OGH 9ObA83/08h

OGH9ObA83/08h4.8.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingeborg Bauer-Manhart und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei V***** B***** W***** Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Prof. Dr. Herbert Schachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Felicitas M*****, 2. Elisabeth S*****-M*****, 3. Tina S*****-H*****, 4. Helena Maria W*****, alle vertreten durch Dr. Bertram Dietrich, Mag. Thomas Majoros und Mag. Claus Marchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2008, GZ 9 Ra 131/07m-14, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 22. Jänner 2007, GZ 22 Cga 163/06k-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin betreibt das Theater ***** W*****, das R***** und das E***** R*****. Sowohl am Theater ***** W***** als auch am R***** haben sich in der Vergangenheit jeweils Betriebsräte für das darstellende und für das technische Personal konstituiert. Darüber hinaus bestand in den letzten 15 oder 20 Jahren ein Betriebsrat für das in allen drei Spielstätten der Klägerin eingesetzte Orchester.

Bei der am 29. März 2004 abgehaltenen Wahl zum Betriebsrat des darstellenden Personals am Theater ***** W***** wurden die Erstbeklagte zur Vorsitzenden, die Drittbeklagte zur stellvertretenden Vorsitzenden und die Zweit- sowie Viertbeklagte zu Mitgliedern des Betriebsrats gewählt. Alle vier Beklagten sind Musicaldarstellerinnen.

In den Jahren 2002/2003 entschloss sich die Klägerin, das Theater ***** W***** in Zukunft, nämlich ab dem 1. Jänner 2006, nur mehr als Opernbühne zu verwenden. Schon ab 1. Jänner 2004 wurden zur Umsetzung dieser Pläne zwei dem Geschäftsführer der Klägerin unterstellte Intendanten eingesetzt, von denen einer nur für das Theater ***** W***** und einer für die beiden anderen Spielstätten zuständig ist. Beide Intendanten sind im Rahmen des vorgegebenen Budgets frei entscheidungsbefugt und künstlerisch eigenständig.

Seit 1. Jänner 2006 wird das Theater ***** W***** als „Stagione-Opernhaus“ geführt. Es werden nur zugekaufte Opernproduktionen über einen kurzen vorgegebenen Zeitraum aufgeführt. Das ständige Orchester der Klägerin wird nun nicht mehr am Theater ***** W***** eingesetzt, sondern durch Gastorchester ersetzt. Während das darstellende Personal früher üblicherweise befristet auf höchstens ein Jahr engagiert war, werden die Verträge der Künstler nach der Umstellung grundsätzlich nur mehr auf die Dauer von maximal zwei Monaten abgeschlossen, weil von jeder Produktion nur eine geringe, von vornherein begrenzte Anzahl von Aufführungen vorgesehen ist. Für eine solche Produktion werden zwischen einem und zehn Solisten befristet eingestellt. Ständig beschäftigt sind in diesem Bereich derzeit nur zwei Inspizienten und zwei künstlerische Produktionsleiter. Die laufenden Dienstverträge der Musicaldarsteller wurden ab dem Beginn des Opernbetriebs nicht mehr verlängert.

Die kaufmännische und administrative Leitung liegt nach wie vor für alle drei Spielstätten beim Geschäftsführer der Klägerin, auch die Buchhaltung, die Verwaltung, das Rechtsbüro, die Lohnverrechnung und die Kassa werden für alle Häuser gemeinsam geführt.

Im technischen Bereich des Theaters ***** W***** wurden nach der Umstellung auf den Opernbetrieb „einige Leute“ des zuvor 150 bis 180 Mitarbeiter umfassenden Personalstands eingespart. Zur Anpassung an den Opernbetrieb fanden auch bauliche Änderungen statt, etwa wurde die Fassade neu gestaltet, ein Stockwerk umgewidmet und es wurden in der nicht mehr benötigten Tonloge Sitzreihen angebracht. Eine Wiederaufnahme von Musicalaufführungen im Theater ***** W***** ist in nächster Zukunft nicht zu erwarten.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Funktion der Beklagten als Betriebsräte für das darstellende Personal des Theaters ***** W***** mit Ablauf des 30. April 2006 gemäß § 62 Z 1 ArbVG geendet habe und ihre Tätigkeitsperiode darüber hinaus nicht weiter bestehe. Die mit 1. Jänner 2006 eingetretenen Änderungen hinsichtlich des Betriebszwecks, der künstlerischen Leitung, der Belegschaft und der Betriebsmittel seien so tiefgreifend gewesen, dass rechtlich eine Betriebseinstellung vorliege.

Die Beklagten bestritten das Vorliegen der Voraussetzungen für eine vorzeitige Beendigung des Betriebsratsmandats im Sinne des § 62 ArbVG und wandten ein, genau genommen sei nur eine Änderung des Spielplans vorgenommen worden.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für einen eigenen Betrieb im Theater ***** W***** ab 1. Jänner 2006 nicht mehr erfüllt seien. Es würden nicht mehr dauernd fünf stimmberechtigte Mitarbeiter beschäftigt. Der maßgebliche Teil der Belegschaft sei ausgetauscht worden, hinzu kämen eine nun eigenständige künstlerische Leitungsfunktion und -wenngleich geringfügige - Änderungen der Betriebsmittel.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, änderte die erstinstanzliche Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Der Begriff „dauernd“ in § 40 Abs 1 ArbVG sei nicht auf die einzelnen Arbeitnehmer, sondern auf deren Gesamtzahl bezogen, die genauso durch ständig wechselnde Personen wie durch Stammarbeitnehmer erreicht werden könne. Das Absinken der Anzahl der Arbeitnehmer wirke sich außerdem nicht auf die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats aus. Die festgestellten Änderungen im Bereich der Organisation, der Betriebsmittel und des Spielplans seien keiner Betriebseinstellung gleichzuhalten. Auch früher habe es am Theater ***** W***** bereits saisonale Opernaufführungen gegeben, es sei daher nur ein Genre zu Lasten eines anderen ausgeweitet worden. Musical und Oper seien lediglich unterschiedliche Kunstgattungen des Musiktheaters im Allgemeinen, sodass von einer wesentlichen Änderung des Betriebszwecks nicht gesprochen werden könne. Das technische Personal sei bis auf geringfügige Einsparungen überhaupt gleich geblieben. Die Verkürzung der durchschnittlichen Engagementdauer des künstlerischen Personals von höchstens einem Jahr auf nunmehr maximal zwei Monate sei für die Situation der Belegschaft insgesamt nicht wesentlich, habe es doch schon bisher eine ständige Fluktuation gegeben. Auch die Beschäftigung von Gastorchestern an Stelle des (schon bisher nicht allein für das Theater ***** W***** zuständigen) Hausorchesters oder die bauliche Umgestaltung seien für die Betriebsidentität nicht maßgeblich.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern.

Die Revisionswerberin erblickt ein Abweichen des Berufungsgerichts von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Änderung der Betriebsidentität. Es habe außer Acht gelassen, dass sich mehrere Elemente des Betriebs Theater ***** W***** gleichzeitig geändert haben. In solchen Fällen sei nach der Judikatur (RIS-Justiz RS0051751) aber meistens das Entstehen eines neuen Betriebs anzunehmen.

Die Bedeutung der Frage, ob bei der Umstellung eines Musicaltheaters auf eine Opernbühne die Betriebsidentität erhalten bleibe, sei über den Einzelfall hinaus von wesentlicher Bedeutung und bisher noch nicht Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung gewesen. Es sei dabei auch zu bedenken, dass die Beibehaltung des bisherigen Betriebsrats dazu führen würde, dass Musicaldarsteller dann die Belange von Opernsängern vertreten müssten, obwohl sie von dieser Musikgattung nicht dasselbe verstehen könnten. Den Opernsängern würde verwehrt, eine „Vertretung aus ihren eigenen Reihen“ zu haben.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei ab dem Jahr 2006 nur zu einer Ausweitung der Anzahl von Opernaufführungen am Theater ***** W***** gekommen, gehe nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen aus, wonach die Opernaufführungen bis 2005 nur im Rahmen einer Vermietung des Hauses an andere Veranstalter stattgefunden haben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Klägerin mit ihren Ausführungen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

Die Frage, welche äußeren Bedingungen vorliegen müssen, um nicht nur eine Änderung, sondern die dauernde Einstellung eines Betriebs im Sinne des § 62 Z 1 ArbVG annehmen zu können, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und ist daher grundsätzlich nicht revisibel (Tomandl in Tomandl, ArbVG § 34 Rz 24; RIS-Justiz RS0051131; RS0116755). Von einer ausnahmsweise das korrigierende Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erfordernden erheblichen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein.

Eine zur Beendigung des Betriebsratsmandats führende Einstellung des Betriebs im Sinne des § 62 Z 1 ArbVG bedeutet, dass der Betrieb als solcher untergegangen ist, weil jede Tätigkeit im Rahmen der bisherigen Organisationseinheit beendet wurde (RIS-Justiz RS0106047 [T5]). Maßnahmen, die die Betriebsstilllegung indizieren, sind etwa die Auflösung der Arbeitsverhältnisse, die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung, die Veräußerung der sachlichen Betriebsmittel, der Abverkauf der Produkte und der Rohstoffe sowie der Abbruch der Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, also die Liquidierung der Betriebsmittel (RdW 1987, 61 = SZ 59/97; 9 ObA 316/00m, Arb 12.081 = DRdA 2002/2, 36 [B. Schwarz]; RIS-Justiz RS0106047). Kann trotz Änderung von Elementen des Betriebs nach allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen angenommen werden, dass der alte Betrieb in seinem wesentlichen Kern fortbesteht, kann von einer Einstellung nicht gesprochen werden (SZ 53/171 = Arb 9927 = ZAS 1982, 144 [Thaller]; Dittrich/Tades, Arbeitsrecht § 62 ArbVG E5c; 9 ObA 88/07t).

Bei dieser Bewertung ist von den Hauptelementen eines Betriebs auszugehen, also Betriebsinhaber, Beschäftigte, Betriebsmittel, Betriebszweck, Betriebsorganisation und Standort. Eine Veränderung eines oder nur einzelner dieser Elemente beseitigt die Betriebsidentität grundsätzlich nicht (Tomandl in Tomandl, ArbVG § 34 Rz 24; Kallab in ZellKomm, § 62 ArbVG Rz 12; Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller ArbVGII³, 244 f).

Fest steht im vorliegenden Fall, dass derselbe Betriebsinhaber, nämlich die Klägerin, mit der überwiegenden Anzahl des ständig beschäftigten technischen Personals sowie mit immer schon stark fluktuierendem, nur kurzfristig engagiertem künstlerischem Personal am unveränderten Standort, in derselben historischen Spielstätte mit den dort vorhanden Betriebsmitteln Musiktheater aufführt.

Geändert hat sich die Ausrichtung des Spielplans, damit einhergehend kam es aufgrund neuer Qualifikationsanforderungen an darstellendes Personal und Orchester zu einem verstärkten Wechsel von Mitarbeitern, zu Anpassungen der Bausubstanz und - in organisatorischer Hinsicht - zur Aufgabe eigener Produktionen zugunsten von Co- und zugekauften Produktionen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, aus diesen Änderungen könne insgesamt noch nicht der völlige Untergang des bisherigen Betriebs abgeleitet werden, bewegt sich durchaus im Rahmen des von der Rechtsprechung und Lehre gezogenen Beurteilungsspielraums.

Geradezu unverständlich sind die Revisionsausführungen über eine mangelnde Qualifikation von Musicaldarstellern, als Betriebsräte die Belange von Operndarstellern zu vertreten. Die Klägerin vermag nicht darzulegen, inwiefern die gesetzlich definierten betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte des Betriebsrats branchen- oder berufsabhängig wären. In arbeitsteilig organisierten Unternehmen wird es zudem praktisch kaum möglich sein, dass die gewählten Betriebsratsmitglieder mit ihrer Ausbildung und Erfahrung fachlich sämtliche der in der Belegschaft vorkommenden Berufs- und Tätigkeitsfelder abdecken.

Die von der Revisionswerberin zur Untermauerung ihres Vorbringens herangezogene (fast ausschließlich deutsche und zum Betriebsübergangsrecht ergangene) Judikatur ist weder für den vorliegenden Sachverhalt einschlägig, noch inhaltlich geeignet, ein unvertretbares Abweichen des Berufungsgerichts von der ständigen Rechtsprechung aufzuzeigen, wie es für eine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO erforderlich wäre.

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