OGH 9ObA72/22m

OGH9ObA72/22m28.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * F*, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch HSP Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen zuletzt 3.450,75 EUR brutto abzüglich 509,23 EUR netto, (Revisionsinteresse: 2.026,50 EUR brutto sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2022, GZ 8 Ra 90/21w‑22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00072.22M.0928.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Soweit revisionsgegenständlich, legte die Klägerin der Berechnung ihrer Entgeltansprüche für die Monate März, April und Mai 2020 (Corona-Kurzarbeit) ein Durchschnittsmonatsengelt von 3.749,86 EUR brutto, bestehend aus dem Grundlohn und dem Durchschnitt ihrer Provisionen für die Monate Dezember 2019, Jänner 2020 und Februar 2020 zugrunde. Das Berufungsgericht erachtete diesen Teil ihres Klagebegehrens als verfallen. In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[2] 1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass Verfallsklauseln nur dann sittenwidrig sind, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren oder zum Nachteil des Dienstnehmers gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen über die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen verstoßen (s RS0034533, RS0016688). Eine Regelung im Dienstvertrag, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag und solche, die damit in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind, ist weder sitten‑ noch gesetzwidrig (RS0016688 [T30], 9 ObA 134/13s). An der Zulässigkeit vertraglicher Verfallsfristen im Arbeitsrecht hat der Oberste Gerichtshof unter Auseinandersetzung auch mit den teilweise kritischen Stimmen der Literatur (zB Ernst Eypeltauer, Verfall und Verjährung im Arbeitsrecht, DRdA 2013, 377 ff, dem die Revision folgt) ausdrücklich festgehalten (9 ObA 1/14h, 8 ObS 9/17g). Darüber hinausgehende rechtliche Gesichtspunkte bringt die Klägerin nicht vor.

[3] Ausführungen, weshalb im konkreten Fall die Verfallsklausel die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren oder zum Nachteil des Dienstnehmers gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen über die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen verstoßen sollte, enthält die Revision nicht. Schon deshalb kann auch nicht von einer gröblichen Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB ausgegangen werden.

[4] 2. Es kann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn sich der Dienstgeber auf den vereinbarten Verfall beruft, obwohl er es beharrlich unterlassen hat, eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung auszufolgen (RS0034487). Die Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Lohnabrechnung bzw der Ausfolgung einer solchen nimmt dem Arbeitgeber aber nicht ohne weiteres und immer das Recht, den Verfall von Ansprüchen einzuwenden. Auch hier gilt, dass der Arbeitgeber die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs vielmehr erschweren oder praktisch unmöglich machen muss (RS0034487 [T11], RS0051974 [T6]).

[5] Dass die Klägerin erst im August 2020 eine endgültige Lohnabrechnung erhalten haben mag, ändert nichts daran, dass bereits davor die revisionsgegenständlichen Provisionsansprüche nach Maßgabe des Ausfallsprinzips, auf das sich auch die Klägerin gestützt hat, beurteilt werden konnten und deren Auszahlung unschwer überprüfbar war. Der Verfallseinwand der Beklagten musste vom Berufungsgericht danach nicht als rechtsmissbräuchlich erachtet werden.

[6] 3. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

[7] Ein Kostenersatz für die Revisionsbeantwortung der Beklagten findet nicht statt. Da der Oberste Gerichtshof der Beklagten die Beantwortung der außerordentlichen Revision der Klägerin nicht freigestellt hat, war die dennoch erstattete Revisionsbeantwortung gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig (RS0043690 [T6]), ohne dass sie zurückzuweisen ist.

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