 1439 ABGB). Der Revision war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen im Sinn einer gänzlichen Stattgebung der Klage abzuändern.
4. Die Kostenentscheidung für das Verfahren erster Instanz beruht auf § 41 ZPO. Der vom Beklagten fristgerecht erhobenen Einwendung gegen die Honorierung des Schriftsatzes der Klägerin vom 3. 2. 2012 kommt teilweise Berechtigung zu. Es trifft zu, dass der als „vorbereitend“ bezeichnete Schriftsatz entgegen § 257 Abs 3 ZPO erst sechs Tage vor der Verhandlung beim Erstgericht einlangte und darüber hinaus lediglich einen Inhalt enthält, der ohne Schwierigkeiten auch in der Verhandlung vorgetragen hätte werden können (10 ObS 1/08g; Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 674 mwH), sodass er nicht gemäß TP 3A RATG zu honorieren ist. Da die Klägerin jedoch mit diesem Schriftsatz auch die vom Erstgericht aufgetragene Urkundenvorlage vornahm, war er gemäß TP 1 RATG zu honorieren.
Die Kostenentscheidung betreffend das Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Da der in Rechtskraft erwachsene Zuspruch des Urteils des Berufungsgerichts nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, waren der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens ausgehend vom unzweifelhaften Entscheidungswillen des Berufungsgerichts auf Basis einer Bemessungsgrundlage in Höhe der rechnerischen Differenz von 1.917,69 EUR brutto abzüglich 780,83 EUR netto, das sind 1.136,86 EUR zuzuerkennen (8 ObA 113/02d; Obermaier aaO Rz 429).
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