OGH 9ObA70/95

OGH9ObA70/9512.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Bauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Erich Deutsch und Mag.Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der D*****, vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden Hermann G*****, ebendort, dieser vertreten durch Franz B*****, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Volksgartenstraße 40, 4020 Linz, dieser vertreten durch Dr.Gottfried Eypeltauer ua, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei D***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Georg Maxwald und Dr.Georg Bauer, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.Dezember 1994, GZ 13 Ra 77/94-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 1.Juni 1994, GZ 9 Cga 7/94h-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.058,88 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 676,48 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kollektivvertrag für Arbeiter der Speditions- und Lagereibetriebe Österreichs (im folgenden: KV) enthält unter anderem folgende Regelungen:

".....

Artikel VI: Arbeitszeit

.........

Normalarbeitszeit

4. a) Die Tagesarbeitszeit darf 8 Stunden, die Wochenarbeitszeit 40

Stunden nicht überschreiten, soweit in den folgenden Bestimmungen

nichts anderes festgesetzt wird.

..........

5. Für die Festsetzung der regelmäßigen (normalen) Tagesarbeitszeit

gilt folgendes:

a) Sie darf nicht vor 6.00 Uhr beginnen und muß um 21.00 Uhr, an

Samstagen um 13.00 Uhr beendet sein. Fällt eine Arbeitsleistung

(ausgenommen Portiere, Tag- und Nachtwächter) in die Zeit zwischen

21.00 Uhr und 6.00 Uhr, ist ein Zuschlag in der gleichen Höhe wie im

Art VII Abs 4 lit c) Zif. 1 festgelegt, zu bezahlen. Besteht Anspruch

auf Überstundenzuschlag, gebührt der Zuschlag gemäß Satz 2 nicht;

......

e) Dienstbeginn und Dienstende der Portiere sowie der Tag- und

Nachtwächter kann abweichend von den Bestimmungen lit a) bis c)

festgesetzt werden.

......

Sonderbestimmungen für Lenker und Beifahrer von Kraftfahrzeugen

8. Für die Arbeitszeit der Lenker und Beifahrer von Kraftfahrzeugen

gelten die Bestimmungen dieses Artikels mit folgenden Abänderungen:

......

C. Einsatzzeit

......

e) Die Bestimmungen des Abs 5 lit a) und c) und Abs 7 sind auf die

Einsatzzeiten nicht anzuwenden.

Sonderbestimmungen für bestimmte Betriebe und Dienstnehmer

9. Für die Lagereibetriebe und für Waggonbegleiter im

Eisenbahnverkehr sind spezielle Arbeitszeiten in den Artikeln XVII

und XVIII vorgesehen.

.......

Artikel VII: Überstundenarbeit

.......

4. Überstundenentlohnung:

a) Die Überstundenentlohnung besteht aus dem Grundstundenlohn und einem Zuschlag.

b) Der Grundstundenlohn beträgt 1/40 des Wochenlohnes bzw 1/6,67 des Taglohnes,

c) der Überstundenzuschlag beträgt:

1. in der Zeit von 6.00 Uhr bis 21.00 Uhr 50 %

in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr 100 %

Artikel XVIII Sonderbestimmungen für Lagereibetriebe, ausgenommen Speditions- und Möbellager

In Ergänzung aller vorhergehenden Artikel gelten folgende Bestimmungen:

......

3. Wird auf Anordnung des Unternehmers oder dessen Bevollmächtigten

in Schichten gearbeitet, gelten für die Festsetzung der Arbeitszeit

und hinsichtlich der Pausen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes.

Bei Schichtarbeit gebührt eine Schichtzulage nach der Lohnordnung.

......."

Der klagende Betriebsrat begehrte die Feststellungen:

1) daß bei Schichtarbeit für in der Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistete Normalarbeitszeit ein Zuschlag gemäß Art VI Abs 5 lit a) des Kollektivvertrages für Dienstnehmer der Speditions- und Lagereibetriebe gebührt;

2) daß bei Schichtarbeit zusätzlich zum Zuschlag gemäß Artikel VI Abs 5 lit a) Anspruch auf Schichtzulage nach den Bestimmungen der Zulagenordnung B des Kollektivvertrages für Dienstnehmer der Speditions- und Lagereibetriebe besteht;

3) daß der Zuschlag gemäß Artikel VI Abs 5 lit a) des Kollektivvertrages für Dienstnehmer der Speditions- und Lagereibetriebe auf Basis des Monatsgrundlohnes unter Miteinbeziehung der monatlichen Prämie, der Zulage für Arbeiten im Kühlraum von Kühllagerhäusern und der Schichtzulage zu berechnen ist.

Aus den Sonderbestimmungen des Artikel XVIII KV ergebe sich lediglich, daß in Lagereibetrieben Schichtarbeit zugelassen sei; es finde sich aber kein Hinweis, daß für zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr zurückgelegte Normalarbeitszeit der in Artikel VI Abs 5 lit a) KV vorgesehene Zuschlag nicht gebühren würde.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens im Hinblick auf die spezielle Regelung der Arbeitszeiten für Lagereibetriebe in Artikel XVIII KV.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Im Hinblick auf die Sonderregelung des Artikel XVIII Abs 3 KV seien die Bestimmungen über die Normalarbeitszeit nach Artikel VI KV bei Anordnung von Schichtarbeit in Lagereibetrieben nicht anzuwenden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung sind Kollektivverträge im normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6 und 7 ABGB) auszulegen. Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrages zur Verfügung steht, müssen sich darauf verlassen, daß die Absicht der Parteien im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (9 Ob A 612/93 mwH).

Folgt man dem Text des Kollektivvertrages, umfaßt die

Ausnahmsregelung nach Artikel XVIII Abs 3 KV die gesamte Bestimmung

des Artikel VI Abs 5, da mit der in Artikel XVIII Abs 3 KV

gebrauchten Wendung: "....gelten für die Festsetzung der Arbeitszeit

...." hinreichend deutlich auf den Einleitungssatz des Artikel VI Abs

5 "für die Festsetzung der regelmäßigen (normalen) Tagesarbeitszeit

gilt folgendes...." Bezug genommen wird und in den folgenden

Bestimmungen nicht nur, wie man aus der Einleitung vermuten würde,

Dauer und Lagerung der regelmäßigen Tagesarbeitszeit festgelegt

werden, sondern darüber hinaus auch noch ein Zuschlag für Arbeiten in

der Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr normiert wird. Die Zuschlagsregelung für außerhalb des für die regelmäßige Tagesarbeitszeit festgelegten zeitlichen Rahmens geleistete Arbeiten fällt daher nach der Diktion der Kollektivvertragsparteien unter den in Artikel XVIII Abs 3 gebrauchten Begriff "Festsetzung der Arbeitszeit".

Aus der ausdrücklichen Nennung der Portiere und der Tag- und

Nachtwächter als Ausnahme in Artikel VI Abs 5 lit a) und e) KV kann

hingegen nicht die Geltung dieser Bestimmung für die dort nicht

genannten, im Schichtbetrieb eingesetzten Arbeiter in

Lagereibetrieben gefolgert werden, weil für sie die gesamte

Bestimmung - anders als für die erstgenannten Berufsgruppen, für die nur bezüglich einzelner in Artikel VI Abs 5 KV getroffener Regelungen Ausnahmen geschaffen wurden - gemäß Artikel XVIII Abs 3 KV überhaupt nicht gilt.

Ähnliches gilt für die ausdrückliche Nennung von Abs 5 lit a) und c)

als nicht anzuwendende Bestimmungen in den in Artikel VI Abs 8 KV

enthaltenen Sonderbestimmungen für Lenker und Beifahrer von

Kraftfahrzeugen, auf die nach dem Einleitungssatz die Bestimmungen

dieses Artikels (VI) grundsätzlich (mit den im folgenden aufgezählten

Ausnahmen) anzuwenden sind, während für die im Schichtbetrieb

eingesetzten Arbeiter in Lagereibetrieben gemäß Artkikel XVIII Abs 3

KV Artikel VI Abs 5 KV überhaupt nicht anzuwenden ist.

Dem Argument des Revisionswerbers, für die in Artikel VI Abs 5 lit a) KV getroffene Zulagenregelung bliebe bei dieser Auslegung kein Anwendungsfall, ist folgendes zu erwidern:

Mit Artikel VI Abs 5 lit a) KV wird, wie sich aus dem Einleitungssatz ergibt, nur die zulässige zeitliche Lagerung der regelmäßigen Tagesarbeitszeit im Sinne des § 3 Abs 1 AZG geregelt; ein ausnahmsweises Abgehen von dieser regelmäßigen Tagesarbeitszeit erlaubt etwa § 4 Abs 3 AZG, ohne daß dies nach dem AZG die Qualifikation dieser Einarbeitungszeit als Überstunden zur Folge hätte.

Desweiteren ist nicht von der Hand zu weisen, daß die

Kollektivvertragsparteien mit der Festsetzung dieses dem

Überstundenzuschlag entsprechenden Zuschlages den Arbeitnehmern für

Arbeiten zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr - unabhängig davon, ob die

nach dem Kollektivvertrag unzulässige Überschreitung des für die

regelmäßige Tagesarbeitszeit gesetzten zeitlichen Rahmens von 6.00

Uhr bis 21.00 Uhr nach dem AZG als Überstundenarbeit zu werten ist oder nicht - jedenfalls diesen Zuschlag zubilligen wollten und damit die kollektivvertragliche Regelung über die zeitliche Lagerung der täglichen Normalarbeitszeit durch eine von der Auslegung des AZG unabhängige kollektivvertragliche Verteuerung der Überschreitung dieses zeitlichen Rahmens absichern wollten.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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