OGH 9ObA333/98f

OGH9ObA333/98f23.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Gerhard Puschner und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Veronika G*****, Arbeiterin, ***** vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, wider die beklagten Parteien 1) Dkfm. Dr. Friedrich G*****, 2) G***** & Sohn Handels KG, beide *****, beide vertreten durch Dr. Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 21.685,03 brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. September 1998, GZ 8 Ra 229/98z-18, womit infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. April 1998, GZ 7 Cga 24/97f-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 21.685,03 brutto samt 4,5 % Zinsen seit 1. 11. 1996 zu zahlen sowie die mit S 15.717,36 (darin S 2.446,56 USt und S 1039,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit S 7.310,16 (darin S 976,36 USt und S 1.452,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilen Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.199,24 (darin S 670,20 USt und S 2.178,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 7. 2. 1994 bis 6. 10. 1996 als Raumpflegerin bei der zweitbeklagten Partei, deren Komplementär der Erstbeklagte ist, beschäftigt.

Mit ihrer Klage begehrt sie den Zuspruch des aus dem Spruch hervorgehenden Betrages, welcher sich aus einer Weihnachtsremuneration von S 10.177,60, Kündigungsentschädigung (vom 6. bis 26. 10. 1996) von S 8.963,01, anteiligen Sonderzahlungen zur Kündigungsentschädigung von S 763,32 sowie Urlaubsentschädigung für drei Werktage von S 1.781,10 zusammensetzt. Die Klägerin brachte dazu vor, von der zweitbeklagten Partei ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Der Dienstgeber sei am 5. und 6. 10. 1996 an sie mit dem Ersuchen herangetreten, auch während des an sich für die Klägerin freien Wochenendes, nämlich Samstag und Sonntag, zu arbeiten. Die Klägerin habe zugesagt, am Samstag, dem 5. 10. 1996, bis 17.00 Uhr zu arbeiten, am nächstfolgenden Sonntag ab 6.45 Uhr. Sie habe am 5. 10. 1996 um 6.45 Uhr ihren Dienst angetreten und bis 17.00 Uhr gearbeitet, nachdem sie einem Mitarbeiter der zweitbeklagten Partei mitgeteilt habe, daß sie um diese Zeit gehen werde. Dies sei auch zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Als sie am nächsten Tag um

6.45 Uhr wieder zur Arbeit erschienen sei, habe der Erstbeklagte die fristlose Entlassung mit der Begründung ausgesprochen, daß sie am Vortag länger als bis 17.00 Uhr hätte arbeiten müssen. Demgegenüber habe die Klägerin die Vereinbarung jedoch eingehalten und die höchstzulässige Arbeitszeit am Samstag sogar um 15 Minuten überschritten.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe entgegen einer Vereinbarung unbefugt die Arbeitsstelle verlassen und gegenüber ihren Vorgesetzten auch Falschaussagen getätigt, sodaß sowohl unbefugtes Verlassen des Arbeitsplatzes als auch Vertrauensunwürdigkeit die Entlassung der Klägerin gerechtfertigt hätten. Ergänzend wurde vorgebracht, daß für die beklagten Parteien ein unabwendbarer wirtschaftlicher Schaden entstanden wäre, wenn die Überstundenleistungen nicht erbracht worden waren.

Das Klagebegehren steht der Höhe nach außer Streit.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die erstbeklagte Partei war vertraglich verpflichtet, ihr Geschäftslokal am 15. 10. 1997 einem neuen Mieter ordnungsgemäß und adaptiert zu übergeben. Aus diesem Grund war für Freitag, den 4. 10. 1996 die Räumung des Geschäftslokales und für Montag, den 7. 10. 1996 der Beginn der baulichen Veränderungen in diesem Geschäftslokal angesetzt. Wäre es nicht zur rechtzeitigen Übergabe des Geschäftslokals an den Mieter gekommen, wäre dieser aus dem Mietvertrag "ausgestiegen", was für die Zweitbeklagte einen hohen wirtschaftlichen Schaden bedeutet hätte. Unter Umständen hätten Mitarbeiter entlassen werden müssen. Aus diesem Grund "vereinbarte" die erstbeklagte Partei mit dem Mitglied des Betriebsrats der zweitbeklagten Partei, Karl Z*****, daß am Freitag Abend, am Samstag und am Sonntag, dh vom 4. bis 6. 10. 1996, Überstunden "mit einem offenen Ende" zu leisten sein werden. Diese Vereinbarung war auch der Klägerin bekannt und sie war zunächst einverstanden. Am Freitag ersuchte die Klägerin die erstbeklagte Partei, an diesem Tag nicht länger arbeiten zu müssen, was ihr auch zugestanden wurde. Die Klägerin erschien auch am Samstag, den 5. 10. 1996, um 6.00 Uhr zur Arbeit, hielt von 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr eine Mittagspause ein und arbeitete dann wieder bis 17.00 Uhr. Gegen 14.00 Uhr erklärte sie dem schon erwähnten Mitglied des Betriebsrats der zweitbeklagten Partei, daß sie früher nach Hause gehen wolle. Dieser gab ihr zur Antwort, sie solle diese Angelegenheit mit dem Erstbeklagten besprechen. Dies unterließ sie jedoch. Sie verließ um 17.00 Uhr, sohin nach einer Tagesarbeitszeit von 10,5 Stunden, den Arbeitsplatz im Betrieb der zweitbeklagten Partei. Als sie am Sonntag früh wieder zur Arbeit erschien, sprach der Erstbeklagte die Entlassung wegen unbefugten Verlassens des Arbeitsplatzes aus. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (AS 55) traf das Erstgericht noch die ergänzende Feststellung, daß vorgelagerte Bauarbeiten nicht termingerecht hätten fertiggestellt werden können, sodaß der dadurch entstandene Termindruck und die Notwendigkeit der Leistung von Überstunden am Wochenende für den Erstbeklagten nicht vorhersehbar waren. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der hier vorliegende außergewöhnliche Fall eine Überschreitung der gesetzlichen Normalarbeitszeit erlaubt und die Klägerin sich auch ausdrücklich zur Überstundenleistung verpflichtet habe. Das einseitige Abgehen von dieser Verpflichtung, nämlich länger als bis 17.00 Uhr zu arbeiten, stelle eine Verletzung der Treuepflicht dar, welche den Arbeitgeber zur Entlassung berechtigt habe.

Das Berufungsgericht vertrat ebenfalls die Rechtsauffassung, daß die Klägerin gegen die Vereinbarung zur Leistung zulässiger Überstunden verstoßen und dadurch gröblich ihre Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber verletzt habe. Darüber hinaus habe den beklagten Parteien ein wirtschaftlicher Schade gedroht, der nur durch Überstundenleistungen zu vermeiden gewesen wäre. Durch den Ausfall der Klägerin hätten andere Dienstnehmer noch größere Anstrengungen unternehmen und weitere Überstunden leisten müssen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten, welche bereits vor einer Mitteilung des Revisionsgerichtes im Sinne des § 508a Abs 2 ZPO eine Revisionsbeantwortung erstattet haben, beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Die im Arbeitszeitgesetz (§ 6 Abs 1 iVm § 7, 8, 20 und 23) vorgesehenen Möglichkeiten einer Verlängerung der Arbeitszeit regeln grundsätzlich nur die öffentlich-rechtliche Seite; sie geben also Aufschluß darüber, in welchem zeitlichen Ausmaß Mehrarbeit überhaupt erlaubt ist, sagen aber nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer zur Überstundenleistung verpflichtet ist. Als Rechtsgrundlage einer solchen Verpflichtung kommt - von Notfällen abgesehen, in denen der Arbeitnehmer schon aufgrund seiner Treuepflicht verbunden sein kann, über die Normalarbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen zu erbringen - regelmäßig nur der konkrete Arbeitsvertrag in Betracht, dessen Inhalt entweder durch Einzelvereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, insbesondere Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung, bestimmt wird (RIS-Justiz RS0051462, zuletzt 9 ObA 119/98k). Die Klägerin selbst gesteht zu (§ 266 ZPO), am Samstag, dem 5. 10. 1996, bis 17.00 Uhr aufgrund einer Vereinbarung zur Leistung von Überstunden verpflichtet gewesen zu sein. Demgegenüber stützen sich die beklagten Parteien auf eine Vereinbarung mit "Openend". Die Beweislast für die Voraussetzungen einer Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Leistung von Überstunden trifft grundsätzlich den Arbeitgeber (9 ObA 119/98k). Dies muß in gleicher Weise auch für den Umfang der zu leistenden Überstunden gelten. Eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen Klägerin und Beklagten kann aus den Feststellungen nicht abgeleitet werden. Wenn der Klägerin daher eine mündliche "Vereinbarung" zwischen dem Arbeitgeber und einem Betriebsratsmitglied, was zweifelsohne keine Betriebsvereinbarung iSd ArbVG darstellt, bekannt war und sie in Kenntnis dessen ihren Dienst trotz eines dienstfreien Tages antrat, kann daraus auf eine schlüssige Vereinbarung geschlossen werden, welche auch hinsichtlich der Leistung von Überstunden grundsätzlich möglich ist (9 ObA 119/98k). Wenngleich der Klägerin daher bekannt war, daß das Ende der Arbeitszeit an diesem Tag noch nicht feststand, mußte sie dennoch nicht annehmen, daß diese die (öffentlich-)rechtlich höchstzulässige Tagesarbeitszeit von 10 Stunden (§ 9 Abs 1 AZG) überschreiten werde. Selbst dann, wenn grundsätzlich eine Pflicht zur Leistung von Überstunden besteht, darf gemäß § 6 Abs 2 AZG der Arbeitnehmer zur Überstundenarbeit nur dann herangezogen werden, wenn dies nach dem AZG zulässig ist. Damit wird zwar nur der Verbotscharakter der gesetzlichen Begrenzung der Überstundenarbeit hervorgehoben, doch folgt daraus, daß Vereinbarungen und Weisungen, die die Leistung von Überstunden zum Gegenstand haben, die gegen das AZG verstoßen, nichtig sind und daher nicht befolgt zu werden brauchen. Dementsprechend setzt der Arbeitnehmer im Falle der Verweigerung unzulässiger Überstundenleistung auch niemals einen Entlassungsgrund (Grillberger AZG Rz 5.2. zu § 6). Aus dem Verhalten der Klägerin, welches hier im Antritt einer Arbeit mit einer noch nicht genau festgelegten Dauer bestand, konnte der Arbeitgeber nur den Schluß ziehen, daß die Klägerin nur zu einer Leistung im Umfang der gesetzlichen Höchstdauer bereit war. Dies war - das Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes vorausgesetzt - nach § 7 Abs 1 AZG eine Tagesarbeitszeit von 10 Stunden. Diese hat die Klägerin nicht nur erfüllt, sondern sogar überschritten.

Soweit im Einzelarbeitsvertrag und in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Leistung von Überstunden nicht festgelegt ist, besteht eine Pflicht, über die normale Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen zu erbringen, nur aufgrund der Treuepflicht des Arbeitnehmers bei einem Betriebsnotstand im Sinne des § 20 AZG oder sonst in außergewöhnlichen Fällen, nicht aber schon bei jeder betrieblichen Notwendigkeit oder Terminarbeit (9 ObA 119/98k unter Zitat von ARD 4925/31/98; Arb 11.112; RIS-Justiz RS0051419). Der Oberste Gerichtshof hat in dem zuletzt genannten, vergleichbaren Fall ausgesprochen, daß die gegenüber einem Auftraggeber eingegangene Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Baustelle zu einem bestimmten Termin zu räumen, für sich allein zur Begründung einer aus der Treuepflicht abgeleiteten Verpflichtung des Dienstnehmers, angeordnete Überstunden zu leisten, von vornherein nicht ausreicht. Selbst die Gefahr einer Pönalezahlung reicht hiefür nicht aus, weil von einer in einem Betriebsnotstand im Sinn des § 20 AZG vergleichbaren außergewöhnlichen Situation nur dann gesprochen werden kann, wenn, wie dies § 20 Abs 1 lit b AZG ausdrücklich normiert, der für die Überstundenanordnung maßgebende Grund "unvorhergesehen und nicht zu verhindern" war und "andere zumutbare Maßnahmen" zur Erreichung des angestrebten Zweckes nicht getroffen werden konnten. Derartiges haben im vorliegenden Fall die Beklagten durch ihr Vorbringen, "daß ein unabwendbarer wirtschaftlicher Schaden für die beklagten Parteien entstanden wäre, wenn die Überstundenleistungen nicht erfolgt wären", auch nicht annähernd konkret behauptet. Selbst aus den "überschießend" getroffenen Feststellungen lassen sich die außergewöhnlichen Umstände, die eine Arbeitsleistung auch über die Grenzen der §§ 7, 9 AZG hinaus erlaubten, nicht ableiten. Im Verhalten der Klägerin liegt daher kein die Entlassung rechtfertigender Verstoß gegen die Interessenwahrungspflicht.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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