OGH 9ObA55/11w

OGH9ObA55/11w26.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Albert Koblizek und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** F*****, vertreten durch Dr. Georg Hahmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei J*****GmbH, *****, vertreten durch Klemm Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 1.367,87 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2011, GZ 9 Ra 112/10x-16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Text

Begründung

Der Kläger schloss am 27. 2. 2007 einen Dienstvertrag mit einer Arbeitskräfteüberlassungsgesellschaft, der mit Vereinbarung vom 18. 6. 2009 von einer weiteren Arbeitskräfteüberlassungsgesellschaft (idF: Überlasserin) übernommen wurde. Vereinbarungsgemäß war der Kläger ausschließlich bei der Beklagten tätig. Mit 30. 9. 2009 beendete er das Dienstverhältnis.

Am 30. 9. 2009 überwies die Beklagte das ihr von der Überlasserin in Rechnung gestellte Honorar für 25 überlassene Arbeitskräfte, darunter auch jenes für den Kläger in Höhe von 4.459,14 EUR. Der Kläger erhielt von der Überlasserin einen Betrag von 3.475,01 EUR brutto bzw 2.646,68 EUR netto für September 2009 ausbezahlt. Seit zumindest Anfang Juni 2009 hat die Beklagte immer sämtliche ihr von der Überlasserin in Rechnung gestellten Beträge für ihr überlassene Arbeitskräfte bezahlt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beklagte seit 2007 bis Anfang Juni 2009 irgendein ihr in Rechnung gestelltes Honorar für die von der Überlasserin überlassenen Arbeitnehmer nicht beglichen hätte.

Weil der Kläger die Beklagte und die Überlasserin vergeblich zur Zahlung von 1.367,87 EUR brutto sA an ausständiger Urlaubsersatzleistung für sechs Arbeitstage und Entgelt für 34 Überstunden aufgefordert hatte, begehrte er klagsweise, die Beklagte zur Zahlung dieses Betrags zu verpflichten. Sie habe ihm als Beschäftigerin für die Klagsforderung gemäß § 14 Abs 1 AÜG als Bürgin einzustehen. Die Beklagte habe ihre Verpflichtungen nicht zur Gänze erfüllt, jedenfalls sei der Klagsanspruch auch nicht dem Überlasser gegenüber abgegolten worden.

Die Beklagte bestritt dies und beantragte Klagszurückweisung, in eventu -abweisung. Als Beschäftigerin hafte sie gemäß § 14 Abs 2 AÜG nur als Ausfallsbürgin, weil sie jedes von der Überlasserin für den Kläger verrechnete Entgelt bezahlt und somit sämtliche Verpflichtungen gegenüber der Überlasserin bereits erfüllt habe. Auch die inhaltliche Berechtigung der Ansprüche werde bestritten. Stehe sie aber nicht fest, könne alleine für den Ausfallsbürgen keine Haftung bestehen, weil der Haftungsgrund noch nicht einmal für den Hauptschuldner feststehe.

Der Kläger ist demgegenüber der Ansicht, dass es für die Anwendung des Haftungsprivilegs des § 14 Abs 2 AÜG nicht darauf ankommen könne, dass der Beschäftiger dem Überlasser irgendein von diesem gefordertes Honorar gezahlt habe, sondern allein darauf, dass gerade der vom Dienstnehmer geltend gemachte Entgeltanspruch beglichen worden sei. Dies ergebe sich aus dem Aufbau der Gesetzesbestimmung, nach dem es sich bei der Haftung des Beschäftigers als Bürge um die Grundregel und bei seiner Haftung als bloßer Ausfallsbürge um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handle. Nur dann sei auch gewährleistet, dass das für die Dienstleistung gebührende Entgelt dem Überlasser zugute gekommen sei und ihm für die Zahlung zur Verfügung stehe. Überlasser und Beschäftiger hätten es sonst in der Hand, die „Haftung“ in beliebiger Weise zu gestalten und für alle nach dem IESG gesicherte Ansprüche praktisch auszuschalten.

Die Vorinstanzen folgten dem Rechtsstandpunkt der Beklagten und wiesen das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht führte dazu aus, mit den in § 14 Abs 2 AÜG genannten „Verpflichtungen aus der Überlassung“ seien die Verpflichtungen des Beschäftigers aus dem mit dem Überlasser geschlossenen Vertragsverhältnis (Dienstverschaffungsvertrag) gemeint. Diese Verpflichtungen seien erfüllt, wenn der Beschäftiger dem Überlasser das im Dienstverschaffungsvertrag für die Überlassung vereinbarte Honorar vollständig bezahlt habe. Der geforderte Nachweis werde vor allem durch die Vorlage einer saldierten Rechnung des Überlassers erfolgen können. Unter dieser Voraussetzung haftet der Beschäftiger iSd § 14 Abs 2 AÜG nur mehr als Ausfallsbürge. Im Falle der vollständigen Zahlung des dem Überlasser vertraglich geschuldeten Honorars sei auch nicht jede Haftung des Beschäftigers ausgeschlossen. Vielmehr sehe das Gesetz lediglich strengere Haftungsvoraussetzungen im Sinne einer deutlich stärker ausgebildeten Subsidiarität vor. Der Beschäftiger solle diesfalls eben erst im Falle der Uneinbringlichkeit beim Überlasser als Hauptschuldner einstehen müssen. Das AÜG erlege es dem überlassenen Dienstnehmer - von den in § 1356 ABGB genannten Sonderfällen abgesehen - unter den genannten Voraussetzungen auf, seine Ansprüche zunächst gegenüber dem Überlasser als seinem Dienstgeber gerichtlich zu betreiben; erst nach gescheiterter Durchsetzung solle der Beschäftiger einspringen müssen. Es sei daher nicht möglich, das Bestehen eines Anspruchs der überlassenen Arbeitskraft gegenüber dem Überlasser in einem Verfahren gegen den Beschäftiger gemäß § 14 Abs 2 AÜG zu klären. Werde der Anspruch der überlassenen Arbeitskraft, nämlich im Verfahren gegen den Überlasser, gerichtlich zuerkannt und sei er weder gegen den Überlasser noch gegen den Insolvenzentgeltfonds durchsetzbar, so hafte der Beschäftiger. Werde der Anspruch der überlassenen Arbeitskraft im Verfahren gegen den Überlasser hingegen abgelehnt, so komme eine Haftung des Beschäftigers schon im Hinblick auf die Akzessorietät jeder Bürgschaft nicht in Betracht. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Klägers zeigt angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung keine höchstgerichtlich zu klärende Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

Voranzustellen ist, dass sich die Revisionsausführungen, wonach die Beklagte selbst als Dienstgeberin zu behandeln sei und deshalb für offene Entgeltansprüche einzustehen habe, vom festgestellten Sachverhalt entfernen, sodass in der Folge von der von den Vorinstanzen zutreffend bejahten Eigenschaft der Beklagten als Beschäftigerin des Klägers iSd § 3 Abs 3 AÜG auszugehen ist.

Im Falle der Arbeitskräfteüberlassung hat der Arbeitnehmer grundsätzlich sämtliche Entgeltansprüche an den Überlasser zu richten (RIS-Justiz RS0050620 [T3]). Darüber hinaus schafft § 14 AÜG dem Arbeitnehmer einen weiteren Haftungsfonds in Gestalt einer Bürgenhaftung des Beschäftigers:

Bürgschaft

§ 14. (1) Der Beschäftiger haftet für die gesamten der überlassenen Arbeitskraft für die Beschäftigung in seinem Betrieb zustehenden Entgeltansprüche und die entsprechenden Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sowie für die Lohnzuschläge nach dem BUAG als Bürge (§ 1355 des ABGB).

(2) Hat der Beschäftiger seine Verpflichtungen aus der Überlassung bereits dem Überlasser nachweislich erfüllt, haftet er nur als Ausfallsbürge (§ 1356 des ABGB).

(3) …

Schon der Gesetzeswortlaut nimmt in den Abs 1 und 2 eine klare Differenzierung zwischen den Entgeltansprüchen der Arbeitskraft aus ihrem Vertragsverhältnis mit dem Überlasser einerseits und den Ansprüchen des Überlassers aus dem Dienstverschaffungsvertrag gegenüber dem Beschäftiger andererseits vor. Diese Ansprüche können, müssen freilich keineswegs ident sein, weil das vom Überlasser dem Beschäftiger in Rechnung gestellte Entgelt für die Überlassung einer Arbeitskraft vor allem zur Gewinnerzielung höher, im Einzelfall je nach Vereinbarung aber auch niedriger oder auch pauschaliert sein kann. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut kommt die Ausfallsbürgenhaftung bereits dann zum Tragen, wenn der Beschäftiger die Ansprüche des Überlassers aus dem Dienstverschaffungsvertrag (arg „seine Verpflichtungen aus der Überlassung“) nachweislich erfüllt hat, er also das mit dem Überlasser für die Überlassung einer Arbeitskraft vereinbarte Honorar bereits bezahlt hat (vgl Geppert Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, 180 f). Dafür ist der Beschäftiger beweispflichtig (arg „nachweislich“). Als Nachweis kann vor allem die Vorlage einer saldierten, dh vom Überlasser unterfertigten Rechnung gelten (Geppert aaO 181).

Der Formulierung ist dagegen nicht zu entnehmen, dass es sich bei der Erfüllung dieser Verpflichtungen aus der Überlassung nur um solche Zahlungen zu handeln hätte, die den Entgeltansprüchen des Arbeitnehmers gegenüber dem Überlasser entsprechen. Es wäre ein Leichtes gewesen, dies - wenn gewollt - im Gesetzestext zum Ausdruck zu bringen.

Auch der Gesetzeszweck erfordert keine über den Wortlaut der Bestimmung hinausreichende Auslegung. Die Bürgenhaftung des § 14 AÜG ist zentral im Anliegen des Gesetzgebers begründet, den Entgeltanspruch der überlassenen Arbeitskraft und die dem Sozialversicherungsträger zustehenden Leistungen zu sichern und darüber hinaus auch den Beschäftiger zu einer sorgfältigen Auswahl des Überlassers anzuregen (ErläutRV 450 BlgNR 17. GP. 20, 21; RIS-Justiz RS0120833). Zur Ausgestaltung der Bürgenhaftung halten die Erläuterungen, aaO, fest: „... Im Sinne des § 1355 ABGB kann der Beschäftiger erst dann belangt werden, wenn der Überlasser gerichtlich oder außergerichtlich gemahnt wurde. Eine gerichtliche Klage gegen den Überlasser ist nicht erforderlich (Abs 1). Wenn der Beschäftiger aber die Kosten der Überlassung bereits dem Überlasser vergütet hat, haftet der Beschäftiger nur als Ausfallsbürge. ... (Abs 2).“ Sofern dazu fraglich sein könnte, ob sich die vergüteten „Kosten der Überlassung“ auf die Kosten des Beschäftigers gegenüber dem Überlasser oder auf die Kosten des Überlassers aus der Entgeltzahlung an den Dienstnehmer beziehen, muss schon deshalb dem zuerst genannten Verständnis der Vorzug gegeben werden, weil nur er auch dem Gesetzeswortlaut entspricht.

Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, kommt es im Falle der vollständigen Zahlung des dem Überlasser geschuldeten Honorars nicht zu einer völligen Haftungsbefreiung des Beschäftigers. Vielmehr wird seine Haftung nur an strengere Haftungsvoraussetzungen im Sinne einer stärker ausgebildeten Subsidiarität geknüpft. Wenn auch der Arbeitnehmer in diesem Fall erst den Überlasser erfolglos exekutiv belangt haben muss, ist ihm dadurch nicht die Möglichkeit genommen, den Beschäftiger in Anspruch zu nehmen.

In praktischer Hinsicht würde die Ansicht des Revisionswerbers, dass dem Beschäftiger nur dann die Ausfallsbürgenhaftung zugute komme, wenn gerade der vom Dienstnehmer geltend gemachte Entgeltanspruch vom Beschäftiger dem Überlasser nachweislich bezahlt wurde, überdies voraussetzen, dass die Leistungen des Beschäftigers an den Überlasser den einzelnen Entgeltansprüchen des Arbeitnehmers zugeordnet werden können. Wie dargelegt und insbesondere auch bei Pauschalhonoraren ersichtlich, muss dies aber keineswegs der Fall sein. Auch Praktikabilitätsgründe sprechen daher dafür, dass der Gesetzgeber mit § 14 Abs 2 AÜG bewusst keine „Anrechnungsmodelle“ verfolgte, sondern die Bürgenhaftung bereits dann auf die Qualität einer Ausfallsbürgenhaftung reduziert wissen wollte, wenn der Beschäftiger seine eigenen Verpflichtungen aus der Überlassung dem Überlasser nachweislich erfüllt hat. Dies ist aber schon dann der Fall, wenn er die - idR mit der Rechnungslegung - fälligen Forderungen des Überlassers beglichen hat.

Die Überlegung des Revisionswerbers, dass es Beschäftiger und Überlasser dann in der Hand hätten, durch entsprechende Vertragsgestaltung und Rechnungslegung (zB über 1 EUR) zu Lasten des Arbeitnehmers eine bloße Ausfallsbürgenhaftung des Beschäftigers herbeizuführen, bleibt freilich bei Rechtsmissbrauch von Bedeutung.

Da nach all dem keine Gründe bestehen, in dem vom Kläger gewünschten Sinn vom Wortlaut der Bestimmung und den Erwägungen der Vorinstanzen abzuweichen, war die Revision mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 ASGG zurückzuweisen.

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