OGH 9ObA76/22z

OGH9ObA76/22z14.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid‑Wilches (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. G* F*, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2022, GZ 7 Ra 77/21d‑80, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00076.22Z.0714.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Gemäß § 506 Abs 1 Z 5 ZPO sind in einer außerordentlichen Revision die Gründe anzugeben, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die Revision für zulässig erachtet wird. Eine Zulassungsbeschwerde ist dann nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn der Revisionswerber nicht einmal die seiner Ansicht nach erhebliche Rechtsfrage bezeichnet oder nur behauptet, das Berufungsgericht habe die Rechtsfrage unrichtig gelöst (RS0043654). In diesem Fall ist aber kein Verbesserungsverfahren einzuleiten (RS0043644 [T5]), sondern es ist die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf der Grundlage der übrigen Rechtsmittelausführungen zu prüfen (RS0043644 [T2]). Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[2] 2. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963).

[3] 3.1. Nach § 105 Abs 4 zweiter Satz ArbVG kann der Betriebsrat auf Verlangen des gekündigten Arbeitnehmers binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Gericht anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat. Nach § 105 Abs 4 dritter Satz ArbVG kann der Arbeitnehmer, wenn der Betriebsrat diesem Verlangen nicht nachkommt, innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der für den Betriebsrat geltenden Frist die Kündigung selbst beim Gericht anfechten.

[4] 3.2. Damit steht das Recht zur Anfechtung im Fall eines Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung primär dem Betriebsrat zu, während das Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers voraussetzt, dass er den Betriebsrat erfolglos aufgefordert hat, die Anfechtung vorzunehmen (8 ObA 48/19w; 8 ObA 29/22f [Rz 6]). An das „Verlangen“ des Arbeitnehmers an den Betriebsrat, die Kündigung anzufechten, sind keine besonderen formellen Ansprüche zu stellen (RS0102517 [T1]). Wesentlich ist, dass aus den Erklärungen des Arbeitnehmers insgesamt hervorgeht, dass er möchte, dass seine Kündigung durch Ausübung des Anfechtungsrechts nach § 105 ArbVG wieder aufgehoben wird (8 ObA 48/19w; 8 ObA 29/22f [Rz 6]).

[5] 3.3. Die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vorinstanzen, ein derartiges Verlangen des Klägers könne aus den (im konkreten Einzelfall) festgestellten Umständen nicht abgleitet werden, ist nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen verständigte die Beklagte am 27. 4. 2020 den Betriebsrat von der beabsichtigten Kündigung des Klägers. Am 4. 5. 2020 teilte der Betriebsratsvorsitzende der Beklagten mit, dass der beabsichtigten Kündigung nicht zugestimmt werde. Am 8. 5. 2020 nahm der Betriebsratsvorsitzende nach Rücksprache mit dem Kläger Einsicht in dessen Personalakt und übergab ihm 150 Seiten Kopien. Am 14. 5. 2020 wurde der Betriebsrat über die Kündigung des Klägers informiert. Der Betriebsrat hielt eine interne Besprechung ab, nahm mit dem Juristen der GÖD Kontakt auf und besprach den Handlungsbedarf. Der Betriebsrat wurde dahin beraten, dass der Kläger die primären Schritte einleiten werde. Der Kläger richtete in der Folge kein Verlangen an den Betriebsrat, eine Anfechtungsklage zu erheben.

[6] 3.4. Eine Anfechtung der Kündigung durch den Kläger ist daher nicht möglich. Aus welchen Gründen die Kündigung erfolgte, ist daher hier nicht entscheidend. Auf die Frage, ob die Beklagte dem Kläger vor der Kündigung eine Nachfrist setzen hätte müssen, kommt es ebenfalls nicht an. Fragen im Zusammenhang mit der vom Berufungsgericht (subsidiär) verneinten Sozialwidrigkeit der Kündigung sind nicht weiter zu erörtern.

[7] 4. Auf das zwischen den Parteien bestandene Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten (kurz: KollV) anzuwenden. Nach dessen § 22 Abs 1 erster Satz dürfen ArbeitnehmerInnen, die seit 20 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, oder die das 45. Lebensjahr vollendet haben und seit 15 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, oder die das 50. Lebensjahr vollendet haben und seit 10 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, nur mit Angabe eines Grundes gekündigt werden. Die Vorinstanzen hielten keine der beiden Voraussetzungen beim Kläger erfüllt. Erstere nicht, weil der Kläger zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht 20 Jahre bei der Beklagten ununterbrochen (§ 76 Abs 7 KollV) beschäftigt war und letztere nicht, weil der Kläger zum Ausspruch der Kündigung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Voraussetzung des 50. Lebensjahres müsse zum Kündigungszeitpunkt vorgelegen sein und nicht erst zum Zeitpunkt des Endes des Dienstverhältnisses, folgt dem Wortlaut der Bestimmung („nur mit Angabe eines Grundes gekündigt werden“) und entspricht auch der Lehre (Pfeil, Personalrecht der Universitäten § 22 KollV Rz 6). Soweit der Kläger meint, das Berufungsgericht sei mit dieser Beurteilung von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, ist die außerordentliche Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht darlegt, von welchen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs abgewichen worden sein soll (RS0043650 [T1]; RS0043654 [T5]).

[8] Da der Kläger weder ausdrücklich noch in seinen Revisionsausführungen eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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